Amtshaftung wegen Mobbings

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

01. 08. 2002


Aktenzeichen

III ZR 277/01


Leitsatz des Gerichts

Für Schäden, die dadurch entstehen, dass ein Polizeibeamter im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung durch seinen Vorgesetzten (Art. 4 II 2 BayBG) systematisch und fortgesetzt schikaniert und beleidigt wird (Mobbing), haftet der Dienstherr des Schädigers nach Amtshaftungsgrundsätzen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. verlangt von dem Bekl. aus übergegangenem und abgetretenem Recht Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung von Beerdigungskosten. Die Tochter des Kl. war Polizeibeamtin. Sie verrichtete vom 1. bis zum 13. 12.

1998 und vom 1. bis zum 23. 1. 1999 ihren Dienst in der A-Schicht einer Polizeiinspektion in M, deren Dienstgruppenleiter der Bekl. war. Die Tochter des Kl. befand sich Ende Januar 1999 für einige Tage wegen des Verdachts eines psycho-vegetativen Erschöpfungssyndroms in stationärer Behandlung. Am 14. 2. 1999 beging sie Selbstmord. In einem Abschiedsbrief hatte sie geäußert, sie habe keine Lust mehr, sich von der A-Schicht quälen zu lassen. Der Kl. hat vorgetragen, der Bekl. habe seine Tochter fortlaufend schikaniert, ihre dienstlichen Leistungen herabgewürdigt und sie in obszöner Weise ständig beleidigt. Der vom Bekl. ausgeübte Psychoterror sei Ausdruck seiner Grundhaltung gewesen, Frauen seien untergeordnete Personen; er habe seinen geradezu triebhaften Zwang, Frauen zu erniedrigen und zu demütigen, aus rein persönlichen Motiven im Dienst ausgelebt.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. und seines Streithelfers, des Freistaats Bayern, wurde nicht angenommen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Vorinstanzen haben ihre klageabweisenden Entscheidungen damit begründet, dass sich die auf der Grundlage des Klägervorbringens in Frage kommenden Schadensersatzansprüche nach §§ 839 I, 844 I, 847 I BGB, Art. 34 S. 1 GG gegen das Land als Dienstherrn und nicht gegen den Bekl. persönlich richteten. Dem ist zuzustimmen.

1a) § 839 I 1 BGB setzt voraus, dass der Amtsträger in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes handelt. Dies bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Senats danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, d.h. auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen (vgl. nur Senat, BGHZ 147, 169 [171] = NVwZ 2002, 375 = NJW 2002, 1194 L = LM H. 2/2002 § 839 [A] BGB Nr. 65; BGHZ 118, 304 [305] = NJW 1992, 2882 = LM Art. 34 GrundG Nr. 177 m.w. Nachw.).

b) Nach § 2 I BRRG, Art. 2 BayBG steht der Beamte zu seinem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, bei dem der umfassenden Dienstleistungs- und Treuepflicht des Beamten (§ 36 BRRG, Art. 64 I BayBG) die ebenso umfassende Fürsorge- und Treuepflicht des Dienstherrn gegenübersteht (§ 48 BRRG, Art. 86 BayBG). Im Verhältnis zum Vorgesetzten (Art. 4 II 2 BayBG) obliegen dem Beamten Beratungs-, Unterstützungs- und Gehorsamspflichten (§ 37 BRRG, Art. 64 II BayBG). Umgekehrt bestimmen die in § 35 I 2, § 36 S. 3 BRRG sowie in Art. 62 I 2, Art. 64 I 3 BayBG enthaltenen Pflichten in besonderem Maße das Verhalten des Vorgesetzten zu seinen Untergebenen. Im Umgang mit ihnen ist er zu einem korrekten, achtungs- und vertrauenswürdigen Auftreten verpflichtet, wobei er sich insbesondere eines angemessenen Umgangstons zu befleißigen hat (vgl. Claussen/Janzen, BDO, 8. Aufl., Einl. C Rdnrn. 54a ff; Zängl, in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBG, Art. 64 [Stand: November 2001] Anm. 14a).

c) Angesichts dieses beamtenrechtlichen (öffentlich-rechtlichen) Normengefüges wird ein Vorgesetzter, der - wie hier - im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung einen Untergebenen respektlos behandelt, regelmäßig hoheitlich tätig. Dies hat zur Folge, dass für etwaige daraus entstehende Gesundheitsschäden des Untergebenen nach Amtshaftungsgrundsätzen grundsätzlich nicht der vorgesetzte Beamte persönlich, sondern dessen Dienstherr haftet. Davon geht im rechtlichen Ansatz auch die Revision aus.

2. Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt der Umstand, dass jedenfalls bezüglich der fortgesetzten anstößigen Beleidigungen ein konkreter dienstlicher Anlass nicht immer erkennbar ist, diese Äußerungen vielmehr in nachvollziehbarer Weise nur als Ausdruck einer frauenfeindlichen Grundhaltung des Bekl. zu erklären sind, keine andere Beurteilung der Rechtslage.

a) Nach ständiger Rechtsprechung darf bei der Frage, ob ein Amtsträger in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes oder nur bei Gelegenheit der Amtsausübung gehandelt hat, der Begriff der Ausübung nicht zu eng ausgelegt werden (so schon RGZ 104, 286 [289]). Auch ein Missbrauch des Amtes zu eigennützigen, schikanösen oder gar strafbaren Zwecken, eine Pflichtwidrigkeit aus eigensüchtigen oder rein persönlichen Gründen schließt den für das Handeln in Ausübung des Amtes maßgeblichen inneren Zusammenhang zwischen Amtsausübung und schädigendem Verhalten nicht von vornherein aus (vgl. Senat, LM § 139 [Fg] BGB Nr. 5). Insbesondere ist ein Tätigwerden in Ausübung des übertragenen öffentlichen Amtes selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Beamte gerade das tut, was er verhindern sollte (wenn etwa Wachtpersonal, das Plünderungen vermeiden soll, sich selbst daran beteiligt, RGZ 104, 304; wenn ein Polizeibeamter, der die missbräuchliche Verwendung von Dienstfahrzeugen verhindern soll, selbst einen Dienstwagen zu einer Schwarzfahrt benutzt, Senat, BGHZ 124, 15 [18] = NJW 1994, 660 = PflVG 165 Nr. 71; BGHZ 1, 388 [392ff.] = LM § 839 [Fg] BGB Nr. 1).

b) Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Senats der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden muss und es nicht angeht, die einheitliche Aufgabe in Einzelakte - teils hoheitlicher, teils bürgerlichrechtlicher Art - aufzuspalten und einer gesonderten Beurteilung zu unterziehen (Senat, BGHZ 42, 176 [179f.] = NJW 1964, 658 = LM Art. 3 GrundG Nr. 74 zur Frage, ob die Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Verkehr als Dienst- oder Privatfahrt einzuordnen ist; BGHZ 16, 111 [112f.] = NJW 1955, 458 = LM § 839 [Fh] BGB Nr. 2 zur Paketbeförderung durch die damals noch öffentlich-rechtlich organisierte Post).

3. Nach diesen Maßstäben steht vorliegend nur die Haftung des Landes als Dienstherr der zu Tode gekommenen Polizeibeamtin in Frage.

a) Diese hatte mit dem Bekl. nur im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung Kontakt. Die vorgetragenen Herabwürdigungen ihrer dienstlichen Leistungen durch den Bekl., die Verweigerung von Hilfestellung, die - diskriminierende - Praxis, der Beamtin, im Unterschied zu allen anderen (männlichen) Kollegen der A-Schicht, Dienstanweisungen nicht mehr mündlich, sondern durch Notizzettel zu erteilen, sowie das Ansinnen, eine falsche Ordnungswidrigkeiten-Anzeige aufzunehmen, haben eindeutig einen dienstlichen Bezug. Die notwendige innere Beziehung der schädigenden Handlung zur Dienstausübung ist insoweit, und zwar ohne Rücksicht auf die Absichten und Beweggründe des Bekl., fraglos gegeben.

b) Bezüglich der fortgesetzten Beleidigungen hat das BerGer. im Anschluss an die bereits zitierte Rechtsprechung zutreffend angenommen, dass eine isolierte Betrachtungsweise dahin, dass bei solchen Vorfällen, in denen ein konkreter Bezug zu dienstlichen Vorgängen nicht erkennbar ist, der Vorgesetzte nach allgemeinem Deliktsrecht persönlich haften soll, nicht möglich ist. Aus den von der Revision des Kl. angeführten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes.

Dem Senat, BGHZ 11, 181 = NJW 1954, 716 = LM § 839 [Fk] BGB Nr. 1 lag der Fall zu Grunde, dass ein Truppenangehöriger einen Offizier „aus Wut und Rache“ plötzlich durch einen mittels einer Maschinenpistole abgegebenen Feuerstoß getötet hatte. Hier hat der Senat einen inneren Zusammenhang zwischen Tat und Dienst verneint, obgleich die persönlichen Beweggründe zur Tat durch Vorkommnisse im Dienst veranlasst worden sein sollten. Mit einer derartigen Konstellation, der eine spontane, selbst in Kriegszeiten kaum nachvollziehbare Überreaktion zu Grunde liegt, die strafrechtlich möglicherweise als Mord zu ahnden ist (vgl. auch RGZ 104, 286 [290]), ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Er zeichnet sich vielmehr auf der Grundlage des Klägervorbringens dadurch aus, dass ein Vorgesetzter seine hervorgehobene Amtsstellung in einer im Einzelfall mehr oder weniger auf einen konkreten dienstlichen Anlass bezogenen Art und Weise dazu missbraucht, einen Untergebenen systematisch und fortgesetzt zu beleidigen, zu schikanieren und zu diskriminieren (Mobbing). Diese Verhaltensweise erfordert eine einheitliche Beurteilung, die dann, wenn - wie hier - das Mobbing im Rahmen bestehender Beamtenverhältnisse stattfindet, zur Anwendung von Amtshaftungsrecht führt.

4. Dies hat zur Folge, dass vorliegend allein das Land als Dienstherr des Bekl. passivlegitimiert ist. Soweit die Revision des Kl. darauf hinweist, dass neben Ansprüchen aus Amtshaftung gegen die Anstellungskörperschaft auch eine persönliche Ersatzpflicht des Amtsträgers aus anderem Rechtsgrund in Frage kommen kann, so betrifft dies insbesondere Ansprüche gegen den Beamten nach § 7 StVG (etwa wenn der Beamte mit seinem eigenen Pkw eine Dienstfahrt durchführt, vgl. BGHZ 29, 38 = NJW 1959, 481 = LM Art. 34 GrundG Nr. 54). Hingegen verbleibt es allein bei der Haftung aus § 839 BGB, Art. 34 S. 1 GG, wenn der Beamte in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine Handlung begeht, die bei Anwendung des allgemeinen Deliktsrechts den Tatbestand des § 823 I und II (i. V. mit §§ 185, 223 StGB) oder des § 826 BGB erfüllen würde (vgl. Senat, BGHZ 69, 128 [138ff.] = NJW 1977, 1875 = LM § 839 [Fg] BGB Nr. 34; BGHZ 78, 274 [279] = NJW 1981, 675 = LM Art. 34 GrundG Nr. 116). Aus der von der Revision des Kl. angeführten Senatsentscheidung BGHZ 147, 381 = NJW 2001, 2626 = NVwZ 2001, 1193 L = LM H. 10/2001 § 179 BGB Nr. 22 ergibt sich nichts anderes.

5. Diese Haftungsfolge ist auch sachgerecht. Sie führt zu klaren und eindeutigen Ergebnissen, die für den Geschädigten mehr Vor- als Nachteile mit sich bringen. Dies gilt auch für die vorliegende Fallkonstellation (Mobbing durch Vorgesetzte): Dem geschädigten Beamten steht insbesondere ein leistungsfähiger Schuldner gegenüber. Die Subsidiaritätsklausel des § 839 I 2 BGB greift im allgemeinen schon deshalb nicht ein, weil „fahrlässiges Mobbing“ kaum denkbar ist. Auch § 839 III BGB wird in gravierenden Fällen, in denen - wovon vorliegend nach dem Klägervortrag auszugehen ist - die Mobbing-Handlungen des Vorgesetzten gegenüber einer diensttuenden Beamtin mit (zumindest) stillschweigender Billigung der anderen (männlichen) Kollegen erfolgt sind, kaum zu einem Anspruchsverlust führen. In einer derartigen Situation muss das „Mobbing-Opfer“ befürchten, dass durch Einlegung einer Beschwerde eine baldige Besserung seiner Situation nicht zu erreichen, vielmehr im Gegenteil eine deutliche Verschlechterung zu befürchten ist. Eine unbillige Entlastung des handelnden Beamten ist damit nicht verbunden, da in eindeutigen „Mobbing-Fällen“, in denen ein Vorgesetzter seine Amtsbefugnisse vorsätzlich und schwerwiegend missbraucht, der haftende Dienstherr Regress nehmen kann (§ 46 BRRG, Art. 85 BayBG).

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht