Bericht über Weggefährten von Joschka Fischer als ehemaligem Strassenkämpfer

Gericht

OLG Frankfurt


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

29. 05. 2002


Aktenzeichen

16 U 114/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Darstellung der persönlichen Lebensumstände einer ehemals "relativen" Person der Zeitgeschichte verletzt deren allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht, wenn das entsprechende zeitgeschichtliche Ereignis (hier: die Aktivitäten der linksradikalen Gruppierung "revolutionärer Kampf") von aktuellem öffentlichem Interesse ist.

  2. Der besondere, ein öffentliches Interesse begründende aktuelle Bezug liegt in der damaligen Mitgliedschaft des heutigen Außenministers Joschka Fischer in dieser Gruppierung.

  3. Das Persönlichkeitsrecht der ehemals "relativen" Person der Zeitgeschichte tritt aufgrund der fortdauernden gesellschaftspolitischen Bedeutung dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses hinter das öffentliche Berichterstattungsinteresse zurück.

  4. Die in diesem Zusammenhang zulässige identifizierende Berichterstattung umfasst auch die Nennung des Namens, des Wohnortes und der Adresse des Betroffenen.

  5. Bei der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem öffentlichen Berichterstattungsinteresse sind Resozialisierungsgesichtspunkte i.S.d. "Lebach"-Entscheidung des BVerfG nicht einzubeziehen, wenn Anhaltspunkte für eine sich aus der Berichterstattung ergebende "Stigmatisierung" nicht vorliegen.

  6. Gegen die im Kontext der Berichterstattung im Hinblick auf eine bestimmte Straftat enthaltene Verdachtsäußerung ist ein Unterlassungsanspruch nur gegeben, wenn der Betroffene den Anspruch auf einen bestimmten Sachzusammenhang beschränkt.

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 26. April 2001 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.

Der Beschluss - einstweilige Verfügung - der 3. Zivilkammer vom 7. März 2001 wird zu den Punkten 1. bis 7. aufgehoben und der diesbezügliche Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. i.V.m. § 26 Nr. 5 EGZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die statthafte Berufung der Verfügungsbeklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch in der Sache begründet.

I.

Die Voraussetzungen für den mit dem Hauptantrag geltend gemachten Unterlassungsanspruch (§§ 823 I, 1004 BGB analog) wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfügungsklägerin liegen bezüglich der hier streitgegenständlichen Äußerungen nicht vor.

Grundsätzlich umfasst das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Persönlichkeitsrecht auch das Verfügungsrecht über Darstellungen der Person. Jedermann darf zunächst grundsätzlich selbst und allein bestimmen, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen (BGH NJW 73, 1227).

Durch die beanstandeten Äußerungen wird die Verfügungsklägerin in diesem schützenswerten Bereich des Verfügungsrechts verletzt. Mit der Beschreibung einzelner ihrer persönlichen Eigenschaften und Neigungen, insbesondere aber mit der Nennung ihres Namens und der Beschreibung ihres Wohnhauses in Bahia/Brasilien wird ihre Person und ihr Lebensumfeld nämlich in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Allerdings steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz der Art. 1 und 3 GG.

Im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ebenfalls grundgesetzlich geschützten Presse- und Rundfunkfreiheit ist die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln, die sich unter Einbeziehung der Umstände des konkreten Falles an den einzelnen Belangen des Betroffenen und den schutzwürdigen Interessen der Medien an einer Veröffentlichung zu orientieren hat (Prinz/Peters, Presserecht, Rn. 61). Dabei ist entscheidend darauf abzustellen, in welchem Maß eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen beeinträchtigen kann (BVerfGE 97, 391 = NJW 98, 2889).

Die Verfügungsklägerin war im Jahr 1976 Mitglied der linksradikalen Gruppierung "Revolutionärer Kampf" in Frankfurt am Main, die damals maßgeblich an gewalttätigen Unruhen und Straßenkämpfen beteiligt war, in deren Verlauf es u.a. auch zu einem Mordattentat auf einen Polizeibeamten gekommen ist. Diese Unruhen hatten auf die damalige Gesellschaft erhebliche Auswirkungen, sind von einer breiten Öffentlichkeit verfolgt worden und bis heute in deren Bewusstsein.

Diese zeitgeschichtliche Bedeutung der Gruppierung "Revolutionärer Kampf" begründet ein öffentliches Interesse an der Darstellung der Mitglieder dieser Gruppierung, ihrer Entwicklung und ihrer heutigen Lebenssituation. Ein besonderer aktueller Bezug, der das öffentliche Interesse an der Berichterstattung verstärkt, ergibt sich daraus, dass die Beteiligung des heutigen Außenministers Joschka Fischer, der führendes Mitglied der linksradikalen Gruppierung gewesen ist, an den Vorfällen des Jahres 1976 Anfang des Jahres 2001 in der Öffentlichkeit thematisiert worden ist. Zu der Darstellung seiner damaligen Beteiligung gehört auch die Beschreibung seines damals in der Öffentlichkeit aktiven Umfelds.

Auch im Hinblick darauf, dass Joschka Fischer als ehemaliger Straßenkämpfer heute einer der exponiertesten Vertreter der Bundesrepublik Deutschland ist, besteht ein berechtigtes Interesse an Informationen daran, welchen Werdegang seine ehemaligen Weggefährten genommen haben, die, wie er, einen bestimmten Zeitabschnitt in der Bundesrepublik in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wesentlich geprägt haben. Aus der Darstellung der damaligen Vorfälle, ihrer Protagonisten und deren Lebensweg ergeben sich Aussagen über den Zustand der Gesellschaft damals und heute. Hiermit im Zusammenhang stehende Informationen sind - auch - Gegenstand des beanstandeten Artikels, in dem nicht nur die Verfügungsklägerin, sondern auch sieben weitere Personen, darunter auch Joschka Fischer als einer der "Köpfe" der radikalen "Cambo" in dem dargelegten zeitgeschichtlichen Kontext beschrieben worden sind.

Das danach zu bejahende öffentliche Interesse an der Berichterstattung überwiegt das schutzwürdige Interesse der Verfügungsklägerin an der Nichtveröffentlichung der beanstandeten Äußerungen. Wenn der einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger durch sein Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt, können sich Einschränkungen seines ausschließlichen Bestimmungsrechts über den Privatbereich ergeben (BVerfG NJW 73, 228).

So ist es hier. Die Verfügungsklägerin hat durch die aktive Mitgliedschaft in der linksradikalen Gruppierung auf das Gemeinschaftsleben eingewirkt, was Einschränkungen ihres persönlichkeitsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts rechtfertigt. Sie ist im Zusammenhang mit den damaligen Ereignissen in die Öffentlichkeit getreten und daher (damals) relative Person der Zeitgeschichte gewesen (Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, § 60 Anhang Rn. 11).

Vor diesem Hintergrund werden die Belange der Verfügungsklägerin durch die Veröffentlichung der beanstandeten Außerungen in dem dargestellten zeitgeschichtlichen Zusammenhang nicht unzumutbar beeinträchtigt. Da die Verfügungsklägerin selbst relative Person der Zeitgeschichte war, ist die Nennung ihres Namens nicht zu beanstanden. Soweit ihr Wohnort in Bahia unter Nennung der Straße und der Beschreibung ihres Wohnhauses angegeben wird, liegt kein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor. Zwar ist die identifizierbare Bezeichnung der Adresse vorliegend nicht geboten, um dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Vorliegend ist jedoch entscheidend, dass die Verfügungsklägerin in Brasilien lebt und ihr Wohnhaus faktisch außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der interessierten Öffentlichkeit liegt. Daher ist die Beschreibung des Wohnumfelds nicht als erhebliche Beeinträchtigung der Belange der Verfügungsklägerin anzusehen.

Bezüglich der weiteren beanstandeten Äußerungen liegt ebenfalls keine erhebliche Beeinträchtigung der Privatsphäre der Verfügungsklägerin vor. Die Beschreibung von Charaktereigenschaften, Neigungen und Lebensverhältnissen der Verfügungsklägerin, die nicht herabsetzend ist, ist von der Verfügungsklägerin hinzunehmen in einem zeitgeschichtlichen Zusammenhang, bei dem es um die Darstellung ihrer Person in ihrer Eigenschaft als ehemaliges Mitglied der genannten Gruppierung geht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das der Berichterstattung zugrunde liegende Zeitgeschehen bereits 26 Jahre zurück liegt. Nachteile, die sich daraus ergeben können, dass die Verfügungsklägerin im Zusammenhang mit den Vorfällen des Jahres 1976 namentlich genannt wird, sind insbesondere in ihrem Lebensumfeld nicht ersichtlich. Anders als bei der Darstellung einer zurückliegenden schweren Straftat, bei der der Gesichtspunkt der Resozialisierung des Täters eine Rolle spielen kann (BVerfG NJW 73, 1226; BVerfG NJW 2000, 1860), ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass die Verfügungsklägerin durch eine Darstellung im Kontext des damaligen Zeitgeschehens stigmatisiert oder sozial isoliert werden könnte.

Nach alledem ist das Maß der Beeinträchtigung der Privatsphäre durch die beanstandeten Äußerungen als nur gering anzusehen, so dass dem öffentlichen Interesse an der Darstellung der Verfügungsklägerin in dem dargestellten zeitgeschichtlichen Zusammenhang der Vorrang einzuräumen ist.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass die beanstandeten Äußerungen in dem weiteren Kontext des Artikels, der den Verdacht betrifft, die Verfügungsklägerin sei Täterin des Mordattentats gewesen, nicht hingenommen werden müssen, worauf das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat. Darauf, ob die angegriffene Berichterstattung in diesem weiteren Kontext zulässig ist, kommt es nämlich nicht an. Ist, wie hier, die Berichterstattung jedenfalls im Rahmen eines von mehreren in der Veröffentlichung dargestellten Zusammenhänge rechtmäßig, weil insoweit ein überwiegendes Informationsinteresse besteht, so kann der Betroffene jedenfalls nicht ohne Einschränkung Unterlassung dieser Äußerungen verlangen. Soweit die Verfügungsklägerin daher Unterlassung begehrt, ohne dies auf einen bestimmten Sachzusammenhang zu begrenzen, steht ihr ein solcher Anspruch nicht zu.

II.

Der Unterlassungsanspruch ist auch unbegründet, soweit die Verfügungsklägerin hilfsweise Unterlassung der beanstandeten Äußerungen im Rahmen einer Berichterstattung über ein angebliches Ermittlungsverfahren gegen sie wegen strafbaren Verhaltens bei der Demonstration in Frankfurt am Main verlangt.

Der Verfügungsbeklagten ist im Verfahren 11 U 139/01 - 2/3 O 90/01 - u.a. eine identifizierende Berichterstattung über ein angeblich gegen die Verfügungsklägerin geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren untersagt worden.

Zwar bezieht sich das Verbot ausdrücklich nur auf die Nennung des Namens der Verfügungsklägerin und die Veröffentlichung des Fotos ihres Wohnhauses in dem dort streitgegenständlichen Zusammenhang. Jedoch lässt eine identifizierbare Darstellung der Verfügungsklägerin den Kern der untersagten Verletzungsform unberührt, so dass eine solche Veröffentlichung vom Verbotsurteil umfasst wäre (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 890 Rn. 4). Bezüglich des hilfsweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis.


Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO n.F. i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO unanfechtbar.


Janzen
Vors. Richter am OLG
Baumecker
ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert.

Janzen

Haselmann

Vorinstanzen

LG Frankfurt, 2/3 O 94/01

Rechtsgebiete

Presserecht