Anwendbarkeit des § 49 UrhG auf Zeitschriften

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

21. 03. 2002


Aktenzeichen

6 U 3820/01


Leitsatz des Gerichts

  1. "DM" und "Wirtschaftswoche" sind "andere lediglich Tagesinteressen dienende Informationsblätter" im Sinne des § 49 Abs. 1 Satz 1 UrhG.

  2. Die für § 49 UrhG massgebliche schnelle Unterrichtung erfolgt nicht nur durch Tageszeitungen, sondern auch durch in längeren Abständen erschienene Publikationen.

  3. Einzelne Beiträge mit längerlebigem Charakter schaden nicht.

  4. Die "DM" eignet sich nicht zum Aufbewahren im Bücherschrank wie ein Werk der Literatur oder zum Nachschlagen wie in einer Fachzeitschrift bzw. zur Unterhaltung wie eine Illustrierte.

  5. Nach der amtlichen Begründung zu § 49 UrhG genügt es, dass ein Informationsblatt "im Wesentlichen" den Tagesinteressen dient.

  6. "Lediglich" bedeutet nicht "ausschliesslich".

  7. Die vom 29. Zivilsenat des OLG MÜnchen vertretene Gleichstellung von Wochen- und Monatsschriften mit wissenschaftlichen Arbeiten und Fachzeitschriften ist nicht veranlasst.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Auskunft über die Wahrnehmung von Vergütungsansprüchen durch die Beklagte für Urheber, deren Artikel in Pressespiegeln verbreitet wurden.

Im Verlag der Klägerin erscheinen das wöchentliche Nachrichtenmagazin »WirtschaftsWoche« sowie der Monatstitel »DM«.

Gemäß § 12 Ziffer 1 des Manteltarifvertrags für Redakteurinnen/Redakteure an Zeitschriften räumt die Redakteurin/der Redakteur dem klagenden Verlag das ausschließliche, zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte Recht ein, Urheberrechte unter anderem an im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Klägerin erstellten Artikeln zu nutzen.

§ 12 enthält ferner folgende Regelung:

»... Der/Dem Redakteurin/Redakteur bleiben ihre/seine von urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften wahrgenommenen Zweitverwertungsrechte und Vergütungsansprüche nach § 49 ... UrhG vorbehalten ... «.

Die Beklagte (VG Wort) nimmt u. a. seit vielen Jahren auf der Grundlage von § 49 UrhG die Einziehung von Vergütungen für die Vervielfältigung und Verbreitung von Artikeln aus den vorgenannten Zeitschriften in Pressespiegeln wahr.

Diese Vorgehensweise hält die Klägerin für rechtswidrig, da dies dem ihr eingeräumten ausschließlichen Nutzungsrecht zuwiderlaufe und gegen das Urheberrechtsgesetz verstoße. Deshalb macht sie die streitgegenständlichen Auskunftsansprüche bezüglich von der Beklagten wahrgenommener Vergütungsansprüche der Redakteure geltend.

Zur Begründung führt die Klägerin aus, Artikel aus den hier maßgeblichen Zeitschriften fielen nicht unter die Regelung des § 49 UrhG. Eine Zeitung oder ein anderes lediglich Tagesinteressen dienendes Informationsblatt im Sinne von § 49 UrhG stellten die Titel »WirtschaftsWoche« und »DM« nicht dar. Typisch für Publikationen, die unter § 49 UrhG fallen, sei, dass sie mindestens zweimal wöchentlich erschienen und über einen weiten Themenkreis berichteten. Ihre Presseerzeugnisse dienten dagegen nicht lediglich dem Tagesinteresse. Für eine Ausweitung des bewusst eng gefassten Gesetzeswortlautes bestehe kein Anlass. Eine solche würde eine unzulässige Einschränkung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG darstellen und eine gesetzlich nicht vorgesehene Schranke des Urheberrechts begründen.

Ihre Aktivlegitimation folge aus der Einräumung ausschließlicher Nutzungsrechte gemäß § 12 Ziffer 1 des Manteltarifvertrages. Nachdem der Anwendungsbereich des § 49 UrhG nicht eröffnet sei, könne die Beklagte sich nicht auf die in § 12 des Manteltarifvertrages vorgesehene Ausnahmeregelung, wonach entsprechende Zweitverwertungsrechte (z. B. in Pressespiegeln) bei den Redakteuren verblieben, berufen.

Die Beklagte sei passivlegitimiert, weil sie zumindest eine Teilnahmehandlung an Urheberrechtsverletzungen begehe. Dies folge schon aus dem Umstand, dass sie nicht lediglich die Vergütungsansprüche für die Redakteure wahrnehme, sondern sich darüber hinaus, wie sich aus Vereinbarungen in Rahmenverträgen ergebe, selbst der Inhaberschaft von Nutzungsrechten berühme und über diese verfüge.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen

- in welchem Jahr bis zum Datum der Klageerhebung
- an welche natürliche, juristische Personen oder Gesellschaften (Name/Firma und Adresse)
- zu welchen in Rechnung gestellten Vergütungen und
- für welche Inhalte (entsprechend der Reichweite der Wahrnehmung: Bezeichnung der Zeitschrift, des Jahrgangs, der Ausgabe und des Artikels)

sie Vergütungsansprüche für die Vervielfältigung von Inhalten aus der Zeitschrift »WirtschaftsWoche« und dem Monatstitel »DM« in Pressespiegeln wahrgenommen hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, es fehle hinsichtlich des geltend gemachten Auskunftsanspruchs schon an der erforderlichen Akzessorietät, nachdem ein weitergehender Anspruch, dessen Verfolgung die Auskunft diene, nicht geltend gemacht werde.

Die Klägerin sei zudem nicht aktivlegitimiert, denn die hier streitgegenständlichen Nutzungsrechte unterfielen § 49 UrhG und seien nicht auf die Klägerin übertragen worden; dies stelle § 12 des Manteltarifvertrags für Redakteure ausdrücklich klar. Die hier maßgeblichen Presseerzeugnisse fielen unter die Regelung des § 49 UrhG; auch wöchentliche oder monatliche Informationsblätter seien unter den Zeitungsbegriff zu subsumieren. Wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 49 UrhG ergebe, unterfielen auch solche Blätter der gesetzlichen Regelung, welche lediglich im Wesentlichen den Tagesinteressen Rechnung tragen.

Die Beklagte sei ferner nicht passivlegitimiert. Sie selbst begehe keine Urheberrechtsverletzung. Sie nehme lediglich die Vergütungsansprüche für die Urheber der in den Pressespiegeln veröffentlichten Artikel aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 49 UrhG wahr. Sollte darin eine Verfügung durch Nichtberechtigte zu sehen sein, begründe dies keine Verletzung von Urheberrechten.

Die geltend gemachten Ansprüche seien schließlich verwirkt: Die Klägerin habe seit langem gewusst, dass und auf welche Weise die Beklagte Vergütungsansprüche für die Nutzung von Pressespiegeln wahrnehme, gleichwohl habe sie jedoch hiergegen nichts unternommen. Vorsorglich werde auch die Verjährungseinrede erhoben.

...

Entscheidungsgründe

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

...

I.

...

2. »DM« und »Wirtschaftswoche« sind »andere lediglich Tagesinteressen dienende Informationsblätter« im Sinne von § 49 Abs. 1 Satz 1 UrhG.

a) Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, was hierunter zu subsumieren ist, ist nicht bekannt. Ansonsten gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen. Der Senat lässt sich hier von folgenden Überlegungen leiten:

b) Im Interesse der Informationsfreiheit wird das ausschließliche Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht durch eine gesetzliche Lizenz ersetzt, soweit es um die schnelle Unterrichtung der Öffentlichkeit geht (vgl. Schricker/Melichar, Urheberrecht, 1987, § 49 Rn. 1 und 6). Diese schnelle Unterrichtung erfolgt jedoch nicht nur durch Tageszeitungen, sondern auch durch in längeren Abständen erscheinende Publikationen.

c) Bei der »WirtschaftsWoche« erfolgt die Veröffentlichung wöchentlich. Gemäß dem Impressum (Seite 250) ist sie das »Pflichtblatt der Wertpapierbörse in Frankfurt und Düsseldorf«. Sie enthält, wie das vorgelegte Heft zeigt, aktuelle Meldungen und Beiträge, zu Politik, Unternehmen, Geldanlagen und ähnlichem.

d) Da Zeitungen in der Regel auch Kommentare oder Berichte zu Themen aus der Wirtschaft, Politik und Kultur enthalten, die keine reinen Tagesinteressen betreffen, und die »anderen Informationsblätter« den Zeitungen in § 49 UrhG gleich gestellt werden, schaden einzelne Beiträge mit längerlebigem Charakter bei »anderen Informationsblättern« nicht.

e) Der Gesamtcharakter von »DM« dient ebenfalls der aktuellen Information wie bei einer Tageszeitung. Zum Autbewahren im Bücherschrank wie ein Werk der Literatur oder zum Nachschlagen wie in einer Fachzeitschrift bzw.zur Unterhaltung wie eine Illustrierte eignet sich diese Publikation nicht.

Das lediglich monatliche Erscheinen von »DM« steht dem nicht entgegen. Auch diese Zeitschrift befasst sich mit Geld-, Wirtschafts- und anderen Fragen, die aktuelle Tagesinteressen betreffen: So werden z. B. schon auf der Titelseite des exemplarisch vorgelegten Heftes »DM-Fonds-Awards, die besten Geldvermehrer in Hausse und Baisse« oder »Anleihen: Starker Euro + solide Zinsen = Top Rendite« beworben. Das Inhaltsverzeichnis weist Überschriften aus wie »New Economy«, »Magazin« (mit Beiträgen wie einem Interview über die Qualtitäten der Daimler Chrysler-Aktien oder der Konkurrenz von 200 Bürgermeistern um eine neue BMW-Autofabrik), »Money«, »Business«, »Hightech«, »Events« und »Rubriken« (dort z. B. mit Beiträgen »Ihr Geld im März«, »Telefontarife«) u. ä. Das sind aktuelle Beiträge und keine Aufsätze zum Sammeln und späterem Nachschlagen.

f) Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass auch ihre Presseorgane auf Aktualität bedacht sind.

g) Wochenzeitschriften wie der Spiegel, Focus und andere lediglich wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazine besitzen für den am Wochenende stattfindenden Druck eine dauerhafte Sondergenehmigung, die vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit befreit. Dies wäre nicht erforderlich, wenn Ereignisse nicht in der aktuellen, sondern in der folgenden Wochenausgabe abgedruckt werden könnten und unterstreicht die Zuordnung solcher Erzeugnisse zu den »anderen Informationsblättern« in § 49 UrhG.

h) Der Senat bezieht sich insoweit auch auf die überzeugenden Ausführungen von Tonia Rogge in deren Dissertation Elektronische Pressespiegel in urheber- und wettbewerbsrechtlicher Beurteilung S. 182 bis 190, insbesondere S. 185 186). Solange die Magazine also nicht vorwiegend Hintergrundberichterstattungen oder Analysen beinhalten, sind sie vom Anwendungsbereich des § 49 UrhG erfasst. »DM« und »WirtschaftsWoche« werden nicht primär veröffentlicht, um über den Veröffentlichungszeitpunkt hinaus infolge einer Archivierung als Nachschlagewerk zur Verfügung zu stehen (so z. B. Rogge, aaO., S. 187 zur Einordnung von Presseorganen unter § 49 UrhG). Sie dienen vielmehr der aktuellen Unterrichtung ihrer Leser über wirtschaftliche Vorgänge, u. a. als Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen.

i) Nach der amtlichen Begründung zu § 49 UrhG genügt es, dass ein Informationsblatt »im Wesentlichen« den Tagesinteressen dient. Dies deckt sich mit der Gleichstellung von Informationsblatt und Zeitung in § 49 UrhG (vgl. dazu vorstehend Abschnitt d)). Der Gesetzestext spricht zwar von »lediglich« Tagesinteressen dienenden Blättern, jedoch bedeutet dies nicht »ausschließlich«; auch insoweit darf auf die Gleichstellung mit Tageszeitungen verwiesen werden, die unstreitig unter § 49 Abs. 1 Satz 1 UrhG fallen.

k) Soweit der 29. Zivilsenat des OLG München in seiner Entscheidung 29 U 4142/99 (ZUM 2000, 234 f.) einen anderen Standpunkt vertreten hat, ist anzumerken, dass die vorliegend zentral streitige Rechtsfrage dort nicht weiter thematisiert wurde. Zutreffend werden aber auch dort wissenschaftliche Arbeiten und Fachzeitschriften von § 49 Abs. 1 Satz 1 UrhG ausgenommen. Eine Gleichstellung von Wochen- und Monatszeitschriften mit solchen Publikationen ist jedoch nicht veranlasst. Wie die amtl. Begr. zum Regierungsentwurf mit der Ablehnung des Referentenentwurfs ergibt (zitiert in AfP, aaO., S. 193), sollten Zeitschriften nur deshalb nicht in die Ausnahmebestimmung einbezogen werden, »weil Zeitschriften auch zu politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Tagesfragen oft Artikel enthalten, die bleibende Bedeutung haben und deshalb unabhängig von einem Vorbehalt gegen Nachdruck geschützt werden sollten«. Diese gesetzgeberische Intention wird anspruchsvolleren Tageszeitungen nicht gerecht. Ferner ist sie, wie dargelegt, durch die Gleichstellung im Gesetzestext mit »anderen ... Informationsblättern« letztlich nicht umgesetzt.

l) Wenn schließlich auf die Verwertungsmöglichkeit von Beiträgen in Bezug auf aktuelle Ereignisse mit einer Vergütung für den Urheber einerseits und auf die Publikation von Beiträgen mit »bleibender Bedeutung« und einer Vergütung hierfür für den Verleger andererseits abgestellt wird, um das auf jeden Fall geschuldete Entgelt für die Zweitverwertung sachgerecht einem möglichen Berechtigten zuzuwenden, sind die »WirtschaftsWoche« und die »DM« eher in den Bereich der aktuellen, vergänglichen Publikationen ohne bleibenden Wert einzuordnen.

m) Ergänzend verweist der Senat noch auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts München I vom 21.11.2001 Az.: 21 O 18289/00 vgl. ZUM 2002, 488 in einem Parallelverfahren, wonach das Landgericht dem dort klagenden Verlag im Hinblick auf § 12 des auch hier maßgebenden Manteltarifvertrages die Aktivlegitimation schon deshalb abgesprochen hat, weil trotz der den Parteien des am 1.5.1998 abgeschlossenen Tarifvertrages bekannten langjährigen Praxis der Beklagten im Tarifvertrag nicht auf »wahmehmungspflichtige« Zweitverwertungsrechte abgestellt worden ist, sondem mit der Formulierung »Von Verwertungsgesellschaft wahrgenommenen Zweitverwertungsrechten« auf die tatsächlich geübte Praxis der Beklagten.

...


II.

...

Rechtsgebiete

Urheberrecht