Bericht über Registrierung des Ministerpräsidenten a.D. Engholm in den Stasiakten: Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Journalisten wegen erwiesener Unschuld

Gericht

Staatsanwaltschaft München I


Art der Entscheidung

Einstellungsverfügung


Datum

03. 04. 2002


Aktenzeichen

115 Js 10236/01


Leitsatz des Gerichts

  1. 1. Ministerpräsident a.D. Engholm war von der Hauptversammlung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR mit einer „IM-Akte A” unter dem Decknamen „Erdmann” registriert. Diese Kategorie umfasste neben der Gruppe der Inoffiziellen Mitarbeiter für besondere Aufgaben auch andere Gruppen. Der Registrierung mit einer „IM-Akte A” kommt zwar ein gewisser Indizwert für die subjektive Seite zu. Sie bildet jedoch keine tragfähige Grundlage für die Annahme, die registrierte Person habe das MfS als seinen Beziehungspartner gekannt.

  2. 2. Ist eine Person in der Kategorie „IMA” registriert, lässt sich demnach nicht eindeutig darauf schliessen, dass diese Person als „Inoffizieller Mitarbeiter für besondere Aufgaben” registriert war. Richtig müsste es heissen, dass der Betroffene - hier Ministerpräsident a.D. Engholm - in der Kategorie „IMA” registriert gewesen ist. Der hinausgehende Teil der Berichterstattung (IM für besondere Aufgaben stellt IMA) ist nicht ehrenrührig.

  3. 3. Der Tatbestand der Beleidigung ist nicht erfüllt, soweit dem Journalisten Sachverhalt erst nach Drucklegung bekannt wird.

Tenor

Das Ermittlungsverfahren wird gemäß 170 Absatz 2 Strafprozeßordnung eingestellt.

Entscheidungsgründe

Gründe:


1.
a) In seiner Ausgabe 49/2000 veröffentlichte FOCUS einen von den Beschuldigten zu 2) und 3) verfaßten Artikel mit dem Titel "Spionage - Deckname 'Beethoven'". Darin hieß es u.a.:

"Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte den prominenten Politiker ... in den 70iger Jahren als bedeutenden DDR-Agenten registriert. Als 'inoffizieller Mitarbeiter für besondere Aufgaben' (IMA) sollte ENGHOLM laut MfS-Terminologie den 'Feind' - gemeint war in erster Linie die Bundesrepublik - unmittelbar beeinflussen'.

In der Zentrale des US-Geheimdienstes CIA in Langley bei Washington, weit weg vom deutschen Parteiengezänk, hat man offenbar schon seit Jahren den Durchblick. Grundlage des exklusiven Wissens ist der Stasi-Schatz, den USAgenten 1992 in Moskau erbeuteten. Die damals beschaffte Stasi-Klarnamendatei (F-16) mit der wahren Identität aller deutschen MfS-Spione, die per CD-Roms nach und nach den Deutschen übergeben werden soll, lieferte auch den Schlüssel für die jetzt in der Gauck-Behörde entdeckte codierte SIRA-Karteikarte. Nach zuverlässigen FOCUSInformationen kam eine Auswertung beider Dateien zu diesem Ergebnis: Unter dem IM-Decknamen 'Beethoven', Agentennummer XIV/188/71, ist der SPD-Politiker Björn ENGHOLM, Registriernummer XIV/188/71 erfaßt."

b) Der Beschuldigte zu 1) äußerte sich in der nächsten FOCUS-Ausgabe 50/2000 unter der Rubrik "Tagebuch" u.a. wie folgt:

"Wir haben gemeldet, und an diesen Fakten haben wir keinen Zweifel, daß das DDR-Ministerium für Staatssicherheit den früheren Vorsitzenden der SPD, Bundesminister, Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten Björn ENGHOLM unter dem Decknamen 'Beethoven' jahrelang als Agent registriert hat."

In einem Artikel mit dem Titel "Affäre - Hecht alias Beethoven" in derselben Ausgabe hieß es in einer Bildunterschrift

"Unter dem Decknamen 'Beethoven' ist der frühere SPD-Chef Björn ENGHOLM registriert."

Im Artikel selbst hieß es u.a.:

"Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte den früheren SPD-Parteivorsitzenden, Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten ENGHOLM seit dem 24. Februar 1971 unter der Agentennummer XIV/188/71 als ,inoffiziellen Mitarbeiter für besondere Aufgaben (IMA)' registriert - sein Deckname war 'Beethoven'.

... Generalbundesanwalt Kay NEHM untersucht derzeit mehrere bislang ungeklärte Spionevorgänge auf den Anfangsverdacht des Landesverrats, der erst nach 20 Jahren verjährt. Zu diesen Überprüfungen zählt auch die Rolle des Stasi-Einflußagenten XIV/188/71, Codename 'Beethoven'. Eine Recherche in der vom US-Geheimdienst CIA erbeuteten Partei mit der wahren Identität aller DDR-Spitzel hatte den Klarnamen Björn ENGHOLM geliefert."

c) Am 14.12.2000 gab der Generalbundesanwalt eine Presseerklärung heraus, die im wesentlichen wie folgt lautete:

"In der Angelegenheit 'IM-Beethoven' ist dem Generalbundesanwalt gelungen, aufgrund der Amtshilfe amerikanischer Stellen Kopien der Originale verschiedener Karteikarten des MfS aus den USA zu erhalten. Daraus ergibt sich, daß keine Personenidentität zwischen Björn ENGHOLM und einer Person mit dem Decknamen 'Beethoven' besteht, wie dies von einem Teil der Medien geäußert worden ist. Ursache derartiger Verdächtigungen war möglicherweise, wie die Nachforschungen des Generalbundesanwalts ergeben haben, daß es in den-USA bei der Übertragung von Daten aus Karteikarten in elektronische Speicher aufgrund der Qualität-von Kopien zu einer unrichtigen Eintragung der Kennziffern gekommen ist."

d) In seiner Ausgabe 51/2000 veröffentlichte FOCUS einen Artikel mit dem Titel "Engholm, Schröder und die Stasi". Darin hieß es u.a.:

"Der DDR-Geheimdienst hatte den prominenten Politiker seit 1971 als Inoffiziellen Mitarbeiter, Codenummer XIV/188/71, registriert. Generalbundesanwalt Kay NEHM prüft seit kurzem einen Anfangsverdacht auf Landesverrat gegen ENGHOLM, der bei der Stasi den Agentennamen 'Beethoven' trug."

2. Der Anzeigeerstatter sieht eine üble Nachrede darin, daß die Behauptung, er sei als "inoffizieller Mitarbeiter für besondere Aufgaben" registriert gewesen, nicht wahr sei. Er sei überhaupt nicht als "IM" (Inoffizieller Mitarbeiter) registriert gewesen, die Bezeichnung "IMA" habe keinerlei Aussagewert bezüglich der Einstufung der registrierten Person. Er sei auch nicht als Agent tätig gewesen, wie die Beschuldigten sinngemäß behaupteten. Der Generalbundesanwalt habe nicht einmal die Prüfung eines Anfangsverdachts auf Landesverrat gegen ihn vorgenommen. Die Berichterstattung in der Ausgabe 51/2000 sei nach der ihn rehabilitierenden Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 14.12.2000 und damit wider besseres Wissen erfolgt; so habe das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner entsprechenden Ausgabe bereits über die Unrichtigkeit der Annahme, der Anzeigeerstatter sei unter dem Decknamen "Beethoven" registriert, berichtet.

3. Das Ermittlungsverfahren ist einzustellen, weil der Nachweis eines Beleidigungsdelikts nicht gelingen kann.

a) Die Behauptung, der Anzeigeerstatter sei als Inoffizieller Mitarbeiter für besondere Aufgaben registriert gewesen, war zwar falsch. Richtig ist aber, wie die Auskünfte des Generalbundesanwalts und der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergeben haben, daß der Anzeigeerstatter von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR mit einer "IM-Akte A" unter dem Decknamen "Erdmann" registriert war. Diese Kategorie umfaßte neben der Gruppe der Inoffiziellen Mitarbeiter für besondere Aufgaben auch "Quellen", "Residenten", "Gehilfen des Residenten", "Führungs-IM", "Funker", "Werber", "Instrukteure", "Kuriere", "Ermittler" und "Perspektiv-IM". Zwischen diesen Kategorien bestand aber nach Auskunft des Generalbundesanwalts kein wertiger Unterschied. Insbesondere kommt der Registrierung mit einer "IM-Akte All zwar auf der Grundlage des Verständnisses des MfS ein gewisser Indizwert für die subjektive Seite des IM zu, doch sei sie keine tragfähige Grundlage für die- Annahme, die registrierte Person habe das MfS als seinen Beziehungspartner gekannt. Bei dieser Sachlage ist nicht erkennbar, auf welche Weise der über die Wahrheit (Registrierung in der Kategorie "IMA") hinausgehende Teil der Berichterstattung durch die Beschuldigten (Registrierung als "Inoffizieller Mitarbeiter für besondere Aufgaben") ehrenrührigen Charakter hätte.

b) Die Beschuldigten berichteten nicht, der Anzeigeerstatter sei als Agent für das MfS tätig gewesen. Sie beschränkten sich darauf, über dessen Registrierung zu berichten. Angesichts der vom Generalbundesanwalt dargestellten Indizwirkung wurde durch diese Registrierung tatsächlich der Verdacht begründet, der Anzeigeerstatter sei wissentlich ("als Agent") für das MfS tätig gewesen. Damit gab es ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen schwerwiegenden Verdacht, was diese Berichterstattung zulässig machte.

c) Daß die Beschuldigten noch in der FOCUS-Ausgabe 51/2000 von der Registrierung berichteten, ohne auf die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts einzugehen, begründet nicht den Vorwurf der Verleumdung. Die Ermittlungen haben ergeben, daß diese Ausgabe bereits am Samstag, den 16.12.2000, im Handel erschien, während die vom Anzeigeerstatter zum Vergleich herangezogene Ausgabe des "Spiegel" erst am Montag, den 18.12.2000, erschien. Des weiteren hat die Vernehmung des Zeugen SCHWENDEMANN, der für den Druck des FOCUS zuständig ist, ergeben, daß für diese Ausgabe die letzte Möglichkeit zur inhaltlichen Korrektur um 04.30 Uhr des 14.12.2000 geendet hat. Die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts war aber - so die Fax-Leiste des vom Anzeigeerstatter vorgelegten Exemplars - erst um 13.43 Uhr jenes Tages veröffentlicht worden, hätte also keinesfalls mehr berücksichtigt werden können.

d) Die Meldung in der FOCUS-Ausgabe 51/2000, der Generalbundesanwalt prüfe einen Anfangsverdacht gegen den Anzeigeerstatter auf Landesverrat, war eine zutreffende Zusammenfassung der Geschehnisse. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik fragte der Generalbundesanwalt im Rahmen der Bearbeitung von Verdachtsfällen aus einer Teildatenbank der HVA wegen einer Eintragung zu einem IMA "Beethoven" beim US-amerikanischen Nachrichtendienst an. Aus der am 07.12.2000 eingegangenen Antwort folgte, daß der Anzeigeerstatter der IMA gewesen sein müsse. Noch am selben Tag wurde der amerikanische Dienst gebeten, zu Klärung Ablichtungen der verfilmten Unterlagen, auf die er seine Antwort gestützt hatte, zu übersenden, was am 13.12.2000 geschah. Daraufhin wurde der Übertragungsfehler festgestellt, den der Generalbundesanwalt in seiner Pressemitteilung vom 14.12.2000 darstellte. Bis zu dieser Mitteilung, die - wie bereits erörtert - von dem Beschuldigten beim Erstellen der entsprechenden FOCUS-Ausgabe noch nicht bekannt sein konnte, war es zulässig, davon zu sprechen, daß der Generalbundesanwalt das Vorliegen eines Anfangsverdachts prüfe, denn eben diesem Zweck dienten die von der Bundesbeauftragten berichteten Ermittlungshandlungen des Generalbundesanwalt.

Etwaige zivilrechtliche Ansprüche werden durch diese Entscheidung nicht berührt.

gez. Stern Oberstaatsanwalt

Rechtsgebiete

Strafrecht