Ordentliche Kündigung wegen Funktionen in SED und Tätigkeiten für Stasi
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
08. 07. 1997
Aktenzeichen
1 BvR 2111/94
Es war mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG) der aus dem öffentlichen Dienst der DDR übernommenen Arbeitnehmer grundsätzlich vereinbar, daß die Arbeitgeber von ihnen vor der Entscheidung über eine Kündigung nach den Vorschriften des Einigungsvertrags verlangten, Fragen über frühere Parteifunktionen in der SED und Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit zu beantworten.
Fragen nach Vorgängen, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen waren, verletzen jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten. Wurden sie unzutreffend beantwortet, dürfen daraus keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen gezogen werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die ordentliche Kündigung von Arbeitnehmern, die Fragen ihres Arbeitgebers nach Funktionen in politischen Parteien und Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR unzutreffend oder ungenau beantwortet haben. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (EinigungsV), dem Bundestag und Bundesrat durch Gesetz vom 23. 9. 1990 zugestimmt haben (BGBl II, 885), regelt unter anderem die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes mit Beitrittsgebiet. Nach Art. 20 I i.V. mit Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV (künftig: Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV) ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Eine fristlose Kündigung ist nach Nr. 2 des folgenden Absatzes (künftig: Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV) zulässig, wenn der Arbeitnehmer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
Die Bf. zu 1 war Lehrerin in der DDR, zuletzt an einer Förderschule für Lernbehinderte. Von 1985 bis 1989 war sie ehrenamtliche Parteisekretärin an ihrer Schule. Auf die ihr nach dem Beitritt in einem Fragebogen gestellte Frage nach ihren Mandaten oder Funktionen in politischen Parteien antwortete sie, sie sei von 1985 bis 1989 "Parteileitungsmitglied" der SED gewesen. Dazu befragt, erklärte sie bei ihrer Anhörung, sie habe das Amt des Parteisekretärs nicht angegeben, weil dies zu ihren Ungunsten hätte ausgelegt werden können. Der Freistaat Sachsen kündigte daraufhin ihr Arbeitsverhältnis nach Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV. Sie sei wegen ihrer Tätigkeit als Parteisekretärin und ihrer unvollständigen Antwort im Fragebogen persönlich für eine Tätigkeit als Lehrerin nicht geeignet. Ihre Kündigungsschutzklage war in erster Instanz erfolgreich. Das LAG hob das Urteil des ArbG auf und wies die Klage ab. Es ließ offen, ob die Bf. bereits aufgrund ihrer Tätigkeit als Parteisekretärin ungeeignet für den Beruf der Lehrerin sei. Ein Eignungsmangel liege jedenfalls darin, daß sie diese Tätigkeit wahrheitswidrig verschwiegen habe. Die Frage sei zulässig gewesen. Der bekl. Freistaat sei schon aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips zur Anhörung seiner Beschäftigten verpflichtet gewesen. Auch wenn mit dem Fragerecht nicht ohne weiteres eine Beantwortungspflicht korrespondiere, müßten die Angaben der Wahrheit entsprechen. Die Bf. habe mit ihrer unvollständigen Angabe einen unzutreffenden Eindruck erweckt. Die vollständige und wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage sei für den Bekl. von großer Bedeutung gewesen. Das hätte die Bf. unschwer erkennen können.
Der Bf. zu 2 war seit 1973 bei den (Ost-)Berliner Verkehrsbetrieben (BVB) beschäftigt, zuletzt als Leiter des Büros des Kombinatsdirektors. Nach dem Beitritt wurde er als Hauptsachbearbeiter (Projektassistent) in der Hauptabteilung Verkehrsverwaltung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beschäftigt. Die Frage nach einer Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit beantwortete er im Fragebogen mit "nein". Allerdings sei er von Mitarbeitern des Ministeriums zu Fragen der Planerfüllung und Verkehrsplanung angesprochen worden. Dies bekräftigte er bei einer nachträglichen Anhörung. In einem Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wird u.a. mitgeteilt, der Bf. sei vom 19. 5. bis zum 12. 7. 1965 inoffizieller Mitarbeiter gewesen. Ziel der Anwerbung sei die Absicherung der aus der DDR stammenden Teilnehmer an Festspielen in Algerien gewesen (Aktion "Orient"). Das Land Berlin kündigte dem Bf. unter Berufung auf Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV fristlos, hilfsweise ordentlich. Das ArbG gab der Kündigungsschutzklage statt. Das LAG sah die ordentliche Kündigung als wirksam an, weil der Bf. die Frage nach seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit unzutreffend beantwortet habe.
Der Bf. zu 3 war bei der Nationalen Volksarmee der DDR als Lagerabschnittsleiter beschäftigt. Nach seiner Übernahme durch die Bundesrepublik Deutschland arbeitete er zuletzt als Küchenhilfskraft in einem Bundeswehrkrankenhaus. Im März 1965 hatte er sich als Wehrdienstleistender zur Zusammenarbeit mit den Staatssicherheitsbehörden unter dem Decknamen "Alfred" verpflichtet. In den Unterlagen des Bundesbeauftragten werden fünf Treffberichte erwähnt, zu einer zielgerichteten Arbeit kam es aber nicht. Die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit wurde im Mai 1966 wegen der Entlassung des Bf. aus der Nationalen Volksarmee beendet. Der Bf. beantwortete die Fragen, ob er Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen oder sonstwie für die Staatssicherheitsbehörden tätig geworden sei, mit "nein". Die bekl. Bundesrepublik kündigte sein Arbeitsverhältnis außerordentlich gem. Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV, hilfsweise ordentlich gem. Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV. Das ArbG gab der Kündigungsschutzklage statt, soweit sie sich gegen die außerordentliche Kündigung richtete. Im übrigen wies es die Klage ab. Die Berufung des Bf. wies das LAG zurück. Der Bf. sei persönlich ungeeignet für eine Verwendung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, weil er vorwerfbar unzutreffende Angaben im Personalfragebogen gemacht habe. Auch wenn der Vorfall schon 30 Jahre zurückliege und der Bf. keine ergiebige Informationsquelle gewesen sei, müsse der Bundesrepublik das Recht zugestanden werden, die Verstrickungen ihrer Beschäftigten in die Tätigkeit der Staatssicherheitsbehörden zu klären. Es sei ihr nicht zuzumuten, den Bf., der sie mit bewußt falschen Angaben bei Abschluß des Arbeitsvertrags getäuscht habe, auf einem relativ sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst weiterzubeschäftigen.
Die Verfassungsbeschwerden hatten im wesentlichen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
C. Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie zulässig sind, auch begründet. Durch die jeweils angegriffenen Entscheidungen werden die Bf. zu 1 in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 I i.V. mit Art. 33 II GG), die Bf. zu 2 und 3 außerdem in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG) verletzt.
I. 1. a) Art. 12 I GG schützt unter anderem die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese umfaßt neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des einzelnen, den Arbeitsplatz beizubehalten. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 84, 133 (146); BVerfGE 92, 140 (150)).
b) Soweit es um Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes geht, trifft Art. 33 II GG eine ergänzende Regelung. Er knüpft die Einstellung von Bewerbern um ein öffentliches Amt an besondere Anforderungen (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) und verlangt deren gleichmäßige Handhabung. Geeignet i.S. von Art. 33 II GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören darüber hinaus die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (vgl. BVerfGE 92, 140(151)).
c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG) gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen, die sich durch die anderen Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen (vgl. BVerfGE 54, 148 (153)). Es verleiht jedem unter anderem die Befugnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Sachverhalte offenbaren will (vgl. BVerfGE 65, 1 (41f.) - informationelle Selbstbestimmung, m.w. Nachw.; BVerfGE 85, 219 (224)). In besonderer Weise schützt das Grundrecht vor dem Verlangen, Informationen preiszugeben, die den Betr. selbst belasten. Auskunftspflichten, die darauf gerichtet sind, berühren daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 56, 37 (41ff.)).
2. Die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen greifen, soweit sie die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse bestätigen, in diese Rechte der Bf. ein.
II. 1. Der Eingriff hat eine ausreichende gesetzliche Grundlage.
a) Die Arbeitsplatzwahl kann ebenso wie die anderen Gewährleistungen des Art. 12 I GG durch Gesetz beschränkt werden. Die Anforderungen hierfür sind höher als bei Regelungen der Berufsausübung. Gerechtfertigt ist eine Einschränkung jedenfalls dann, wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls sie erfordern (vgl. BVerfGE 92, 140 (151f.)) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet worden ist. Zu den Gemeinwohlgründen gehören insbesondere die Belange, denen Art. 33 II GG mit den Anforderungen an den Zugang zum öffentlichen Dienst Rechnung trägt. Diese gelten auch dann, wenn - wie hier - auf der Grundlage des Einigungsvertrags die Prüfung der Zugangsvoraussetzungen im Rahmen der Entscheidung über die Aufrechterhaltung eines Arbeitsverhältnisses nachgeholt wird.
Zur Eignung von Lehrerinnen und Lehrern an staatlichen Schulen gehört, daß sie den Schülerinnen und Schülern die Grundlagen eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates nahebringen können. Dies umfaßt nicht nur die Vermittlung bürgerkundlicher Kenntnisse. Vielmehr sollen die Jugendlichen auch auf eine Rolle als Bürger des Gemeinwesens mit den dazugehörenden Rechten und Verantwortlichkeiten vorbereitet werden. Um eine solche Haltung erzieherisch herauszubilden, muß der Lehrer sie selbst glaubwürdig vertreten. Innere Vorbehalte dagegen schwächen seine Überzeugungskraft als Vorbild. Sie treten - sei es bewußt, sei es unbewußt - im Schulalltag auch dann zutage, wenn er sie nicht ausdrücklich bekennt. Insofern hängt die Eignung für eine Tätigkeit im staatlichen Bildungswesen in besonderer Weise von der inneren Einstellung des Erziehers ab.
b) Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG) ist nicht uneingeschränkt gewährleistet. Es kann durch Gesetz unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden. Einschränkungen sind zulässig, wenn sie zum Schutz eines gewichtigen Gemeinschaftsgutes geeignet und erforderlich sind und wenn der Schutzzweck so schwer wiegt, daß er sie in ihrem Ausmaß rechtfertigt (vgl. BVerfGE 90, 263 (271) = NJW 1994, 2575 m.w. Nachw.).
c) Der in Art. 20 I i.V. mit Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV (künftig: Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV) enthaltene Sonderkündigungstatbestand, auf den die angegriffenen Entscheidungen gestützt sind, genügt den Anforderungen, die sich aus Art. 12 I und Art. 33 II GG ergeben. Das hat das BVerfG schon früher festgestellt (vgl. BVerfGE 92, 140 (151f.)). Dasselbe gilt für die Nummer 2 des folgenden Absatzes (künftig: Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV), auf den die mit den Verfassungsbeschwerden zu 2 und 3 angegriffenen Entscheidungen Bezug nehmen. Dazu wird auf das gleichzeitig mit dieser Entscheidung verkündete Urteil in der Verfassungsbeschwerdesache 1 BvR 1934/93 (NZA 1997, 935) verwiesen.
d) Angesichts der knappen Zeitspanne, die der Einigungsvertrag zur Ausübung des Kündigungsrechts und damit zur Nachholung der Eignungsprüfungen einräumt, kann der Kündigungsregelung zugleich entnommen werden, daß die beschäftigten Arbeitnehmer an der Feststellung der erforderlichen Tatsachen mitzuwirken haben. Dementsprechend erlauben sie dem Arbeitgeber, die Tatsachen zu erfragen, deren Kenntnis zur Ausübung des Kündigungsrechts notwendig ist.
2. Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelung halten jedoch einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht durchweg stand.
a) Bei der Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze haben die Gerichte der wertsetzenden Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts Rechnung zu tragen. Geht es um die Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungsvorschriften im öffentlichen Dienst, so müssen sie den Schutz beachten, den Art. 12 I GG insofern gewährt. Steht zugleich die Eignung für den öffentlichen Dienst in Rede, tritt Art. 33 II GG ergänzend hinzu. Diese Rechte sind verletzt, wenn ihre Bedeutung und Tragweite bei der Auslegung und Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich verkannt werden. Dagegen ist es nicht Sache des BVerfG zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (vgl. BVerfGE 92, 140 (152f.)).
Im Lichte der genannten Verfassungsnormen darf bei der Auslegung von Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV die erkennbare Absicht des Einigungsvertrags nicht außer acht gelassen werden, die Mitarbeiter nicht abgewickelter Einrichtungen des öffentlichen Dienstes der DDR weitgehend in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland einzugliedern und ihre Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten, soweit nicht im Einzelfall Eignungsmängel i.S. von Art. 33 II GG festgestellt werden.
Wie die Berufsfreiheit strahlt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften aus. Der Richter hat daher von Verfassungs wegen zu prüfen, ob von ihrer Anwendung im Einzelfall dieses Grundrecht berührt wird. Trifft das zu, dann hat er diese Vorschriften im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 84, 192 (194f.)).
b) aa) Die Bf. zu 1 wird durch das angegriffene Urteil nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Mit diesem Grundrecht ist die Auffassung des LAG vereinbar, der öffentliche Arbeitgeber sei grundsätzlich berechtigt, die aus dem öffentlichen Dienst der DDR übernommenen Arbeitnehmer nach ihren früheren Parteifunktionen zu fragen. Zwar zielen diese Fragen auf persönliche Lebensumstände der Bf., deren Offenlegung für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden sein konnte. Sie werden aber durch überwiegende Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. Diese Belange haben in Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden und sind durch Art. 33 II GG verfassungsrechtlich legitimiert. Vor dem Hintergrund der mit dem Einigungsvertrag getroffenen Entscheidung, zunächst alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der DDR zu übernehmen, sollten die Sonderkündigungstatbestände die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß den Eignungskriterien des Art. 33 II GG Rechnung getragen werden konnte. Die persönliche Eignung der übernommenen Arbeitnehmer sollten auch unter Berücksichtigung ihrer früheren Positionen und Tätigkeiten mit dem Ziel überprüft werden, bei mangelnder Eignung die Arbeitsverhältnisse zu beenden (vgl. BVerfGE 92, 140 (142, 151f.)). Dieses Ziel rechtfertigt es grundsätzlich, die Arbeitnehmer selbst zur Offenlegung früherer Tätigkeiten zu veranlassen.
Der Fragenkatalog war geeignet und erforderlich, seinen Zweck zu erfüllen. Zwar konnte sich der Arbeitgeber verhältnismäßig leicht selbst Kenntnis von Parteifunktionen verschaffen, die ein Lehrer früher an der Schule innegehabt hatte. Angesichts der großen Zahl der Überprüfungen und des begrenzten Zeitraums, der wegen der Befristung der Sonderkündigungstatbestände dafür zur Verfügung stand, war aber der Arbeitgeber auf eine Mitwirkung der Betroffenen angewiesen. Die Frage nach Parteifunktionen war auch sachgerecht, weil die Wahrnehmung dieser Funktionen Zweifel an der Eignung begründen und jedenfalls zu näherer Prüfung Anlaß geben konnte (vgl. BVerfGE 92, 140 (155f.)).
Die Bf. ist durch die Frage nach ihren Parteifunktionen nicht in unzumutbarer Weise belastet worden. Soweit sie betroffen war, ging es um Vorgänge, die nur wenige Jahre zurücklagen und deren Relevanz für den Arbeitgeber angesichts der Kündigungsregelung des Einigungsvertrags offenkundig war. Die öffentlichen Belange, denen die Fragebogenaktion diente, waren somit in hohem Maße berührt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bf. mußte dahinter zurückstehen.
bb) Die Bf. wird aber durch das angegriffene Urteil in ihrem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 I GG) verletzt. Das LAG stützt seine Entscheidung allein auf den Umstand, daß die Bf. auf die Frage nach ihren Parteifunktionen wahrheitswidrig ihre Tätigkeit als Parteisekretärin verschwiegen habe. Der Frage, ob dieser Umstand hier für sich genommen bereits den Schluß auf einen so tiefgreifenden Persönlichkeitsmangel zuläßt, daß darauf eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung gestützt werden kann, geht es jedoch nicht weiter nach. Dazu hätte aber in Anbetracht des grundrechtlichen Schutzes des Arbeitsplatzes Anlaß bestanden.
Die Bf hat zwar ungenau geantwortet, als sie sich in beschönigender Absicht als "Mitglied der Parteileitung" bezeichnete. Im strengeren Sinne unwahr war ihre Angabe jedoch nicht, da auch der Parteisekretär der dreiköpfigen Parteileitung angehörte. Bei der hier maßgeblichen Einschätzung, ob die Bf. generell nicht vertrauenswürdig ist, darf aber der Unterschied zwischen einer unwahren und einer ungenauen Antwort nicht außer Betracht bleiben. Das gilt um so mehr, als sie dem Arbeitgeber mit ihrer Antwort einen Hinweis auf ihre Parteifunktion gegeben hat, dem dieser durch weitere Nachfrage ohne wesentlichen Aufwand nachgehen konnte. Insofern spricht viel dafür, daß sie ihre Tätigkeit als Parteisekretärin nicht einmal ernstlich verschweigen wollte. Tatsächlich hat der Arbeitgeber den Umfang ihrer früheren Parteiarbeit sogleich erkannt. Insofern ist ihm durch die ausweichende Antwort der Bf. auch kein Nachteil erwachsen.
Durch seine verengte Sichtweise hat sich das LAG den Weg zu einer grundrechtskonformen Beurteilung der Eignung der Bf. versperrt. Es hat Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes verkannt, indem es die Frage, ob die Antwort der Bf. tatsächlich geeignet war, das Vertrauen des Arbeitgebers in ihre charakterliche Integrität zu zerstören, ohne eine abschließende Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden hat. Das angegriffene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das LAG zurückzuverweisen. Ob die Bf. in Anbetracht der sie entlastenden Umstände als Lehrerin ungeeignet ist, muß der erneuten Entscheidung durch das LAG vorbehalten bleiben.
c) aa) Die Bf. zu 2 und 3 werden durch die von ihnen angegriffenen Entscheidungen in ihrer Berufsfreiheit und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Gerichte haben Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts bei der Beurteilung der Zulässigkeit der von den Bf. unzutreffend beantworteten Fragen verkannt.
Die Fragen nach einer früheren Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit sind ebenso grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich wie die nach Parteifunktionen. Auch mit ihnen wird der legitime Zweck einer Eignungsüberprüfung der aus dem öffentlichen Dienst der DDR übernommenen Arbeitnehmer verfolgt, und auch sie sind zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Insoweit kann auf die entsprechenden Ausführungen im Zusammenhang mit der Bf. zu 1 verwiesen werden.
Grundsätzlich ist den Betroffenen auch die Beantwortung dieser Fragen zuzumuten. Sie betreffen zwar einerseits Vorgänge, die für sie noch belastender sind als Tätigkeiten in herausgehobenen Funktionen der SED. Während die Wahrnehmung solcher Parteifunktionen nur ein Anknüpfungspunkt für eine umfassende und einzelfallbezogene Eignungsüberprüfung des Betroffenen sein und damit möglicherweise zu einer ordentlichen Kündigung nach Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV führen kann, begründet eine Betätigung für das Ministerium für Staatssicherheit - unter den weiteren Voraussetzungen des Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV - ein Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung. Andererseits war es für den Arbeitgeber aber weitaus schwieriger, sich über Verstrickungen eines Mitarbeiters in die konspirative Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit Gewißheit zu verschaffen, so daß er in stärkerem Umfang auf die Mitwirkung des Arbeitnehmers angewiesen war. Vor allem ist eine solche Betätigung für die Tragbarkeit eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst von größerer Bedeutung als eine frühere Funktionärstätigkeit in der SED.
bb) Der Umfang, in dem das Fragerecht gegenüber den Bf. zu 2 und 3 ausgeübt wurde, überschreitet allerdings das Maß des Zumutbaren. Er ist durch das an sich legitime Ziel einer nachträglichen Eignungsüberprüfung nicht mehr in einer Weise gedeckt, die ein Zurücktreten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtfertigt.
Die Relevanz von Fragen nach früheren Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit wird durch den Einigungsvertrag begrenzt, denn nach Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV kommt eine fristlose Kündigung auch bei solchen Tätigkeiten nur in Betracht, wenn deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für den Arbeitgeber unzumutbar erscheint. Die ordentliche Kündigung nach Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV setzt eine umfassende Eignungsprüfung am Maßstab des Art. 33 II GG im Zeitpunkt der Kündigung voraus. Beide Kündigungstatbestände schließen somit eine einzelfallbezogene Würdigung auch der Belastung des Arbeitnehmers ein.
Dazu gehört eine Berücksichtigung des Zeitfaktors. Persönliche Haltungen können sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Lauf der Zeit ändern. Längere beanstandungsfreie Zeiträume können auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen. Auch die gesellschaftliche Ächtung von Fehlverhalten verliert sich mit der Zeit. Die Rechtsordnung trägt dieser Erkenntnis in vielfältiger Weise Rechnung. Strafrechtliche Verjährungsfristen und die Tilgungsvorschriften der Strafregisterbestimmungen sind Beispiele dafür. Nach § 19 I 2 Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) i.d.F. des Dritten Änderungsgesetzes vom 20. 12. 1996 (BGBl I, 2026) unterbleiben nunmehr Mitteilungen über den Inhalt von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit grundsätzlich, wenn keine Anhaltspunkte vorhanden sind, daß nach dem 31. 12. 1975 eine inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst vorgelegen hat.
Zieht man dies in Betracht, so drängt sich auf, daß Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit, die - wie hier - vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben können. Ein verläßlicher Schluß auf die heutige Einstellung des Betr. zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung des Grundgesetzes läßt sich aus ihnen nicht herleiten. Als Indiz für eine mangelnde Eignung taugen sie regelmäßig nicht mehr. Auch eine Diskreditierung des öffentlichen Dienstes in den Augen des Publikums droht bei weit zurückliegenden Vorgängen nicht in der gleichen Weise. Kaum je wird ihretwegen ein Festhalten des Arbeitgebers am Arbeitsvertrag unzumutbar sein. Die Arbeitsgerichte haben daher in den Fällen der Bf. zu 2 und 3 die entsprechenden Vorfälle selbst nicht als Kündigungsgründe i.S. von Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV gelten lassen. Zwar können in Einzelfällen auch weiter zurückliegende Vorgänge für die Beurteilung der Eignung Bedeutung erlangen, so etwa wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen. Diese auf seltene Ausnahmen beschränkte Relevanz von Fragen nach Vorgängen, die mehr als 20 Jahre vor dem Beitritt abgeschlossen waren, steht aber außer Verhältnis zu der Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Befragten. Besonders schwerwiegende Verfehlungen werden ohnehin zumeist bekannt sein oder leicht ermittelt werden können.
cc) Den Bf. zu 2 und 3 war es danach nicht zuzumuten, die zeitlich unbeschränkte Frage nach Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit in vollem Umfang wahrheitsgemäß zu beantworten. Sie durften die vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Vorgänge verschweigen. Dies brauchten sie auch nicht offenzulegen, da sie begründeten Anlaß zu der Befürchtung hatten, daß eine offene Verweigerung der Antwort zu einer Verdachtskündigung nach Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV führen würde. Auf einen charakterlichen Mangel, der eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in Frage stellen könnte, deutet ihr Verhalten unter diesen Umständen nicht hin. Deshalb war es dem Arbeitgeber verwehrt, arbeitsrechtliche Konsequenzen aus ihrer unzutreffenden Antwort zu ziehen.
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