Fernsehreporterin als relative Person der Zeitgeschichte - Juhnke-Ohrfeige: Erfolglose Berufung der geohrfeigten RTL-Reporterin im Prozess gegen Bericht der BUNTE - nur keine Namensnennung, sonst auch nach Jahren keine Unterlassungs- und Geldentschädigungsansprüche
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
13. 03. 2001
Aktenzeichen
20 U 178/00
Ein Fernsehjournalist, der einen auch wegen seines Alkoholismus öffentliches Interesse findenden bekannten Schauspieler im Zustand der Trunkenheit vor seinem Hause abpasst, um ihn zu interviewen und die Szene von seiner Fernsehanstalt aufnehmen zu lassen, der dann aber von dem Schauspieler geohrfeigt wird, muss es hinnehmen, dass ein drittes Presseunternehmen noch mehr als drei Jahre später eine Fotografie des Vorfalls zur Illustration eines Artikels über den Fortbestand der Ehe des Schauspielers trotz seiner zahlreichen Skandale verwendet.
Zum Sachverhalt:
Am 6. 1. 1996, gegen 11 Uhr morgens, wartete die Kl. mit einem Reporterteam
der R-Sendung „E“ am Gartentor der Villa des Schauspielers X auf dessen Rückkehr
nach Hause. X ist nicht nur als Schauspieler und „Entertainer“ bekannt geworden,
sondern wird in der Presse auch als „Deutschlands beliebtester Alkoholiker“
bezeichnet (so in einem Interview mit X im S vom 18. 1. 1996). In der Presse
wurden seine Alkohol-Eskapaden mit einer Mischung aus Empörung, Bewunderung und
Verständnis, in jedem Falle aber mit großem Interesse verfolgt. Der Verlauf des
6. 1. 1996 ist später in Zeitungsartikeln nach Art eines Protokolls
rekonstruiert worden. An diesem Tag war X seit etwa 7 Uhr morgens in B.
unterwegs, wobei er allein in einer Gaststätte sieben Whisky trank. Gegen 11 Uhr
wurde er in erkennbar angetrunkenem Zustand nach Hause gebracht. Als er den
Wagen verließ und auf das Gartentor zulief, rief ihm die dort wartende Kl. zu:
„Was ist los, Herr X?“. Daraufhin wandte sich X zu ihr und versetzte ihr eine
Ohrfeige. Der Vorfall wurde von den laufenden Kameras des R-Teams aufgenommen
und später in der Sendung „E“ gezeigt. Er war Gegenstand einer breiten
Presseberichterstattung, nicht nur unmittelbar nach dem Vorfall, sondern auch
noch bis in das Jahr 1997 hinein. Gegen X unternahm die Kl. nichts; er sei ein
„kranker Mann“. Am 12. 5. 1999 machte die Zeitschrift B, die von der Bekl. zu 1
herausgegeben und von dem Bekl. zu 2 verlegt wird, mit der Titelgeschichte „Die
seltsame Ehe der X´s“ auf. Der Artikel enthielt u.a. „B-Gespräche mit den X´s“.
Darin wurde auf den am 10. 6. 1999 bevorstehenden 70. Geburtstag von X Bezug
genommen sowie auf ein Interview, das X aus diesem Anlass der Bd-Zeitung gegeben
hatte, zu der er nach dem Urteil anderer Presseorgane eine besondere Beziehung
hat. Der Artikel in der Zeitschrift der Bekl. stellt u.a. die Frage, wie X´s
Ehefrau „seine Seitensprünge und Sauforgien ertragen konnte“. In diesem
Zusammenhang werden auf S. 24 der Zeitschrift unter der Überschrift „X und seine
Skandale“ vier kleine Bilder gezeigt, die „bekannte Ausrutscher“ von X
dokumentieren, darunter auch der Vorfall mit der Kl., die als „R-Reporterin“
bezeichnet und mit Namen vorgestellt wird. Die Kl. hält das für einen Eingriff
in ihr Persönlichkeitsrecht und ihr Recht am eigenen Bild. Mit der vorliegenden
Klage nahm sie die Bekl. auf Unterlassung und Zahlung einer angemessenen
Entschädigung in Anspruch. Sie hat beantragt, (1) die Bekl. zu verurteilen, es
zu unterlassen, in der Zeitschrift B oder anderen Publikationen selbst oder
durch beauftragte Dritte (a) Bildnisse der Kl. im Zusammenhang mit dem tätlichen
Angriff des Herrn X gegen die Kl. vom 6. 1. 1996 zu verbreiten oder öffentlich
zur Schau zu stellen, (b) über den tätlichen Angriff des Herrn X auf die Kl. vom
6. 1. 1996 unter Namensnennung der Kl. zu berichten, (2) die Bekl. als
Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kl. zum Ausgleich der ihr durch die
Verbreitung des in (1a) bezeichneten Bildnisses entstandenen immateriellen
Schäden eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch einen Betrag von 30000
DM zu zahlen.
Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil den Bekl. verboten,
über den tätlichen Angriff von Herrn X auf die Kl. am 6. 1. 1996 unter
Namensnennung der Kl. zu berichten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil
die Kl. selbst zu einem Teil des von ihren Kollegen gefilmten öffentlichen
Ereignisses geworden sei. Die Berufung der Kl. blieb ohne Erfolg.
Zu Recht hat das angefochtene Urteil es abgelehnt, der Kl. über das Verbot der Namensnennung hinaus weitere Unterlassungsansprüche zuzubilligen und ihr die begehrte Geldentschädigung zuzusprechen. Die Kl. ist durch den Vorfall zu einer relativen Person der Zeitgeschichte geworden, so dass das streitige Foto gem. § 23 I Nr. 1 KUG auch ohne ihre Einwilligung verbreitet werden durfte; die Interessenabwägung gem. § 23 II KUG fällt zu Lasten der Kl.aus.
Die Veröffentlichung des Bildes der Kl. diente einem Informationsinteresse der Allgemeinheit (vgl. Möhring/Nicolini/Gass, UrhG, 2. Aufl., § 23 KUG Rdnr. 11), und zwar unter zwei Gesichtspunkten.
An erster Stelle steht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Person von X, mit dessen Lebensgeschichte der Vorfall vom 6. 1. 1996 untrennbar verbunden ist. Die Aufmerksamkeit, die die Presse Herrn X und insbesondere solchen Vorfällen widmet, die mit seinem Alkoholismus zusammenhängen, ist durch die überreichten Presseauszüge hinreichend dokumentiert; beide Parteien sehen X als eine absolute Person der Zeitgeschichte an. Das Informationsinteresse ist auch nicht dadurch entfallen, dass der Vorfall mit der Kl. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung am 12. 5. 1999 mehr als drei Jahre zurücklag. Hierzu räumt die Berufung selbst ein, dass die erforderliche Aktualität „immer mal wieder“ aufleben könne, wenn etwa über besondere Anlässe im Leben von Herrn X berichtet werde. Einen solchen besonderen Anlass bildete hier nicht nur der am 10. 6. 1999 bevorstehende „runde“ Geburtstag von X, der in dem Artikel der B auch erwähnt wird. Schon der Titel des Aufmachers „Die seltsame Ehe der X´s, wie konnte sie 28 Jahre halten?“ gab Veranlassung, sich mit den „Skandalen“ um X zu beschäftigen, die seine Ehefrau im Laufe der Zeit ertragen musste. Das legte eine Chronologie seiner Taten und Tätlichkeiten nahe, die in einer Bildzeitschrift natürlich durch Bilder illustriert werden mussten. Es handelt sich um vier verhältnismäßig kleine Fotos, von denen eines auch den Vorfall mit der Kl. zeigt. Diese Veröffentlichung geht nicht über das hinaus, was nach dem Zweck des Artikels („Wie ertrug sie seine Seitensprünge und Sauforgien?“) angemessen war.
Ein weiteres Informationsinteresse der Öffentlichkeit hängt nicht nur mit der Person von X, sondern auch schon mit der Kl. zusammen, die in der Bildunterschrift deshalb auch zulässig als „R-Reporterin“ bezeichnet wurde. Diesen Gesichtspunkt berührt der vorgelegte Beitrag aus der S-Zeitung vom 9. 1. 1996, in dem die Kl. ebenfalls mit Beruf und Namen benannt wird. Dort wird nach einer Schilderung des Vorfalls die Frage gestellt, „ob einer wie X sich eigentlich bei jedem Absturz ins Glas schauen lassen muss. Muss er wohl nicht.“ Damit ist das Verhältnis der Prominenz zur Presse angesprochen, bzw. die in den letzten Jahren viel diskutierte Frage, wie weit die Presse insbesondere bei der Berichterstattung aus dem Privatleben von Prominenten gehen darf (vgl. BVerfG, NJW 2000, 2189, 2190, 2191, 2192, 2193 und 2194). Insoweit besteht jedenfalls auch ein Informationsinteresse daran, dass es nicht eine unbeteiligte Passantin, sondern eine „R-Reporterin“ war, der gegenüber X in dieser Weise „ausrastete“.
Damit ist der wichtigste Gesichtspunkt bei der Entscheidung dieses Falls angesprochen, der insbesondere dazu führt, dass die Kl. kein berechtigtes Interesse an der Nichtveröffentlichung gem. § 23 II KUG in Anspruch nehmen kann. Es geht um die Art und Weise, wie die Kl. in den Vorfall verwickelt wurde. Es ist ja nicht so, dass die Kl. dort arglos und zufällig des Wegs gekommen und von X ohne jeden Anlass geohrfeigt worden wäre. Wenn die Kl. es als abträglich ansieht, als „Sensationsreporterin“ hingestellt zu werden, dann ist zu fragen, wie anders sie denn in diese Situation hineingeraten ist. In dem bereits zitierten Artikel aus der S-Zeitung wird dazu wie folgt gefragt:
„Hatte X seine Sauftour mit genauem Zeitplan (‚7.35 Uhr: Provisorisches Eintrinken‘) an die Presse ausgegeben? Oder war es vielleicht umgekehrt so, dass die R-Crew rund um die Uhr vor seiner Haustür wartete, um im Fall des Falls beim Sich-Entrüsten auch gewiss nicht das Nachsehen zu haben?“
Bezeichnend ist schon, dass man X an seinem Gartentor „abfangen“, also offenbar verhindern wollte, dass er unbemerkt sein Haus betrat. Es ist bekannt, dass Prominente, deren Haus in dieser Weise „belagert“ wird, und denen die Reporter regelrecht „auf den Füßen stehen“, deshalb auch schon in nüchternem Zustand „ausgerastet“ sind. Was von X zu befürchten war, den man erwartungsgemäß in angetrunkenem Zustand antraf, und der in einem solchen Zustand bekanntermaßen auch zu Tätlichkeiten neigte, hätte sich die Kl. als Branchenkundige eigentlich ausrechnen können. Zu dem Alkoholeinfluss sind hier möglicherweise noch der allgemeine Ärger und die Überraschung von X hinzugekommen, als er sich kurz vor seinem Gartentor mit dem Ruf „Was ist los, Herr X“ regelrecht „gestellt“ sah.
Man fragt sich auch, welches „Interview“ mit dem erkennbar und erwartungsgemäß angetrunkenen X eigentlich beabsichtigt war. Jedenfalls hatte die „Ohrfeige“ zumindest den gleichen Nachrichtenwert, denn sie ging ungeachtet der Persönlichkeitsrechte der Kl. umgehend bei ihrem Arbeitgeber über den Sender, wo dann die Filmaufnahmen zum Bedauern der Kl. von jedem aufgezeichnet werden konnten.
Zu Unrecht vergleicht sich die Kl. mit den Opfern von Verbrechen, so dass rechtlich offen bleiben kann, ob bei diesen tatsächlich keine Abbildungsfreiheit nach § 23 KUG besteht (vgl. Möhring/Nicolini/Gass, § 23 KUG Rdnr. 19 einerseits und Schricker/Gerstenberg/Götting, UrheberR, 2. Aufl., § 23 KUG Rdnr. 12a.E. andererseits). Die Kl. ist nicht Opfer eines Verbrechens (§ 12 StGB) geworden, und sie kann nur mit großer Zurückhaltung überhaupt als Opfer bezeichnet werden. Für die Opfer von Straftaten ist bezeichnend, dass sie ohne ihr Zutun und gegen ihren Willen in ein oft schreckliches Geschehen hineingezogen werden. Werden sie dabei in ihrer Menschenwürde verletzt, dann sollte dies grundsätzlich nicht auch noch im Bild gezeigt werden dürfen. Anders liegt es bei der Kl., die sich bewusst vor die laufenden Kameras begab, um medienwirksam in Kontakt mit Herrn X zu treten. Dieser „Kontakt“ wurde dann auch umgehend gesendet, obwohl es sich nach Meinung der Kl. bei der Ohrfeige um einen besonders beleidigenden Sachverhalt handelt. Demgemäß hat die Kl. auch gegen Herrn X rechtlich nichts unternommen, weil er ein „kranker Mann“ sei. Sie ist also selbst von der Tat eines in gewisser Weise Schuldunfähigen ausgegangen, so dass schwer zu erklären ist, weshalb sie durch das Bild des Vorfalls jetzt schwerer betroffen sein will als seinerzeit durch die Tat selbst. Der Artikel bzw. die Bildveröffentlichung der Bekl. wird in keinen anderen Zusammenhang gestellt. Die „Ohrfeige“ wird als einer der „Skandale“ des Herrn X dargestellt, die auf seinen Alkoholismus zurückgehen.
Hierzu gehört auch, dass die Kl. in der Vergangenheit alle von den Bekl. vorgelegten Bildveröffentlichungen widerspruchslos hingenommen hat. Die einzigen vorgelegten Unterlassungserklärungen, nämlich diejenige des Senders S und eines nicht näher gekennzeichneten Unternehmens namens B, das die angegriffene Bildfolge offensichtlich aus einer Sendung von S übernommen hat, lassen sich zwanglos aus der Konkurrenzsituation des Arbeitgebers der Kl. zu dem anderen großen Privatsender erklären. Soweit es der Kl. angeblich unmöglich sein soll, „von allen Berichterstattungen Kenntnis zu erlangen“, dürfte jedenfalls ihr Arbeitgeber R ein waches Auge auf von R oder der Kl. nicht genehmigte „Zweitauswertungen“ haben, zumal dann, wenn R selbst das Filmmaterial auf Betreiben der Kl. seither nicht mehr gesendet hat, wie die Berufungsbegründung versichert.
Im Übrigen ist nichts dafür vorgetragen, weshalb die Leser der B die Ohrfeige eines „kranken Mannes“ als herabsetzend für die Kl. empfinden sollten. Dem Opfer eines unverschuldeten tätlichen Angriffs ist im Allgemeinen eher das Mitgefühl sicher. Soweit die Kl., wie sie befürchtet, als „Sensationsreporterin“ erscheinen könnte, hat sie sich dies selbst zuzuschreiben. Wenn ein Angehöriger der „Sensationspresse“ durch eigenes Zutun selbst zum Objekt oder, wie er meint, zum Opfer dieser Presse wird, fehlt es seinem Protest an der notwendigen inneren Berechtigung (vgl. BGH, NJW 1964, 1471 [1472] - Sittenrichter).
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