Abgrenzung von Rufbereitschaft und Überstunden
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
26. 11. 1992
Aktenzeichen
6 AZR 455/91
Bestimmt der Arbeitgeber, daß die Arbeit im unmittelbaren Anschluß an die Beendigung der regelmäßigen Arbeitszeit fortzusetzen ist, so liegt darin die Anordnung von Überstunden.
Dies gilt auch, wenn der Angestellte im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit dienstplanmäßig zur Rufbereitschaft eingeteilt ist. Die Anordnung des Arbeitgebers enthält dann eine Änderung des Dienstplans, nicht aber einen Abruf zur Aufnahme der Arbeit.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kl. ein Vergütungsanspruch für Rufbereitschaft zusteht. Der Kl. ist Krankenpfleger in der Anästhesieabteilung der Kinderklinik der Bekl. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Vereinbarung der BAT nebst Sonderregelungen Anwendung. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit des Kl. dauert von 7.30/8.00 Uhr bis 16 Uhr. Darüber hinaus hat der Kl. dienstplanmäßig monatlich etwa sechs- bis siebenmal Rufbereitschaft zu leisten, die sich an das Dienstende anschließt und bis zum Dienstbeginn am nächsten Morgen dauert. Die Zeit der Rufbereitschaft wird mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung bezahlt; für anfallende Arbeit einschließlich einer etwaigen Wegezeit wird daneben die Überstundenvergütung gezahlt (Nr. 6 Abschn. B VI Unterabs. 4 und 5 zu SR 2a BAT). Es kommt vor, daß der Kl. im Anschluß an das Dienstende Überstunden leisten muß, wenn Operationen nicht innerhalb der Dienstzeit beendet werden können oder noch operative Eingriffe vorzunehmen sind. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, solche Überstunden seien, wenn sie in die Zeit einer vorher dienstplanmäßig angeordneten Rufbereitschaft fielen, nicht nur als Überstunden zu vergüten, sondern daneben gem. Nr. 6 Abschn. B VI Unterabs. 4 zu SR 2a BAT mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit zu werten und zusätzlich zu vergüten.
ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. wurde zurückgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
II. 1. Der Kl. hat keinen Anspruch auf Vergütung von Rufbereitschaft, wenn er im unmittelbaren Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit Überstunden leisten muß, die in die Zeit dienstplanmäßig angeordneter Rufbereitschaft fallen.
2. Nach Nr. 6 Abschn. B. VI Unterabs. 4 zu SR 2a BAT in der bis 31. 3. 1991 gültigen Fassung wird die Zeit der Rufbereitschaft mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit gewertet und mit Überstundenvergütung bezahlt. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs liegen nicht vor, wenn der Kl. im unmittelbaren Anschluß an seine regelmäßige Arbeitszeit weiterarbeiten muß. Er leistet dann keine Rufbereitschaft, sondern Überstunden.
a) Wird angeordnet, daß der Angestellte über die betriebliche Arbeitszeit hinaus weiterzuarbeiten hat, so ist das nicht die Anordnung von Rufbereitschaft, denn dem Angestellten wird nicht die Weisung erteilt, sich an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Vielmehr werden in einem solchen Fall Überstunden angeordnet, denn der Angestellte wird verpflichtet, Arbeitsstunden zu leisten, die über die dienstplanmäßig bzw. betrieblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen (vgl. § 17 I BAT; zur Anordnung von Überstunden vgl. weiter BAGE 66, 154 ).
Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber zuvor in einem Dienstplan Rufbereitschaft angeordnet hatte. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich in Ausübung seines Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung umfaßt, bestimmen, welche Art von Leistung der Arbeitnehmer zu erbringen hat (vgl. BAG, EzA, BAT Sr 2c - Bereitschaftsdienst - Nr. 1 (zu II 2)). Er darf also entweder Rufbereitschaft oder Überstunden anordnen und ist auch berechtigt, die in einem Dienstplan im voraus getroffene Anordnung zu ändern. Statt der zunächst dienstplanmäßig vorgesehenen Rufbereitschaft darf er somit Überstunden anordnen. Gebunden ist der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung nur durch Gesetz, Kollektiv-und Einzelarbeitsvertragsrecht. Tatsächliche Umstände, die unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu Bedenken gegen die Wirksamkeit der vom Kl. beanstandeten Anordnungen des Bekl. Anlaß geben, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Eine Anordnung von Überstunden ist nach Nr. 6 Abschn. A zu SR 2a BAT in dringenden Fällen zulässig. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß diese Voraussetzung gegeben ist, wenn eine Operation nicht innerhalb der regelmäßigen Dienstzeit beendet werden kann oder weitere Operationen vorzunehmen sind.
b) Zu Unrecht meint die Revision, bei dienstplanmäßig angeordneter Rufbereitschaft sei die Anordnung der Überstunden rechtlich als ein Arbeitsabruf i.S. der Rufbereitschaftsregelung anzusehen.
Gem. Nr. 6 Abschn. B VI Unterabs. 1 zu SR 2a BAT liegt Rufbereitschaft vor, wenn sich der Angestellte auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten muß, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber anordnet, der Angestellte habe im unmittelbaren Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit weiterzuarbeiten.
aa) Arbeitet ein Angestellter unmittelbar im Anschluß an die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit auf Anordnung weiter, so stellt diese Anordnung rechtlich keinen Abruf i.S. der Nr. 6 Abschn. B VI Unterabs. 1 zu SR 2a BAT dar. Ein Abruf zur Arbeit setzt denknotwendig voraus, daß er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Zeit der Rufbereitschaft erfolgt. Arbeiten, die im voraus und damit innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden, erfüllen nicht die Voraussetzungen des Abrufs aus der Rufbereitschaft (vgl. BAG, EzA BAT SR 2c - Bereitschaftsdienst - Nr. 1).
bb) Außerdem hält der Angestellte sich in diesem Fall nicht an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle auf. Diese tarifliche Voraussetzung bedeutet, daß der Angestellte frei und selbstbestimmt seinen Aufenthaltsort wählen konnte (vgl. Senatsurteile EzA BAT Sr 2c - Bereitschaftsdienst - Nr. 1 (zu II 4a); ZTR 1989, 147 (148), und EzA § 611 BGB - Arbeitsbereitschaft - Nr. 1)). Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber Überstunden und damit den Aufenthalt des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz angeordnet hat.
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