Begriff "Tatsache" unter Berücksichtigung der Lehre zur Bedeutung der pluralistischen Wirklichkeit für das Recht
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
09. 01. 2003
Aktenzeichen
21 W 607/03
Die Äußerung, die Genehmigung für den Flugplatz sei unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen erschlichen worden, stellt eine Tatsachenbehauptung dar.
Es reicht aus, dass ein erheblicher Teil der maßgeblichen Leser die Äußerung als Tatsachenbehauptung versteht.
Ein erheblicher Teil in diesem Sinne ist jedenfalls die Hälfte der Leser.
Allein aus der Tatsache, dass die Behauptung in zwei Leserbriefen enthalten ist, folgt nicht ihre Einordnung als Meinungsäußerung.
Selbst in einem als "Kommentar" überschriebenen Text können Tatsachenbehauptungen enthalten sein.
Die Beschwerde des Verfügungsbeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München II, 14. Zivilkammer, vom 5.11.2002 wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 2600 Euro festgesetzt.
Die Ausführungen des Landgerichts zum voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits sind nicht zu beanstanden. Dies haben wohl auch der Verfügungsbeklagte selbst und sein Prozessbevollmächtigter so gesehen. Deshalb wurde im Verhandlungstermin vor dem Landgericht die einschränkende Äußerung abgegeben, so wie sie im Protokoll festgehalten ist, dass nämlich der Verfügungsbeklagte die vom Antrag umfasste Äußerung, die Verfügungsklägerin habe die Genehmigung für den Flugplatz unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen erschlichen, nicht habe tun wollen.
Die angegriffene Äußerung ist im Kern als Tatsachenbehauptung dahin aufzufassen, dass sich die Verfügungsklägerin die Genehmigung für das Betreiben des Flugplatzes mit unwahren Behauptungen oder rechtswidrigen Tricks erschlichen habe. Diese Pauschalbehauptung hat der Verfügungsbeklagte versucht zu substantiieren (siehe die Antragserwiderung und die weiteren Schriftsätze). Aus der Stellung des Verfügungsbeklagten als bekannter Flugplatzgegner folgt aber zum Verständnis der Äußerung nichts konkretes. Unzutreffend ist, dass die Äußerung vor allem oder nur auf die Genehmigungsbehörde ziele. Nach der Behauptung des Verfügungsbeklagten soll sich die Verfügungsklägerin die Genehmigung erschlichen haben. Dies zielt auf Handlungen der Verfügungsklägerin ab, nicht auf die Genehmigungsbehörde. "Erschlichen" deutet hierzu allenfalls an, dass die Behörde von der Verfügungsklägerin getäuscht wurde. Der Vorwurf trifft also die Verfügungsklägerin. Der vorausgehende Satzteil "durch Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen" ändert an diesem Verständnis nichts. Was er bedeuten oder aussagen soll, ist dunkel, mindert aber den Vorwurf gegenüber der Verfügungsklägerin nicht. Insbesondere kann dies nicht dahin aufgefasst werden, dass die Verfügungsklägerin den Sachverhalt so gestaltet habe, dass die Genehmigung rechtmäßig habe erteilt werden können. Denn im nachfolgenden Satz wird ausdrücklich behauptet, der Flugplatz werde seit 20 Jahren rechtswidrig betrieben. Jedenfalls versteht ein erheblicher Teil der maßgeblichen Leser die Äußerung im dargelegten Sinn. Selbst wenn dies nur die Hälfte der Leser wäre, würde dies für ein Verbot ausreichen (vgl. etwa Schweizer in einer Buchbesprechung in AfP 2001, 165/167 im Zusammenhang mit der Pluralität der Wirklichkeit). Ohne Bedeutung sind die Ausführungen zur Frage der Rechtswidrigkeit der erteilten Genehmigung. Der Schwerpunkt der Äußerung liegt, hierauf hat die Verfügungsklägerin zu Recht hingewiesen, auf dem Vorwurf des Erschleichens der Genehmigung. Dies setzt unredliches oder gar gesetzwidriges Verhalten voraus, Vortrag von unwahrem oder verfälschtem Sachverhalt im Genehmigungsverfahren. Zum unzulässigen Betreiben der Ampel durch eine Privaten besteht kein Bezug und ebenso nicht zur Frage der ausreichenden Hindernisfreiheit. Es liegt gerade nicht eine juristische Bewertung durch einen Laien vor, sondern die greifbare Äußerung, die Verfügungsklägerin habe sich die Genehmigung erschlichen. Allein aus der Tatsache, dass die Behauptung in zwei Leserbriefen enthalten ist, folgt nicht ihre Einordnung als Meinungsäußerung. Selbst in einem als "Kommentar" überschriebenen Text können Tatsachenbehauptungen enthalten sein.
Die Entscheidung ergeht auch mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs.,1 GG. Dieser schützt Tatsachenaussagen, soweit sie Voraussetzungen für die Meinungsbildung sind, er schützt aber nicht unwahre Tatsachenbehauptungen, jedenfalls dann nicht, wenn sie erwiesen unwahr sind. Der Verfügungsbeklagte hat keinen konkreten Sachverhalt vorgetragen der die pauschale, summarische Bezeichnung als "erschlichen" auch nur annähernd deckt. Insoweit ist zu Recht auf die Entscheidung des BGH zum Vorwurf des illegalen Fellhandels (GRUR 1993, 409 = NJW 1993, 930) hingewiesen worden. Mit dem Tatbestand der Klinikdirektorenentscheidung zur Frage des Illegalitätsvorwurfs (BGH, AfP 1982, 217 = NJW 1982, 2246) ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung. Der Beschwerdewert entspricht den Kosten erster Instanz; über die Frage, wer diese zu tragen hat, wird vorliegend entschieden. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO liegen nicht vor.
Prof. Dr. Seitz,
Vorsitzender Richter
Schmidt
Dr. Klemm
Richter am Oberlandesgericht
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