"Absturz Concorde": Urheberrecht und Schadensersatz, §§ 50, 51, 97 UrhG
Gericht
LG München I
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
27. 12. 2001
Aktenzeichen
7 O 3469/01
§ 50 des Urhebergesetzes ist eng auszulegen.
Ein Lichtbild ist im Sinne des § 50 UrhG noch nicht "wahrnehmbar", wenn zum Zeitpunkt einer Fernsehausstrahlung die abgebildete Titelseite einer Zeitschrift noch nicht im Einzelhandel erhältlich ist.
Ein Zitatrecht nach § 51 UrhG besteht noch nicht, wenn das fremde Werk noch nicht erschienen ist.
Die Aktivlegitimation für einen Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG muss lückenlos bis zur Urheberschaft nachgewiesen werden.
Die Klägerin ...
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ...
Der zulässigen Klage bleibt der Erfolg versagt: Da die Klägerin für ihre behauptete Rechtsinhaberschaft an dem unter Mitwirkung der Beklagten verbreiteten Lichtbild beweisfällig geblieben ist, konnte die Kammer eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten, wie sie für den begehrten Schadenersatz (§§ 97 Abs. 1 S. 1; 20; 72 UrhG) vorausgesetzt ist, nicht konstatieren. Auch ein Entschädigungsanspruch (§§ 97 Abs. 2; 63 UrhG) steht der Klägerin nicht zu.
I. Wie die Beklagte selbst nicht in Abrede stellt, handelt es sich zwar bei der Wiedergabe des die brennende "Concorde" zeigenden Lichtbilds gemäß Anlage K 2 durch den Fernsehsender "Pro 7" um die Verwertung einer nach § 72 UrhG geschützten Leistung i.S.d. § 97 Abs. 1 S. 1; 20 UrhG, an der die Beklagte in Form der Erstellung des Beitrags für das TV-Magazin "Die Reporter" zum Zwecke der Ausstrahlung adäquat kausal mitgewirkt hat.
II. Diese Nutzung erfolgte auch widerrechtlich. Denn die Voraussetzungen einer gesetzlichen Gestattung nach §§ 50, 51 UrhG - eine Zustimmung des Berechtigten macht die Beklagte ohnehin nicht geltend - liegen nicht vor:
1. Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die die Rechte des Urhebers im Interesse einer sachgerechten Information der Allgemeinheit einschränkende Regelung des § 50 UrhG: Die - als Ausnahmetatbestand eng auszulegende (vgl. Schricker/Vogel, UrhG, 2. Aufl., § 50 Rdnr. 2) - Vorschrift setzt nicht nur die Verwendung eines geschützten Werks (hier: des auf dem "BUNTE"-Titel wiedergegebenen Lichtbilds nach Anlage K 2, das nach § 72 Abs. 1 UrhG Schutz genießt) im Rahmen der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse (hier: den Absturz der brennenden "Concorde") voraus. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass das benutzte Werk im Verlauf der Vorgänge, die Gegenstand der Berichterstattung sind, tatsächlich "wahrnehmbar" wird (vgl. BGHZ 85, 1, 10 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I). Dies ist vorliegend ungeachtet des Umstands, dass die streitgegenständliche Photographie ausweislich Anlage K 3 in der Ausgabe der "Bild"-Zeitung vom 28.07.2000 erschienen ist, nicht der Fall. Denn diese Publikation liegt - entgegen den Ausführungen der Beklagten - zeitlich nach Ausstrahlung der Sendung "Die Reporter" und kann bereits deshalb im Rahmen des § 50 UrhG nicht berücksichtigt werden. Dabei ist unerheblich, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut eine gesetzliche Nutzungsbefugnis nicht (nur) für solche Werke statuiert, die "wahrnehmbar geworden sind", sondern lediglich verlangt, dass die fremde urheberrechtlich schutzfähige Leistung "im Verlauf der Vorgänge, über die berichtet wird, wahrnehmbar wird". Trotz dieser Formulierung verbietet es sich jedoch nach Auffassung der Kammer, hierunter auch Werke zu fassen, die, wenngleich in zeitlichem Konnex mit der angegriffenen Verwertung, erst nach dieser für die Öffentlichkeit sichtbar, d. h. wahrnehmbar geworden sind. Denn nach ihrer ratio legis dient die Ausnahmenorm des § 50 UrhG nicht dazu, die nach § 12 Abs. 1 UrhG allein dem Urheber gebührende Entscheidungsmacht über den Zeitpunkt, zu dem er seine Leistung der Öffentlichkeit zugänglich machen will, einzuschränken. Vielmehr ersetzt die Regelung im Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Unterrichtung über aktuelle Ereignisse lediglich die nach § 15 UrhG erforderliche Zustimmung des Urhebers zur Nutzung seiner (veröffentlichten) Werke durch näher spezifizierte Dritte.
Scheitert demnach eine Rechtfertigung der beanstandeten Verwertung bereits daran, dass das Lichtbild im Zeitpunkt der Fernsehausstrahlung noch nicht "wahrnehmbar" i.S.d. § 50 UrhG war, kann die Frage, inwieweit sich die Nutzung in einem durch den Zweck gebotenen Umfang hielt, als nicht mehr entscheidungserheblich dahinstehen.
2. Aus dem gleichen Grund könnte sich die Beklagte auch nicht auf eine gesetzliche Nutzungsbefugnis nach § 51 UrhG berufen: Denn unabhängig davon, inwieweit die sonstigen Voraussetzungen dieser Vorschrift hier erfüllt wären, setzte die Norm in sämtlichen Varianten voraus, dass das fremde Werk vor der Verwertung in Form eines Zitats bereits erschienen (§ 51 Nr. 1, 3 UrhG) bzw. veröffentlicht (§ 50 Nr. 3 UrhG) war. Da das streitgegenständliche Lichtbild im Inland unstreitig erst am 28.07.2000, mithin nach der angegriffenen Fernsehausstrahlung, in der "Bild"-Zeitung erschienen war, scheidet eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des Zitatrechts, § 51 UrhG, ebenfalls aus.
Bei dieser Sachlage stellt sich die angegriffene Verwertung des Lichtbilds gemäß Anlage K 2 als widerrechtlich dar.
III. Gleichwohl steht der Klägerin infolge der vorsätzlichen, mithin schuldhaften Nutzungshandlung der Beklagten kein Schadenersatzanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG zu. Denn unabhängig von der Frage der Schlüssigkeit ihres (von der Beklagten hinsichtlich jedes einzelnen Übertragungsakts bestrittenen) Vorbringens zum Rechtserwerb wäre sie den Nachweis, durch die angegriffene Verwertung in einem eigenen Recht verletzt worden zu sein, schuldig geblieben:
Wenn die Klägerin zuletzt unter Abänderung ihres anfänglichen Vorbringens ausführt, ein japanischer Tourist namens N. Yabe habe am Flughafen Paris Orly (gemeint wohl "Charles de Gaulle") die streitgegenständliche Photographie gefertigt und über einen Herrn Geoff Crust für die Dauer von fünf Jahren, beginnend mit dem 26.07.2000, die weltweit ausschließlichen Verwertungsrechte daran auf die Londoner Agentur "Buzz Pictures" übertragen, die ihrerseits am 27.07. 2000 der Klägerin das zeitlich bis zum 14.08.2000 befristete exklusive Verwertungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland eingeräumt habe, so steht dies zunächst in (trotz richterlichen Hinweises mit Beschluß vom 27.09.2001, Bl. 49 f. d.A., unaufgeklärt gebliebenem) Widerspruch zu der von der Klägerin selbst vorgelegten Anlage K 2, wonach nicht "Buzz Pictures", sondern "Newsweek" die weltweit exklusiven Magazinrechte an dem Bild erworben habe. Selbst wenn man diese Ungereimtheit unter Schlüssigkeitsgesichtspunkten ebenso als unschädlich ansehen wollte wie den Umstand, dass sie sich zu einer von Yabe abgeleiteten Verfügungsbefugnis des den Vertrag gemäß Anlage K 11 unterzeichnenden Herrn Crust nicht eindeutig erklärt hat, wäre die Klägerin doch beweisfällig geblieben:
Zwar hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 13.12. 2001 für die Lichtbildnereigenschaft Yabes diesen sowie Geoff Crust als Zeugen benannt. Die Beweiserhebung zu dieser Frage war jedoch entbehrlich: Selbst wenn die Zeugen dieses Vorbringen bestätigt hätten, wäre damit ein Nachweis für die Aktivlegitimation der Klägerin nicht geführt: Denn die Beklagte hat nicht nur in Abrede gestellt, dass das streitgegenständliche Photo von Yabe gefertigt wurde und mithin in seiner Person originär Leistungsschutzrechte (§ 72 UrhG) erwachsen sind, sondern des weiteren jeden einzelnen Übertragungsakt des von der Klägerin behaupteten abgeleiteten Rechtserwerbs (in zulässiger Weise, § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen bestritten. Für die behauptete Einräumung exklusiver Nutzungsrechte an dem streitgegenständlichen Bild seitens Crusts an die Agentur "Buzz Pictures" mit Wirkung vom 26.07.2000 hat die Klägerin jedoch ebenso wenig Beweis angetreten wie für die Verfügungsbefugnis des den Vertrag vom 02.08.2000 (Anlage K 11) auf Seiten des Photographen unterzeichnenden Crust. Nachdem sie überdies auf den für die Übertragung eines bis 14.08.2000 befristeten ausschließlichen Verwertungsrechts für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland seitens "Buzz Pictures" auf die Klägerin zunächst benannten Zeugen Steve Lake mit Schriftsatz vom 20.11.2001 (Bl. 55 d. A.) ausdrücklich verzichtet hat, fehlt es auch insoweit an einem Beweisangebot. An der mit Beschluss vom 27.09.2001 unter Ziffer II.1. (Bl. 49 ff. d.A.) zunächst angeordneten Beweiserhebung zu dieser Frage des Rechtsübergangs von der Londoner Agentur auf die Klägerin war die Kammer infolge des Verzichts auf den benannten Zeugen gehindert. Soweit die Klägerin meint, mit den vorgelegten Unterlagen, insbesondere dank Anlagen K 1/8, K 11, sei der Nachweis des Rechtsübergangs hinsichtlich der einzelnen Schritte vollständig geführt, trifft dies bereits deshalb nicht zu, weil in der zwischen Crust und "Buzz Pictures" geschlossenen Vereinbarung (Anlage K 11) Rechte an "photographs ... as published in the Daily Mirror of 27/7/00" betroffen sind, der Vertrag zwischen der Agentur und der Klägerin (Anlage K 1/8) hingegen Aufnahmen betrifft, die in der Zeitung "Daily Mail" vom selben Tag, mithin in ? gerichtsbekannt ? unterschiedlichen Medien publiziert wurden. Selbst wenn man dem Klägervertreter entsprechend seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2001 (die Protokollierung ist versehentlich unterblieben) darin folgen wollte, dass die Vertragsschließenden mit dem Titel "Daily Mirror" (Anlage K 11) die im selben Termin übergebene Zeitung "The Mirror" bezeichnen wollten - eine Annahme, die, insofern gerichtsbekannt beide Blätter auf dem Markt sind, nicht als selbstverständlich erscheint - so kann jedenfalls der Urkunde gemäß Anlage K 1 eine Übertragung von Rechten an eben der in "The Mirror" erschienenen Aufnahme nicht entnommen werden, wenn das Dokument von "pictures as published in today's Daily Mail on page 1" spricht. Trotz entsprechenden Hinweises in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2001 hat es die Klägerin verabsäumt, zu dem behaupteten und durch die vorgelegten Urkunden nicht untermauerten Übergang der Nutzungsrechte betreffend die von der Beklagten verwertete Aufnahme von der "Buzz Pictures" auf sie, die Klägerin, selbst Beweis anzutreten.
Ist diese demnach hinsichtlich ihrer Aktivlegitimation beweisfällig geblieben, war der geltend gemachte Schadenersatzanspruch mangels Verletzung in eigenen Rechten bereits dem Grunde nach abzuweisen, so dass die Frage der Schadenshöhe nicht mehr entscheidungserheblich ist.
IV. Soweit die Klägerin daneben mit Klageantrag zu Ziff. II. des weiteren eine Geldentschädigung nach § 97 Abs. 2 UrhG wegen angeblichen Verstoßes gegen die in § 63 UrhG normierte Pflicht zur Quellenangabe begehrt, steht ihr diese unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu:
1. Es erscheint zunächst zweifelhaft, inwieweit der Beklagten, die im Rahmen des beanstandeten Sendebeitrags unstreitig nicht auf die Klägerin oder die "Bild"-Zeitung als Quelle des Titel-Photos der "BUNTEN" hingewiesen hat, eine Verletzung des in § 63 UrhG näher umschriebenen Gebots zur Last gelegt werden kann: Denn unabhängig davon, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur für jene Fälle eröffnet ist, in denen ein fremdes Werk in dem durch die Vorschriften des sechsten Abschnitts dieses Gesetzes gesteckten Rahmen, mithin auf der Grundlage einer gesetzlichen Befugnis, genutzt wird, dürfte eine (etwaige) entsprechende Verpflichtung der Beklagten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 63 Abs. 1 S. 4 UrhG entfallen sein, insofern das Titelblatt der Bunten vom 03.08.2000 (Anlage K 10) als benutztes Werkstück weder die "Bild"-Zeitung noch die Klägerin als Quelle nennt und im Übrigen auch diese nicht behauptet, der Beklagten sei ihre Rechtsinhaberschaft (die sie selbst im hiesigen Verfahren nicht nachweisen konnte) anderweitig bekannt gewesen.
2. Die Frage eines Verstoßes gegen § 63 UrhG kann jedoch als nicht entscheidungserheblich dahinstehen, insofern der Klägerin selbst bejahendenfalls kein Entschädigungsanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG zusteht: Ungeachtet des Umstands, dass ein danach erforderliches Verschulden der Beklagten bereits insofern als zweifelhaft erschiene, als sie angesichts fehlender Quellenangabe auf dem Titel der Zeitschrift "BUNTE" vor der Veröffentlichung der Aufnahme in "Bild" am 28.07.2001, d.h. am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung "Die Reporter", keine erkennbare Möglichkeit hatte, die Klägerin bzw. "Bild" als Quelle ausfindig zu machen, sieht § 97 Abs. 2 UrhG den Ausgleich immaterieller Schäden wegen Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts, wie ihn die Klägerin begehrt, nur für den dort als anspruchsberechtigt genannten Personenkreis, nämlich für Urheber, Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70 UrhG), Lichtbildner (§ 72 UrhG) und ausübende Künstler (§ 73 UrhG), vor. Hierzu zählt die Klägerin unstreitig nicht mit der Folge, dass ein eigener Entschädigungsanspruch wegen etwaiger Verletzung der Pflicht zur Quellenangabe mangels Aktivlegitimation ausscheidet. Dass Yabe als Berechtigter ihr etwaige Forderungen wegen möglicher Verletzung seines Urheberpersönlichkeitsrechts abgetreten hätte, behauptet die Klägerin selbst nicht. Bei dieser Sachlage war auch der Klageantrag zu Ziff. II. bereits dem Grund nach abzuweisen.
V. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Richter am Landgericht Müller ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung des Endurteils verhindert.
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