Auskunftspflicht des Arbeitnehmers

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

07. 09. 1995


Aktenzeichen

8 AZR 828/93


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Arbeitnehmer ist auch nach seiner Einstellung verpflichtet, Fragen des Arbeitgebers zu seiner Vor- und Ausbildung zu beantworten, wenn davon auszugehen ist, daß die bei der Einstellung abgegebenen Erklärungen und danach erfolgte Ergänzungen nicht mehr vollständig vorhanden sind.

  2. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben, soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen hierfür bestehen.

  3. Der öffentliche Arbeitgeber darf nach dem Grundgesetz nur solche Lehrer einsetzen, die zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S. des Grundgesetzes stehen. Zur Sicherstellung dieser Aufgabe sind solche Fragen gegenüber dem Lehrer zulässig, die Zweifel an dessen Eignung im Zusammenhang mit einer früheren Tätigkeit betreffen. Hierzu gehören Fragen nach der Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und nach Funktionen in politischen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR (im Anschluß an Senat, NZA 1994, 25 = AP Nr. 8 zu Art. EinigungsV).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit eines der Kl. zur Beantwortung vorgelegten Personalfragebogens. Die Kl. ist Diplomlehrerin im Schuldienst des Bekl. Der Bekl. hat im März 1991 sein pädagogisches Personal aufgefordert, einen Fragebogen zu beantworten. Die Kl. wandte sich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Pflicht zur Ausfüllung des Fragebogens. Auf Grund des dort abgeschlossenen Vergleichs füllte sie den Fragebogen aus. Dessen Verwertung ist jedoch vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits abhängig gemacht worden.

Der Fragebogen enthält folgende Fragen:

1.1. Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet? Ja/Nein. Wenn ja: In welcher Weise, wo und von wann bis wann? Aus welchen Gründen wurde die Tätigkeit beendet?

1.2. Haben Sie gelegentlich oder unentgeltlich, über mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte, zu denen Sie als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane verpflichtet waren, für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR gearbeitet? Ja/Nein. Wenn ja: In welcher Weise, wo und von wann bis wann? Aus welchen Gründen wurden diese Kontakte beendet?

1.3. Falls die Fragen 1.1. und 1.2. mit nein beantwortet werden; haben Sie solche Kontakte gehabt, die zu Ihrer Anwerbung führen sollten, was Sie aber ablehnten? Ja/Nein. Wenn ja: Wann und zu welcher Aufgabe sollten Sie verpflichtet werden?

2. Hatten Sie vor dem 9. 11. 1989 Mandate oder Funktionen in oder für politische(n) Parteien oder Massenorganisationen (z.B. FDGB, FDJ, GST, DFD, DSF) der ehemaligen DDR inne? Hatten Sie in dieser Zeit sonst eine herausgehobene Stellung in der ehemaligen DDR inne? Ja/Nein. Wenn ja: Welche Funktionen/Mandate/Stellung? Wann, wo?

3. Waren Sie vor dem 9. 11. 1989 in einem Betrieb in der ehemaligen DDR oder für einen solchen außerhalb der ehemaligen DDR auf Leitungsebene tätig? Ja/Nein. Wenn ja: In welchem Betrieb, welche Tätigkeit? Wo, wann?

4. Waren Sie vor dem 9. 11. 1989 im beruflichen oder gesellschaftlichen Auftrag außerhalb des Gebiets der ehemaligen DDR tätig? Ja/Nein. Wenn ja: In welcher Weise? Wann, wo?

5. Haben Sie eine Ausbildung außerhalb des Gebiets der ehemaligen DDR absolviert? Ja/Nein. Wenn ja: Welche, wann, wo?

6. Haben Sie andere als allgemeinbildende bzw. berufsausbildende Ausbildungen durchlaufen (z.B. Parteischulen o.ä.)? Ja/Nein. Wenn ja: Welche, wann, wo?

Die Kl. hat geltend gemacht, die Vorlage des Fragebogens sei unzulässig. Die Fragen hätten mit der Eignung für den Schuldienst nichts zu tun und weder im Einigungsvertrag noch im Arbeitsvertrag eine Rechtsgrundlage. Eine Pflicht zur Auskunftserteilung bestehe nicht. Der Arbeitgeber habe ein Fragerecht nur bei einem billigenswerten Interesse, das lediglich anläßlich der Einstellung zu bejahen sei. Die Fragen zur Offenbarung der politischen und ideologischen Überzeugung verletzten das Persönlichkeitsrecht. Die Frage nach der Parteizugehörigkeit sei grundsätzlich unzulässig. Die Beantwortung der Fragen sei insgesamt nur unter Vorlage einer lückenlosen Biographie möglich. Der Fragebogen sei diskriminierend und verstoße gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111. Darüber hinaus verletze er die Unschuldsvermutung und enthalte eine unzulässige Pflicht zur Selbstbezichtigung. Bei der Erstellung des Fragebogens hätte der Kreisschulpersonalrat beteiligt werden müssen. Das gelte unter Beachtung des Grundsatzes der lückenlosen Repräsentation nach den §§ 116b, 82 VI DDR-PersVG nicht nur im Stufenverfahren, sondern auch bei Erstzuständigkeit des noch nicht gebildeten Hauptpersonalrats, zumal die Dienststellenleiterin die rechtzeitige Bildung des Hauptpersonalrats verhindert haben. Die Kl. hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt festzustellen, daß die Befragung gemäß dem ihr vorgelegten Fragebogen unzulässig sei.

Das ArbG hat der Klage entsprochen. Das LAG hat sie abgewiesen. Die Revision der Kl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Befragung gemäß dem Fragebogen ist nicht insgesamt unzulässig. Die Kl. muß die gestellten Fragen überwiegend beantworten. Nur die Frage nach erfolglosen Anwerbungsversuchen des Ministeriums für Staatssicherheit ist unzulässig.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Der Feststellungsantrag bezweckt die Klärung, ob der Bekl. den Fragebogen gegenüber der Kl. verwenden darf. Dabei geht es nicht nur um dessen Zulässigkeit insgesamt, sondern auch um die Zulässigkeit der einzelnen Fragen. Die Kl. will wissen, ob sie verpflichtet ist, die Fragen (ganz oder zum Teil) zu beantworten. Diese Auslegung ergibt sich aus der Vorgeschichte der Klage und aus den Erklärungen der Parteien vor dem Senat. Der Bekl. hat zugesagt, er werde für den Fall der Unzulässigkeit einzelner Fragen den ausgefüllten Fragebogen nicht auswerten, sondern der Kl. verschlossen aushändigen und ihr einen neuen Fragebogen nur mit den zulässigen Fragen zur Beantwortung vorlegen. Die Kl. hat erklärt, sie werde die vom Senat für zulässig erachteten Fragen beantworten.

2. Der so verstandene Antrag ist zulässig. Die Zulässigkeit des Fragerechts gem. dem Fragebogen stellt ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis i.S. von § 256 I ZPO dar. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht, weil von der Feststellung die Auswertung oder Vernichtung des ausgefüllten Fragebogens und ggf. Beantwortung eines neuen Fragebogens unmittelbar abhängen. Damit ist gerade der Rechtskreis der Kl. betroffen. Es liegt keine "Popularklage" vor. Die Leistungsklage ist nicht vorrangig, da der Bekl. erklärt hat und von ihm zu erwarten ist, er werde sich an ein Feststellungsurteil halten. Zudem wäre es der Kl. nicht zumutbar gewesen, die Beantwortung zu verweigern oder Fragen falsch zu beantworten, etwaige Maßnahmen des Bekl. abzuwarten und dagegen gerichtlich vorzugehen.

II. Die Klage ist nur hinsichtlich der Frage 1.3. begründet, im übrigen unbegründet.

1. Die Befragung gem. dem Fragebogen ist gegenüber der Kl. nicht aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unzulässig.

a) Nach § 75 III Nr. 8 DDR-PersVG hatte der Personalrat über den Inhalt von Personalfragebogen mitzubestimmen. Die individualrechtlichen Folgen, wenn der Arbeitgeber einen Fragebogen ohne die kollektivrechtlich erforderliche Zustimmung verwendet, werden in der Literatur unterschiedlich beurteilt (für die Betriebsverfassung vgl. einerseits etwa Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rdnr. 33; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rdnrn. 15, 17; Däubler/Klebe, BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rdnr. 25; andererseits Kraft, in: GK-BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rdnr. 32; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rdnr. 34; nicht eindeutig Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 94 Rdnr. 34; in der personalvertretungsrechtlichen Kommentarliteratur wird die Frage, soweit ersichtlich, nicht behandelt).

b) Im Streitfalle war keine Personalvertretung zu beteiligen, so daß es auf die unter a) angeschnittene Frage nicht ankommt.

aa) Zuständige Personalvertretung wäre der Hauptpersonalrat beim Kultusministerium gewesen, da das Ministerium für Erarbeitung und Einsatz des landesweit verwendeten Fragebogens allein zuständig war (§§ 82 I, 53 I DDR-PersVG). Ein Hauptpersonalrat war jedoch zur Zeit der Verwendung des Fragebogens noch nicht gebildet. Daran ändert der durch den vorliegenden Prozeß entstandene Zeitablauf bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit nichts.

bb) Aus den §§ 82 VI, 116b II Nr. 5 DDR-PersVG ergab sich keine Notwendigkeit, einen bestehenden Schul- oder Kreisschulpersonalrat zu beteiligen. Diese Vorschriften sicherten lediglich ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren und setzten das Vorhandensein einer erstzuständigen Personalvertretung voraus (vgl. nur Senatsurteile vom 17. 2. 1994 - 8 AZR 68/93 und 8 AZR 128/93 jew. unveröff. (zu B V 2 bzw. B IV 2); Senat, Urt. v. 26. 5. 1994 - 8 AZR 248/93 unveröff. (zu B II 1b); Senat, NZA 1995, 527 (zu B I 2)).

cc) Die von der Kl. begehrte Rechtsfolge kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Dienststellenleiterin die Wahl eines Hauptpersonalrats behindert haben soll. In einem solchen Fall ist mit den gebotenen Mitteln gegen die nach § 24 DDR-PersVG verbotene Wahlbehinderung vorzugehen. Der einzelne Bedienstete kann aus einer Wahlbehinderung aber nicht unmittelbar die Rechte ableiten, die das Bestehen einer zuständigen Personalvertretung voraussetzen.

2. Die Kl. trifft im Grundsatz eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu Auskünften im bestehenden Arbeitsverhältnis aus § 242 BGB.

a) Nach Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, daß der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewißheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Dieser Rechtsgrundsatz gilt inzwischen als Gewohnheitsrecht (vgl. Keller, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 260 Rdnrn. 10ff.; Alff, in: RGRK, 12. Aufl., §§ 259 bis 261 Rdnrn. 2ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., §§ 259 bis 261 Rdnrn. 8ff.; Staudinger/Selb, BGB, 12. Aufl., § 260 Rdnr. 11; Erman/Sirp, BGB, 8. Aufl., § 242 Rdnrn. 65f., alle m.w. Nachw. aus der Rechtsprechung). Im Arbeitsverhältnis wird der Inhalt dieser Nebenpflicht durch eine besondere persönliche Bindung der Vertragspartner geprägt. Das Arbeitsverhältnis beinhaltet spezifische Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweiligen Vertragspartners (vgl. nur Blomeyer, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 49 Rdnrn. 16ff.). Im einzelnen können gesetzliche Regelungen und Wertungen die Grenzen der Auskunftspflicht bestimmen (BAGE 49, 214 (221ff.)).

b) Die einschlägigen Entscheidungen des BAG befassen sich ganz überwiegend mit dem Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellungen. Auch in der Literatur wird der Informationsanspruch des Arbeitgebers zumeist in diesem Zusammenhang abgehandelt (vgl. etwa Schaub, ArbeitsR-Hdb., 7 Aufl., § 25 II = S. 112ff., § 26 III = S. 118ff.; Moritz, NZA 1987, 329ff.; grundlegend und ausführlich Buchner, in: Münchner Hdb. z. ArbeitsR, S. 577ff.). Fragerechtsbeschränkungen werden im allgemeinen aus einer Interessenabwägung und aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Ebenso können Benachteiligungsverbote greifen. Die hier gefundenen Ergebnisse können aber nicht ohne weiteres auf das bestehende Arbeitsverhältnis übertragen werden (vgl. auch Blomeyer, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 95 Rdnr. 17). Im Streitfalle geht es zum einen um einen echten Auskunftsanspruch, nicht nur um den Umfang des Fragerechts; zum anderen sind die Interessen- und die Gefahrenlage für die Vertragspartner bei der Einstellungsentscheidung und im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht völlig gleichgelagert.

c) Für den Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im bestehenden Arbeitsverhältnis bedeutet das:

aa) Voraussetzung ist ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung der Frage. Dieses Interesse muß gerade im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis vorliegen. Da sich die Auskunft nur auf das Bestehen oder den Umfang von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis beziehen kann, muß ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung mit dessen sonstiger Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Ein bloß allgemeiner Zweckzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis reicht hier nicht aus.

bb) Die Auskunftsverpflichtung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen. Sie muß der Bedeutung des Auskunftsinteresses entsprechen. Kann sich der Arbeitgeber die Information auf zumutbare Weise anderweitig verschaffen, ist der Anspruch ausgeschlossen. Greift die Frage in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, so muß dieser Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung muß in jedem Fall gewahrt bleiben.

cc) Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozeß und gesetzliche Beweislastregeln sind zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweissituation darf nicht durch die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden. Der Auskunftsanspruch kann nach Treu und Glauben nur da ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast einer entsprechenden Korrektur bedarf.

Nach § 1 II 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen bestehen, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben.

3. Die der Kl. mit dem Fragebogen vorgelegten Fragen sind danach überwiegend nicht zu beanstanden.

a) Die Fragen 1.1., 1.2. und 2. sind zulässig und müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Der Senat hat bereits im Urteil vom 26. 8. 1993 (AP Nr. 8 zu Art. EinigungsV (zu B II 5)) die Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung für das MfS als zulässig erachtet. Der Senat hat angenommen, der Arbeitnehmer habe die Frage nach Beziehungen zum MfS wahrheitsgemäß beantworten müssen. Die Frage habe im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden und dem Zweck gedient, ungeeigneten Personen i.S. der Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 und 5 EinigungsV (künftig: Abs. 4 und 5 EinigungsV) zu kündigen. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts verpflichte Art. 33 II GG die neuen Träger öffentlicher Verwaltung auch im Hinblick auf die kraft Gesetzes übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Zur Eignung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst gehöre das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Arbeitnehmer, der sich in der Vergangenheit besonders mit den Zielsetzungen der SED identifiziert habe, erwecke allein deshalb Zweifel an der Verfassungstreue. Der Einigungsvertrag erfordere die Prüfung der früheren Stellung des Arbeitnehmers, da Abs. 4 Ziff. 1, Alt. 2 EinigungsV auf die mangelnde persönliche Eignung abstelle. Entsprechendes gelte für Abs. 5 EinigungsV. Der öffentliche Arbeitgeber habe ein berechtigtes Interesse daran, alle zu dieser Aufklärung erheblichen Fragen im Rahmen der übernommenen Arbeitsverhältnisse zu stellen. Das bestätige der Einigungsvertrag indirekt in Anl. I Kap. II Sachgeb. B Abschn. II Nr. 2 lit.b § 2 Abs. 1 S. 3 Ziff. 2. Das Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung wiege schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Ausübung des Fragerechts diene letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut.

Hieran hält der Senat fest. Der öffentliche Arbeitgeber darf nach dem Grundgesetz nur solche Lehrer einsetzen, die zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S. des Grundgesetzes stehen. Um diese Aufgabe sicherzustellen, bedarf es der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS und nach Funktionen in politischen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR. Die wahrheitsgemäße Antwort durch den Lehrer ist erforderlich, damit Zweifel an dessen Eignung ausgeräumt werden oder der öffentliche Arbeitgeber solchen Zweifeln im einzelnen nachgehen kann. Der Bekl. hat nach der als solche keine Zweifel begründenden Mitgliedschaft in der SED gerade nicht gefragt. Eine übermäßige Belastung des Auskunftsverpflichteten liegt angesichts des besonderen Interesses des Arbeitgebers nicht vor. Dessen Interesse ist auf die Unterrichtung gerade durch den einzelnen Lehrer gerichtet, um Denunzierungen zu vermeiden. Entgegen der Auffassung der Kl. wird keine "lückenlose Biographie" und auch keine "Selbstbezichtigung" verlangt. Der Lehrer ist nicht etwa verpflichtet, im einzelnen Kündigungsgründe preiszugeben, etwa zur Art und Weise der Amtsausübung oder zu konkreten belastenden Vorfällen. Die Ausübung von Mandaten, Funktionen oder herausgehobenen Positionen ist zwar dem neuen Arbeitgeber ohne entsprechende Mitteilung regelmäßig nicht bekannt, so daß es der Auskunft bedarf. Sie vollzog sich gleichwohl weitgehend im öffentlichen Bereich, die private Lebensgestaltung ist nicht betroffen.

Die zum Teil allgemeine Art der Fragestellung steht ihrer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht entgegen. Zwar werden auch Sachverhalte, insbesondere Mandate und Funktionen, erfragt, die eine mangelnde Eignung nicht indizieren. Jedoch hätte eine nur auf belastende Mandate, Funktionen und Tätigkeiten abzielende Fragestellung dem Befragten einen Beurteilungsspielraum gelassen, der die Vollständigkeit der Antworten in Frage gestellt hätte. In den Fragebogen eine Liste aller die mangelnde Eignung indizierenden Mandate, Funktionen und Tätigkeiten aufzunehmen, wäre praktisch nicht möglich gewesen.

Die Befragung und Auswertung der Antworten ist entgegen der Auffassung der Kl. weder wegen eines Verstoßes gegen das ILO-Abkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. 6. 1958 (BGBl II 1961, 97) noch wegen eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung unzulässig. Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EinigungsV nicht gegen das ILO-Abkommen Nr. 111 verstößt. Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch Ausübung bestimmter Funktionen begründeten Zweifel, ob er künftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde (vgl. nur Senat, AP EinigungsV Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX (zu B II 2e); Urt. des 2. Senats, APEinigungsV Nr. 36 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX (zu B II 5); zur Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Grundgesetz: BVerfG, NZA 1995, 619). Für Fragen, die auf die Wahrnehmung solcher Funktionen gerichtet sind, muß das gleiche gelten. Die Unschuldsvermutung hat ihre Grundlage in dem aus der Würde des Menschen abgeleiteten Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld". Ihr Anwendungsbereich liegt im Straf- und Strafprozeßrecht. Demgegenüber geht es im Streitfalle nicht um Schuld und Strafe im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern um die Feststellung der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit im Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

b) Die Fragen 3. bis 6. sind ebenfalls zulässig und müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Diese Fragen betreffen neben der persönlichen Eignung auch die fachliche Qualifikation des Lehrers i.S. von Abs. 4 Ziff. 1 EinigungsV. Sie beziehen sich auf die berufliche Tätigkeit sowie die Vor- und Ausbildung. Solche Fragen sind bei der Einstellung des Arbeitnehmers zulässig, weil der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse besitzt, den Arbeitnehmer entsprechend seinen Kenntnissen und Erfahrungen einzusetzen. Zu den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers im bestehenden Arbeitsverhältnis gehören auch die sachgerechte Beurteilung des Lehrers und seine vertragsgemäße und angemessene Beschäftigung. Der Arbeitgeber muß über Nach- und Weiterqualifizierungen entscheiden, bei Kündigungen aus betrieblichen Gründen ist eine Auswahl zu treffen und ggf. zu geänderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Das alles setzt entsprechende Informationen des Arbeitgebers voraus. Ein Auskunftsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis ist daher gegeben, wenn davon auszugehen ist, daß die bei der Einstellung abgegebenen Erklärungen und danach erfolgte Ergänzungen nicht mehr vollständig vorhanden sind. Gerade das ist, wie das LAG unangefochten festgestellt hat, nach der sogenannten Aktenbereinigung aufgrund von § 4 I der Verordnung v. 22. 2. 1990 (DDR-GBl I, 84) vielfach der Fall. Aber auch dort, wo keine "Bereinigung" stattgefunden hat, kann der öffentliche Arbeitgeber regelmäßig nicht von der Vollständigkeit der Personalakten ausgehen. Keine Rede kann davon sein, der Bekl., der nach Art. 13 Abs. 1 EinigungsV kraft Gesetzes Arbeitgeber geworden ist, habe eine frühere zumutbare Informationsmöglichkeit nicht genutzt.

Die Auskunft ist unschwer möglich und stellt für die Kl. keine unzumutbare Belastung dar. Der damit verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wiegt nicht sonderlich schwer und muß angesichts des besonderen Arbeitgeberinteresses hingenommen werden. Wegen der dargestellten verfassungsrechtlichen Bindung des Bekl. ist der Lehrer verpflichtet, ein aus der Tätigkeit oder Ausbildung sich etwa ergebendes Indiz mangelnder Eignung offenzulegen.

c) Die Kl. muß zu erfolglosen Anwerbungsversuchen seitens des MfS keine Auskunft geben, weil ein Zusammenhang weder mit der Erfüllung der geschuldeten Leistung noch überhaupt mit der gegenseitigen Pflichtenbindung im Arbeitsverhältnis besteht. Ein berechtigtes Interesse des Bekl. an der Frage 1.3. ist nicht erkennbar. Der Bekl. hat ein solches Interesse auch nicht geltend gemacht. In Betracht kommt allenfalls der Wunsch, allgemeine Erkenntnisse über das Vorgehen der Staatssicherheit zu sammeln oder kontrollieren zu können, ob der Arbeitnehmer wahrheitsgetreu antwortet. Beides könnte einen Auskunftsanspruch nicht rechtfertigen. Der Arbeitnehmer muß nicht generell dem Arbeitgeber zu Auskünften zur Verfügung stehen. Auf die Frage, ob ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vorliegt, kommt es daher nicht an. Besteht keine Auskunftspflicht, so ist die Frage 1.3. des Fragebogens unzulässig, weil eine Verpflichtung zu wahrheitsgemäßer Beantwortung behauptet und mit Konsequenzen bei unwahren oder unvollständigen Angaben gedroht wird. Ob der Bekl. die Frage in anderer Form und in anderem Zusammenhang, insbesondere unter Hinweis auf die Freiwilligkeit der Beantwortung hätte stellen dürfen, bedarf keiner Entscheidung.

Vorinstanzen

LAG Chemnitz, 5 Sa 141/92, 06.07.1993

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht