Versetzung eines Betriebsratsmitglieds im Unternehmen

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

11. 07. 2000


Aktenzeichen

1 ABR 39/99


Leitsatz des Gerichts

§ 103 BetrVG ist auf die Versetzung eines Betriebsratsmitglieds kraft Direktionsrecht von einem Unternehmensbetrieb in einen anderen nicht analog anzuwenden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bet. streiten über die Ersetzung der Zustimmung zur Versetzung des Betriebsratsmitglieds P vom Betrieb der Arbeitgeberin (Bet. zu 1) am W. in denjenigen am F. (jeweils in München), hilfsweise um die Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Änderungskündigung. Der Bet. zu 2 ist der im Betrieb am W. bestehende 15-köpfige Betriebsrat. Der Bet. zu 3, P, ist seit 1. 10. 1984 bei der Arbeitgeberin als Mitarbeiter in der Abteilung Personenschutz beschäftigt; er ist Mitglied des Betriebsrats am Standort W. und seit dem 1. 10. 1998 als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender zu 50% seiner Arbeitszeit freigestellt. Die Arbeitgeberin hat zum 1. 4. 1997 die bisher im Betrieb am W. angesiedelte Abteilung Personenschutz in den Betrieb am F. verlegt. Aufgabe der Personenschutzgruppe ist es, Anschläge und Entführungsversuche, Belästigungen, körperliche Angriffe sowie tätliche Beleidigungen gegen die so genannten Schutzpersonen, in der Regel Vorstandsmitglieder der Arbeitgeberin, abzuwehren. Desweiteren gehört es zu den Aufgaben der Personenschutzgruppe, Ausspähversuche zu erschweren, entsprechende Vorbereitungshandlungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls Angriffe erfolgreich abzuwehren. Der Mitarbeiter P sollte mit der Verlegung der Abteilung Personenschutz ab dem 1. 4. 1997 am Standort F. beschäftigt werden. In seinem Arbeitsvertrag heißt es unter Bezugnahme auf den Tarifvertrag u.a.:

5. Änderung der Tätigkeit und Versetzung. Bestimmung über die besondere Art der Beschäftigung behalten wir uns vor, ebenso Versetzung in eine andere gleichwertige Stellung innerhalb unserer Betriebe, gegebenenfalls auch an einen anderen Ort.

Mit Formschreiben vom 25. 3. 1997 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur Versetzung von P an den etwa vier Kilometer entfernten Standort F.gem. § 99 BetrVG und vorsorglich zu einer Änderungskündigung gemäß § 103 BetrVG. Mit Schreiben vom 1. 4. 1997 widersprach der Betriebsrat sowohl der Versetzung wie auch einer Änderungskündigung. Der Betriebsrat W. hat der Versetzung der 12 Mitglieder der Personenschutzgruppe an den Standort F. nur im Fall des Betriebsratsmitglieds P sowie eines inzwischen ausgeschiedenen Arbeitnehmers widersprochen. Der Betriebsrat am Standort F. hat den Versetzungen in keinem Fall widersprochen. Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Widerspruch des Betriebsrats sei unbegründet. Der Arbeitnehmer P müsse wie alle anderen Mitarbeiter der Abteilung Personenschutz in den Betrieb F. versetzt werden. Da auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung die Personenschutzgruppe in den Betrieb am F. verlegt worden sei, sei eine Weiterbeschäftigung am W. nicht möglich. Die Anfahrt vom F. zum W. sei Arbeitszeit und stelle daher keinen Nachteil dar. Für die Versetzung von P sei trotz dessen Mitgliedschaft im Betriebsrat eine Kündigung nicht erforderlich. Für den Fall, dass das Gericht dennoch eine Versetzung nur im Wege einer außerordentlichen Kündigung für möglich halten sollte, sei hilfsweise die Zustimmung des Betriebsrats zu einer außergewöhnlichen Änderungskündigung zu ersetzen. Die Arbeitgeberin hat beantragt, die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Versetzung von P von der Betriebsstätte W. in die Betriebsstätte F. zum nächstmöglichen Zeitpunkt, unter Beibehaltung der bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen im Übrigen zu ersetzen; hilfsweise, die Zustimmung des Betriebsrats gem. § 103 BetrVG zur Versetzung des P zu ersetzen. Der Betriebsrat hat vorgetragen, die Versetzung sei betrieblich nicht erforderlich, außerdem wegen der Betriebsratsmitgliedschaft des Mitarbeiters P unzulässig. Die Maßnahme sei willkürlich, da die von der Personenschutzgruppe zu schützenden Personen alle am Standort W. und nicht in der Betriebsstätte F. tätig seien. Der Beteiligte P müsste täglich bis zu viermal die Strecke hin- und herfahren. Außerdem seien anderweitige Verwendungsmöglichkeiten für P im Betrieb am F. geringer. Zum Schutz des Mandats seien nur überragende Gründe, nicht jedoch jeder wirtschaftliche Anlass geeignet, die Versetzung zu rechtfertigen.

Das ArbG hat - entsprechend dem Hauptantrag der Arbeitgeberin - die Zustimmung zur Versetzung des Mitarbeiters P von der Betriebsstätte W. in den Betrieb am F. ersetzt. Das LAG hat die Beschwerde des Betriebsrats und des Beteiligten P zurückgewiesen. Mit der nur für ihn, nicht für den Beteiligten P zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

B. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Betriebsratsmitglieds P nach § 99 IV BetrVG ersetzt und die Erforderlichkeit einer Zustimmung nach § 103 BetrVG verneint.

I. 1. Der Antrag ist zulässig. Er bedarf allerdings der Auslegung. Der Antrag einschließlich der „hilfsweise“ beantragten Ersetzung der Zustimmung gemäß § 103 BetrVG ist dahin zu verstehen, dass die Arbeitgeberin zur Herbeiführung der kollektivrechtlichen Wirksamkeit der vorgesehenen Versetzung des Mitarbeiters P die Ersetzung der nach dem VG erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats begehrt. Dabei handelt es sich entgegen der Antragsformulierung nicht um einen Haupt- und einen Hilfsantrag, sondern vielmehr um einen Antrag, der lediglich zwei verschiedene Rechtsgrundlagen für das Erfordernis einer Zustimmung des Betriebsrats erfassen soll: Einmal möchte die Arbeitgeberin die Zustimmung zu einer Versetzung nach § 99 i.V. mit § 95 BetrVG ersetzt haben; zum anderen soll die Zustimmung zur Versetzung des Mitarbeiters P nach § 103 BetrVG ersetzt werden, falls das Gericht § 103 BetrVG auf die beabsichtigte Versetzung für anwendbar hält. Das ergibt sich schon aus der Formulierung des „Hilfsantrags“, die Zustimmung des Betriebsrats gem. § 103 BetrVG - wie die Arbeitgeberin in der Anhörung der Beteiligten vor dem Arbeitsgericht am 18. 6. 1998 klargestellt hat - zur Versetzung des Mitarbeiters P zu ersetzen und nicht etwa die Zustimmung zu einer Änderungskündigung. Eine Änderungskündigung zur Durchführung der geplanten Versetzung war von der Arbeitgeberin nicht beabsichtigt. Gegen diese Antragstellung bestehen keine Bedenken.

2. a) Hinsichtlich des Bet. P ist der Beschluss des LAG, mit dem dieses seine Beschwerde als unzulässig verworfen hat, rechtskräftig geworden. Er hat weder Rechtsbeschwerde eingelegt noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz als Beteiligter einen Sachantrag gestellt.

b) Entgegen der Auffassung des LAG war P am Verfahren zu beteiligen. Die Beteiligungsbefugnis ist anhand jeden Antrags getrennt zu prüfen. Dem LAG kann aber nicht gefolgt werden, soweit es daraus den Schluss gezogen hat, P sei zu dem von der Arbeitgeberin so bezeichneten Hauptantrag nicht zu beteiligen, da in § 99 BetrVG - anders als in § 103 BetrVG - eine Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers nicht vorgesehen ist. Zu Unrecht hat das LAG angenommen, hier liege ein Hauptantrag nach § 99 IV BetrVG vor, bei dem P nicht zu beteiligen sei, und ein Antrag nach § 103 BetrVG, bei dem er nach § 103 II 2 BetrVG zu beteiligen wäre. Die Beteiligungsbefugnis von P folgt daraus, dass die Antragstellung der Arbeitgeberin als ein Antrag mit zwei Begründungen zu verstehen ist (siehe oben 1). Die Beteiligungsberechtigung des P kann daher nicht mit dem Argument abgelehnt werden, es sei nur über den Antrag nach § 99 IV BetrVG zu entscheiden, nicht aber - mangels Anwendbarkeit dieser Vorschrift - über den Antrag nach § 103 II 1 BetrVG. Da auch die Frage, ob die Zustimmung zur Versetzung nach § 103 II BetrVG zu ersetzen ist, in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallen ist, war P am Verfahren zu beteiligen.

II. Der Antrag ist auch begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Zustimmung zur Versetzung des Mitarbeiters P ersetzt (1) und die Anwendbarkeit des § 103 BetrVG verneint (2). Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats kann daher keinen Erfolg haben.

1. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Mitarbeiters P war nach § 99 IV BetrVG zu ersetzen. Dem Betriebsrat steht kein gesetzlicher Grund nach § 99 II BetrVG zur Verweigerung der Zustimmung zur Seite.

a) Bei dem Wechsel vom bisherigen Arbeitsplatz im Betrieb am W. in den Betrieb der Arbeitgeberin am F. handelt es sich um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet und damit um eine Versetzung im Sinne von § 95 III BetrVG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erfasst der Versetzungsbegriff der §§ 95, 99 BetrVG auch die Zuweisung eines Arbeitsplatzes in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens (BAG [26. 1. 1993], EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 109; zuletzt BAG [21. 9. 1999] AP BetrVG1972 § 99 Versetzung Nr. 21, m.w.Nachw. [zur Zuweisung einer Tätigkeit an einem anderen Arbeitsort]).

b) Individuallrechtlich konnte die Arbeitgeberin die Versetzung im Wege des Direktionsrechts anordnen. Durch die Klausel im Arbeitsvertrag unter Nr. 5 ist das Direktionsrecht der Arbeitgeberin wirksam auf die Zuweisung einer Tätigkeit in einem anderen Betrieb ausgedehnt worden.

c) Nach § 99 IV BetrVG ist die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu ersetzen. Der Betriebsrat ist i.S. von § 99 BetrVG ordnungsgemäß unterrichtet worden. Er hat die Zustimmung zur Versetzung ohne einen nach § 99 II BetrVG anerkannten Grund verweigert.

aa) Ein Zustimmungsverweigerungsgrund folgt nicht aus § 99 II Nr. 1 i.V. mit § 78 BetrVG. Die Versetzung geht zurück auf die unternehmerische Entscheidung der Arbeitgeberin, die Personenschutzgruppe vom Betrieb am W. in den Betrieb am F. zu verlegen. Diese auf organisatorische sowie Kostengründe gestützte Entscheidung ist von den Gerichten nicht weiter zu überprüfen; es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie willkürlich wäre (vgl. BAG [17. 6. 1999] BAGE 92, 71). Da die Versetzung wegen des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit am bisherigen Standort dringenden sachlichen, insbesondere betrieblichen Gründen entspricht, liegt ein Verstoß gegen § 78 BetrVG nicht vor (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 20. Aufl., § 24 Rdnr. 29). Zwar endet durch die Versetzung in den Betrieb am F. das Mandat von P im Betriebsrat W. Darin liegt aber keine unzulässige Störung der Tätigkeit des Betriebsrats W. i.S. von § 78 S. 1 BetrVG. Da die Maßnahme individualrechtlich durch das Direktionsrecht der Arbeitgeberin gedeckt und aus betrieblichen Gründen erforderlich ist, wird das Betriebsratsmitglied P nicht i.S. von § 78 S. 1 BetrVG als betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger in seiner Rechtsstellung unzulässig beeinträchtigt.

bb) Auch soweit der Betriebsrat sich auf § 99 II Nr. 4 BetrVG stützt, ist seine Zustimmungsverweigerung nicht gerechtfertigt. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 II Nr. 4 BetrVG ist in der Sache nicht gegeben. Da die Fahrten vom Standort F. zum Einsatz im Betrieb W. Arbeitszeit darstellen, liegt insoweit ein Nachteil nicht vor. Ebensowenig stellt die - vom Betriebsrat behauptete - Verringerung anderweitiger Verwendungsmöglichkeiten im Betrieb am F. einen Nachteil i.S. von § 99 II Nr. 4 BetrVG dar; insoweit ist allenfalls eine Chance zu sehen, aber keine Rechtsposition, deren Beeinträchtigung nach § 99 II Nr. 4 BetrVG die Zustimmungsverweigerung begründen kann. Auch in dem Verlust des Betriebsratsamtes ist eine Benachteiligung von P i.S. von § 99 II Nr. 4 BetrVG nicht zu sehen. Die Beibehaltung des Betriebsratsamtes stellt keine Rechtsposition dar, die die Annahme einer Benachteiligung i.S. von § 99 II Nr. 4 BetrVG rechtfertigen würde. Betriebsmitglieder haben ihr Amt nicht im eigenen, sondern im Interesse der Belegschaft und des Betriebes auszuüben. Mit dem Amt verbundene Rechtspositionen sollen die Amtsausübung erleichtern und schützen, nicht dagegen die Amtsinhaber begünstigen.

2. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, ist § 103 BetrVG auf die vorliegende Fallgestaltung nicht anwendbar.

a) Nach dem Wortlaut des § 103 BetrVG scheitert die unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift daran, dass die Arbeitgeberin eine Kündigung bzw. Änderungskündigung nicht beabsichtigt oder ausgesprochen hat. Im vorliegenden Fall steht der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht in Frage. Durch die Versetzung kraft Direktionsrechts wird das Arbeitsverhältnis lediglich modifiziert. Die hier streitige Ausübung des Direktionsrechts kann - anders als die Änderungskündigung bei Nichtannahme der geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt - nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (Boemke-Albrecht, BB 1991, 541 [547]).

b) § 103 BetrVG ist auf die Versetzung eines Betriebsratsmitglieds von einem Unternehmensbetrieb in einen anderen auch nicht analog anzuwenden.

aa) Allerdings hat der Senat in der Entscheidung vom 21. 9. 1989 (EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 76) zur Diskussion gestellt, ob nicht im Interesse der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und der Kontinuität seiner Amtsführung bei Versetzungen von Betriebsratsmitgliedern § 103 BetrVG analog anzuwenden ist. In Anlehnung an die Entscheidung des LAG Hamm vom 1. 4. 1977 (EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 19) hat der Senat die Frage aufgeworfen, ob das Ausscheiden aus dem Betrieb auf Grund einer Versetzung im Wege des Direktionsrechts des Arbeitgebers, das die Beendigung des betriebsverfassungsrechtlichen Amtes zur Folge hat, insoweit nicht einer außerordentlichen Kündigung vergleichbar sei, die nach § 103 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedürfe. Auch bei einer solchen Versetzung könne das Amt nämlich durch eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers ohne zwingenden Grund beendet werden, ohne dass in jedem Fall ein Verstoß gegen § 78 BetrVG vorliegen müsse.

bb) Nach erneuter Prüfung kommt der Senat zu der Überzeugung, dass § 103 BetrVG auf die vorliegende Fallgestaltung der Versetzung eines Betriebsratsmitglieds gegen dessen Willen im Wege des Direktionsrechts von einem Unternehmensbetrieb in einen anderen nicht analog anzuwenden ist. Allerdings führt die Versetzung eines Betriebsratsmitglieds von einem Betrieb in einen anderen gem. § 24 I Nr. 4 BetrVG zum Verlust des Betriebsratsamtes. Das BetrVG enthält insofern keinen besonderen Schutz für das Betriebsratsmitglied - abgesehen von der grundsätzlich jeden Arbeitnehmer betreffenden Mitbestimmungspflichtigkeit einer Versetzung nach § 99 BetrVG. Der besondere Schutz des § 103 BetrVG besteht nur gegen eine - außerordentliche - Kündigung (auch Änderungskündigung) gegenüber dem Betriebsratsmitglied; während eine ordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 I 1 KSchG (mit der Ausnahme in § 15 IV KSchG) generell ausgeschlossen ist.

Die Voraussetzungen einer Analogie zu § 103 BetrVG sind hier nicht gegeben. Eine analoge Anwendung kommt dann in Betracht, wenn zur Ausfüllung einer planwidrigen Lücke die Übertragung der Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand erforderlich ist (BAG [21. 7. 1993], BAGE 73, 378 [382f.]). Voraussetzung der analogen Anwendung des § 103 BetrVG auf die vorliegende Fallgestaltung wäre also die Feststellung einer planwidrigen Gesetzeslücke einerseits und einer Rechtsähnlichkeit zwischen dem gesetzlich geregelten (Kündigung) und dem nichtgeregelten (Versetzungs-) Tatbestand andererseits. Die Annahme einer planwidrigen Lücke in der gesetzlichen Regelung des Schutzes der Betriebsratsmitglieder käme in Betracht, wenn der Gesetzgeber das Problem bei Schaffung des BetrVG 1972 nicht gesehen haben sollte. Auf diesen Gesichtspunkt kann - wie auch der Senat in der Entscheidung vom 21. 9. 1989 (EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 76) angedeutet hat - eine Analogie daher nicht gestützt werden, wenn sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt, dass ein besonderer Schutz des Betriebsratsmitglieds vor dem Amtsverlust sowie ein entsprechender Funktionsschutz gegen eine Beeinträchtigung durch Versetzungen auf Grund des Direktionsrechts nicht geregelt werden sollte. Eine derartige ausfüllungsfähige und ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke ist nicht erkennbar (Oetker, RdA 1990, 343 [345ff.]; Boemke/Albrecht, BB 1991, 541 [545]). Dem Gesetzgeber war das Problem des Versetzungsschutzes von Betriebsratsmitgliedern bekannt. Er hat es im BPersVG (§ 47) geregelt. Im Betriebsverfassungsrecht sind die Problematik der Versetzung von Betriebsratsmitgliedern in einen anderen Betrieb des Unternehmens und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Betriebsratsamt sowie die Arbeit des Betriebsrats weder im BetrVG vom 11. 10. 1952 noch im BetrVG 1972 angesprochen. Daher kann das Fehlen eines Sonderschutzes für die Versetzung von Betriebsratsmitgliedern durch den Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts nicht als „Übersehen“ der Problematik angesehen werden. Näher liegt die Annahme, dass es sich um ein „beredtes“ Schweigen des Gesetzgebers handelt, dass dieser also bewusst entschieden hat, im Falle der Versetzung eines Betriebsratsmitglieds auf Grund des Direktionsrechts des Arbeitgebers keinen Sonderschutz vorzusehen.

Dementsprechend wird auch in der Literatur überwiegend unter Bezugnahme auf die §§ 47 II, 99 II BPersVG das Vorliegen der Voraussetzungen einer Analogie verneint (neben Oetker, RdA 1990, 343 [345ff.] und Boemke-Albrecht, BB 1991, 541 [545]; vgl. Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 103 Rdnr. 28; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 5. Aufl., § 103 Rdnr. 18; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 103 Rdnr. 11; Kraft, in: GK-BetrVG, 6. Aufl., § 103 Rdnr. 19; ErfK/Hanau/Kania, 1998, § 103 BetrVG Rdnr. 6; Stege/Weinspach, BetrVG, 8. Aufl., § 103 Rdnr. 4b; Joost, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, 2. Aufl., Bd. 3, § 308 Rdnr. 169; Fischermeier, ZTR 1998, 433; KPK-Bengelsdorff, 2. Aufl., § 15 KSchG, Rdnr. 15).

Der Gegenmeinung in der Literatur und wohl auch der Senat in der Entscheidung vom 21. 9. 1989 (EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 76) stützen sich darauf, dass der Arbeitgeber durch eine einseitige Maßnahme - Versetzung kraft Direktionsrechts - die Zusammensetzung des Betriebsrats beeinflusst. Darin wird die Ähnlichkeit zur Kündigung gesehen, die den Schutz der §§ 99ff. BetrVG wegen der Beschränkung der Zustimmungsverweigerungsgründe in § 99 II BetrVG und der Möglichkeit des § 100 BetrVG als nicht ausreichend erscheinen lasse (Etzel, in: KR, 5. Aufl., § 103 BetrVG Rdnr. 60; Etzel, in: Kasseler Hdb. z. ArbeitsR, 2. Aufl., Bd. 2 Nr. 9.1 Rdnr. 1124; Kittner, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 7. Aufl., § 103 Rdnr. 25; Matthes, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, 2. Aufl., Bd. 3, § 358 Rdnr. 23; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 7. Aufl., Rdnr. 997; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 103 Rdnr. 4; Fastrich, SAE 1992, 13. Dies kann die analoge Anwendung des § 103 BetrVG nicht rechtfertigen. Insoweit fehlt es an der Vergleichbarkeit der Tatbestände.

§ 103 BetrVG soll Tätigkeit und Willensbildung des Betriebsrats dadurch schützen, dass dessen Mitglieder in ihrer Amtsausübung nicht durch die Furcht vor einem Verlust des Arbeitsplatzes, also dem stärkstmöglichen Eingriff in ihre individuelle Rechtsposition, beeinträchtigt werden sollen. Ergänzend zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern durch § 15 KSchG schützt § 103 BetrVG die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassungsorgane auch gegenüber außerordentlichen Kündigungen, indem er ein Zustimmungserfordernis aufstellt. Erfasst wird aber nicht jede Beendigung des Mandats eines Betriebsratsmitglieds durch Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. So fallen übereinstimmende Maßnahmen des Arbeitgebers und des Betriebsratsmitglieds, wie z.B. der Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder eine Befristung, nicht unter § 103 BetrVG, selbst wenn sie zum Verlust des Betriebsratsamtes führen. Ebensowenig schützt § 103 BetrVG den Betriebsrat davor, dass sein Bestand durch das Ausscheiden von Mitgliedern auf Grund eigener Kündigung berührt wird.

Ist danach der Schutzzweck des § 103 BetrVG nicht im Bestand des Betriebsrats, sondern in der unbeeinträchtigten Amtsausübung seiner Mitglieder zu sehen, kann der Verlust des Betriebsratsamts auf Grund einer Versetzung eine analoge Anwendung von § 103 BetrVG nicht rechtfertigen. Die Gefahr einer Versetzung kann als Bedrohung der Rechtsstellung eines Arbeitnehmers nicht mit derjenigen einer Kündigung gleichgesetzt werden. Danach führt die Wertung, die in § 103 BetrVG zum Ausdruck kommt, nicht zu der Annahme, der von den §§ 99ff. BetrVG gewährte Schutz sei hinsichtlich des einzelnen Betriebsratsmitglieds und des Betriebsrats als Gesamtorgan lückenhaft. Wie ausgeführt, ist es erforderlich, dass die Versetzung sachlichen, insbesondere betrieblichen Gründen entspricht; nur dann verstößt sie nicht gegen § 78 BetrVG und ist ein Zustimmungsverweigerungsgrund i.S. von § 99 II Nr. 1 BetrVG nicht gegeben. Liegen diese strengen Voraussetzungen vor, führt auch die Möglichkeit des § 100 BetrVG, der vorläufigen personellen Maßnahme, nicht zu einer so erheblichen Schutzlücke, dass die analoge Anwendung des § 103 BetrVG gerechtfertigt wäre. Hierfür spricht schließlich auch § 15 IV KSchG. Danach ist bei einer Betriebsstilllegung, über die der Arbeitgeber alleine entscheidet, auch bei Betriebsratsmitgliedern die (ordentliche) Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Im Übrigen zeigt gerade § 15 V KSchG, dass dem Gesetzgeber die Versetzung von Betriebsratsmitgliedern bekannt war (so insb. Oetker, RdA 1990, 343 [356]).

Vorinstanzen

LAG München, 10 TaBV 69/98, 23.4.1999

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

§ 103 BetrVG