Keine Strafbarkeit von Beleidigungen in Gerichtsverfahren, Streit um Weitergabe von Material an FOCUS
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
02. 08. 2002
Aktenzeichen
21 U 2188/02
Wer sich in gerichtlichen, der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dienenden Verfahren ehrenrührig äußert, unterliegt grundsätzlich keinen Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen. Für entsprechende Ehrenschutzklagen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Eine solche Äußerung ist jedoch nicht privilegiert, soweit sie auch außerhalb des Verfahrens verbreitet wird. So zum Beispiel, soweit sich ein Zeuge an einem beliebigen Ort genauso äußert wie als Zeuge.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich jemand außergerichtlich in einem bestimmten Sinne geäußert hat, trägt grundsätzlich der Betroffene, also der Anspruchsteller.
Gibt der am Verfahren Beteiligte den Inhalt einer dort vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nur in "unbestimmter" Form an Dritte - hier wird eine Weitergabe an das Nachrichtenmagazin "FOCUS" behauptet - weiter, so fällt die Privilegierung nicht weg.
Ein Rechtsschutzbedürfnis entfällt auch nicht dadurch, dass die Richtigkeit der Zeugenaussage zusätzlich an Eides statt verischert wurde.
Aus dem Tatbestand:
Der Kläger verlangt vom Beklagten, Äußerungen zu unterlassen, die in einer eidesstattlichen Versicherung des Beklagten vom 13.10.2000 enthalten sind. Diese Angaben des Beklagten wurden in einem Artikel in »FOCUS« Heft 9 vom 5.2.2001 auf Seite 200 »Justiz. Kakerlaken-Pleite« aufgegriffen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er könne vom Beklagten Unterlassung der Äußerungen in der eidesstattlichen Versicherung vom 13.10.2000 verlangen. Der Kläger habe die Angaben im Übrigen auch dem Zeugen B. gegenüber gemacht. Außerdem habe er die Unterlagen samt der eidesstattlichen Versicherung auch dem FOCUS überlassen.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, es ... zu unterlassen, zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen:
1. der Beklagte sei als »Senior Councel« befugt gewesen, im In- und Ausland für die M.-Kliniken AG zu sprechen und zu handeln;
2. der Kläger berichtete mehrfach u. a. von einem von ihm ausgeklügelten Schreiben an einen Herrn F. (dem er mit irgendwelchen Russen Angst gemacht hätte) und von seiner »Stasi-Truppe«, die diese Dinge für ihn ausführte. Dieses Schreiben hätte die Wellen im Gerichtssaal hochschlagen lassen. Er hätte diese Situation gegen seine Gegner, die Rechtsanwälte Dr. B. und Dr. G., zu deren Nachteil gewendet. Er habe das Schreiben an Herrn F. veranlasst, im Gerichtssaal den Verdacht jedoch sofort auf seine Gegner gelenkt.
Für jeden Dritten sei nach seiner Auffassung völlig klar, dass das Schreiben, an Herrn F. entweder von ihm oder von seinen Gegnern verfasst worden sei;
3. der Kläger habe bestätigt, dass er den Verdacht auf seine Gegner gelenkt habe, um ihnen »eins reinzuwürgen«. Es sei besonders leicht gewesen, den Verdacht auf sie zu lenken, weil das Schreiben juristischen Sachverstand bewiesen hätte;
4. der Kläger habe hierzu wörtlich geäußert: »Gut für den Prozessausgang«.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat insbesondere das Bestehen der Wiederholungsgefahr bestritten und behauptet, er habe die Äußerungen in der eidesstattlichen Versicherung nur im Ermittlungsverfahren abgegeben.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, es bestehe keine Wiederholungsgefahr.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er wiederholt und vertieft seine Behauptungen erster Instanz. Für die Gefahr der Wiederholung spreche eine Vermutung. Diese sei nicht widerlegt. Der Beklagte habe die eidesstattliche Versicherung entweder direkt oder über seine Prozessbevollmächtigten oder über Dritte an Herrn St. (Redakteur beim FOCUS) oder den FOCUS zugeleitet. Auch gegenüber dem Zeugen B. habe er sich so geäußert.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt den Behauptungen des Klägers entgegen, insbesondere habe er die eidesstattliche Versicherung Dritten nicht zukommen lassen oder sich Dritten gegenüber so geäußert.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen St. und B.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung ist im Ergebnis nicht begründet. Der Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Sie ist daher als unzulässig abzuweisen (BGH GRUR 1987, 568 = NJW 1987, 3138 - Gegenangriff, mit Anm. Walter).
1. Ehrenkränkende Äußerungen in gerichtlichen oder sonst rechtlich geordneten Verfahren, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienen, können regelmäßig nicht mit gesonderten Ehrenschutzklagen (insbesondere auf Unterlassung oder Widerruf) angegriffen werden. Das hat seinen Grund darin, dass das Ausgangsverfahren nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden soll. In einem schwebenden Verfahren sollen zum Beispiel Zeugen ihre Bekundungen frei von der Befürchtung, etwa mit einer Widerrufs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzklage überzogen zu werden abgeben können. Ob die Zeugenaussage richtig und die geschilderten Tatsachen erheblich sind, wird allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft. Mit der Wahrung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen und den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es unvereinbar, wenn diese Kompetenzregelung durch die Möglichkeit einer gesonderten Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem separaten Prozess unterlaufen werden könnte. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine solche Abwehrklage grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis (BGH GRUR 1988, 399 = NJW 1988, 1016 - Tonbandaufnahme; st. Rspr. Senat AfP 1987, 440 - Stadtratsanfrage; NJW 1997, 62 - Westdeutsche Konjunkturritter; NJW-RR 2001, 765 - geistesgestört). Dies gilt auch für Angaben in einer zur Vorlage in einem Gerichtsverfahren abgegebene eidesstattlichen Versicherung (OLG Düsseldorf NJW 1987, 3268), für Aussagen als Zeuge in einem Strafverfahren (BGH NJW 1986, 2502 mit Anm. Helle, NJW 1987, 233) und gegenüber der Staatsanwaltschaft (BGH NJW 1962, 243 - Überwachungsausschuss. Vgl. auch Helle, GRUR 1982, 207 und NJW 1987, 233; Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl., Rn. 21 Vor § 823; Walter, JZ 1986, 614; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rn. 10.22 ff.).
2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
a) Allerdings gilt die Privilegierung nicht, wenn eine Zeugenaussage vom Zeugen auch außerhalb des Verfahrens verbreitet wird (vgl. BGH NJW 1992, 1314 - Kassenarztrundschreiben; Senat AfP 1987, 440 - Stadtratsanfrage).
Eine solche Verwendung ist hier nicht bewiesen; die Beweislast liegt, weil es um das Bestehen des Rechtsschutzbedürfnisses als Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage geht, beim Kläger. Die Aussage des Zeugen St. hat ergeben, dass dieser die eidesstattliche Versicherung nicht vom Beklagten und auch nicht aus dessen Umfeld erhalten hat. Irgendwelche Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen bestehen nicht; die Glaubwürdigkeit wird insbesondere durch den persönlichen Eindruck des Senats bei der Aussage des Zeugen gestützt (§ 286 ZPO). Die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen worden. Für sie spricht auch, dass sich der Zeuge zum Teil auf sein Aussageverweigerungsrecht bezogen hat. Dem steht die Aussage des Zeugen B. nicht entgegen. Dieser Zeuge konnte nur bekunden, der Beklagte habe ihm bei einem Telefongespräch gesagt, er habe die Unterlagen nunmehr dem FOCUS übergeben und zwar seinem Freund St. Er braucht dem Zeugen B. nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Außerdem braucht die eidesstattliche Versicherung nicht dabei gewesen zu sein, sollte der Beklagte überhaupt Unterlagen übergeben haben. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Inhalt des FOCUS-Artikels vom 5.2.2001. Der Zeuge St. hat erklärt, er habe die eidesstattliche Versicherung nicht vom Beklagten und nicht aus seinem Umfeld erhalten. Dies kann ohne weiteres bedeuten, dass er die Unterlagen von anderer Seite erhalten hat. Eine Feststellung dahin, von wem der Zeuge St. die Unterlagen erhalten hat, ist nicht erforderlich.
b) Es ist auch nicht bewiesen, dass der Beklagte den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung, die Gegenstand der Klageanträge ist, dem Zeugen B. gegenüber bekannt gegeben hat. Die Aussage des Zeugen B. hat dies nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben. Der Beklagte hat sich nach der Aussage B. zum Inhalt der eidesstattlichen Versicherung nur in einem Gespräch im November 2000 geäußert, nicht wie vom Kläger behauptet, am Samstag vor Erscheinen des FOCUS vom 5.2.2001. Bei diesem Gespräch im November 2000 war Hauptgegenstand, dass der Beklagte dem Kläger zeigen wolle, was die Folge von dessen Verhalten, dem Beklagten die angeblich geschuldete Provision nicht zu bezahlen, sei. Der Prozess kam nach der Aussage der Zeugen B. immer nur bruchstückhaft dazwischen mit Bemerkungen wie »schlimm« und »Russenmafia« und »ich bringe ihn jetzt ins Gefängnis«. Er habe die eidesstattliche Versicherung dazu abgegeben, dass der Kläger einen Zeugen der GWG bedroht habe. Dies reicht nicht aus, um das Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage herzustellen, auch nicht zum Teil. Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung war höchst unbestimmt wiedergegeben, nur angedeutet. »Schlimm« ist keine inhaltliche Angabe, sondern eine Bewertung. »Russenmafia« war nicht in dieser Form Gegenstand der eidesstattlichen Versicherung. Hier war von der Stasi-Truppe die Rede und konkret, dass der Kläger dem Beklagten berichtet habe, einem Zeugen mit irgendwelchen Russen Angst gemacht zu haben (vgl. dazu den Brief von »Anatoli« an den Zeugen im GWG-Prozess, in welchem Anatoli dem Zeugen »viel Gesundheit« wünscht). Die Rolle der »Russen« wurde vom Beklagten nach der Aussage des Zeugen B. auch nicht annähernd erläutert.
Auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen braucht deshalb nicht eingegangen zu werden. Allerdings fällt etwa auf, dass der Zeuge in seiner eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, die Aussage des Beklagten zur Übergabe von Unterlagen an den FOCUS habe sich auch auf die eidesstattliche Versicherung bezogen, während er in seiner Aussage vor dem Senat angab, der Beklagte habe nicht gesagt, dass er seine eidesstattliche Versicherung an den FOCUS gegeben habe. Dies begründet Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen.
c) Verschiedentlich wird vertreten, dass bewusst unwahre oder leichtfertige ehrverletzende Behauptungen nicht privilegiert seien (vgl. die Darstellung dieser Auffassung bei BVerfGE 74, 257 - Strafanzeige; Wenzel, aaO., Rn. 20.23). Ob sich hierzu eine Änderung durch die Einschränkung der Strafbarkeit falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) auf vorsätzliches Handeln ergibt, kann offen bleiben. Denn jedenfalls steht auch ein nur leichtfertigtes Verhalten des Beklagten nicht fest.
3. Der Annahme fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses steht nicht entgegen, dass sich der Beklagte nicht auf eine schriftliche Zeugenaussage beschränkt, sondern die Richtigkeit der Aussage an Eides statt versichert hat. Zwar ist die Staatsanwaltschaft keine zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung zuständige Behörde; hierauf weist der Kläger zu Recht hin (unter Bezugnahme auf Tröndle/Fischer StGB, 50. Aufl., § 156 Rn. 5 a; vgl. RGSt 37, 209 und RGSt 47, 157). Dies kann aber nicht bedeuten, dass einer solchen Aussage die Privilegierung im Ehrenschutzrechtsstreit nicht zukäme. Es wäre unverständlich, wenn eine einfache Zeugenaussage vor der Staatsanwaltschaft den Schutz genießt, nicht aber die durch eine eidesstattliche Versicherung verstärkte Aussage. Der Grundgedanke der Privilegierung greift auch hier, dass nämlich das Ausgangsverfahren nicht durch zivilrechtliche Klagen (auf Unterlassung, der Aussage usw.) gestört werden soll und auch, dass die Wahrheit der Aussage im Ausgangsverfahren geprüft wird. Schon die Aussicht, dass Angaben als Zeuge zulässige Unterlassungs-, Widerrufs- oder Schadensersatzklagen zur Folge haben könnten, könnten Zeugen einschüchtern und sie in ihrer freien Aussage beeinträchtigen. Dies spricht dafür, dass der Schutz grundsätzlich auch nach Abschluss eines Ermittlungsverfahrens fortbestehen muss (vgl. auch BVerfGE 74, 257 - Strafanzeige).
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