Verbreiterhaftung von Online-Archiven

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

26. 04. 2002


Aktenzeichen

324 O 598/01


Entscheidungsgründe

...

3. Dahinstehen kann, ob sich die Beklagte - den Tatsachenanteil - der angegriffenen Äußerungen dergestalt zu eigen gemacht hat, daß diese als eigene Behauptung der Beklagten anzusehen wären, trotz des etwas irreführenden Wortlautes des Klagantrags zu Ziff. 1 hat der Kläger auch etwa nicht das Verbot einer Behauptung beantragt. Die Beklagte haftet aber als Verbreiterin für die angegriffenen Äußerungen.

a. Unstreitig war der fragliche Artikel inklusive der angegriffenen Passage im Sommer 2001 über den Server der Beklagten auf den Internet-Seiten "www. ... .de" abrufbar. Ebenso unstreitig ist der gesamte Inhalt dieser Internet-Seiten von der Beklagten eingestellt worden. Gemäß § 5 Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) bzw. § 5 Teledienstegesetz (TDG) - die durchaus problematische Grenzziehung zwischen den Anwendungsbereichen dieser beiden Gesetze kann hier dahinstehen, da der Regelungsgehalt insoweit identisch ist - haftet die Beklagte demnach als "Content-Provider" uneingeschränkt nach den allgemeinen Gesetzen, denn das von der Beklagten bereitgehaltene Angebot stellt ein Angebot zur Nutzung eigener Inhalte durch Dritte im Sinne der genannten Vorschriften dar. Hierbei spielt es keine Rolle, daß die Inhalte, die sich auf den Unterseiten "... Archiv" finden, zuvor in der Zeitschrift ... veröffentlicht und der Beklagten von der "... GmbH" geliefert worden sein mögen. Wie der Aufbau der §§ 5 MDStV / 5 TDG zeigt, die von den "Content-Providern" lediglich "Host- bzw. Serviceprovider" (die dem Kunden auf ihrem Server Speicherplatz zur Verfügung stellen), "Access-Provider" (die lediglich Zugangsvermittler sind) und "Proxy-Server" (die der Zwischenspeicherung dienen) abgrenzen, sind "eigene Inhalte" im Sinne dieser Vorschriften alle solche Inhalte, die auf dem eigenen Server vom Provider eingestellt worden sind und deren Nutzung Dritten angeboten wird (vgl. Soehring, Presserecht, 3. Aufl, Rz. 28.16ff). Woher diese Inhalte stammen und ob der "Content-Provider" hierbei eine inhaltliche Kontrolle oder Bearbeitung vornimmt, spielt für eine uneingeschränkte Haftung - nach den allgemeinen Vorschriften - keine Rolle.

b. Entgegen der Ansicht der Beklagten haftet sie hier nach den allgemeinen Gesetzen aber als Verbreiterin für den rechtswidrigen Inhalt des von ihr zugänglich gemachten Artikels.

aa. Hierbei sei dahingestellt, ob die Beklagte als "intellektuelle Verbreiterin" in Anspruch genommen werden kann, die zu den verbreiteten Äußerungen eine eigene gedankliche Beziehung hat (vgl. zum Begriff Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 4.95). Allerdings könnte die Tatsache, daß die Beklagte selbst Wert auf die Feststellung gelegt hat, daß sie eine von "... GmbH" redaktionell, personell und auch räumlich getrennte, eigenständige juristische Person sei, dafür sprechen, daß sie sich einer Haftung als "intellektuelle Verbreiterin" nicht dadurch entziehen kann, daß sie andererseits betont, daß sie im Hinblick auf den Inhalt des Online-Archivs der Zeitschrift ... keinerlei publizistische Tätigkeit entfalte.

bb. Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn jedenfalls haftet die Beklagte als "technische Verbreiterin", da sie die fraglichen Äußerungen nach ihrem eigenen Vortrag zumindest ohne eine gedankliche Beziehung zu diesen - insoweit vergleichbar einem Grossisten, Buchhändler etc. - verbreitet hat (vgl. zum Begriff des "technischen Verbreiters": Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 4.96; BGH NJW 1976, 799, 800 Alleinimporteur), indem sie diese im Internet für Dritte zugänglich gemacht hat. Da als Störer unabhängig vom Verschulden jeder anzusehen ist, der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten läßt, wobei unabhängig von Art und Umfang des eigenen Tatbeitrags alleine die willentliche und adäquat kausale Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung ausreicht (BGH GRUR 1957, 352, 353; AfP 1994, 136, 137 - Störerhaftung), haften etwa Drucker oder eingeschaltete Vertriebsunternehmen als Verbreiter grundsätzlich ebenso wie der Behauptende auf Unterlassung (vgl. Löffler / Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl., Kap. 41, Rz. 21). Der Betroffene muß die Möglichkeit haben, auch solche Veröffentlichungen mit unzulässigem Inhalt anzuhalten, hinsichtlich derer Autor und Verleger sich darauf berufen können, sie seien ihrer Einflußnahme entzogen (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.199; BGH NJW 1976, 799, 800 - Alleinimporteur); Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs ist dann nur, daß der Verbreiter einer rechtswidrigen Äußerung die tatsächliche Möglichkeit hat, diese zu wiederholen (vgl. etwa BGH GRUR 1991, 769, 770 - Honoraranfragen); Unterlassungsansprüche etwa gegen die Telekom wegen Äußerungen, die über ihr Kabelnetz verbreitet wurden, scheiden deshalb mangels Wiederholungsgefahr regelmäßig aus.

cc. Nach diesen Grundsätzen haftet die Beklagte hier auf Unterlassung: Dadurch, daß sie den angegriffenen Artikel im Internet zur Nutzung bereitgestellt hat, hat sie nicht nur einen, sondern sogar den maßgeblichen Beitrag dazu geleistet, daß die unzulässigen Äußerungen über dieses Medium für Nutzer weltweit abrufbar sind; daß diese Bereitstellung im Internet auch willentlich erfolgte und daß es eine adäquat kausale Folge dieser Handlung ist, wenn der Beitrag dann auch tatsächlich gelesen wird, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

dd. Dem gegenüber vermag das Argument der Beklagten im Ergebnis nicht durchzugreifen, daß sie schon deswegen nicht als Verbreiterin haften könne, weil es ihr in erster Linie darum gehe, Vergangenes wahrheitsgetreu für die Allgemeinheit zu dokumentieren, zeitgeschichtliche und wissenschaftliche Interessen aber verlangten, daß lückenlos dokumentiert werde, was einmal veröffentlicht worden sei. Allerdings werden die von der Beklagten angeführten Argumente in jedem Einzelfall im Rahmen einer Abwägung der konkreten widerstreitenden Interessen - Schutz des Persönlichkeitsrechts, Informations- und Veröffentlichungsfreiheit, Freiheit der Wissenschaften, gegebenenfalls auch Freiheit der Kunst (Literatur) - zu beachten sein. Hierbei spielt das Maß der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ebenso eine Rolle, wie die Bedeutung der angegriffenen Äußerung für den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß und den Forschungsbetrieb. Einen unbedingt und in jedem Fall vorrangigen Anspruch auf unveränderte Bewahrung einmal erfolgter Veröffentlichungen in privaten Archiven (im Sinne von allgemein zugänglichen, privat betriebenen Archiven) kann es hierbei ebensowenig geben wie einen generellen Anspruch auf "Bereinigung" eines jeden Archivs von jeglicher unzulässigen Äußerung. Im vorliegenden Fall jedoch überwiegen die Interessen des Klägers die entgegenstehenden Interessen der Beklagten:

Wie ausgeführt, ist zumindest prozessual davon auszugehen, daß die angegriffenen Äußerungen unzutreffend sind; auf die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit kann sich die Beklagte demnach schon deshalb nicht berufen, weil unwahre Äußerungen für den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß keine schützenswerte Bedeutung haben können. Auch sind die angegriffenen Vorwürfe von einigem Gewicht, denn dem Kläger wird hiermit nachgesagt, ein Ehrenamt in jedenfalls nicht geringem Maße zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt zu haben.

Demgegenüber kommt dem von der Beklagten angeführten Belang, einmal Veröffentlichtes als Teil der Vergangenheit wahrheitsgetreu und lückenlos für die Allgemeinheit zu dokumentieren, nicht das entscheidende Gewicht zu: Nach Ansicht von Wenzel, die - soweit ersichtlich - unbestritten geblieben ist, unterliegen selbst Bibliotheken der Verbreiterhaftung und Bücher mit unzulässigen Inhalten dürfen nicht ausgeliehen werden (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.201; ders., Haftung des Bibliothekars als Verbreiter, NJW 1973, 603f, zustimmend Steffen in: Löffler, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG Rz. 281). Dem dürfte grundsätzlich zuzustimmen sein, denn in derartigen Büchern enthaltene Unwahrheiten können so noch nach Jahrzehnten aktualisiert werden und besonders gravierende Beeinträchtigungen zur Folge haben, wenn der Entleiher des Buch für publizistische Zwecke benutzt, da der Wahrheitsgehalt nach Ablauf längerer Zeit oft kaum noch zu ermitteln ist, besteht die Gefahr, daß die unwahren Behauptungen in andere Darstellungen übernommen werden und dann um so sicherer für richtig gehalten werden. Es kann indes dahinstehen, ob dies generell für Bibliotheken zu gelten hat, denn jedenfalls im vorliegenden Fall einer Veröffentlichung in einem Online-Archiv überwiegen die Interessen des Betroffenen an einer Untersagung der Verbreitung. Allerdings ist der Beklagten einzuräumen, daß zeitgeschichtliche und wissenschaftliche Interessen in der Tat dafür sprechen können, daß auch rechtswidrige Publikationen im Einzelfall zugänglich sind und bleiben; die Dokumentationsfunktion auch von privaten Archiven hat insoweit ihre eigene Berechtigung. Hierbei ist aber ausschlaggebend, daß zwischen Bibliotheken und herkömmlichen Archiven einerseits und Online-Archiven andererseits ein entscheidender Unterschied besteht; eine Verbreitung von unwahren, ehrenrührigen Äußerungen über ein Online-Archiv greift nach dessen Natur in erheblich gewichtigerer Weise in die Rechte des Betroffenen ein. Bei herkömmlichen, auf Druckerzeugnissen aufgebauten Archiven (wie auch bei Bibliotheken) hat der Betreiber die Kontrolle darüber, wem die fraglichen Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt werden. So kann darauf geachtet werden, daß verbotene Aussagen nur zu Forschungs-, sonstigen wissenschaftlichen oder anderen übergeordneten Zwecken ausgehändigt werden, und hierbei zB bestehende Unterlassungstitel oder Unterlassungserklärungen mit ausgehändigt werden (vgl. zum Bestehen entsprechender Verpflichtungen: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.203). Grundsätzlich anders aber ist die Sachlage bei Online-Archiven. Jedermann kann jederzeit von jedem Internet-Zugang und vor allem unkontrolliert vom Betreiber des Archivs Zugriff auf dessen Inhalt nehmen. Hinzu kommt, daß allen Veröffentlichungen im Internet - anders als bei Druckerzeugnissen - grundsätzlich eine gleichrangige Reichweite und Aktualität zukommt. Wenn jede jemals veröffentlichte Zeile einer Zeitung zu jedem beliebigen Zeitpunkt weltweit abrufbar ist, dann haben diese für den Nutzer prinzipiell - jenseits der Tagesaktualität dasselbe "Gewicht". Dies führt dazu, daß unzulässige Äußerungen aus früheren Publikationen bei einer Archivierung im Internet einen ganz anderen Stellenwert und eine deutlich erhöhte Brisanz gegenüber Publikationen behalten, die in herkömmlichen Archiven "verschwinden". Diese Argumente müssen dazu führen, daß jedenfalls Betreiber von Online-Archiven - im Vergleich zu Bibliotheken und herkömmlichen Archiven erst recht - grundsätzlich auf Unterlassung der Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Äußerungen in Anspruch genommen werden können. Die Beklagte hat keine Aspekte vorgetragen, die hier zu einem anderen Ergebnis führen könnten; namentlich ist weder ersichtlich noch dargelegt, daß es gewichtige Gründe gebe, gerade die vorliegenden Äußerungen trotz ihres rechtswidrigen Charakters öffentlich zugänglich halten zu müssen (etwa weil schon der Tatsache eines Verbotes zB wegen der Person des Betroffenen ein eigenes zeitgeschichtliches Gewicht zukomme).

Die Kammer verkennt nicht, daß eine Archivierung von Veröffentlichungen im Internet mit erheblich geringerem Aufwand möglich ist, als in herkömmlichen Archiven und Bibliotheken, und daß dem Nutzer der Zugriff wesentlich erleichtert wird. Die bloße Bequemlichkeit bei der Handhabung und Kostengründe können allerdings kein ausreichendes Argument sein, eine nicht unerhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung in gravierender Intensität zu perpetuieren. Wirtschaftlichkeit ist nicht das Maß aller Dinge. Neu entwickelte technische Möglichkeiten dürfen nicht dazu führen, daß Persönlichkeitsrechte nur noch in geringerem Umfang gewährleistet werden. Wer sich als Anbieter ja auch zu Zwecken der Gewinnerzielung - derartiger neuer technischer Möglichkeiten bedienen will, muß eben in Kauf nehmen, daß ein Teil der Erleichterungen, die die technischen Neuerungen ermöglichen, dadurch eingeschränkt wird, daß auf die Rechte Dritter Rücksicht genommen werden muß.

4. Die für eine ordnungsmittelbewehrte Untersagung erforderliche Wiederholungsgefahr folgt aus der rechtswidrigen Erstveröffentlichung.

5. Abschließend sei angemerkt, daß grundsätzlich auch ein Verstoß der "... Magazin GmbH" gegen eine gegen diese ergangene Unterlassungsverfügung gleichen Inhalts vorliegen kann, wenn über die Internet-Seiten der Beklagten eine untersagte Äußerung abrufbar ist. Dies hängt in erster Linie davon ab, ob eine schuldhafte Zuwiderhandlung der "... GmbH" gegen ein sie treffendes von der Verbotsverfügung umfaßtes Handlungsgebot nach Zustellung der einstweiligen Verfügung vorliegt, was namentlich dann nicht dargelegt sein dürfte, wenn zunächst eine vollständige Löschung der untersagten Inhalte im Internet erfolgt war, diese aber später aus letztlich nicht nachvollziehbaren Gründen "wieder aufgetaucht" sind.


II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1 ZPO.


Buske
Zink
Dr. Weyhe

Rechtsgebiete

Recht der Informationstechnologie