Haftung des Arbeitgebers - Herausgabe der Lohnsteuerkarte

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 02. 1997


Aktenzeichen

8 AZR 121/95


Leitsatz des Gerichts

Macht ein Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber neben der Herausgabe der ausgefüllten Lohnsteuerkarte zugleich für den Fall nicht fristgerechter Ausfüllung und Herausgabe uneingeschränkt eine Entschädigung nach § 61 II ArbGG geltend, sind mit der Entschädigung in der Regel sämtliche Schadensersatzansprüche wegen der Nichtherausgabe (auch wegen entgangener Lohnsteuererstattung) abgegolten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. verlangt von dem Bekl. Schadensersatz für entgangene Einkommensteuererstattung, weil dieser ihm nicht die ausgefüllten Lohnsteuerkarten von 1990 und 1991 herausgegeben habe. Der Kl. war vom 1. 3. 1990 bis 16. 8. 1991 bei dem Bekl. als Kraftfahrer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine vom Kl. ausgesprochene fristlose Kündigung. In einem Rechtsstreit wegen rückständiger Lohnforderungen verlangte der Kl. u.a. von dem Bekl. die Ausfüllung und Herausgabe der Arbeitspapiere, insbesondere der Lohnsteuerkarte 1990 sowie 1991 und für den Fall der Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte eine Entschädigung von 1000 DM. Am 17. 1. 1992 erließ das ArbG auf Antrag des Kl. folgendes Versäumnisurteil: ...

2. Der Bekl. wird weiter verurteilt, die Arbeitspapiere des Kl., bestehend aus Arbeiterrenten-Versicherungskarte, Lohnsteuerkarte und Sozialversicherungsnachweisheft, auszufüllen.

3. Der Bekl. wird verurteilt, die ausgefüllten Arbeitspapiere an den Kl. unverzüglich herauszugeben.

4. Für den Fall, daß der Bekl. der Verpflichtung zu 2 auf Ausfüllung nicht innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung des Urteils nachkommen sollte, wird der Bekl. verurteilt, an den Kl. als Entschädigung für die Nichtausfüllung der Arbeiterrenten-Versicherungskarte einen Betrag von 1000 DM und für die Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte einen Betrag von 1000 DM zu zahlen.

Das Versäumnisurteil wurde rechtskräftig. Der Bekl. füllte die Lohnsteuerkarten nicht aus. Der Kl. vollstreckte deshalb den im Versäumnisurteil ausgeurteilten Betrag in Höhe von 1000 DM wegen Nichtausfüllens der Lohnsteuerkarten. Auch später füllte der Bekl. eine besondere Lohnsteuerbescheinigung (Ersatz-Lohnsteuerkarte) nicht aus. Mit der vorliegenden Klage macht der Kl. einen Schaden von 16439,36 DM geltend. Er hat vorgetragen, in dieser Höhe hätte er vom Finanzamt eine Einkommensteuererstattung erhalten, wenn er die ausgefüllten Lohnsteuerkarten für die Jahre 1990 und 1991 hätte vorlegen können. Der Rechtsstreit (12 Ca 338/91) stehe seiner Schadensersatzforderung nicht entgegen. In diesem Rechtsstreit sei es um die Ausfüllung und Herausgabe der Arbeitspapiere gegangen. Er habe seinerzeit keinen Schadensersatz geltend gemacht. Ein Schaden sei zum damaligen Zeitpunkt auch dem Grunde und der Höhe nach nicht absehbar gewesen. Im übrigen werde nunmehr ein Ersatz des Schadens verlangt, der daraus entstanden sei, daß der Bekl. auch die vom Kl. überreichte Ersatzlohnsteuerkarte nicht ausgefüllt und nicht ausgehändigt habe. Es lägen daher verschiedene Streitgegenstände vor. Zumindest sei zu berücksichtigen, daß die Entschädigung von 1000 DM sich lediglich auf die Ausfüllung der Lohnsteuerkarte 1990 bezogen habe.

Der Bekl. ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem ArbG nicht erschienen; das ArbG hat das beantragte Versäumnisurteil nicht erlassen und die Klage als unzulässig abgewiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LAG ist für den Bekl. und Berufungsbekl. wiederum niemand erschienen. Das LAG hat dem Antrag auf Erlaß eines echten Versäumnisurteils nicht entsprochen und die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. sein Klagebegehren, allerdings ohne Erfolg, weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Der Kl. hat die am 15. 2. 1995 eingegangene Revision nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von einem Monat (§ 74 I 1 ArbGG) begründet. Dem am 13. 4. 1995 eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist konnte nicht entsprochen werden, weil die Begründungsfrist bereits am 15. 3. 1995 abgelaufen war. Die einmonatige Revisionsbegründungsfrist beginnt mit der Einlegung der Revision (§ 554 II 2 ZPO). Dies gilt entgegen der Auffassung des Kl. auch dann, wenn die Revision bereits vor Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt worden ist (vgl. BAG, AP Nr. 16 zu § 519 ZPO, für die Berufungsbegründungsfrist). Der am 13. 4. 1995 eingegangene Verlängerungsantrag kann allerdings als Neueinlegung der Revision angesehen werden. Der Schriftsatz mit den beiliegenden Urteilsabschriften genügt den an eine Revisionsschrift zu stellenden formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen. Da das angefochtene Urteil am 14. 3. 1995 zugestellt wurde, ist die Revisionsfrist eingehalten. Diese Revision hat der Kl. innerhalb der ihm eingeräumten Fristverlängerung begründet.

II. Die sonach zulässige Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Über den Anspruch des Kl. auf Schadensersatz wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarten 1990 und 1991 hat das ArbG bereits in dem Verfahren 12 Ca 338/91 rechtskräftig entschieden.

1. In dem genannten ersten Rechtsstreit hat der Kl. gem. § 61 II ArbGG auf Ausfüllung und Herausgabe der Lohnsteuerkarte geklagt und für den Fall nicht fristgemäßer Ausfüllung eine Entschädigung von 1000 DM verlangt. Diesen Anträgen wurde durch rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 17. 1. 1992 entsprochen. Damit ist rechtskräftig über den Schadensersatzanspruch des Kl. wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte entschieden. Einer erneuten Klage wegen dieses Schadensersatzanspruchs steht die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen. Die in § 61 II 1 ArbGG genannte Entschädigung ist entgegen der Auffassung des Kl. ein allgemeiner Schadensersatzanspruch. Zur Geltendmachung dieses Anspruchs bedarf es der Darlegung, daß dem Arbeitnehmer durch die Nichtvornahme der Handlung ein Schaden entstanden sei (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 61 Rdnr. 30). Wurde die beantragte Entschädigung zugesprochen, ohne daß der Kl. die Entschädigung einschränkend als Teilbetrag einklagte, ist über den gesamten Schadensersatzanspruch entschieden. Dazu gehört auch der Ersatz des Schadens, der wegen entgangener Lohnsteuererstattung zwar berechenbar, wegen der noch laufenden Frist zur Lohnsteuererstattung aber noch nicht endgültig eingetreten war.

2. Dem LAG ist auch darin zuzustimmen, daß die im ersten Prozeß erkannte Entschädigung sich auf die Nichtausfüllung beider Lohnsteuerkarten bezieht. Zwar heißt es im Tenor des Versäumnisurteils mißverständlich "für die Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte einen Betrag von 1000 DM". Doch ergibt sich aus der Klagebegründung, daß der Kl. die Ausfüllung der Lohnsteuerkarten für 1990 und 1991 verlangt und für die Nichtausfüllung 1000 DM Entschädigung gefordert hatte.

3. Der Kl. kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Streitgegenstände beider Rechtsstreite seien deshalb nicht identisch, weil er nunmehr Schadensersatz wegen der Nichtausfüllung der dem Bekl. übermittelten Ersatzpapiere verlange. Bei der Nichtausfüllung der Original-Lohnsteuerkarte und der Nichtausfüllung der Ersatzlohnsteuerkarte handelt es sich um einen einheitlichen Pflichtenverstoß. Nach § 41b EStG hat der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder am Ende des Kalenderjahres auf der Lohnsteuerkarte die einbehaltene Lohnsteuer zu bescheinigen. Diese öffentlichrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, die von den Finanzämtern nach §§ 328ff. AO erzwungen werden kann, korrespondiert mit einer arbeitsrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer auf Ausfüllung und Herausgabe der ausgefüllten Lohnsteuerkarte. In der Rechtsprechung des BAG ist anerkannt, daß öffentlichrechtliche Bestimmungen zugleich auch verpflichtende Wirkung für die privatrechtlichen Beziehungen der Parteien des Arbeitsverhältnisses haben können. Öffentlichrechtliche Vorschriften können zugleich Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer sein. Sie gestalten (konkretisieren) die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (BAGE 69, 204 (210) ).

War somit der Bekl. gegenüber dem Kl. verpflichtet, die Original-Lohnsteuerkarte auszufüllen, so war er im Falle des Abhandenkommens des Originals ebenso verpflichtet, die Ersatzlohnsteuerkarte auszufüllen. Die Untätigkeit des Bekl. ist als einheitlicher Pflichtenverstoß innerhalb eines einheitlichen historischen Lebensvorgangs zu sehen, der geeignet war, den Kl. dadurch zu schädigen, daß er beim Finanzamt keine Lohnsteuererstattung erhielt. Damit liegt beiden Prozessen derselbe Streitgegenstand zugrunde, nämlich der Schadensersatzanspruch wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarten 1990 und 1991. Auch der Umstand, daß die Weigerung die Ersatzlohnsteuerkarte auszufüllen, erst nach rechtskräftigem Abschluß des ersten Rechtsstreits erfolgte, begründet für den Schadensersatzanspruch keinen neuen Streitgegenstand. Die Rechtskraft des Urteils im ersten Rechtsstreit bildet keine Zäsur mit der Folge, daß die erneute Weigerung des Arbeitgebers die (Ersatz-)Lohnsteuerkarten auszufüllen, ein eigenständiger Pflichtenverstoß wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, daß mit der Verurteilung zur Entschädigung der Anspruch des Kl. auf Ausfüllung der Lohnsteuerkarte nach Fristablauf entfiel. Gem. § 61 II 2 ArbGG kann im Falle der Verurteilung zu einer Entschädigung das Urteil auf Vornahme einer Handlung nicht mehr nach §§ 887, 888 ZPO vollstreckt werden. Der Anspruch auf Vornahme der Handlung wandelt sich nach Fristablauf automatisch in einen Entschädigungsanspruch um (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, § 61 Rdnr. 39).

Der arbeitsrechtliche Ausfüllungsanspruch kann deshalb auch nicht durch Vorlage einer Ersatzlohnsteuerkarte wieder entstehen. Ebensowenig kann mit der Vorlage der Ersatzlohnsteuerkarte ein neuer Schadensersatzanspruch verlangt werden.

Vorinstanzen

LAG Hessen, 14 Sa 390/94, 15.09.1994

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

§ 61 II ArbGG