Anfechtung und Kündigung des Arbeitsvertrags wegen MfS-Tätigkeit

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

06. 07. 2000


Aktenzeichen

2 AZR 543/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei der Neueinstellung in den öffentlichen Dienst darf der öffentliche Arbeitgeber den Bewerber dann nach vor 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit der Ehemaligen DDR (MfS) fragen, wenn diese Tätigkeiten besonders schwer wiegen.

  2. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann unter Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 123, 142 BGB rechtfertigen (im Anschluss an Senat, Urteil vom 28. 5. 1998, EzA BGB § 123 Nr. 49).

  3. Eine arglistige Täuschung kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer, der mit einer berechtigten Frage des öffentlichen Arbeitgebers nach einer Tätigkeit für das MfS rechnet, unaufgefordert bei seiner Bewerbung versichert (im Fall: „an Eides Statt“), er sei nicht für das MfS tätig gewesen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der am 20. 7. 1941 geborene Kl. (verheiratet, zwei erwachsene Kinder) ist seit 1. 2. 1992 bei der Bekl. als angestellter Arbeitsvorbereiter in deren Rechenzentrum zuletzt in der VergGr. III BAT-O beschäftigt. Vor der Einstellung hatte der Kl. unaufgefordert zusammen mit seinem Bewerbungsschreiben der Bekl. eine „eidesstattliche Erklärung“ des Inhalts übersandt, er sei weder offizieller noch inoffizieller Mitarbeiter des MfS/AfNS gewesen und es hätten auch keinerlei Kontakte zu diesen Stellen bestanden. Bei dem Einstellungsgespräch am 13. 11. 1991 unterzeichnete der Kl. darüber hinaus zwei Erklärungen, mit denen er bestätigte, weder jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonst wie für das MfS/AfNS der ehemaligen DDR gearbeitet zu haben, noch zu diesen Institutionen sonstige Kontakte, etwa Kontakte, die zu seiner Anwerbung hätten führen sollen, gehabt zu haben. Nach dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Gauck-Behörde) vom 15. 9. 1997 war der Kl. im Anschluss an eine am 14. 9. 1960 begründete Kontaktphase vom 28. 4. 1961 bis 13. 3. 1969 als inoffizieller Mitarbeiter des MfS registriert. Der Kl. gab hierzu eine Verpflichtungserklärung vom 28. 4. 1961 ab und wählte den Decknahmen „D“. Dem Einzelbericht zufolge fertigte der Kl. 75 handschriftliche Berichte, von denen 74 Berichte mit dem Decknamen des Kl. unterzeichnet waren. Die vom Kl. während seines Pädagogikstudiums und seiner späteren Tätigkeit als Lehrer erstellten Berichte betrafen unter anderem die Einschätzung von Studenten, Zimmer- und Pausengesprächen, Durchführung von Vorlesungen, Hören von Westsendern, Situation und Missstände an der Schule, Rentnerreisen, Arbeit mit den Eltern und die Beobachtung einer aus Sicht des MfS verdächtigen Person während einer Reise von A. nach Berlin und zurück. Der Kl. erhielt vom MfS Prämien in Höhe von insgesamt 150 M. Nach seiner Versetzung im Jahr 1966 nach M. endete die Berichtstätigkeit. Nach der Abschlusseinschätzung der Kreisdienststelle A. des MfS leistete der Kl. eine gute inoffizielle Arbeit, durch die von ihm gegebenen Hinweise war es möglich, der Abteilung Volksbildung Hinweise über das Auftreten von Lehrern zu geben und er trug wesentlich dazu bei, dass eine Veränderung an der Schule, besonders in der Leistungstätigkeit vorgenommen werden konnte. Mit Schreiben vom 12. 12. 1997 focht die Bekl. daraufhin, nachdem zuvor mit dem Kl. ein Gespräch geführt worden war, das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung an. Mit Schreiben vom 25. 3. 1998, dem Kl. zugegangen am 27. 3. 1998, kündigte die Bekl. vorsorglich das Arbeitsverhältnis darüber hinaus ordentlich zum 30. 6. 1998. Der am 19. 2. 1998 über die Kündigungsabsicht unterrichtete Personalrat erhob keine Einwendungen. Der Kl. hält die Anfechtung für unwirksam und die Kündigung für sozialwidrig. Es treffe zwar zu, dass er vor seiner Einstellung unwahre Angaben gemacht habe. Darin liege jedoch keine arglistige Täuschung. Jedenfalls sei die Täuschung nicht widerrechtlich. Mit der Vorlage der eidesstattlichen Erklärung bei seiner Bewerbung habe er lediglich erreichen wollen, in den Kreis derjenigen aufgenommen zu werden, die zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden seien. Er habe sich insoweit in einer Zwangslage befunden, da anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten für ihn nicht bestanden hätten. Wenn die Bekl. ihm bei dem Einstellungsgespräch die beiden Fragebogen vorgelegt habe, so zeige dies, dass sie seiner eidesstattlichen Erklärung keine besondere Bedeutung beigemessen habe. Damit sei sie durch die eidesstattliche Erklärung nicht zum Vertragsschluss veranlasst worden. Die Fragen der Bekl. nach seiner MfS-Tätigkeit seien schon deshalb unzulässig gewesen, weil sie sich auf vor 1970 abgeschlossene Vorgänge bezogen hätten. Als besonders schwerwiegend könne seine MfS-Tätigkeit nicht angesehen werden. Dies zeigten schon die näheren Umstände seiner Anwerbung. Bei einem Arbeitseinsatz während seines Studiums habe seine Seminargruppe wegen des aus ihrer Sicht zu niedrigen Lohns und der zu hohen Arbeitsnorm die Arbeit niedergelegt. Drei der beteiligten Studenten seien in einem Strafverfahren verurteilt und vom Studium ausgeschlossen worden, er habe sich unter dem Eindruck des Strafverfahrens entschlossen, eine so genannte Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen. Im Januar 1972 habe darüber hinaus ein weiterer Versuch des MfS stattgefunden, ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen; dies habe er abgelehnt. Der Kl. hat die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten. Der Kl. hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 12. 12. 1997 hinaus fortbesteht, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 25. 3. 1998, zugegangen am 27. 3. 1998, aufgelöst worden ist und für den Fall des Obsiegens die Bekl. zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Arbeitsvorbereiter bis zur Rechtskraft der Entscheidung vorläufig weiterzubeschäftigen. Die Bekl. hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, schon die Anfechtung sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet. Die arglistige Täuschung des Kl. über seine MfS-Tätigkeit wiege besonders schwer, weil der Kl. unaufgefordert eine „eidesstattliche Erklärung“ abgegeben habe. Im Fall wahrheitsgemäßer Angaben wäre es zu seiner Einstellung nicht gekommen. Sie habe stets Wert darauf gelegt, keine ehemaligen Mitarbeiter des MfS einzustellen, und zwar unabhängig von einer tatsächlichen Eignung für den öffentlichen Dienst. Anlässlich des Bewerbungsgesprächs seien dem Kl. die standardisierten Vordrucke über eine Tätigkeit für das MfS vorgelegt worden, weil diese üblicherweise verwendet würden und auch weitere Fragen über eine politische Zugehörigkeit enthielten. Der Kl. sei verpflichtet gewesen, über seine MfS-Tätigkeit Auskunft zu geben, obwohl diese vor 1970 beendet gewesen sei. Es handele sich insoweit um besonders schwerwiegende Vorgänge. Der Kl. habe ausweisliche der von ihm gefertigten Berichte über regimekritische Äußerungen seiner Kollegen und Kommilitonen berichtet und diese damit dem MfS ausgeliefert. Auch die ordentliche Kündigung stütze sich auf die Vortäuschung falscher Tatsachen durch den Kl. bei seiner Einstellung. Der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das ArbG hat nach den Klageanträgen erkannt. Die Berufung der Bekl. blieb erfolglos. Mit der vom LAG zugelassenen Revision verfolgt die Bekl. ihren Klageabweisungsantrag weiter. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Es lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung oder die Kündigung beendet worden und demgemäß die Bet. zur Weiterbeschäftigung des Kl. verpflichtet ist.

A. Das LAG hat - kurz zusammengefasst - angenommen, der Kl. habe die Bekl. zwar arglistig getäuscht, indem er ohne entsprechende Frage der Bekl. in der eidesstattlichen Erklärung unwahre Angaben über seine MfS-Tätigkeit gemacht habe. Durch diese ungefragte Erklärung des Kl. sei die Bekl. jedoch nicht zum Abschluss des Arbeitsvertrags veranlasst worden, denn ihrem Aufklärungsinteresse sei offensichtlich mit der Erklärung vom 26. 9. 1991 noch nicht genüge getan gewesen. Die unwahren Erklärungen des Kl. am 13. 11. 1991 rechtfertigten die Anfechtung ebenfalls nicht, weil sie vor 1970 abgeschlossene Vorgänge beträfen. Auch wenn besonders schwerwiegende, weil zurückliegende Vorgänge bei der Eignungsprüfung ausnahmsweise zu berücksichtigen seien, folge hieraus noch nicht die ausnahmsweise Zulassung des Fragerechts. Damit erübrige sich die Prüfung, ob die Berichtstätigkeit des Kl. besonders schwer wiege. Das Arbeitsverhältnis habe auch nicht auf Grund der Kündigung geendet. Der Kl. habe keine zulässigerweise durch die Bet. gestellte Frage wahrheitswidrig beantwortet. Sein letztlich untauglicher Versuch, das Einstellungsverfahren durch die eidesstattliche Erklärung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, beeinträchtige das Vertrauensverhältnis nicht so nachhaltig, dass dies die Kündigung rechtfertigen könne.

B. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung des § 123 BGB, § 1 KSchG.

I. Die Wirksamkeit der Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung lässt sich mit der vom LAG gegebenen Begründung nicht verneinen.Gem. § 123 I BGB kann derjenige eine von ihm abgegebene Erklärung anfechten, der durch arglistige Täuschung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.

1. Im Gegensatz zu der Annahme des BerGer. ist davon auszugehen, dass die wahrheitswidrige Beantwortung der beiden Fragebögen durch den Kl. als rechtswidrige Täuschung anzusehen sein kann. Die Revision rügt insoweit zu Recht eine Verkennung der Rechtsprechung zum Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers nach MfS-Tätigkeiten vor 1970 durch das LAG.

a) Der Kl. räumt selbst ein, dass er die Fragen der Bekl. nach einer MfS-Tätigkeit in den beiden ihm vorgelegten Fragebögen wahrheitswidrig beantwortet hat. Die Fragen nach einer MfS-Tätigkeit waren auch zulässig und deshalb vom Kl. wahrheitsgemäß zu beantworten, wenn diese Tätigkeit besonders schwerwiegend war und deshalb nach wie vor Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hatte. Nach der Rechtsprechung des BVerfG vom 8. 7. 1997 (BVerfGE 96, 171), der sich der Senat angeschlossen hat (Urt. v. 4. 12. 1997, AP KSchG1969 § 1 Verhaltensverdingte Kündigung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 und Urt. v. 28. 5. 1998, EzA BGB § 123 Nr. 49), hat der öffentliche Arbeitgeber bei Ausübung des ihm zustehenden Fragerechts nach früheren MfS-Tätigkeiten des Bewerbers den Zeitfaktor zu berücksichtigen, da sich persönliche Haltungen im Laufe der Zeit ändern können und längere beanstandungsfreie Zeiten auf innere Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen hinweisen können. Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, haben danach aber nur im Regelfall eine äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand übernommener Arbeitsverhältnisse bzw. die Neueinstellung von Arbeitnehmern in den öffentlichen Dienst, so dass die betroffenen Arbeitnehmer auf eine zeitlich unbeschränkte Frage nach MfS-Tätigkeiten die vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten verschweigen durften. Es kommt nach dieser Rechtsprechung auf den Grad der Verstrickung an. Weiter zurückliegende Tätigkeiten sind dann nach wie vor für den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die nach Art. 33 II GG erforderliche Eignungsprüfung bei einer Neueinstellung in den öffentlichen Dienst von Bedeutung, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen. Daraus folgt im Gegensatz zu der Annahme des BerGer. dass dem Arbeitgeber hinsichtlich solcher vor 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten, die besonders schwer wiegen, auch ein Fragerecht zusteht (vgl. Senat, VIZ 1998, 282). Verneint der Arbeitnehmer in einem von dem öffentlichen Arbeitgeber vorgelegten Fragebogen wahrheitswidrig eine derart schwerwiegende MfS-Tätigkeit vor 1970, handelt er rechtswidrig.

b) Da das BerGer. bewusst offen gelassen hat, ob die MfS-Tätigkeit des Kl. in diesem Sinne besonders schwer wiegt, fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen zum Grad der Verstrickung des Kl., die der Senat nicht selbst treffen kann.

2.a) Das BerGer. geht jedoch zutreffend davon aus, dass der Kl. die Bekl. schon durch die mit seiner Bewerbung abgegebene eidesstattliche Erklärung vom 26. 9. 1991 getäuscht hat. Diese Erklärung war nach den Feststellungen des LAG objektiv unwahr. Es ist unstreitig, dass der Kl. in der Zeit von 1961 bis 1966 auf der Grundlage der Verpflichtungserklärung vom 28. 4. 1961 unter dem Decknamen „D“ für das MfS mindestens 75 Berichte gefertigt hat.

b) Dem BerGer. ist auch darin zu folgen, dass diese Täuschungshandlung rechtswidrig war, obwohl die Tätigkeit des Kl. für das MfS 1970 abgeschlossen war. Die genannte Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 96, 171; vgl. ferner BVerfG [21. 7. 1999], AP GG Art. Nr. 44) und des BAG (Senat, NZA 1998, 1052) trägt der besonderen Situation und den widerstreitenden Interessen der Parteien in Einstellungsgesprächen Rechnung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und der Grundsatz von Treu und Glauben rechtfertigen es, nur Fragen des Arbeitgebers im Einstellungsgespräch zuzulassen und dementsprechend eine wahrheitswidrige Beantwortung dieser Fragen durch den Arbeitnehmer als rechtswidrig anzusehen, die eine hinreichende Bedeutung für den Bestand bzw. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben. Diese Rechtsprechung ist, wie das BerGer. zutreffend ausführt, nicht ohne weiteres auf eine wahrheitswidrige, noch dazu eidesstattliche Erklärung zu übertragen, die der Arbeitnehmer ungefragt im Einstellungsverfahren abgibt, um seine Chancen gegenüber anderen Bewerbern zu verbessern. Der Kl. hat hier das Einstellungsgespräch und eine Ausübung des Fragerechts durch die Bet. bewusst nicht abgewartet, weil er nach seinem eigenen Vorbringen mit der freiwilligen Abgabe der eidesstattlichen Erklärung erreichen wollte, dass er überhaupt zu einem Einstellungsgespräch eingeladen wurde. Die besondere Zwangssituation, die die Rechtsprechung veranlasst hat, das Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers bei Einstellungsverhandlungen im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einzuschränken, bestand danach zum Zeitpunkt der Abgabe der eidesstattlichen Erklärung noch nicht in gleicher Weise wie bei einem Einstellungsgespräch. Der Kl. wollte sich vielmehr durch seine eidesstattliche Erklärung die Möglichkeit verschaffen, dass er schon bei der Auswahl der Bewerber, die zum Einstellungsgespräch geladen wurden, möglicherweise gegenüber anderen Bewerbern bevorzugt wurde, die bei einer von der Bekl. gestellten Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit in einer ähnlichen Zwangslage wie der Kl. gewesen wären. Außerdem zielte die ungefragt abgegebene Erklärung des Kl. darauf, dass die Bekl. ihn im Hinblick auf seine Vergangenheit für besonders zuverlässig hielt und er so seine Einstellungschancen verbesserte. Ein solches Verhalten ist regelmäßig als rechtswidrig anzusehen. Es ist zwar zu erwägen, ob im Einzelfall es angesichts der Umstände (äußerst geringer Grad der Verstrickung des Betreffenden, sehr lange zurückliegende Tätigkeit für das MfS) geboten ist, auch bei ohne entsprechende Fragen des Arbeitgebers erfolgten falschen Angaben des Bewerbers über eine frühere MfS-Tätigkeit die Rechtswidrigkeit der Täuschungshandlung zu verneinen. Dies hat der Senat jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Die Tätigkeit des Kl. für das MfS war jedenfalls so gravierend, dass der Kl. nicht berechtigt war, durch eine aktive Täuschungshandlung in Form einer unrichtigen „eidesstattlichen Erklärung“ in den Einstellungsvorgang einzugreifen.

c) Die wahrheitswidrigen Angaben des Kl. in der eidesstattlichen Erklärung vom 26. 9. 1991 waren auch entgegen der Annahme des BerGer. kausal für den Abschluss des Arbeitsvertrags. Die Revision rügt zutreffend, dass die Kausalität nicht allein unter Hinweis darauf verneint werden durfte, dass die Bekl. später im Einstellungsverfahren dem Kl. erneut zwei Fragebögen über eine frühere MfS-Tätigkeit vorgelegt hat. § 123 BGB schützt die „freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete“ (Motive zum Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches, Bd 1, S. 204). Für die Annahme der Kausalität genügt deshalb schon Mitursächlichkeit der Täuschung und es reicht aus, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluss auf die Entscheidung haben kann (Senat, NZA 1998, 1052; Senat [20. 5. 1999], EzA BGB § 123 Nr. 52). Der Kl. geht selbst davon aus, dass er die Bekl. durch Vorlage der eidesstattlichen Erklärung über einen Umstand getäuscht hat, der aus ihrer Sicht für die Einstellungsentscheidung von erheblicher Bedeutung war. Nach dem vom LAG festgestellten Sachverhalt ist auch, wie die Revision zutreffend rügt, jedenfalls von einer Mitursächlichkeit der Täuschung für die Einstellungsentscheidung der Bekl. auszugehen. Der Kl. hat nach seinem eigenen Vorbringen durch seine Täuschungshandlung schon die Vorauswahl der Bewerber zu seinen Gunsten zu beeinflussen versucht. Nach der Lebenserfahrung spricht alles dafür, dass der Bewerber, der zu einem aus der Sicht des Arbeitgebers erkennbar für wichtig gehaltenen Eignungsmerkmal mit seiner Bewerbung eine positive eidesstattliche Erklärung überreicht, seine Chancen erhöht, gegenüber anderen Bewerbern, die eine solche Erklärung nicht ereichen, bei der Einladung zu einem Einstellungsgespräch und bei der späteren Auswahlentscheidung bevorzugt zu werden. Abgesehen davon ist auch die Annahme des BerGer. ungerechtfertigt, durch die Vorlage der beiden Fragebögen sei die Kausalität der eidesstattlichen Versicherung für die Einstellungsentscheidung gewissermaßen unterbrochen worden und die eidesstattliche Erklärung habe deshalb nur einen untauglichen Versuch einer arglistigen Täuschung dargestellt. Hält der Arbeitgeber ein bestimmtes Merkmal der persönlichen Eignung des Bewerbers („keine frühere MfS-Tätigkeit“) für besonders wichtig, so ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass es durchaus Einfluss auf die Einstellungsentscheidung haben kann, wenn ein Bewerber nicht nur wie alle anderen in einem Fragebogen angibt, dieses Merkmal liege bei ihm vor, sondern vorab unaufgefordert schon eine entsprechende Erklärung abgegeben hat.

d) Der Kl. handelte auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflusst werden (Senat, NJW 1999, 3653). Das BerGer. hat eine arglistige Täuschungshandlung in diesem Sinne zutreffend festgestellt. Der Kl. wollte nach seinem eigenen Vorbringen durch die Vorlage der eidesstattlichen Erklärung das Bewerbungsverfahren bewusst zu seinen Gunsten beeinflussen.

3. Auch die Frist zur Anfechtung nach § 124 BGB ist eingehalten.

4. Von seiner Rechtsauffassung her konsequent hat das LAG nicht geprüft, ob die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Bekl. vorliegend gegen Treu und Glauben verstieß, § 242 BGB. Diese regelmäßig der Tatsacheninstanz vorbehaltene Wertung kann der Senat nicht selbst vornehmen, da es insoweit an Tatsachenfeststellungen fehlt. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, § 565 ZPO.

a) Auch das Recht zur Anfechtung steht unter dem Vorbehalt, dass seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist danach dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (Senat [11. 11. 1993], BAGE 75, 77 [86]). Gerade auch auf Grund der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, dass der Anfechtungsgrund soviel an Bedeutung verloren hat, dass er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann. Im Rahmen des § 123 I BGB ist danach zwar keine Interessenabwägung vorzunehmen, es ist aber zu prüfen, ob die Rechtslage des Getäuschten durch die im Rahmen der Einstellung verübte Täuschungshandlung noch beeinträchtigt ist. Dabei ist wesentlich auf die von dem betreffenden Arbeitnehmer vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck abzustellen.

b) Zu der vom Kl. vertraglich geschuldeten Leistung fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen durch das BerGer. Als Tätigkeitsbereich des Kl. ist lediglich der eines Arbeitsvorbereiters im Rechenzentrum angegeben. Um welche Tätigkeit es sich dabei genau handelt, ob die Gefahr besteht, dass der Kl. bei dieser Tätigkeit mit einer bei seiner Tätigkeit für das MfS früher bespitzelten Person zusammentreffen oder zumindest im Rechenzentrum Zugriff auf deren persönlichen Daten haben könnte, ist nicht aufgeklärt.

c) Bei der Prüfung, ob aktuell noch eine Beeinträchtigung der Bekl. durch die Täuschungshandlung des Kl. vorliegt, kann vom Sinn und Zweck der Beurteilung der persönlichen Eignung des Kl. her nicht außer Betracht bleiben, als wie schwerwiegend die Tätigkeit des Kl. für das MfS einzuschätzen ist. Immerhin lag bei Ausübung des Anfechtungsrechts die Tätigkeit des Kl. für das MfS schon circa 30 Jahre zurück. Die Prüfung, ob eine derart schwerwiegende Tätigkeit des Kl. für das MfS vorlag, dass nach der Rechtsprechung auch eine weit zurückliegende Tätigkeit für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sein kann, hat das BerGer. bewusst nicht vorgenommen. Dies wird nach der Zurückverweisung nachzuholen sein. Gegen den Kl. spricht hier die besonders intensive Tätigkeit für das MfS, die große Anzahl seiner Berichte, die auch nachteilige Einzelheiten über dritte Personen enthielten (politische Einschätzung von Studenten, Offenlegung von Mängeln in der Leitung seiner Schule, die möglicherweise personelle Veränderungen mitverursacht hat, bis hin zur Bespitzelung einer Person über einen ganzen Tag während einer aus der Sicht des MfS verdächtigen Berlinreise), und die gewährten Prämien. Nicht bewertet hat das LAG ebenfalls das Entlastungsvorbringen des Kl. über einen vergeblichen Anwerbeversuch des MfS im Jahre 1972. Wäre darin eine deutliche Abkehr vom MfS zu sehen, so könnte dies möglicherweise dafür sprechen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Täuschungshandlung doch nicht mehr zu stark belastet ist; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der vom Kl. vorgelegte Aktenvermerk des MfS auch dahingehend ausgelegt werden könnte, was gegen den Kl. sprechen würde, dass dieser von einer Tätigkeit für das MfS nur Abstand genommen hat, weil die beruflichen Vorteile, die er sich durch seine inoffizielle Tätigkeit versprochen hatte, nicht in vollem Umfang eingetreten sind. Die Gefahr, dass der Kl. mit seinerzeit von ihm bespitzelten Personen in irgendeiner Weise während einer Tätigkeit bei der Bekl. zusammentrifft, könnte dadurch abgemildert sein, das die Tätigkeit des Kl. für das MfS während seines Pädagogikstudiums und seiner Lehrertätigkeit stattgefunden hat, der Kl. aber schon seit langer Zeit in diesem Beruf nicht mehr tätig ist. Schließlich wird bei der Prüfung des Gewichts der MfS-Tätigkeit des Kl. sein substanziiertes und durch entsprechende Urkunden belegtes Vorbringen zu werten sein, die immerhin in jugendlichem Alter erfolgte Anwerbung durch das MfS sei im Zusammenhang mit einer Arbeitsniederlegung erfolgt, die in drei gleichgelagerten Fällen zur Bestrafung und Entfernung der Betreffenden von der Hochschule geführt habe.

II. Soweit es nach der Prüfung der Anfechtung auf die Kündigung überhaupt noch ankommen kann, beruht auch die Beurteilung der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Revision rügt insoweit zutreffend eine Verletzung des § 1 KSchG. In der Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung durch den Kl. sieht das BerGer. zwar einen Pflichtverstoß des Kl., es geht jedoch bei der Interessenabwägung zu Unrecht zu Gunsten des Kl. davon aus, es habe sich dabei im Ergebnis um einen untauglichen Versuch einer Beeinflussung des Bewerbungsverfahrens gehandelt. Es bleibt dabei, wie bereits dargelegt, unberücksichtigt, dass die Täuschungshandlung des Kl. auf eine Beeinflussung der Auswahl unter den Bewerbern zielte. Die Bekl., deren erhebliches Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen über eine frühere MfS-Tätigkeit das BerGer. anerkennt, musste darauf vertrauen können, dass ein Bewerber nicht mit derart unlauteren Mitteln wie der Kl. auf den Gang des Bewerbungsverfahrens Einfluss nahm. Ebenso zu Unrecht hat das BerGer. mit Rücksicht auf den seit der MfS-Tätigkeit des Kl. verstrichenen Zeitraum eine Prüfung des Grads der Verstrickung des Kl. völlig unterlasen. War, wozu das LAG keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die MfS-Tätigkeit des Kl. als besonders schwerwiegend anzusehen, so musste es sich im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Kl. auswirken, wenn dieser dreimal, einmal sogar in Form einer „eidesstattlichen Erklärung“ der Bekl. gegenüber eine derartige Tätigkeit strikt verneint und sogar jeden Kontakt zum MfS wahrheitswidrig bestritten hat, der zumindest in der Form eines misslungenen Anwerbungsversuchs nach dem eigenen Vorbringen des Kl. noch bis 1972 bestanden hat. Je nach dem Grad der Verstrickung des Kl. und dem daraus resultierenden Gewicht seiner pflichtwidrigen Täuschungshandlung anlässlich seiner Erstellung kann der vom LAG grundsätzlich zutreffend berücksichtigte beanstandungsfreie Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 25. 3. 1998 teilweise oder völlig entwertet worden sein.

Vorinstanzen

LAG Sachsen, 10 Sa 840/98, 21.4.1999

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht