Hundegebell als störende Beeinträchtigung

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

16. 11. 1989


Aktenzeichen

22 U 249/88


Leitsatz des Gerichts

Geräusche, welche die Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf sich ziehen, sind störende Beeinträchtigungen i. S. von § 1004 BGB auch dann, wenn sie diejenige Phonstärke nicht überschreiten, bei der Verkehrs- und Industriegeräusche noch hinnehmbar sind. Solche besonders eindringlichen Geräusche beeinträchtigen schon bei einer Lautstärke, mit der sie sich in das Bewusstsein desjenigen drängen, der sie nicht hören will. Zu diesen Geräuschen, die nach ihrer Art den unfreiwillig Hörenden in besonderem Maße beeinträchtigen, gehört auch Hundegebell.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Klägerin will Geräuschimmissionen in Form von Hundegebell von ihrem Grundstück abwehren. Das Grundstück der Klägerin liegt hinter dem Grundstück der Beklagten. Letztere hat auf ihrem Grundstück einen Hundezwinger errichtet, der nur zwei Meter von der Grenze des Grundstücks der Klägerin entfernt ist und sich direkt unterhalb der Terrasse der Klägerin befindet. Die Beklagte hält in diesem Zwinger seit etwa zwei Jahren eine Dogge und seit etwa einem dreiviertel Jahr einen Terrier.

Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin wurde der Beklagten untersagt, ihre Hunde in einer Weise zu halten, daß Hundegebell auf dem Nachbargrundstück länger als insgesamt 30 Minuten täglich, länger als 10 Minuten ununterbrochen und außerhalb der Zeitspannen von 8-13 Uhr und von 15-19 Uhr hörbar ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Anspruch, den die Kl. mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verfolgt, ist nach § 1004 BGB gerechtfertigt. Wie die Kl. durch Vorlage mehrerer eidesstattlicher Versicherungen glaubhaft gemacht und wie auch die Vernehmung des Zeugen W in der Senatsverhandlung bestätigt hat, hält die Bekl., wenn es die Witterung zulässt, ihre Hunde auf ihrem Grundstück in einem Zwinger und die Tiere bellen, wenn sie in diesen Zwinger gesperrt sind, sehr häufig ungemein laut und nicht selten auch anhaltend. Die Vernehmung der Zeugin F und des Zeugen M beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit der von der Kl. vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen und die Bekundung des Zeugen W nicht; die Aussagen dieser Zeugen sind unergiebig; beide Zeugen haben nach ihrer Aussage kaum die Möglichkeit, das Grundstück der Bekl. längere Zeit zu beobachten und zuverlässig zu bemerken, in welchem Umfang Störungen von den Hunden der Bekl. ausgehen. Das Bellen dieser Tiere beeinträchtigt die Kl. i. S. des § 1004 BGB in ihrer Rechtsstellung als Eigentümerin des Grundstücks. Es ist unmaßgeblich, ob das Hundegebell auf das Grundstück der Kl. mit einer Lautstärke dringt, die eine gewisse Phonzahl übersteigt. Geräusche, welche die Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf sich ziehen, sind störende Beeinträchtigungen i. S. des § 1004 BGB auch dann, wenn sie diejenige Phonstärke nicht überschreiten, bei der Verkehrs- und Industriegeräusche noch hinnehmbar sind; sie beeinträchtigen schon bei einer Lautstärke, mit der sie sich in das Bewusstsein desjenigen drängen, der sie nicht hören will. Zu diesen Geräuschen, die nach ihrer Art den unfreiwillig Hörenden in besonderem Maße beeinträchtigen, gehört auch Hundegebell. Nach § 906 I BGB muss allerdings die Kl. das störende Hundegebell hinnehmen, soweit es sie in der Nutzung ihres Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigt. Unwesentlich in diesem Sinne ist jedoch störendes Hundegebell nur dann, wenn es außerhalb der üblichen Ruhezeiten zu hören ist, nicht länger als 10 Minuten ununterbrochen und nicht länger als insgesamt 30 Minuten täglich.

Entgegen der vom LG vertretenen Ansicht liegen auch die Voraussetzungen des § 940 ZPO für den Erlass einer einstweiligen Verfügung vor; es ist geboten, die nachbarlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, über deren Inhalt sie streiten, in der von der Kl. begehrten Weise zu regeln, um die Kl. vor wesentlichen Nachteilen zu bewahren: Die Kl. ist in der Nutzung ihres Grundstücks auch i. S. des § 940 ZPO wesentlich benachteiligt, wenn sie - jedenfalls bei gutem Wetter - über mehrere Stunden durch anhaltendes Hundegebell an jeglichen Tätigkeiten gehindert wird, die Konzentration erfordern oder die, wie etwa das Anhören von Musik, bei lautem Hundegebell nicht ungestört ausgeübt werden können. Der prozessrechtliche Anspruch aus § 940 ZPO der Kl., sie vor diesen wesentlichen Nachteilen zu schützen, geht inhaltlich ebenso weit wie der ihm zugrundeliegende materiellrechtliche Anspruch aus § 1004 BGB; deswegen musste der Senat der einstweiligen Verfügung in dem begehrten Umfang stattgeben, konnte also nicht etwa der Bekl. die störende Hundehaltung nur für die Dauer der allgemeinen Ruhezeiten untersagen. Die vom LG gegen den Verfügungsgrund erhobenen Bedenken sind schon deswegen nicht begründet, weil die von den Hunden der Bekl. ausgehenden Störungen erst im Frühjahr 1989 so wesentlich geworden sind, dass die Kl. sich in ihrer Rechtsstellung unerträglich beeinträchtigt fühlte, nämlich nachdem die Bekl. einige Monate zuvor einen zweiten Hund angeschafft hatte und seitdem sie beide Tiere nach Eintritt frühlingshafter Witterung zusammen in einem Zwinger sperrte; überdies geben die prozessrechtlichen Regelungen über den Verfügungsgrund keinen Anlass zu der Annahme, der Gesetzgeber habe den prozessualen Anspruch auf die Regelung eines einstweiligen Zustandes versagen wollen, wenn er nicht alsbald nach seinem Entstehen verfolgt werde.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 1004, 906; ZPO § 940