Einseitiger Widerruf einer Weihnachtsgratifikation - betriebliche Übung

Gericht

LAG Schleswig-Holstein


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

24. 02. 1998


Aktenzeichen

3 Sa 498a/97


Leitsatz des Gerichts

Hat ein Arbeitnehmer, der einen Rechtsanspruch auf eine jährliche Weihnachtsgratifikation erworben hat, vor der Veröffentlichung des BAG-Urteils vom 26. 3. 1997 (NZA 1997, 1007 = NJW 1998, 475) der Einführung eines Freiwilligkeitsvorbehalts bei dieser Gratifikation nicht widersprochen, durfte der Arbeitgeber sein Schweigen nicht als Einverständnis mit dem Vorbehalt werten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Bekl. zur Zahlung einer Gratifikation. Der Kl. wurde von der Rechtsvorgängerin der Bekl. zum 7. 3. 1988 eingestellt. Er bezog - wie es in dem Betrieb üblich war - trotz fehlender Tarifbindung auf Seiten des Arbeitgebers von 1988 bis 1995 eine Sonderzuwendung nach Maßgabe der tariflichen Regelungen für die Metallindustrie. Die Zahlungen erfolgten bis 1990 ohne einen Vorbehalt, der auf die Freiwilligkeit der Leistung hindeutete. Im Oktober 1991 verfaßte die Rechtsvorgängerin der Bekl. eine interne Mitteilung zur Weihnachtsgeldzahlung, in der es hieß: „wir informieren Sie hiermit über die Termine ihrer Weihnachtsgeldzahlung. Diese Vergütung wird in freiwilliger Anlehnung an den Tarifvertrag über zu zahlende betriebliche Sonderzahlungen vorgenommen ... Wir weisen aus rechtlichen Gründen darauf hin, daß Weihnachtsgeldzuwendungen freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistungen sind, deren Gewährung einen Rechtsanspruch für die Zukunft nicht begründen.“ Im November 1993 und 1994 gab es zum Weihnachtsgeld Aushänge am schwarzen Brett, in denen davon die Rede war, daß diese Vergütung „in freiwilliger Anlehnung an den Tarifvertrag über zu zahlende betriebliche Sonderzahlungen“ gezahlt werde. Ein Aushang vom 1. 11. 1995 hatte unter anderem folgenden Inhalt: „wir informieren Sie hiermit über die Termine Ihrer Weihnachtsgeldzahlung 1995. Diese Vergütung wird als freiwillige betriebliche Leistung gewährt und begründet keine Rechtsansprüche für die Zukunft. Wir behalten uns vor, die gezahlte Weihnachtsgratifikation in voller Höhe, bis auf einen Restbetrag von Brutto 200 DM zurückzufordern, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem 31. 3. 1996 durch Ihre Kündigung beendet werden sollte“. Für 1992 sind keine Mitteilungen oder Aushänge im Zusammenhang mit dem Weihnachtsgeld vorgelegt oder behauptet worden. 1996 gab die Bekl. ihren Mitarbeitern mit Schreiben vom 26. 11. 1996 folgendes bekannt: „Sehr geehrte Mitarbeiter, mit aller Deutlichkeit möchte ich Ihnen heute nochmals mitteilen, daß, solange die ständig kostenverursachende Blockierungspolitik des Betriebsrats stets vorangetrieben wird, eine Weihnachtsgeldzahlung in diesem Jahr nicht erfolgen kann. Eine erneute Überlegung hierzu könnte zum 31. 3. 1997 erfolgen. Dann wird die heutige Situation neu durchdacht sein“. Dem Kl. wurde von der Bekl. zum 31. 3. 1997 gekündigt. Mit der Gehaltsabrechnung für Mai 1997 zahlte die Bekl. an die noch bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld für 1996 in Höhe von 50% des Bruttolohns, berechnet nach dem Lohn 1994. Der Kl. wurde, weil er zum 31. 3. 1997 ausgeschieden war, von dieser Zahlung ausgenommen. Er begehrt entsprechend dem mit der IG-Metall für Schleswig-Holstein vereinbarten Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 30. 10. 1976, zuletzt geändert am 14. 3. 1994, für 1996 eine Sonderzahlung in Höhe von 60% des tariflichen Monatsverdienstes nach dem Stand vom 31. 5. 1994 = 2071,82 DM brutto.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Bekl., die lediglich hinsichtlich des Zinsanspruchs Erfolg hatte.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die zulässige Berufung ist größtenteils unbegründet.

1. Der Kl. hat aufgrund betrieblicher Übung für 1996 einen Anspruch auf eine Sonderzahlung in Höhe von 2071,82 DM erworben. Die nicht tarifgebundene Rechtsvorgängerin der Bekl. hatte in den Jahren 1988 bis 1990 eine Sonderzahlung nach Maßgabe der tariflichen Regelung für die Metallindustrie gezahlt. Daß die Zahlungen in diesen Jahren ohne Freiwilligkeitsvorbehalt erfolgt sind, ist von der Bekl. nicht in Abrede gestellt worden. Durch die dreimalige vorbehaltlose Zahlung der Gratifikation hat die Rechtsvorgängerin der Bekl. einen Vertrauenstatbestand geschaffen, durch den ein Rechtsanspruch für die Zukunft entstanden ist (siehe z.B. BAG, NJW 1997, 212 = EzA § 611 BGB Gratifikation Prämie Nr. 144). Sie hat eine verpflichtende Übung begründet, gleichgültig, ob man die Bindungswirkung aus einer stillschweigenden vertraglichen Übereinkunft oder aus einer außervertraglichen Vertrauenshaftung herleitet (so auch BAG, NZA 1985, 531 = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 14).

2. Die Bekl. konnte sich von dieser Verpflichtung nicht durch einseitigen Widerruf lossagen (BAG, NZA 1996, 1323 = NJW 1997, 212 = EzA § 611 BGB Gratifikation Prämie Nr. 144 m.w. Nachw.). Der aus der betrieblichen Übung entstandene Anspruch des Kl. ist auch nicht durch eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags beseitigt worden. Die Parteien haben keine konkludente Vereinbarung des Inhalts geschlossen, daß die Sonderzahlung unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt steht. Eine solche Vereinbarung kommt zustande, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Angebot dieses Inhalts unterbreitet und der Arbeitnehmer es annimmt. Es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Arbeitsvertragsparteien Willenserklärungen abgegeben haben, die die Vereinbarung eines Freiwilligkeitsvorbehalts zum Gegenstand hatten. Hierbei sind die Maßstäbe der §§ 133, 157 BGB zu berücksichtigen. Es ist zum einen der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Zum anderen ist darauf abzustellen, wie das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstanden werden mußte. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist im Ergebnis nicht der empirische Wille entscheidend, sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert des Verhaltens.

Im vorliegenden Fall ist bereits sehr fraglich, ob die Mitteilung aus dem Jahre 1991 und die Aushänge aus den Jahren 1992 bis 1994 ein Angebot an den Kl. beinhalteten, mit der Bekl. bzw. ihrer Rechtsvorgängerin einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu vereinbaren. Es spricht mehr dafür, daß die Bekl. und ihre Rechtsvorgängerin schlicht einseitig handeln wollten und daß ihr Verhalten auch aus der objektivierten Empfängerperspektive so zu verstehen war. Doch selbst wenn man die Erklärungen so interpretiert, daß sie das konkludente Vertragsangebot enthielten, die Sonderzahlung einem Freiwilligkeitsvorbehalt zu unterstellen, ist eine Vereinbarung dieses Inhalts nicht zustande gekommen; denn es fehlt an einer Annahmeerklärung des Kl.

Das BAG hat noch am 14. 8. 1996 in einem Rechtsstreit um Weihnachtsgeld entschieden, daß eine Vertragspartei, die in ein bestehendes Vertragsverhältnis eine einschränkende Bedingung einführen will, nach der Verkehrssitte nicht schon das bloße Schweigen des Empfängers als Annahme werten kann (NJW 1997, 212 = EzA § 611 BGB Gratifikation Prämie Nr. 144).

Allerdings hat das BAG in dem Urteil vom 26. 3. 1997 (NJW 1998, 475) angenommen, daß ein Arbeitgeber mangels entgegenstehender Anhaltspunkte dann, wenn er entgegen einer früher geübten Praxis bislang ohne Vorbehalt gezahltes Weihnachtsgeld 3 Jahre lang ausdrücklich unter den Vorbehalt der Freiwilligkeit gestellt hat und die Arbeitnehmer die Weihnachtsgratifikation widerspruchslos entgegengenommen haben, das Schweigen der Arbeitnehmer ein Einverständnis mit der angebotenen Neuregelung darstellt und damit die geänderte Handhabung als geänderte betriebliche Übung Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge werde.

Es entsprach jedoch vor der Entscheidung des BAG nicht der Verkehrssitte, das Schweigen der Arbeitnehmer auf die Einführung eines Freiwilligkeitsvorbehalts durch den Arbeitgeber zu interpretieren (s. dazu auch Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 123 Rdnr. 215 und Kettler, NJW 1998, 435 jew. m.w. Nachw.). Hat ein Arbeitnehmer vor der Veröffentlichung des Urteils vom 26. 3. 1997 der Einführung eines Freiwilligkeitsvorbehalts nicht widersprochen, durfte der Arbeitgeber sein Schweigen deshalb nicht als Einverständnis mit diesem Vorbehalt werten. Auch im vorliegenden Fall war deshalb kein Vertrauenstatbestand entstanden, aufgrund dessen die Bekl. von einem Einverständnis des Kl. ausgehen durfte.

2. Ob der Kl. seinen Anspruch größtenteils auch auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen konnte und ob der Ausschluß gekündigter Arbeitnehmer von der Gewährung einer unter Freiwilligkeitsvorbehalt stehenden Gratifikation eindeutig vereinbart sein muß (so BAG, EzA § 611 BGB Gratifikation Prämie Nr. 47; Schaub, ArbeitsR-Hdb., 8. Aufl. [1996], S. 560), kann aus diesen Gründen dahingestellt bleiben.

3. Hinsichtlich der Zinsforderung ist die Klage abzuweisen, da der Antrag den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 II Nr. 2 ZPO nicht genügt. Der Antrag einer Leistungsklage muß grundsätzlich einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Daran fehlt es hier. Der Kl. hat den Nettobetrag, auf den er die Zinsen fordert, nicht beziffert. Der Gerichtsvollzieher könnte nicht erkennen, welchen Betrag er für den Kl. hinsichtlich der Zinsen beizutreiben hat (s. zur Bestimmtheitsproblematik auch BAG, EzA § 613a BGB Nr. 21). Es liegt keiner der Fälle vor, in denen die Höhe der Forderung ausnahmsweise in das Ermessen des Gerichts gestellt werden kann und deshalb von einer Bezifferung abgesehen werden darf.

Vorinstanzen

ArbG Flensburg, 1 Ca 410/97, 15. 8. 1997

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht