Beschränkung einer Gratifikation auf Frauen im Erziehungsurlaub - Diskriminierung

Gericht

LAG Hessen


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

26. 11. 1999


Aktenzeichen

7 Sa 557/99


Leitsatz des Gerichts

Die Beschränkung des Nachzahlungsanspruchs für durch den Erziehungsurlaub entgangene Gratifikationen auf Frauen nach den §§ 13 Nr. 9 III 3 Nr. 3 MTV für das Versicherungsgewerbe stellt eine unzulässige Diskriminierung von Männern dar. Es ist auch nicht erforderlich, dass Männer den Erziehungsurlaub unmittelbar im Anschluss an die Schutzfrist der Mutter antreten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um einen Nachzahlungsanspruch bezüglich Sonderzahlungen. Der Kl. ist seit dem 1. 4. 1988 bei der Bekl. als Sachbearbeiter gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 6073 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für das Versicherungsgewerbe Anwendung. Gem. §§ 3 Nr. 3, 13 Nr. 9 des Manteltarifvertrages für das Versicherungsgewerbe (gültig vom 1. 10. 1991 bis zum 30. 9. 1996) ist den Arbeitnehmern, deren Monatsbezüge das höchste im Gehaltstarifvertrag festgesetzte Gehalt zuzüglich der tariflichen Zulagen nicht um mehr als 10% übersteigt - wozu der Kl. gehört - im letzten Quartal des Kalenderjahres eine Sonderzahlung in Höhe von 80% ihres Bruttomonatsgehalts und im zweiten Quartal des Kalenderjahres eine Sonderzahlung in Höhe von 50% ihres Bruttomonatsgehalts zu gewähren. Beide Vorschriften enthalten in Unterabs. 3 folgende Bestimmung:

§§ 3 Nr. 3, 19 Nr. 9. (3) Für jeden Monat im zweiten Kalenderhalbjahr, in dem der Arbeitnehmer nicht für wenigstens 15 Tage Anspruch auf Bezüge gem. Nr. 2 oder auf Leistungen gem. § 10 Nrn. 1 bis 3 oder auf Leistungen für die Zeiten der Schutzfristen und Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz hat, wird die Sonderzahlung um 1/6 gekürzt. Eine Kürzung unterbleibt, wenn der Arbeitnehmer nur deshalb keine Zahlungen gem. § 10 Nrn. 2 und 3 erhält, weil das Krankengeld bereits 90% der Gesamtnettobezüge ausmacht. Der für die Dauer des Mutterschaftsurlaubs anteilig gekürzte Betrag der Sonderzahlung wird der Arbeitnehmerin nachgezahlt, wenn das Arbeitsverhältnis im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub für mindestens sechs Monate fortgesetzt wird. Zeiträume, für die der Arbeitnehmerin weder Bezüge gemäß Nr. 2 noch Leistungen gem. § 10 Nr. 1 zustehen, bleiben dabei außer Betracht.

Mit Rücksicht darauf, dass durch das Bundeserziehungsgeldgesetz die bis dahin geltenden Vorschriften der §§ 8aff. MuSchG in der Fassung vom 25. 6. 1979 beseitigt und durch Vorschriften zur Gewährung eines Erziehungsurlaubs ersetzt wurden, haben die Tarifvertragsparteien in Protokollnotizen zu dem genannten Manteltarifvertrag vom 25. 9. 1991 folgende Regelung getroffen: Die Parteien stimmen darin überein, dass die Nachzahlungsregelung für Arbeitnehmerinnen, die nach dem Mutterschaftsurlaub in das Unternehmen zurückkehren (jeweils 3 und 4 der genannten Bestimmungen) in gleichem Umfang, also begrenzt auf die Dauer und auf die anspruchsberechtigten Personen des früheren Mutterschaftsurlaubs, entsprechend anzuwenden ist, wenn das Arbeitsverhältnis nach Abschluss des Erziehungsurlaubs fortgesetzt wird. Im Betrieb der Bekl. existiert ein gewählter Betriebsrat. Dieser hat mit der Bekl. eine Betriebsvereinbarung unter anderem über Sonderzahlungen vereinbart, die in Nr. 5.1 folgende Bestimmung enthält:

5.1. Weihnachtsgeld: Die Gesellschaft gewährt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zum Zeitpunkt der Auszahlung festangestellt sind und im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, neben der in § 3 Nr. 3 des Manteltarifvertrages geregelten Sonderzahlung (80% eines Bruttomonatsgehaltes) ein Weihnachtsgeld in Höhe von 70% eines Bruttogehaltes. Die gesamte Sonderzahlung in Höhe von 150% wird mit dem Novembergehalt ausgezahlt. Berechnungsgrundlage ist das Dezembergehalt.

Eine entsprechende Regelung findet sich zum Urlaubsgeld, welches mit dem Aprilgehalt in Höhe von 50% des Dezembergehalts ausgezahlt wird. Nach dem - auch im Kammertermin vor dem LAG nicht in Abrede gestellten - Vortrag des Kl. ist die Zahlung und Handhabung des auf der Betriebsvereinbarung beruhenden Teils der Sonderzahlung entsprechend den Sonderzahlungen laut Manteltarifvertrag geregelt. Am 9. 4. 1994 wurde der Sohn des Kl. geboren. Die Mutterschutzfrist der Ehefrau des Kl. war am 4. 6. 1994 zu Ende. Der Kl. nahm vom 9. 4. 1995 bis 8. 10. 1995 Erziehungsurlaub und setzte im Anschluss daran sein Arbeitsverhältnis bei der Bekl. fort. Die Bekl. kürzte mit Rücksicht auf den Erziehungsurlaub des Kl. entsprechend der oben zitierten tariflichen Vorschriften die an den Kl. zu leistenden Sonderzahlungen für das Kalenderjahr 1995 um insgesamt 6074 DM brutto. Der Kl. begehrt die am 8. 4. 1996 fällige Nachzahlung der Sonderzahlungen für das Kalenderjahr 1995. Der Kl. ist der Auffassung, er habe gemäß den zitierten tariflichen Vorschriften einen Anspruch auf Nachzahlung des Kürzungsbetrages für vier Monate mit Rücksicht darauf, dass er nach Ende des Erziehungsurlaubes am 8. 10. 1995 unstreitig sein Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bei der Bekl. fortgesetzt habe. Die zitierte Protokollnotiz sei mit Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend auszulegen.

Das ArbG hat die Klage durch Urteil abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das ArbG hat zwar zutreffend erkannt, dass Zahlungsansprüche aus 1995 verjährt sind. Im Übrigen konnte die Bekl. den Anspruch auf Sonderzahlung nach dem Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe für den Zeitraum anteilig kürzen, in dem der Kl. gesetzlichen Erziehungsurlaub in Anspruch nahm (vgl. auch LAG Düsseldorf, VersR 1990, 1167).

Der Kl. hat jedoch gemäß der Protokollnotiz zu den §§ 3 Nr. 3, 13 MTV einen Nachzahlungsanspruch in Höhe von 4/6 der gekürzten Sonderzahlungen. Dieser Nachzahlungsanspruch war am 8. 4. 1996 fällig und bei Klageeinreichung am 1. 10. 1998 nicht verjährt. Der Nachzahlungsanspruch besteht nicht nur hinsichtlich der gekürzten tariflichen Ansprüche, sondern aufgrund der im Kammertermin vor dem LAG eingeräumten einheitlichen Handhabung auch für die Zusatzleistungen aus der Betriebsvereinbarung. Zudem verweist die Betriebsvereinbarung auf die tariflichen Zahlungen und stockt diese lediglich auf.

Ein Nachzahlungsanspruch nach § 13 Nr. 9 III 3; § 3 Nr. 3 III 2 MTV war nicht nur für entgangene Sonderleistungen im früheren Mutterschaftsurlaub gegeben. Durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Mutterschutzgesetzes vom 27. 6. 1979 (BGBI I, 823) ist der Mutterschaftsurlaub eingeführt worden. Danach hatten Mütter Anspruch auf Mutterschaftsurlaub im Anschluss an die Schutzfrist des § 6 I MuSchG bis zu dem Tag, an dem das Kind sechs Monate alt wurde. Diesen Urlaub musste die Mutter spätestens vier Wochen vor Ablauf der Schutzfrist des § 6 I MuSchG verlangen (§ 8a MuSchG).

Die §§ 3 Nr. 3 und 13 Nr. 9 MTV sahen insoweit einen Nachzahlungsanspruch für infolge des Mutterschaftsurlaubs entgangene Sonderzahlungen vor, wenn das Arbeitsverhältnis im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub mindestens 6 Monate fortgesetzt worden ist.

Durch das Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. 12.1985 wurde der Kreis derjenigen, die berechtigt sind, im Erziehungsfall die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zum Ruhen zu bringen, stark erweitert, insbesondere wurde der Anspruch auch auf Väter ausgedehnt (§ 15 BErzGG). Gleichzeitig besteht nunmehr die Möglichkeit, dass der Erziehungsurlaub auch zu einem späteren Zeitpunkt als unmittelbar nach der Schutzfrist in Anspruch genommen wird, er muss lediglich spätestens 4 Wochen vor dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme verlangt werden (§ 16 BErzGG).

Durch die Protokollnotiz zu § 3 Nr. 3 und § 13 Nr. 9 MTV haben die Tarifvertragsparteien dementsprechend einen Nachzahlungsanspruch auch für entgangene Sonderleistungen im Erziehungsurlaub geregelt. Soweit sie diesen jedoch auf Mütter beschränkt und Väter ausgenommen haben, verstößt die Regelung gegen Art. 3 II GG, Art. 119 (seit 1. 1. 1999 Art. 141) EGV. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen (h.M.: vgl. BAG, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung [zu B II 2a] m.w.Nachw.; Wissmann, in: Festschr. f. Dieterich, 1999, S. 683, 690; im Ergebnis auch ErfK/Dieterich, 1998, Art. 10 GG Rdnrn. 50, 53; vgl. aber auch Dieterich, in: Festschr. f. Schaub, 1998, S. 117ff.). Die Gleichstellung von Mann und Frau ist Teil der objektiven Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht. Die durch Art. 9 III GG geschützte Tarifautonomie ändert daran nichts. Art. 9 III GG räumt den Tarifvertragsparteien keinen unbeschränkten Regelungsspielraum ein. Auch sie müssen zwingendes übergeordnetes Recht beachten. Dies führt nicht zu einer Vernachlässigung der Tarifautonomie. Die Auslegung der Vorschriften, die den Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien einschränken, muss der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Tarifautonomie Rechnung tragen (vgl. BAG, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung).

Nach Art. 3 II 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Art. 3 II GG konkretisiert demnach den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG (BVerfGE 43, 213 [225]) und verbietet es, Männer und Frauen rechtlich als unterschiedliche Gruppen anzusehen, zwischen denen Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. In Art. 3 II hat das Grundgesetz verbindlich ausgesprochen, welche Lebensverhältnisse eine unterschiedliche Behandlung nicht gestatten (BVerfGE 15, 337 [343]). Lediglich biologische oder funktionale Unterschiede können gegebenenfalls Lebensverhältnisse so entscheidend prägen, dass gemeinsame Elemente zwischen Männern und Frauen überhaupt nicht zu erkennen sind oder zumindest vollkommen zurücktreten, so dass die verschiedene rechtliche Regelung mit dem Begriff „Benachteiligen“ oder „Bevorzugen“ nicht mehr sinnvoll zu erfassen ist (BVerfGE 15, 337 [343; BVerfGE 43, 213 [225]; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG 6. Aufl., Art. 3 Rdnr. 39). Noch strenger formuliert Pfarr, (Gleichbehandlungsgesetz, S. 21), wonach Art. 3 II GG eine strikte Gleichbehandlung bis zu dem Punkt, an dem die Gleichbehandlung willkürlich wäre, gebietet.

Eine den Gleichheitssatz verletzende geschlechtsspezifische Benachteiligung liegt immer dann vor, wenn eine rechtliche Ungleichbehandlung - unabhängig davon, ob auch andere Gründe für die Entscheidung maßgeblich waren - an das Geschlecht anknüpft (vgl. BVerfGE 85, 191 [206]).

Art. 3 II GG schützt nicht nur die Frau vor einer Benachteiligung gegenüber dem Mann, sondern auch umgekehrt (BVerfGE 37, 217 [244]; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 3 Rdnr. 39).

Dass bis 1985 Anspruch auf Mutterschaftsurlaub nach § 8a MuSchG nur die leiblichen Mütter und nicht auch die Väter hatten, verstieß nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG. Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BAG (AP Nr. 6 zu § 8a MuSchG1968; vgl. auch BVerfG, SozR 2200 § 200 Nr. 9 zum Mutterschaftsgeld allein für Mütter) an. Danach rechtfertigte sich die in § 8a MuSchG enthaltene unterschiedliche Regelung für Männer und Frauen im Hinblick auf die objektiven biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern aus der Natur dieses Lebensverhältnisses. Wegen der mit der Schwangerschaft und der Entbindung zusammenhängenden physischen und psychischen Veränderungen sind Mütter über die Schutzfrist von acht Wochen nach der Entbindung hinaus schonungsbedürftig. Das gesetzgeberische Ziel für die Gewährung des Mutterschaftsurlaubs war es, den Gesundheitsschutz der Mütter zu verbessern und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich über die regelmäßige Schutzfrist von acht Wochen nach der Geburt des Kindes hinaus von Schwangerschaft und Entbindung weiter zu erholen. Dabei lag der Regelung die Erwägung zugrunde, dass sich die Doppelbeanspruchung der erwerbstätigen leiblichen Mutter in den ersten Monaten nach der Entbindung wegen der mit der Schwangerschaft und der Entbindung zusammenhängenden physischen und psychischen Veränderungen besonders deshalb besonders nachteilig auswirken kann, weil die Mutter in dieser Zeit ihre Leistungsfähigkeit oft noch nicht wiedererlangt hat. Die Doppelbelastung sollte auch gerade in der Zeit weiter abgebaut werden, in der die Mutter noch weiterer Schonung bedarf. Diese Doppelbelastung hätte zwar auch der Vater, wenn er seiner Arbeit nachgehen und gleichzeitig das Kind betreuen müsste. Die infolge Schwangerschaft und Entbindung noch nachwirkenden Belastungen liegen jedoch beim Vater nicht vor.

Bei dem tariflichen Nachzahlungsanspruch geht es jedoch nicht um durch die Freistellung von der Arbeitsverpflichtung erreichte Schonung der durch die Geburt noch geschwächten Mutter, sondern allein um einen Geldausgleich für die Arbeitnehmer, die durch die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs finanzielle Nachteile erlitten haben. Diesen Nachteil erleiden in der Versicherungswirtschaft Väter, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, genauso wie Mütter. Indem der Gesetzgeber auch Vätern das Recht auf Erziehungsurlaub eingeräumt hat, spielen biologische Unterschiede überhaupt keine Rolle mehr. Es gehört nicht zu den geschlechtsbedingten Eigenheiten von Frauen, Erziehungsurlaub zu nehmen. Wenn in diesem Bereich gleichwohl in erster Linie Erziehungsurlaub von Frauen genommen wird, beruht dies allein auf der herkömmlichen Vorstellung, dass es der Frau zufällt, Kinder zu erziehen (vgl. ähnlich BVerfG, NJW 1980, 823). Wenn aber auch Väter Erziehungsurlaub nehmen können, können biologische Gründe den Ausschluss der Väter hinsichtlich des Nachzahlungsanspruchs nicht rechtfertigen.

Es stellt des Weiteren keinen funktionalen Unterschied dar, der nach Art. 3 II GG einen Ausschluss der Männer rechtfertigen würde, dass traditionell immer noch wesentlich mehr Frauen als Männer Erziehungsurlaub nehmen und häufig auch ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wenn die Kinderbetreuung nach dem Erziehungsurlaub nicht gewährleistet ist (vgl. hierzu im Einzelnen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Kurzbericht Nr. 8 vom 5. 9. 1997: „Erziehungsurlaub - und was dann?“). Ein Rückkehranreiz nur für Frauen lässt sich damit nicht rechtfertigen. Zum einen entspricht es allenfalls einer hergebrachten Vorstellung, dass die Kindererziehung als eine der Frau zufallende Aufgabe bei der Aufteilung der soziologischen Funktionen zwischen den Geschlechtern empfunden wird.

Die Personensorge steht jedoch nach § 1626 BGB beiden Elternteilen gemeinsam zu. Jeder Elternteil hat Personen- und Vermögenssorge in allen ihren Bestandteilen. Die Personensorge umfasst das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthaltsort zu bestimmen (§ 1631 BGB). Die Kindererziehung allein oder im Wesentlichen als Aufgabe der Frau wahrzunehmen, widerspricht damit dem partnerschaftlichen Bild des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Überdies ist die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch die Frau angesichts der Tatsache, dass den Erziehungsurlauberinnen und -urlaubern keine Lohnersatzleistung, sondern nur ein Erziehungsgeld von maximal 600 DM zusteht, kein Umstand, der auf funktionalen Gründen beruht, sondern im Wesentlichen dadurch bedingt, dass das höhere Einkommen in aller Regel vom Mann erzielt wird und dieses für die Familie erhalten werden soll und Männer bei Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs erhebliche Nachteile für ihre Erwerbsbiographie befürchten (vgl. Gutschmidt, die gerechtere Verteilung des „Arbeitsmarktrisikos Kind“, Dokumentation, FR v. 4. 8. 1997; Hildebrandt/Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 51).

Der Ausschluss von Männern aus dem Nachzahlungsanspruch verstößt weiterhin gegen Art. 119 EGV (jetzt Art. 141). Danach gilt der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Unter „Entgelt“ sind die üblichen Grund- und Mindestlöhne und -gehälter sowie alle Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen bezahlt. Sonderzahlungen, die während des Erziehungsurlaubs gezahlt oder nicht gezahlt werden, fallen unter den Entgeltbegriff des Art. 119 (141) EGV (insoweit bejahend BAG, AP Nr. 175 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, Urt. v. 22. 10. 1997 - 10 AZR 44/97 unveröff.; vgl. auch EuGH, AP Nr. 8 zu EWG-Richtlinie Nr. 76/207). Unter den Entgeltbegriff fallen damit auch Nachzahlungsansprüche für durch den Erziehungsurlaub entgangene Sonderzahlungen.

Die Ungleichbehandlung der Männer ist vorliegend nicht als privatwirtschaftliche frauenfördernde Bevorzugung von Frauen gerechtfertigt. Es ist unbestritten, dass frauenfördernde Maßnahmen in der Privatwirtschaft insbesondere mittels Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen getroffen werden können. Dies ergibt sich zumindest aus Art. 2 IV der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. 2. 1976, wonach die Gleichbehandlungsrichtlinie Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlichen Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beeinträchtigen, nicht entgegensteht (vgl. Bertelsmann/Colneric/Pfarr/Rust, Hdb. zur Frauenerwerbstätigkeit, T. 2 2.1. S. 1; zur Zulässigkeit der Frauenförderung im öffentlichen Dienst EuGH, AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 76/207 - Marschall). Die Tarifvertragsparteien haben mit der Zubilligung des Nachzahlungsanspruchs lediglich an Frauen jedoch keine frauenfördernde Maßnahme getroffen. Der Nachzahlungsanspruch kann zwar einen Anreiz für Frauen darstellen, ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen. Der Arbeitgeber verfolgt mit der Schaffung des Rückkehranreizes aber vor allem eigene Interessen. Auch enthebt die Gewährung des Nachzahlungsanspruchs weder Frauen noch Männer von der Lösung des Problems, die Kinderbetreuung trotz Erwerbstätigkeit zu gewährleisten. Allein familienbezogene Maßnahmen wie Erleichterung der Teilzeitarbeit oder familienfreundliche Arbeitszeitmodelle oder familienbezogene Sozialeinrichtungen könnten deshalb als frauenfördernde Maßnahmen verstanden werden ( vgl. auch Bertelsmann/Colneric/Pfarr/Rust, T 2, 2.4 S. 5; Hildebrandt/Woeckel, S. 115ff.). Zudem müssten frauenfördernde Maßnahmen vorliegend nicht mittels einer Ungleichbehandlung der Männer erkauft werden.

Letztlich verfestigt der Tarifvertrag mit dem Ausschluss von Männern aus dem Nachzahlungsanspruch sogar die jetzige Lage, d.h. die Unterbrechung weiblicher Erwerbsbiographien, denn der Ausschluss erweist sich für Männer als weiteres Motiv, keinen Erziehungsurlaub anzutreten. Es mag dahinstehen, ob Art. 3 II GG den Ausschluss aus dem Nachzahlungsanspruch letztendlich sogar als Diskriminierung der Frauen verbietet. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, die jetzt auch in Art. 3 II 2 GG Eingang gefunden hat, will Art. 3 II GG nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen danach nicht durch staatliche Maßnahmen verfestigt werden (hinsichtlich des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen vgl. BVerfG, NZA 1992, 270 = AP Nr. 2 zu § 19 AZO). Es kann dahinstehen, ob Art. 3 II GG auch einer privatwirtschaftlichen Maßnahme entgegensteht, die letztlich eine gleichmäßige Aufteilung familiärer Pflichten verhindert und ob der Tarifvertrag wegen der Nachteile für Frauen zudem nicht mit Art. 4b der EG-Gleichbehandlungsrichtlinie (76/207/EWG) im Einklang steht, jedenfalls ist die getroffene Nachzahlungsregelung schon aufgrund der nicht gerechtfertigten Benachteiligung von Männern unwirksam.

Dem Nachzahlungsanspruch des Kl. steht schließlich nicht entgegen, dass er den Erziehungsurlaub nicht unmittelbar im Anschluss an die Mutterschutzfrist in Anspruch genommen hat. Ein entsprechendes Erfordernis ergibt sich nicht mit hinreichender Sicherheit aus dem Tarifvertrag und selbst wenn man dies zugunsten der Bekl. unterstellen würde, wäre dieses Erfordernis ebenfalls verfassungswidrig. Die Tarifvertragsparteien haben im Grundsatz den heutigen Erziehungsurlaub und den Mutterschaftsurlaub gleichgestellt und auch für den Erziehungsurlaub Nachzahlungspflichten anerkannt. Sie haben in den Protokollnotizen zu § 3 Nr. 3 und § 13 Nr. 9 MTV die Nachzahlungsregelung beim Erziehungsurlaub auf den „Umfang“ begrenzt, der auch beim Mutterschaftsurlaub bestand. Was sie mit „Umfang“ in diesem Sinne meinen, wird weiter erläutert durch den Einschub: „also begrenzt auf die Dauer und auf die anspruchsberechtigten Personen des früheren Mutterschaftsurlaubs“.

Protokollnotizen sind im Zweifel Bestandteile des Tarifvertrags und tragen Tarifcharakter, auch wenn sie in einem eigenen Schriftstück niedergelegt sind. Es ist allgemein anerkannt, dass es insoweit nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Tarifvertragsparteien den Begriff Tarifvertrag verwendet haben. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob in der Protokollnotiz der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt (BAG, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAG, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge Bergbau; Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 1 Rdnr. 233).

Aus dem normativen Charakter eines Tarifvertrages ergibt sich, dass seine Auslegung den Regeln über die Auslegung von Gesetzen folgt. Auszugehen ist vom Wortlaut der Regelung, wobei es jedoch nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Vielmehr ist der wirkliche Wille zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Hierbei kommt dem von den Tarifpartnern verfolgten Zweck eine besondere Bedeutung zu, soweit er in dem Tarifvertrag wenigstens andeutungsweise Ausdruck und Niederschlag gefunden hat. Neben der Feststellung des Zwecks sind als weitere Auslegungsmittel der Gesamtzusammenhang des Tarifwerks zu berücksichtigen, weil dieser Anhaltspunkte für den Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so Sinn und Zweck des Tarifvertrages zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte und gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, AP Nr. 208 zu §§ 22 BAT1975; BAG, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG, NJW 1966, 1836).

Maßgebend für die Beurteilung der tariflichen Ansprüche ist die Protokollnotiz vom 25. 9. 1991. §§ 3 Nr. 3 und 13 Nr. 9 MTV selbst knüpfen nämlich an den früheren Mutterschaftsurlaub des § 8a MuSchG a.F. an. Mit Inkrafttreten des Bundeserziehungsgeldgesetzes ist die Regelung über den Mutterschaftsurlaub außer Kraft getreten. Diesem Umstand wollten die Tarifvertragsparteien in der genannten Protokollnotiz Rechnung tragen. Danach ist die Nachzahlungsregelung für Arbeitnehmerinnen, die nach dem Mutterschaftsurlaub in das Unternehmen zurückkehren „in gleichem Umfang“, also „begrenzt auf die Dauer“ und auf die anspruchsberechtigten Personen des früheren Mutterschaftsurlaubs „entsprechend“ anzuwenden, wenn das Arbeitsverhältnis nach Abschluss des Erziehungsurlaubs fortgesetzt wird. Das bedeutet, dass diejenigen Frauen, die nach Abschluss des Erziehungsurlaubes für sechs Monate ihr Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen fortsetzen, Anspruch haben auf 4/6 der gekürzten Sonderzahlung (LAG Hamburg, Urt. v. 25. 6. 1998 - 7 Sa 98/97 unveröff.).

Der Wortsinn der Regelung ist nicht eindeutig. Aus ihm kann man das von der Bekl. behauptete, im Hinblick auf den Nachzahlungsanspruch nötige Erfordernis einer bestimmten zeitlichen Lage des Erziehungsurlaubs nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. „Umfang“ und „Dauer“ sind nämlich beides Begriffe, die auf eine begrenzte Zeitspanne, einen zeitlichen Rahmen hinweisen (vgl. Brockhaus/Wahring, deutsches Wörterbuch). Eine bestimmte zeitliche Lage ergibt sich aus diesen Begriffen zunächst nicht, sondern kann allenfalls aus hinzutretenden Kriterien geschlossen werden. Die Verweisung auf die Dauer und den Umfang des Mutterschaftsurlaubs stellt damit zunächst lediglich eine Verweisung auf die Zeitspanne dar, die der frühere Mutterschaftsurlaub andauerte, d.h. vier Monate (bis zum 6. Lebensmonat des Kindes abzüglich der normalen Schutzfrist). Die Tatsache, dass die zeitliche Lage des früheren Mutterschaftsurlaubs feststand - nach § 8a MuSchG a.F. hatten Mütter nämlich Anspruch auf Mutterschaftsurlaub im Anschluss an die Schutzfrist bis zu dem Tag, an dem das Kind 6 Monate alt wurde - lässt nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass die Tarifvertragsparteien einen Nachzahlungsanspruch nur dann gewähren wollten, wenn der Erziehungsurlaub unmittelbar im Anschluss an die Schutzfrist genommen wird. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht möglich, wie die Bekl. im Kammertermin vor dem LAG gemeint hat, aufgrund der Verfahrensweise in der Vergangenheit auf den Inhalt der Protokollnotiz rückzuschließen. Die Protokollnotiz wurde gerade mit Rücksicht auf den neu geschaffenen Erziehungsurlaub aufgenommen. Die Tarifvertragsparteien wollten den Tarifvertrag der neuen Rechtslage anpassen. Die neue Rechtslage beinhaltete aber auch erstmals die Möglichkeit, dass der Erziehungsurlaub nicht unmittelbar im Anschluss an die Schutzfrist genommen wird, wenn auch der Zeitrahmen 1985 wesentlich geringer als heute war, aber 1991, d.h. bei Schaffung der Protokollnotiz schon 15 Monate betrug (§ 16 BErzGG). Die neue Rechtslage war auch den Tarifvertragsparteien bekannt. Insoweit ist mit der Protokollnotiz eine „entsprechende“ Anwendung der tariflichen Nachzahlungsregelung geschaffen worden. Mit der Regelung einer „entsprechenden“ Anwendung schließt ein Normgeber eine Regelungslücke, indem er eine Regelung eines Sachverhalts auf einen zweiten Sachverhalt überträgt. Da der nicht geregelte Sachverhalt aber nicht identisch mit dem geregelten ist - sonst bestünde ja gar kein Regelungsbedarf - kommt nur eine „entsprechende“ Anwendung in Betracht. „Entsprechend“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht „identisch“ oder „gleich“, sondern eine Rechtsanwendung, die sich zwar an die Ausgangsregelung anlehnt, aber die Eigenheiten des neu zu regelnden Sachverhalts mit berücksichtigt. Eine Eigenart des neu geschaffenen Erziehungsurlaubs war und ist aber gerade die wesentlich größere Flexibilität hinsichtlich der Inanspruchnahme. Deshalb ist mangels entgegenstehender Hinweise davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien, wenn sie denn diese Flexibilität in der Versicherungswirtschaft nachzahlungsschädlich ausgestalten wollten, diese Absicht ausdrücklich genannt hätten. Zudem entspricht diese Auslegung auch dem Zweck der Norm. Die Tarifvertragsparteien wollten mit der Nachzahlungsregelung die Betriebstreue von Arbeitnehmerinnen belohnen, die trotz familiärer Verpflichtungen nach dem Erziehungsurlaub für mindestens sechs Monate in ihr Arbeitsverhältnis zurückkehren (Seifert, Tarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe, Loseblattsammlung, § 3 Nr. 19). Diese Betriebstreue wird aber auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erbracht, die den Erziehungsurlaub nicht direkt im Anschluss an die Schutzfrist der Mutter nehmen. Auch der mit der Regelung verwirklichte Rückkehranreiz entfaltet seine Wirkung, wenn die Arbeitnehmer nach einem später in Anspruch genommenen Erziehungsurlaub in den Betrieb zurückkehren. Die von der Bekl. behauptete gewollte zeitlich begrenzte Belohnung oder der zeitlich begrenzte Anreiz hat im Tarifvertrag seinen Niederschlag nur insoweit gefunden, als der Erziehungsurlaub nur begrenzt in Anspruch genommen werden soll, nämlich für vier Monate, da nur dieser Zeitraum nachzahlungsunschädlich ist. Weder erkennbar noch für die Verwirklichung des Zwecks erforderlich ist jedoch, dass der Erziehungsurlaub direkt im Anschluss an die Schutzfrist genommen wird.

Doch selbst wenn man zugunsten der Bekl. unterstellen würde, dass die Tarifvertragsparteien einen Nachzahlungsanspruch nur dann zugebilligt haben, wenn der Erziehungsurlaub im Anschluss an die Schutzfrist genommen wird, so verstößt eine derartige Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG. Dies gilt zumindest für die aufgrund Art. 3 II GG nachzahlungsberechtigten Männer.

Art. 3 I GG verbietet es, in einem Tarifvertrag gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (BAG, AP Nr. 4 zu Art. GG; BAG, NJW 1977, 1742; BAG, NJW 1986, 1006). Art. 3 I GG ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfG, NJW 1990, 2246 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB; BAG, AP Nr. 143 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Art. 3 I GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz und damit auch alle betroffenen Angestellten vor dem Tarifvertrag gleich zu behandeln. In Art. 3 I GG kommt darüber hinaus ein Willkürverbot als fundamentales Recht zum Ausdruck. Die Grenze zur Willkür wird durch eine Regelung jedoch nicht schon dann überschritten, wenn die gefundene Lösung nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste ist, sondern erst dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die Regelung nicht finden lässt. Der Gleichheitssatz wird durch die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag

deshalb nur dann verletzt, wenn sie es versäumen, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (st. Rspr. vgl. BAG, AP Nr. 72 zu §§ 22 BAT1975). Die Gerichte können deshalb nicht prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben, vielmehr haben sie lediglich zu untersuchen, ob die getroffene Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet. Das ist dann anzunehmen, wenn Differenzierungen vorgenommen wurden, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht vorhanden sind (BAG, AP Nr. 153 zu §§ 22 BAT1975; BVerfG, AP Nr. 116 zu Art. GG). Dabei ist es unvermeidlich, dass bei Pauschalierungen, die im Gesetzes- oder Tarifrecht im Interesse der Praktikabilität vorgenommen werden, gewisse Härten vorkommen (vgl. BAG, AP Nr. 16 zu § 23a BAT).

Die Tarifvertragsparteien haben damit zwar eigenverantwortlich die für ihre Regelungen maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse festzustellen und künftige Entwicklungen einzuschätzen. Jedenfalls vertretbare Analysen und Prognosen haben die staatlichen Gerichte hinzunehmen. Dies gilt jedoch nicht für die rechtliche Bewertung der Verhältnisse. Lassen sich für eine tarifvertragliche Unterscheidung unabhängig davon, von welchen tatsächlichen Annahmen die Tarifvertragsparteien ausgingen, keine einleuchtenden Gründe finden, so ist sie offensichtlich unsachlich (BAG, AP Nr. 45 zu § 1 BetrAVG; BAG, NZA 1998, 550 = AP Nr. 1 zu § 3d BAT-O).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung können sich auch unter Zugrundelegung des weiten Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien keine Kriterien dafür finden, Männer, die Erziehungsurlaub erst später in Anspruch nehmen, anders zu behandeln als Männer, die den Erziehungsurlaub im Anschluss an die Schutzfrist nehmen. Zwischen beiden Gruppen gibt es keinerlei Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Männer selbst haben keine Schutzfrist nach den §§ 3 II, 6 I MuSchG, denn aufgrund der Tatsache, dass Frauen Kinder gebären, sind sie nicht schutzwürdig. Insoweit mutet es schon merkwürdig an, bei Männern überhaupt nach diesem Kriterium zu differenzieren. Auch die Tatsache, dass die Mütter des Kindes, für das Männer Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, Schutzfristen unterliegen, hat keinerlei Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Väter, zumal in den seltensten Fällen davon auszugehen ist, dass beide Elternteile beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt sind oder beide unter den persönlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für die Versicherungswirtschaft fallen. Soweit die Bekl. die unterschiedliche Behandlung, wie sie im Kammertermin vor dem LAG erklärt hat, mit dem Gesichtspunkt einer überschaubaren Personalplanung rechtfertigen und erklären will, so vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Die bezweckte Überschaubarkeit der Personalplanung folgt bereits aus der zeitlich begrenzten Dauer des nachzahlungsunschädlich in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubs, aber nicht aus dessen zeitlicher Lage. Nach § 16 BErzGG muss die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer spätestens vier Wochen vor dem Zeitpunkt, ab dem sie oder er ihn in Anspruch nehmen will, erklären, für welchen Zeitraum und für welche Zeiträume sie oder er Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen will. Die Beschäftigten sind also lediglich zur Einhaltung einer vierwöchigen Ankündigungsfrist verpflichtet. Ab diesem Zeitpunkt und nach den einzelnen Wünschen muss der Arbeitgeber seine Personalplanung einrichten. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Personalplanung schon während einer Schutzfrist, d.h. kurz nach der Geburt oder erst geraume Zeit später einsetzen muss. Dies gilt zumindest für den infolge Art. 3 II GG anspruchsberechtigten Mann, der keinerlei Schutzfristen unterliegt. Es ist vorliegend nicht zu entscheiden, ob biologische Gründe insoweit eine Schlechterstellung der Frau im Hinblick auf eine geringere Flexibilität bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs rechtfertigen würden, wenn man zugunsten der Bekl. unterstellt, dass das Erfordernis eines unmittelbaren Anschlusses des Erziehungsurlaubs an die Schutzfrist überhaupt dem Tarifvertrag entnommen werden kann. Der Nachzahlungsanspruch einer Frau, die den Erziehungsurlaub erst zu einem späteren Zeitpunkt verlangt und erhalten hat, ist nämlich nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Der Anspruch des Kl. richtet sich der Höhe nach nach dem im Tarifvertrag geregelten Umfang. Zumindest aus europarechtlichen Grundsätzen ergibt sich nämlich, dass eine „Anhebung nach oben“ erfolgen muss, solange das diskriminierende Bezugssystem in Kraft ist. Anders lässt sich nämlich ein diskriminierungsfreier Zustand nicht erreichen (vgl. EuGH, EuZW 1991, 217; BAG in AP Nr. 63 zu § 2 BeschfG1985; Wissmann, in: Festschrift f. Dieterich, S. 685, 694). Die Höhe der Forderung ist unstreitig. Der Kl. hat im Kammertermin vor dem LAG durch teilweise Rücknahme der Berufung die Forderung auf einen Nachzahlungsanspruch für vier Monate anstelle der ursprünglichen sechs Monate beschränkt. Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 291, 288 I BGB.

Vorinstanzen

ArbG Wiesbaden, 5 Ca 3108/98, 25.2.1999

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht