Berechtigte Wiedergabe des Bundesadlers als Illustration eines Zeitschriftenartikels
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
05. 05. 2000
Aktenzeichen
6 U 21/00
Die vom Maler und Bildhauer Prof. Ludwig Gies im Jahre 1953 geschaffene Adlerfigur ist ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Es ist durch die Anbringung im Plenarsaal des damaligen Gebäudes des Deutschen Bundestages in Bonn nicht zu einem amtlichen Werk geworden, das nach § 5 Abs. 2 UrhG dem urheberrechtlichen Schutz entzogen wäre.
Die Abbildung einer unfreien Bearbeitung dieser Adlerfigur, die zur Illustration eines Presseberichts den Staat symbolisch darstellen soll, ist durch keine der im Urhebergesetz ausdrücklich geregelten Schranken des Urheberrechts gedeckt.
Die Abwägung des Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 GG mit dem Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG kann gleichwohl im Einzelfall den ansonsten unzulässigen Eingriff in Nutzungsrechte des Urhebers rechtfertigen, da die von Prof. Gies geschaffene Adlerfigur im Bewusstsein der Öffentlichkeit faktisch zu einem Symbol der Bundesrepublik Deutschland geworden ist.
Die Beklagte, die Herausgeberin des Wochenmagazins "Focus", veröffentlichte in dessen Heft 13/99 auf Seite 60 f. unter der Überschrift "Der unseriöse Staat" einen Beitrag über eine angeblich schlampige Gesetzgebung sowie die Problematik der Rückwirkung insbesondere solcher Gesetze, die Auswirkungen auf die Steuerpflicht der Bürger haben. Diesem Artikel war die farbige Darstellung eines Adlers vorangestellt (im folgenden: "Focus-Adler"), die den Gegenstand der Auseinandersetzung im vorliegenden Verfahren bildet.
Die Klägerin, eine gerichtsbekannte Verwertungsgesellschaft, sieht in jenem Bild eine unfreie Bearbeitung einer von dem inzwischen verstorbenen Maler und Bildhauer Prof. Ludwig Gies im Jahre 1953 geschaffenen Adlerfigur (im folgenden: "Gies-Adler"). Diese aus Gips bestehende überdimensionale Darstellung eines Adler hing seit dem Jahre 1955 bis weit in die achtziger Jahre, nämlich bis zu dessen Neubau, im Deutschen Bundestag in Bonn.
Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Veröffentlichung des Focus-Adlers und stützt sich dazu auf den vorgelegten Wahrnehmungsvertrag mit der Erbengemeinschaft nach der Witwe des Künstlers. Sie hat die Auffassung vertreten, trotz der Verwendung des Adlers als Darstellung des Hoheitszeichens der Bundesrepublik Deutschland und der Überlassung des Gies-Adlers an die Bundestagsverwaltung zum Zwecke der Anbringung im damaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages bestünden die Nutzungsrechte des Künstlers bzw. seiner Erben fort. Angesichts im einzelnen beschriebener Übereinstimmungen, die insbesondere bei einer "Übereinanderschau" beider Darstellungen deutlich würden, und von ebenfalls im einzelnen dargelegten Möglichkeiten zur abweichenden Darstellung des Adlers in seiner Funktion als Symbol für die Bundesrepublik Deutschland liege nicht etwa eine freie, sondern eine i. S. des § 23 UrhG unfreie Bearbeitung vor.
Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin mit der Begründung in Abrede gestellt, die Bundesrepublik Deutschland habe sich aus haushaltsrechtlichen Gründen und um Auseinandersetzungen zu vermeiden, von dem Künstler die Nutzungs- und Verwertungsrechte übertragen lassen. Hierfür spreche auch, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 2 UrhG nicht anwendbar sei und die Hoheitszeichen wie der Bundesadler durch die Bestimmungen der §§ 146-152a StGB strafrechtlichen Schutz genießen. Im Übrigen liege auch nicht eine unfreie Bearbeitung vor. Die Übereinstimmungen beruhten vielmehr auf dem Umstand, dass durch beide Werke eben ein Adler dargestellt werde. Schließlich sei der Adler zwar ein Nationalsymbol, die einschlägigen Bestimmungen schlössen indes anderweitige Darstellungen dieses Hoheitszeichens nicht aus.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Aktivlegitimation sei gegeben, weil angesichts der Regelung des § 44 UrhG der Künstler trotz des Verkaufes des Kunstwerkes an den Deutschen Bundestag Inhaber der Nutzungs- und Verwertungsrechte geblieben sei und seine Erben die Klägerin mit der Wahrnehmung der Rechte beauftragt hätten. Es handele sich angesichts im einzelnen dargestellter Übereinstimmungen um eine unfreie Bearbeitung. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf § 5 Abs. 2 UrhG berufen, weil der streitgegenständliche Adler nicht zu den Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland gehöre, also nicht der "offizielle" Bundesadler sei. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der in zulässiger Weise geltendgemachte Unterlassungsanspruch ist unbegründet, weil es sich bei dem angegriffenen Focus-Adler zwar um eine unfreie Bearbeitung des Werkes von Herrn Prof. Gies handelt, diese aber mit Rücksicht auf die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG hinzunehmen ist.
A.
Die Klage ist allerdings zulässig. Das bedarf nur hinsichtlich der
Prozessfährungsbefugnis der Klägerin als Wahrnehmungsgesellschaft der
Begründung. Die Klägerin ist indes berechtigt, die streitgegenständlichen
Ansprüche geltend zu machen. Denn sie hat mit den Nutzungsberechtigten einen
Wahrnehmungsvertrag geschlossen, der die gerichtliche Geltendmachung von
derartigen Ansprüchen umfasst und auch noch fortbesteht.
Entgegen den zu Beginn des Berufungsverfahrens von der Beklagten geäußerten Zweifeln sind die Erben von Frau Hildegard Gies in ungeteilter Erbengemeinschaft Inhaber der in vorliegenden Zusammenhang zunächst zu unterstellenden Nutzungsrechte an dem Gies-Adler. Das bedarf angesichts der Erklärung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung, sie bestreite weder die anfängliche Einrichtung der Testamentsvollstreckerschaft nach Frau Hildegard Gies noch deren Fortbestand bis zum Verhandlungstag, lediglich bezüglich der anfänglichen Erbenstellung von Frau Gies selbst der Begründung. Indes ist diese nicht mehr als bestritten anzusehen. Nachdem die Klägerin mit der Berufangserwiderung einen Erbschein vorgelegt hatte, der dessen Ehefrau als seine Alleinerbin ausweist, hätte es nämlich der Beklagten oblegen, ihr anfängliches Bestreiten ausdrücklich aufrechtzuerhalten, wenn sie etwa die vorgelegte Kopie nicht als echt ansehen wollte. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund ihrer vorstehend angesprochenen Erklärung über die Testamentsvollstreckerschaft nach Frau Hildegard-Gies-, die ins Leere liefe, wenn Frau Gies nicht ihrerseits Erbin des Künstlers gewesen wäre.
Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst der Wahrnehmungsvertrag, den die Testamentsvollstrecker der Erben der Frau Gies mit Wirkung für diese im Mai 1992 mit der Klägerin abgeschlossen haben, auch die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen zur Untersagung der Veröffentlichung von unbefugten Umgestaltungen des Werkes. Gern. § 1 S. 1 lit. l des Wahrnehmungsvertrages sind von diesem auch die Ansprüche aus der Nutzung von Werken in Form der Vervielfältigung und Verbreitung in Zeitschriften erfasst. Die Übertragung der Nutzungsrechte zum Zwecke u. a. der Wahrnehmung umfasst damit auch das Recht, die Nutzung durch Dritte, und zwar auch durch unfreie Bearbeitung, zu untersagen. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es zu dem Wesen von Nutzungsrechten gehört, die Nutzung einem Dritten zu gestatten oder im Gegenteil zu untersagen. Dieses Gestattungsrecht ist z. B. in Satz 1 lit. l des Vertrages auch ausdrücklich angesprochen. Schließlich belegt der handschriffliche Zusatz in § 18 des Wahrnehmungsvertrages, wonach sich die Klägerin "zur sofortigen Wahrnehmung aller, insbesondere der akut bedrohten Urheberrechte des Werkes "Bundesadler" im Plenarsaal des Dt. Bundestages zu Bonn" sogar verpflichtet hat, aber auch ausdrücklich die Erstreckung des Vertrages gerade auf die streitgegenständlichen Abwehrrechte gegen eine unbefugte Nutzung des Werkes.
Der Wahrnehmungsvertrag ist auch noch in Kraft. Er war allerdings zunächst nur auf drei Jahre geschlossen, die inzwischen abgelaufen sind. Der Vertrag ist indes gem. seinem § 11 Abs. 1 anschließend - und zwar jeweils um ein Jahr - kontinuierlich stillschweigend verlängert worden. Diese Behauptung der Klägerin ist im Laufe des Berufungsverfahrens unstreitig geworden. Die Beklagte hat nämlich im Berufungstermin zum Ausdruck gebracht, zur Aktivlegitimation - und damit auch zur hier zu erörternden Prozessführungsbefugnis der der Klägerin - lediglich noch die Gesichtspunkte in Abrede stellen zu wollen, die in ihrer Replik vom 29. 3. 2000 aufgeführt sind. Zu diesen gehört die Verlängerung des Wahrnehmungsvertrages indes nicht. Steht damit fest, dass der Wahrnehmungsvertrag noch fortbesteht, so ergibt der Vortrag der Beklagten auch nicht etwa, dass er abweichend von der ursprünglichen Rechtslage aufgrund einer zwischenzeitlichen Änderung die streitgegenständlichen Ansprüche jetzt nicht mehr erfasse. Die Beklagte bezieht sich insoweit lediglich auf den Vortrag der Klägerin, wonach der Wahrnehmungsvertrag nunmehr in einer aktualisierten Fassung vom 26. 6. 1999 fortgilt. Ihre Rüge, sie kenne den Inhalt der bis zur mündlichen Verhandlung nicht vorgelegten aktuellen Fassung des Vertrages nicht, enthält die Behauptung einer Vertragsänderung des soeben beschriebenen Inhalts schon nicht. Im übrigen belegt der Wortlaut der von der Klägerin mit dem ihr nachgelassenen Schriftsatz vom 13. 4. 2000 vorgelegten Vertragsänderung auch, dass die Prozessführungsbefugnis unverändert fortbesteht. Die aus der Anlage BE 5 nunmehr ersichtliche Neufassung macht im Anwendungsbereich des - im vorliegenden Verfahren allerdings einschlägigen - § 1 lit.1 des Wahrnehmungsvertrages die Wahrnehmung der betroffenen Rechte im Falle der Veröffentlichung in einer Zeitschrift, die nicht Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigt, von der "Rücksprache" mit den Berechtigten abhängig. Es ist aber schon sehr zweifelhaft, ob es sich bei dem "F" um eine derartige Zeitschrift und nicht vielmehr um eine solche handelt, die die Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigt und für die es deswegen ohnehin bei der ursprünglichen Regelung verblieben ist. Das kann indes dahinstehen. Denn jedenfalls wäre auch die nunmehr in den Vertrag aufgenommene Voraussetzung einer vorherigen Rücksprache offensichtlich erfüllt. Die Testamentsvollstrecker haben durch die erwähnte Vereinbarung im § 18 des Vertrages ursprünglicher Fassung nämlich ausdrücklich gerade bezüglich der Nutzungsrechte an dem Gies-Adler die Klägerin zur Wahrnehmung der Rechte sogar verpflichtet.
Vor diesem Hintergrund ist die Klage schließlich auch nicht deswegen unzulässig, weil die mit der Berufungserwiderung vorgelegte Vollmacht vom 15. 2. 2000 der Klägerin nur von dem Testamentsvollstrecker H. und nicht auch von dem weiteren Testamentsvollstrecker Dr. W. erteilt worden ist, ohne dass hierzu die Erhebung des von der Klägerin angebotenen Beweises erforderlich wäre. Denn die Prozessführungsbefugnis der Klägerin ergibt sich aus den vorstehenden Gründen bereits aus dem fortbestehenden Wahrnehmungsvertrag selbst, ohne dass es hierzu einer Vollmacht der Nutzungsberechtigten bzw. der Testamentsvollstrecker als ihrer Vertreter bedarf.
B.
Die mithin zulässige Klage ist unbegründet.
Der Gies-Adler stellt allerdings ein geschütztes Werk der bildenden Kunst i. S. des § 2 Abs. 1 Ziff. 4 UrhG dar. Er verfügt insbesondere über die hierfür gem. § 2 Abs. 2 UrhG erforderliche Schöpfungshöhe. Dies ist offenkundig und erfordert auch deswegen keine weiteren Ausführungen, weil die Beklagte selbst die Werksqualität nicht in Abrede stellt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Gies-Adler auch nicht etwa trotz seiner Werksqualität durch § 5 Abs. 2 UrhG dem urheberrechtlichen Schutz entzogen. Diese Bestimmung nimmt solche amtlichen Werke von dem Urheberschutz aus, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind. Es liegt indes schon ein amtliches Werk nicht vor. Allerdings können auch nichtsprachliche Werke i. S. der Vorschrift amtliche Werke sein. Insoweit kommen neben Darstellungen auf Geldscheinen und Münzen z. B. auch solche in Gemeindewappen in Betracht. Ebenso ist möglich, dass es sich dabei - wie im vorliegenden Fall - um Werke handelt, die von einer Privatperson geschaffen worden sind (vgl. zu beiden näher von Ungern-Sternberg, GRUR 77 S. 766 (768, 771). Allein durch das Aufhängen des Kunstwerkes im damaligen Plenarsaal des deutschen Bundestages ist dieses aber nicht zu einem amtlichen Werk geworden. Allerdings stellt - wie aus der "Bekanntmachung des Bundespräsidenten vom 20. 1. 1950" (BGBl. I S. 26) hervorgeht - ein Adler das Bundeswappen der Bundesrepublik Deutschland dar. Damit wird das Werk aber trotz seiner Aufhängung an exponierter Stelle im damaligen Zentrum der politischen Willensbildung noch nicht zu einem amtlichen Werk. Denn das Kunstwerk weicht - was unstreitig ist und ohne weiteres aus der erwähnten Bekanntmachung hervorgeht - in seiner Darstellung eines Adlers von den amtlichen Vorgaben sogar ab, die "Schnabel, Zunge und Fänge von roter Farbe vorsehen". Es ist damit zwar das Symbol des Staates, aber seine Aufhängung bleibt die Aufhängung eines - wenn auch an das Wappen stark angelehnten - privaten Kunstwerkes und damit schon deswegen nicht eines amtlichen Werkes. Überdies besteht auch kein amtliches Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme i. S. der Vorschrift, wobei es sich um ein dringendes unabweisbares amtliches Interesse an einer möglichst raschen und umfassenden Information handeln müßte (vgl. Schricker-Katzenberger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 5 Rdn. 42 m. w. N.). Ein derartiges Interesse wäre sogar dann nicht ohne weiteres zu erkennen, wenn es sich um eine Darstellung des Bundeswappens handeln würde, die sich genau an die amtlichen Vorgaben hielte. Denn es ist kein überragendes Interesse des Staates dafür ersichtlich, dass das Wappentier gerade durch seine Darstellung im Bundestag bekannt würde. Das zeigt sich schon an dem Umstand, dass vor 1955 im Bundestag eine Darstellung des Wappentieres im Bundestag nicht vorhanden war und das Bundeswappen auch auf andere Weise hinreichend bekanntgemacht werden kann. Das kann aber dahinstehen, denn jedenfalls kann bei der Darstellung eines Adlers in bloßer Anlehnung an die Vorgaben für das Bundeswappen keine Rede davon sein, dass dessen Kenntnisnahme im dringenden unabweisbaren Interesse des Staates läge. Nach Auffassung von von Ungem-Sternberg (a.a.O., S. 773) ist die Grenze dort zu ziehen, wo ein Werk "der Allgemeinheit derartig zugänglich werden soll, dass eine Beschränkung der Zugänglichkeit ... bereits eine Beeinträchtigung des Zwecks der Veröffentlichung wäre". Auch das ist ersichtlich nicht der Fall.
Ist der Gies-Adler damit ein urheberrechtlich geschütztes Werk, so trifft weiter die Auffassung des Landgerichts und der Klägerin zu, wonach es sich bei dem Focus-Adler um eine i. S. des § 23 UrhG unfreie Umgestaltung des Gies-Adlers handelt.
Eine derartige Umgestaltung ist dann gegeben, wenn das geschützte Werk zwar verändert wird, dabei aber wesentliche Züge des Originals übernommen werden (Schricker-Loewenheim, a.a.O., § 23 Rdn. 3 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen vor. Hierzu wird zunächst gem. § 543 Abs. 2 ZPO auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts auf S. 9 ff. der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Obwohl der Focus-Adler etwas weniger rundlich wirkt und eine deutlich abweichende Färbung aufweist, stellt er sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung doch als ein Werk dar, das - zumindest fast - alle wesentlichen Züge des im Volksmund zeitweilig als "fette Henne" verspotteten Gies-Adlers aufweist. Das belegen nicht nur die bereits von dem Landgericht angeführte, bei den Akten befindliche Überspiegelung der Umrisse des Gies-Adlers mit dem angegriffenen Focus-Adler, die eine fast vollständige Identität der Umrisse bestätigt, sondern auch die Übereinstimmungen in zahlreichen Details. So breitet der Adler in beiden Darstellungen die Flügel aus und fächern sich die Federn In nahezu identischer Weise auf. Zudem sind bei beiden nicht nur die Federn der Flügel, sondern auch diese selbst dargestellt und sind die Federn auch bei dem Focus-Adler gerade in der Weise von dem Flügelkörper selbst abgegrenzt, wie es für den Gies-Adler prägend ist. Weiter ist auch die Betonung einzelner Flügelfedern durch Striche übernommen, wenn diese auch nicht wie bei dem Original in goldener Farbe gehalten sind. Auch die - ebenfalls das Original prägende - Ausgestaltung des Rumpfes durch eine Vielzahl von goldenen Punkten findet sich - wenn auch in leicht abgewandelter Form - bei dem Focus-Adler wieder. Dabei fällt es kaum ins Gewicht, dass dieser dort keine Punkte, sondern Striche aufweist, zumal sich die Punkte bei dem Gies-Adler am Ende von - offenbar Federn darstellenden - länglichen Streifen befinden. Diese ins Auge fallenden Übereinstimmungen in den wesentlichen Zügen sind nicht etwa dadurch vorgegeben, dass es sich bei beiden Werken um Darstellungen eines Adlers handelt. Vielmehr lassen sich Adler - wie z. B. die Übersicht auf Seite 9 der vorgelegten Ausarbeitung "Der neue Bundestagsadler" von Norman Foster belegt - auch als Silhouette in einer vielfältig unterschiedlichen Weise darstellen. Das Erscheinungsbild des Focus-Adlers vermittelt wegen der vorstehend dargestellten und weiterer Übereinstimmungen, wie sie schon von dem Landgericht beschrieben worden sind, den Eindruck einer bloßen Bearbeitung unter Übernahme von dessen wesentlichen Merkmalen und nicht eines eigenständigen individuellen Werkes, das in bloßer Anlehnung an den Gies-Adler und damit in dessen gern. § 24 Abs. 1 UrhG freier Benutzung neu geschaffen worden wäre.
Die mithin vorliegende unfreie Bearbeitung rechtfertigt sich auch nicht aus einer der in Betracht kommenden, im sechsten Abschnitt des ersten Teiles des Urheberrechtsgesetzes aufgeführten Schranken des Urheberrechtes. So liegt ein Fall des § 50 UrhG nicht vor, weil der Gies-Adler nicht im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse (im Original) gezeigt, sondern seine Bearbeitung als optischer Aufmacher für einen politischen Artikel eingesetzt worden ist. Auch ist die Veröffentlichung nicht durch das Zitatrecht des § 51 UrhG gedeckt. Der Gies-Adler wird durch die angegriffene Darstellung nicht zitiert, sondern verfremdet wiedergegeben. Überdies handelt es sich bei dem Artikel im Focus nicht um ein selbständiges wissenschaftliches Werk, wie es § 51 Ziff. 1 UrhG für das Recht voraussetzt, ein Werk insgesamt als Zitat wiederzugeben. Schließlich rechtfertigt auch die Regelung des § 59 Abs. 1 UrhG die Veröffentlichung der Bearbeitung des Gies-Adlers nicht. Denn dieser hat sich nicht - wie es die Vorschrift voraussetzt - auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, sondern innerhalb des früheren Gebäudes des Deutschen Bundestages befunden. Es kann auch trotz seiner Aufhängung im u. a. den Zuschauern allgemein zugänglichen dortigen Plenarsaals nicht davon ausgegangen werden, dass der Gies-Adler - wie dies bei den von der Vorschrift erfassten Konstellationen der Fall ist - der Allgemeinheit gewidmet wäre, weswegen eine analoge Anwendung des im übrigen eng auszulegenden § 59 UrhG (vgl. dazu Schricker-Vogel, a.a.O., § 59 Rdn. 4) nicht erfolgen kann.
Liegt mithin ein von den einschlägigen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes nicht ausdrücklich legitimierter Eingriff in die Nutzungsrechte der Berechtigten vor, so ist die Klage gleichwohl unbegründet, weil die Veröffentlichung im vorliegenden Einzelfall durch das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 GG, das auch im Privatrechtsverhältnis angemessen zur Anwendung kommt, gerechtfertigt ist. Das Grundrecht der Pressefreiheit ist deswegen tangiert, weil die Veröffentlichung durch ein Presseorgan im Rahmen der Berichterstattung über politische Ereignisse, nämlich die angesprochene aktuelle Gesetzgebung, und deren Kommentierung erfolgt ist. Ist aber neben dem durch das Urheberrecht repräsentierten Eigentumsrecht des Art. 14 GG auf der anderen Seite das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 GG von der Entscheidung betroffen, so hängt die Berechtigung zu einer unfreien Bearbeitung von einer Güter- und Interessenabwägung ab (vgl. Schricker-Wild, a.a.O., § 97, Rdn. 20 ff. m. w. N.). Das gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten gutachterlichen Äußerung von Herrn Prof. Nordemann. Dieser geht zu Recht davon aus, dass die beiden Grundrechte in einer Wechselwirkung zueinander stehen, in der das Urheberrecht die Pressefreiheit im Rahmen des Art 5 Abs. 2 GG zwar einschränkt, dabei aber seinerseits im Lichte des die Pressefreiheit gewährleistenden Grundrechtes aus Art. 5 Abs. 1 GG ausgelegt werden muss (vgl. grundlegend BVerfGE 7 S. 198 (209 ff.) - "Lüth") . Ebenfalls zutreffend führt auch Nordemann aus, dass in der gegebenen Fallkonstellation die erwähnte Güter- und Interessenabwägung stattzufinden habe. Es trifft indes nicht zu, dass die von ihm angeführten Bestimmungen im sechsten Abschnitt des ersten Teiles des Urheberrechtsgesetzes, also die Regelungen seiner §§ 45 ff., dem Grundrecht der Pressefreiheit in jedem Einzelfall und insbesondere in der vorliegenden Fallkonstellation bereits ausreichend Geltung verschafften. Aus den oben im einzelnen dargelegten Gründen greift von diesen gesetzlichen Regelungen keine der näher in Betracht kommenden Vorschriften ein. Den Belangen der Pressefreiheit wäre indes nicht Genüge getan, wollte man allein durch eine Prüfung der einschlägigen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes die erforderliche Abwägung als in ausreichender Weise durchgeführt ansehen. Die Ausgestaltung des Artikels 5 GG in seinen ersten beiden Absätzen verlangt nämlich nicht nur von dem Gesetzgeber, sondern gerade auch von der rechtsprechenden Gewalt die Vornahme der erwähnten Abwägung der beiderseitig betroffenen Rechtsgüter und Interessen. Aus diesem Grunde kann der Senat sich nicht auf die Feststellung beschränken, der Gesetzgeber habe im Interesse der Pressefreiheit bestimmte einzelne Regelungen getroffen, die indes nicht einschlägig seien. Dies gilt im vorliegenden Falle um so eher, als die oben geprüften und teilweise auch von Nordemann angesprochenen gesetzlichen Bestimmungen keinen Raum geben, den berechtigten Belangen der Beklagten Geltung zu verschaffen. Es ist mithin eine Einzelfallabwägung geboten, die über die Prüfung der gesetzlich normierten Einschränkungen der Nutzungsrechte des Urhebers hinausgeht und - bei angemessener Berücksichtigung andererseits auch der Interessen der Nutzungsberechtigten - der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit hinreichend Rechnung trägt. Diese Güter- und Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Veröffentlichung der unfreien Bearbeitung des Gies-Adlers durch die Beklagte von den Nutzungsberechtigten und damit auch von der Klägerin hinzunehmen ist. Das ergibt sich aus folgenden Gründen: Der Gies-Adler ist - wie der Senat aus eigener Lebenserfahrung festzustellen vermag - wegen seiner exponierten Plazierung und den regelmäßigen Fernsehübertragungen aus dem (früheren) Deutscher Bundestag sowie aus Zeitungsbildern in weiten Kreisen der Bevölkerung sehr bekannt. Dabei werden die weitaus meisten auch politisch interessierten Menschen irrig annehmen, es handele sich um ein offizielles Zeichen, eben das Wappentier oder sogar das Originalwappen der Bundesrepublik Deutschland. Denn dass es demgegenüber tatsächlich ein dem Wappen lediglich angenähertes freies Kunstwerk eines privaten Schöpfers ist, ist kaum bekannt, zumal es im übrigen naheliegt, dass der Staat an jener Stelle nicht eine Anlehnung an sein Wappentier, sondern dieses im Original ausstellt. Hält aber die Bevölkerung in weiten Kreisen gerade die in dem Gies-Adler verwirklichte Darstellung eines Adlers für das Wappentier der Bundesrepublik Deutschland, so muss die Beklagte im Rahmen der Pressefreiheit das Recht haben, dieses Werk auch durch eine Darstellung, die alle wesentlichen Einzelheiten übernimmt, in ihren Beiträgen zu verwenden. Denn das Werk ist so faktisch zu einem Symbol für die Bundesrepublik Deutschland geworden. Ein solches muss die Presse indes auch in Form einer unfreien Bearbeitung verwenden dürfen. Es ging der Beklagten ersichtlich darum, den Staat bzw. seine in dem Artikel angesprochenen Institutionen durch die angegriffene Abbildung symbolisch darzustellen. Dieses Anliegen ist - unabhängig von dem Inhalt des Artikels - berechtigt und rechtfertigt auch das Aufgreifen der Einzelheiten des urheberrechtlich geschützten Gies-Adlers. Denn das durch die Übernahme der wesentlichen Einzelheiten erreichte Wiedererkennen des Symbols durch den Leser ist gerade notwendig, um das Anliegen der Beklagten zu erreichen und bereits optisch den Bezug des Artikels zu dem Staat und seinen Institutionen herzustellen. Die Beklagte ist auch nicht auf die Abbildung anderer Darstellungen von Adlern, etwa derjenigen, die sich auf dem 2 DM-Stück oder anderen im Umlauf befindlichen Geldmünzen befinden, zu verweisen. Denn das würde angesichts der dargestellten großen Bekanntheit gerade des Gies-Adlers und des noch anzusprechenden Umstandes, dass diese auf dem exponierten Standort beruhende Bekanntheit mit Wissen und im Einverständnis mit dem Künstler herbeigeführt worden ist, sowie angesichts weiter des hohen Stellenwertes, der der Meinungs- und Informationsfreiheit bei der Abwägung anerkanntermaßen einzuräumen ist (vgl. Schricker-Wild, a.a.O. § 97 Rdn. 20 m. w. N.), einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das der Beklagten zur Seite stehende Grundrecht der Pressefreiheit darstellen. Es ist schließlich auch nicht unangemessen, in dem vorliegenden Einzelfall im Rahmen der gebotenen Abwägung der betroffenen Interessen zu Lasten der Nutzungsberechtigten zu entscheiden. Denn der Künstler hat durch die Freigabe des Werkes zur Aufhängung an der exponierten Stelle im damaligen Deutschen Bundestag bewusst in Kauf genommen, dass die Bevölkerung es als das Hoheitssymbol des Staates ansehen würde. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Jahre 1955 noch nicht so intensiv Bildberichte aus dem Deutschen Bundestag gesendet worden sind wie das heute geschieht. Denn zumindest im Rahmen der in den Kinos gezeigten "Wochenschau" hat es bereits damals regelmäßige Bildberichte über politische Ereignisse und Debatten gegeben, und überdies handelt es sich um eine auf Dauer vorgenommene Aufhängung, weswegen feststand, dass der Gies-Adler - wenn auch nicht sogleich, aber doch mit der Zeit - in breiten Kreisen der Bevölkerung bekannt und mit dem Symbol für den Staat identifiziert werden würde. Hat aber der Künstler selbst dazu beigetragen, dass sein Werk nunmehr als Wahrzeichen des Staates angesehen wird, so müssen die jetzigen Nutzungsberechtigten auch hinnehmen, dass die Presse im Wege einer unfreien Bearbeitung das Werk darstellt, um so einerseits auf den Staat Bezug zu nehmen und andererseits ihr Anliegen bildlich darzustellen.
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