Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft gegen Arbeitgeber wegen vom Tarifvertrag abweichender Betriebsvereinbarung
Gericht
BAG
Datum
19. 04. 1999
Aktenzeichen
1 ABR 72/98
Die Regelungssperre des § 77 Abs 3 BetrVG betrifft nicht Regelungsabreden und vertragliche Einheitsregelungen, sondern nur Betriebsvereinbarungen.
Eine vertragliche Einheitsregelung, die das Ziel verfolgt, normativ geltende Tarifbestimmungen zu verdrängen, ist geeignet, die Tarifvertragsparteien in ihrer kollektiven Koalitionsfreiheit (Art 9 Abs 3 GG) zu verletzen. Das liegt insbesondere dann nahe, wenn ein entsprechendes Regelungsziel zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in Form einer Regelungsabrede vereinbart wird.
Zur Abwehr von Eingriffen in die kollektive Koalitionsfreiheit steht der betroffenen Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 BGB zu (ständige Rechtsprechung). Diese kann gegebenenfalls auch verlangen, daß der Arbeitgeber die Durchführung einer vertraglichen Einheitsregelung unterläßt.
Die Verfahrensart, in der ein solcher Unterlassungsanspruch zu verfolgen ist, muß zwar hier nicht geklärt werden, der Senat neigt aber zu der Ansicht, daß das Beschlußverfahren geboten ist, wenn der Betriebsrat in irgendeiner Form bei der Schaffung oder Realisierung der betrieblichen Einheitsregelung aktiv beteiligt war.
Es ist daran festzuhalten, daß bei einem Günstigkeitsvergleich von tariflichen und vertraglichen Regelungen nach § 4 Abs 3 TVG nur sachlich zusammenhängende Arbeitsbedingungen vergleichbar und deshalb zu berücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung). § 4 Abs 3 TVG läßt es nicht zu, daß Tarifbestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts und über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit mit einer betrieblichen Arbeitsplatzgarantie verglichen werden.
Tenor
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Gewerkschaft von Arbeitgebern
verlangen kann, die Anwendung von Regelungen zu unterlassen, die von dem
maßgebenden Tarifvertrag abweichen, jedoch in einer Absprache mit dem
Betriebsrat vorgesehen und mit fast allen Arbeitnehmern des Betriebs
einzelvertraglich vereinbart wurden.
Die Arbeitgeberinnen stellen in einem
gemeinsamen Betrieb, in welchem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist, mit
(1996) rund 2.300 Arbeitnehmern Druckerzeugnisse her. Die Unternehmen wurden
1995 durch Ausgliederung aus der B GmbH gegründet. Diese ist Mitglied des
Arbeitgeberverbandes Papierverarbeitung und Druck Südbaden e.V. Nach dem Vortrag
der Gewerkschaft gehören auch die beteiligten Arbeitgeberinnen dem Verband an,
was diese und der Betriebsrat jedoch bestreiten.
Mit dem Dachverband des
zuständigen Arbeitgeberverbandes, dem Bundesverband Druck e.V., hat die
beteiligte Gewerkschaft den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer
der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (MTV Arb)
abgeschlossen. Zwischen ihr und dem Verband der Druckindustrie in
Baden-Württemberg e.V. besteht der Manteltarifvertrag für die Angestellten der
Druckindustrie in Baden-Württemberg (MTV Ang). In den seit 1997 geltenden
Fassungen dieser Tarifverträge ist, soweit hier von Interesse, folgendes
bestimmt:
- Zuschläge für Nachtarbeit, regelmäßige Samstagsarbeit,
Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit und Überstunden (§ 8 Nr. 1 MTV Arb; § 7 Nr. 2
MTV Ang);
- eine Antrittsgebühr für Arbeit an Sonn- und Feiertagen (§ 7 Nr. 5
und 6 MTV Arb; § 7 Nr. 8 MTV Ang);
- Dauer der regelmäßigen
Wochenarbeitszeit: 35 Stunden (§ 3 Nr. 1 MTV Arb; § 5 Nr. 1 MTV Ang);
-
Abgeltung aller Überstunden, sei es durch Geld oder durch Freizeit (§ 5 Nr. 3
MTV Arb; § 6 Nr. 1, § 7 Nr. 1 TV Ang).
Der MTV Arb schreibt darüber hinaus
die Berücksichtigung der Überstundenvergütung einschließlich der Zuschläge bei
der Lohnfortzahlung an Feiertagen vor (§ 6 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 der
Durchführungsbestimmungen zu § 6); im MTV Ang besteht keine entsprechende
Regelung.
Unter Berufung auf die schwierige Wettbewerbssituation schloß B den
Druckbetrieb in D mit 600 Arbeitnehmern. Für den Standort O planten die
Arbeitgeberinnen zunächst Einsparungen mit einem Jahresvolumen von 40 Mio. DM.
Sie wandten sich deshalb mit Schreiben vom 16. Februar 1996 an die dort
beschäftigten Arbeitnehmer:
Nach Verhandlungen mit dem beteiligten Betriebsrat beschränkten die Arbeitgeberinnen das Sparvolumen auf jährlich 30 Mio. DM. Zu diesem Zweck wurde am 29. Februar 1996 eine "Betriebsvereinbarung (Rahmenvereinbarung)" abgeschlossen, in der es u.a. heißt:"Liebe Mitarbeiter, der Tiefdruckmarkt hat sich in den letzten Jahren zu einem der umkämpftesten Märkte Deutschlands entwickelt. Überkapazitäten, Preisverfall, überzogene Lohnnebenkosten und anachronistische Tarifverträge haben die Ertragslage dramatisch verschlechtert. ... Auch in O werden tiefgreifende Maßnahmen erforderlich sein. Entlassungen können nur vermieden werden, wenn umfassende Kostensenkungen realisiert werden. Anders ist der Druckstandort O nicht zu halten. ..."
In dem als Anlage beigefügten "Sparmaßnahmenkatalog" ist u.a. folgendes bestimmt:"Zur Sicherung der Arbeitsplätze der B Druck GmbH in O und zur Vermeidung von 400 Entlassungen sind umfassende Sparmaßnahmen erforderlich. Betriebsrat und Geschäftsführung sind sich einig, daß Einsparungen in einer Größenordnung von insgesamt DM 30 Mio. p.a. realisiert werden. Die einzelnen Sparmaßnahmen und deren Umsetzungsmodalitäten ergeben sich aus der Anlage zu dieser Betriebsvereinbarung. ... Die Anlage ist Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung. Betriebsrat und Geschäftsführung sind sich einig, daß die von den Tarifverträgen der Druckindustrie abweichend geregelten Inhalte zu ihrer Rechtswirksamkeit der einzelvertraglichen Zustimmung der Mitarbeiter bedürfen. Betriebsrat und Geschäftsführung werden sich gemeinsam bemühen, diese Zustimmung einzuholen.
Nachdem alle Mitarbeiter der B Druck GmbH sowie des Papierlagers und der Altpapierverwertung auf der Basis dieser Betriebsvereinbarung Einzelverträge abgeschlossen haben, tritt Nachstehendes in Kraft:
1. Mitarbeiter, die einen Einzelvertrag abschließen, erhalten für die Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung, also bis zum 31. Dezember 2000, eine uneingeschränkte Beschäftigungsgarantie.
... Betriebsrat und Geschäftsführung vereinbaren zu den Inhalten dieser Betriebsvereinbarung absolute Vertraulichkeit. Jegliche Weitergabe unterbleibt."
"4. Die nachstehenden Leistungen werden für die Beschäftigten der B Druck GmbH sowie für die Mitarbeiter der Altpapierverwertung und des Papierlagers mit sofortiger Wirkung, zum 1. April 1996, wie folgt verändert:
4.1. Die Vergütung im Urlaubs- und Krankheitsfall und an Feiertagen erfolgt ohne Einbezug der Überstundenvergütung.
4.2. Zuschläge für
- Nachtarbeit
von 18 bis 24 Uhr 23%
von 0 bis 6 Uhr 45%
- Sonntagsarbeit 88%
- Feiertagsarbeit 125%
- Überstunden (einheitlich für alle Schichten) 30%
Die Zuschläge für Regelarbeitszeit am Samstag sowie die Antrittsgebühr entfallen.
Die Änderung dieser Leistungen ist einzelvertraglich zu vereinbaren.
7. Zur Erreichung der Ziele dieser Rahmenvereinbarung vereinbaren Geschäftsführung und Betriebsrat für alle Beschäftigten der B Druck GmbH sowie der Abteilungen Papierlager und Altpapier eine wöchentliche Arbeitszeit von netto 39 Stunden. Die 36. und 37. Wochenstunde ist mit der derzeitigen Vergütung abgegolten. Für die 38. und 39. Wochenstunde wird die Grundvergütung bezahlt. Für die 36. bis 39. Arbeitsstunde pro Woche gelten ansonsten die in Nr. 4.2. veränderten Zuschläge. ..."
Die
Zuschläge nach Nr. 4.2 sind niedriger als die tariflichen.
Mit einem
gemeinsamen Schreiben vom 1. März 1996 forderten die Arbeitgeberinnen und der
Betriebsrat die Arbeitnehmer auf, den Sparmaßnahmen mit folgender Erklärung
zuzustimmen:
"Ich erkläre, daß die von Helmar K , Gerd S und Dr. Jürgen T am 29. Februar 1996 unterschriebenen Vereinbarungen "Rahmenvereinbarung zur Vermeidung von Entlassungen" für mich nicht nur als Betriebsvereinbarung, sondern auch ganz persönlich für mich als Inhalt meines persönlichen Arbeitsvertrages gelten sollen. Die sich daraus ergebenden Änderungen meines Arbeitsvertrages kenne ich aufgrund der ausführlichen Erläuterungen durch die Geschäftsführung, Mitarbeiter der Personalabteilung und Mitglieder des Betriebsrats. ..."
Nach wiederholten Aufforderungen unterschrieben fast alle Arbeitnehmer diese Erklärung (nach Angaben der Arbeitgeberinnen 98,5%). Daraufhin schlossen die Arbeitgeberinnen mit dem Betriebsrat am 3. Mai 1996 eine Zusatzvereinbarung zur Betriebsvereinbarung vom 29. Februar 1996 ab, die u.a. folgende Regelungen enthält:
"1. Die Betriebsvereinbarung und die vereinbarten Vertragsergänzungen treten am 1. Juni 1996 in Kraft. ...
3. Aus Respekt vor ihrer abweichenden Meinung wird die Betriebsvereinbarung vom 29. Februar 1996 mit ihren Rechten und Pflichten nicht angewendet auf Mitarbeiter der B Druck GmbH O sowie des Papierlagers und der Altpapierverwertung, die keine Vertragsergänzungen mit den Inhalten der Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben. Für sie wird hiermit unter entsprechender Anwendung des am 19. April 1996 zwischen dem Bundesverband Druck und der IG Medien abgeschlossenen Tarifvertrags eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich vereinbart. Sie sind grundsätzlich von Überstunden befreit. ..."
Im April 1996 unternommene Versuche der Gewerkschaft, mit den Arbeitgeberinnen in Verhandlungen über Firmentarifverträge einzutreten, waren erfolglos geblieben.
Die Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, sie könne von den
Arbeitgeberinnen verlangen, die Durchführung der Vereinbarungen zu unterlassen,
soweit diese in Widerspruch zu den Manteltarifverträgen stünden. Bei den mit dem
Betriebsrat getroffenen Regelungen handele es sich um Betriebsvereinbarungen,
die tariflich festgelegte Arbeitsbedingungen zum Inhalt hätten und daher unter
das Verbot des § 77 Abs. 3 BetrVG fielen. Selbst wenn es sich um
Regelungsabreden handelte, würden sie von dieser Vorschrift erfaßt. § 77 Abs. 3
BetrVG wolle generell Beeinträchtigungen der Tarifautonomie durch
kollektivrechtliche Absprachen im Betrieb verhindern. Die Mißachtung des
Gesetzes stelle einen groben Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG dar.
Der
Unterlassungsanspruch ergebe sich auch aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9
Abs. 3 GG, denn die Verstöße gegen geltende Tarifbestimmungen verletzten die
Tarifvertragsparteien in deren Betätigungsrecht als Koalitionen. Dieser Anspruch
erfasse auch einheitsvertragliche Gestaltungen, wie sie hier von den
Arbeitgeberinnen durchgesetzt worden seien.
B. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht
gegebenen Begründung können die Anträge der Gewerkschaft nicht abgewiesen
werden. Ob sie begründet sind, kann der Senat indessen anhand des bisher
ermittelten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen.
I. Der
Unterlassungsantrag (Antrag zu 1) ist zulässig.
1. Er bedarf allerdings der
Auslegung, denn der Wortlaut bringt nicht zweifelsfrei zum Ausdruck, ob sich der
Antrag auf die Durchführung von Betriebsvereinbarungen, von
Individualvereinbarungen oder von beidem beziehen soll.
Letzteres ist - in
einem Eventualverhältnis - anzunehmen. Der Gewerkschaft geht es darum, die
Durchführung derjenigen Regelungen abzuwehren, welche sie als tarifwidrig
betrachtet, die aber dennoch die Arbeitsverhältnisse im Betrieb gestalten
sollen. Dabei kommt es ihr nicht darauf an, ob die bekämpften Wirkungen von
Betriebsvereinbarungen oder von Einzelvereinbarungen ausgehen. Für dieses
Verständnis des Antrags spricht dessen Wortlaut, der sowohl
Betriebsvereinbarungen nennt als auch die Vereinbarungen, welche die
Arbeitgeberinnen mit den einzelnen Arbeitnehmern getroffen haben. Unsicherheit
ergibt sich insoweit allerdings daraus, daß die einzelvertraglichen Bestimmungen
nicht als eigenständige Regelungen, sondern nur als Ergebnisse der mit dem
Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen genannt sind, und daß die Gewerkschaft in
der mündlichen Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt hat, die
Individualverträge seien nur ein unselbständiger Annex der Absprachen mit dem
Betriebsrat, um deren Durchführung es letztlich gehe. Es erscheint indessen
folgerichtig, daß die Gewerkschaft die kollektivvertraglichen Absprachen als
Antragsgegenstand in den Vordergrund rückt, denn sie argumentiert in erster
Linie damit, daß es sich bei ihnen um Betriebsvereinbarungen handele. Diese
gelten im Arbeitsverhältnis unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG)
und bedürfen daher nicht der individualvertraglichen Umsetzung.
Das steht
keineswegs einer Auslegung entgegen, wonach die mit den Arbeitnehmern
abgeschlossenen Einzelvereinbarungen zumindest ebenfalls Antragsgegenstand sein
sollen. Der Unterlassungsantrag soll nämlich auch den Fall erfassen, daß die
Absprachen mit dem Betriebsrat nicht als Betriebsvereinbarungen, sondern als
Regelungsabreden zu qualifizieren sind. Diese können die Beziehungen zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmern nicht unmittelbar gestalten. Vielmehr bedarf es
dazu der Umsetzung durch ergänzende Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und
den einzelnen Arbeitnehmern oder durch sonstige Maßnahmen auf
individualrechtlicher Ebene (BAG Urteil vom 14. Februar 1991 - 2 AZR 415/90 - AP
Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit, zu IV 3 der Gründe). Der Möglichkeit, daß es sich
vorliegend um Regelungsabreden handelt, trägt die Gewerkschaft bei der
Begründung ihres Antrags ausdrücklich Rechnung. Deshalb muß er, soll er nicht zu
kurz greifen, dahin verstanden werden, daß den Arbeitgeberinnen auch die
Durchführung der zur Umsetzung etwaiger Regelungsabreden erforderlichen
Individualvereinbarungen untersagt werden soll.
2. Gegen die Zulässigkeit des
Antrags ergeben sich keine Bedenken daraus, daß er im Beschlußverfahren verfolgt
wird.
a) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß es
nach den §§ 88, 65 ArbGG nicht mehr zu prüfen hatte, ob das Beschlußverfahren
hier die zulässige Verfahrensart ist. Nach § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG gilt dies
ebenso für die Rechtsbeschwerdeinstanz. Zwar ist von diesem Grundsatz eine
Ausnahme zu machen, wenn das Arbeitsgericht trotz ausdrücklicher Rüge nicht
vorab durch besonderen Beschluß, sondern im Rahmen der Entscheidung zur
Hauptsache über die Zulässigkeit der Verfahrensart mitentschieden hat
(Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., § 65 Rz 14; Grunsky, ArbGG, 7.
Aufl., § 65 Rz 2, 4; ebenso zur insoweit identischen Regelung hinsichtlich des
Rechtswegs BAG Urteil vom 26. März 1992 - 2 AZR 443/91 - AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG
1979, zu II 2 der Gründe; zuletzt BAG Beschluß vom 14. Dezember 1998 - 5 AS 8/98
- zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 1 der Gründe). Diese
Voraussetzung liegt aber hier nicht vor.
b) Im übrigen neigt der Senat zu der
Auffassung, daß vorliegend das Beschlußverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG
die zutreffende Verfahrensart ist, weil es um Angelegenheiten aus dem
Betriebsverfassungsgesetz geht. Soweit der Antrag auf § 23 Abs. 3 BetrVG
gestützt wird, ergibt sich das schon daraus, daß die Gewerkschaft einen
betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch geltend macht. Aber auch ein Anspruch,
der (wie im vorliegenden Fall) aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG
hergeleitet wird, kann eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit
betreffen. Das liegt besonders dann nahe, wenn sich der Antrag gegen die
Durchführung von Betriebsvereinbarungen richtet. Verfahrensgegenstand sind
nämlich normative Regelungen, für die das Betriebsverfassungsgesetz sowohl die
rechtliche Grundlage bietet wie auch den Vollzug durch den Arbeitgeber fordert
(vgl. BAGE 68, 200, 207 f. = AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B I
2 der Gründe).
Kein wesentlicher Unterschied besteht, wenn Regelungsabreden
und deren individualrechtliche Umsetzung angegriffen werden. Zwar ist nicht zu
verkennen, daß die von der Gewerkschaft bekämpfte Abweichung von den tariflichen
Arbeitsbedingungen hier - anders als im Fall der abweichenden
Betriebsvereinbarung - nicht bereits durch die Absprache mit dem Betriebsrat,
sondern erst durch die arbeitsvertragliche Umsetzung bewirkt wird. Es ist aber
zu berücksichtigen, daß auch insoweit die behauptete Rechtsverletzung von einem
gemeinsamen Handeln der Betriebsparteien ausgeht. Hinzu kommt, daß nicht immer
klar erkennbar ist, ob es sich bei den umstrittenen Absprachen um
Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden handelt. Es widerspräche den
Erfordernissen der Prozeßwirtschaftlichkeit, wenn erst nach einer Klärung dieser
Frage die zutreffende Verfahrensart erkennbar würde.
Ein Urteilsverfahren
kommt danach für Ansprüche der vorliegenden Art wohl nur dann in Betracht, wenn
Regelungen angegriffen werden, die allein auf entsprechenden Vereinbarungen des
Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern beruhen, ohne daß ein Betriebsrat mitgewirkt
hätte, vielleicht nicht einmal vorhanden wäre. In solchen Fällen kann ein
Unterlassungsantrag der Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber zu einem
Urteilsverfahren im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG führen. Es geht dann in
einem Rechtsstreit zwischen tariffähigen Parteien aus unerlaubter Handlung um
die Vereinigungsfreiheit und nicht zugleich um betriebsverfassungsrechtliche
Fragen.
3. Die Gewerkschaft ist antragsbefugt.
a) Die
Senatsrechtsprechung, nach der eine Gewerkschaft nicht generell befugt ist, vom
Gericht die Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77
Abs. 3 BetrVG feststellen zu lassen (BAG Beschluß vom 23. Februar 1988 - 1 ABR
75/86 - AP Nr. 9 zu § 81 ArbGG 1979, zu C der Gründe; kritisch z.B. Grunsky, DB
1990, 526; Matthießen, DB 1988, 285), steht dem nicht entgegen. Diese
Rechtsprechung beruht auf der Annahme, daß Betriebsvereinbarungen zunächst die
Rechtsverhältnisse zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sowie zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmern betreffen und daß die Gewerkschaft an diesen
Rechtsverhältnissen nicht beteiligt sei. Anders verhält es sich jedoch bei
Unterlassungsanträgen der vorliegenden Art. Hier verteidigt die Gewerkschaft
eigene Rechte. Das gilt zunächst schon für den Rückgriff auf einen eigenen
Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Vor allem aber gilt es, soweit
sich die Gewerkschaft gegen Verletzungen ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG
geschützten Koalitionsfreiheit wendet (BAGE 68, 200, 208 ff. = AP Nr. 2 zu § 77
BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B II der Gründe).
b) Die Gewerkschaft ist auch
befugt, den von ihr geltend gemachten Unterlassungsanspruch allein zu
verfolgen.
Im Beschluß vom 23. Februar 1988 (- 1 ABR 75/86 - AP Nr. 9 zu § 81
ArbGG 1979, zu C II der Gründe) hatte der Senat noch ausdrücklich die Frage
offen gelassen, ob eine Antragsbefugnis zum Schutz der durch einen Tarifvertrag
ausgeübten Tarifautonomie nur von beiden Tarifvertragsparteien gemeinsam oder
auch von einer allein ausgeübt werden kann. Später ist er ohne weiteres davon
ausgegangen, daß es insoweit keines gemeinsamen Vorgehens bedarf (BAGE 68, 200,
208 ff. = AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B II der
Gründe).
Hieran ist festzuhalten. Soweit sich die Gewerkschaft auf § 23 Abs.
3 Satz 1 BetrVG stützt, ergibt sich ihre Antragsbefugnis schon daraus, daß die
Vorschrift ein Antragsrecht nur für die Gewerkschaft, nicht dagegen für den
Arbeitgeberverband vorsieht. Eine entsprechende Festlegung fehlt zwar in der
alternativ herangezogenen Anspruchsgrundlage in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in
Verbindung mit § 823 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG. Dennoch zwingt der Umstand, daß ein
Tarifvertrag das Ergebnis gemeinsam ausgeübter Tarifautonomie ist, noch nicht zu
der Rechtsfolge, daß keine der Tarifvertragsparteien allein antragsbefugt sein
könnte. Der Bestand des Tarifvertrags, über den beide im Grundsatz nur gemeinsam
verfügen können, wird nämlich von der beantragten Gerichtsentscheidung nicht
betroffen. Es geht vielmehr ausschließlich darum, den Geltungsanspruch des
Tarifvertrags in der Praxis gegenüber unzulässigen konkurrierenden oder
abweichenden Vereinbarungen zu verteidigen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
die Tarifvertragsparteien keineswegs stets in gleicher Weise an der Beachtung
der verschiedenen Tarifbestimmungen interessiert sind (Däubler, BB 1990, 2256,
2262). Das folgt aus dem Kompromißcharakter, den Tarifverträge regelmäßig
aufweisen. Hierauf beruht auch der allgemein anerkannte tarifvertragliche
Einwirkungsanspruch. Dieser berechtigt jede Tarifvertragspartei, von der
jeweiligen Gegenspielerin zu verlangen, ihre Mitglieder mit verbandsrechtlichen
Mitteln zur Tariftreue anzuhalten (BAGE 70, 165 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG
Durchführungspflicht; vgl. zuletzt Walker, Festschrift für Schaub, 1998, S.
743).
4. Der Antrag ist hinreichend bestimmt. Dem steht nicht entgegen, daß
er letztlich offen läßt, von welcher Rechtsnatur - und damit von welcher
rechtlichen Wirkung - der betrieblichen Absprachen die Gewerkschaft ausgeht.
Entscheidend ist, daß sich der Antrag gegen die Durchführung beider denkbaren
Möglichkeiten wendet, also sowohl einer einzelvertraglichen als auch einer
normativen Regelung, wobei die beanstandeten Inhalte hinreichend genau
umschrieben sind.
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen
verkannt, unter denen die Gewerkschaft verlangen kann, daß die Arbeitgeberinnen
die Durchführung der umstrittenen Vereinbarungen unterlassen.
1. Zunächst ist
dem Landesarbeitsgericht allerdings in der Annahme zu folgen, daß die
Gewerkschaft ihren Antrag nicht auf einen groben Verstoß der Arbeitgeberinnen
gegen Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz (§ 23 Abs. 3 BetrVG)
stützen kann.
a) Immerhin kann im Abschluß einer Betriebsvereinbarung, die
tariflich geregelte Arbeitsbedingungen zum Gegenstand hat und deshalb gegen § 77
Abs. 3 BetrVG verstößt, nach der Senatsrechtsprechung eine Pflichtverletzung im
Sinne des § 23 BetrVG liegen. Der Senat sieht bisher § 77 Abs. 3 BetrVG als eine
Grundnorm der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung an, deren Beachtung § 23
Abs. 1 und 3 BetrVG gewährleisten soll (BAGE 73, 291, 300 f. = AP Nr. 22 zu § 23
BetrVG 1972, zu B III 2 a der Gründe; BAGE 68, 200, 211 = AP Nr. 2 zu § 77
BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B III 1 b der Gründe). Diese Rechtsprechung hat
jedenfalls im Ergebnis fast einhellige Zustimmung gefunden (z.B. Trittin in
Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 23 Rz 84;
Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 19. Aufl., § 23 Rz 60;
GK-BetrVG/Wiese/Oetker, 6. Aufl., § 23 Rz 184).
Es läßt sich indessen
einwenden, daß zweifelhaft sei, ob § 23 Abs. 1 und 3 BetrVG überhaupt als
Vorkehrungen zur Abwehr von Verstößen gegen § 77 Abs. 3 BetrVG gedacht waren.
Man kann § 23 BetrVG mit guten Gründen so verstehen, daß nur das ordnungsgemäße
Funktionieren der Betriebsverfassung im Zusammenspiel von Arbeitgeber und
Betriebsrat gewährleistet werden soll. Aus dieser Sicht wäre § 77 Abs. 3 BetrVG,
der den Kompetenzbereich der Betriebsverfassung und damit die gemeinsamen
Handlungsmöglichkeiten der Betriebspartner zugunsten der Tarifautonomie gerade
einschränkt, keine "Grundnorm der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung", denn
sein Zweck wäre nicht vom Schutzgegenstand des § 23 BetrVG umfaßt (in diesem
Sinne Löwisch, BetrVG, 4. Aufl., § 23 Rz 17; ähnlich Pfarr/Kocher,
Kollektivverfahren im Arbeitsrecht, 1998, S. 48 f.). Ein solches Verständnis
ließe sich auch auf die Erwägung stützen, daß sich die Systemüberschreitung, die
§ 77 Abs. 3 BetrVG verhindern will, kaum mit Hilfe der Grundsätze des
Betriebsverfassungsgesetzes als "grober Verstoß" einordnen läßt, vielmehr als
Wertungsmaßstab die Tarifautonomie als Schutzgegenstand des § 77 Abs. 3 BetrVG
unentbehrlich ist. Die Frage kann hier jedoch auf sich beruhen.
b) Hier liegt
jedenfalls kein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG vor.
aa) Die Vorschrift
verbietet nur Betriebsvereinbarungen, nicht dagegen Regelungsabreden.
(1)
Dies entspricht der im Schrifttum vorherrschenden Meinung (z.B.
Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 19. Aufl., § 77 Rz 90; ErfK/Hanau/Kania,
§ 77 BetrVG Rz 71; GK-BetrVG/Kreutz, 6. Aufl., § 77 Rz 114; Wank in Wiedemann,
TVG, 6. Aufl., § 4 Rz 577; Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen,
1998, S. 217 f.; Walker, Festschrift für Wiese, 1998, S. 603, 606 f.;
Waltermann, RdA 1996, 129, 132). Das Bundesarbeitsgericht hat zwar hierzu noch
nicht ausdrücklich Stellung genommen. Es ist indessen stillschweigend ebenfalls
von diesem Verständnis ausgegangen. Als Gegenstand des § 77 Abs. 3 BetrVG hat es
"das Verhältnis der Tarifvertragsparteien und der Betriebspartner in ihrer
Befugnis" bezeichnet, "die Arbeitsbedingungen mit normativer Wirkung zu regeln"
(BAGE 85, 208, 218 = AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II 2 a der
Gründe; BAGE 68, 200, 211 = AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B
III 1 b der Gründe). Eine normative Wirkung kommt aber Regelungsabreden nicht
zu, so daß sich das Problem einer Normkonkurrenz nicht stellt. Keinesfalls
erfaßt die Sperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts Vereinbarungen auf individualvertraglicher Ebene (BAGE 85,
208, 219 = AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II 2 c der Gründe;
BAGE 82, 89, 98 = AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II 2 der
Gründe; Urteil vom 23. August 1989 - 5 AZR 391/88 - AP Nr. 42 zu § 77 BetrVG
1972, zu II der Gründe). Solche Vereinbarungen sind jedoch regelmäßig zur
Umsetzung einer Regelungsabrede erforderlich.
(2) Gegen die Beschränkung des
§ 77 Abs. 3 BetrVG auf Betriebsvereinbarungen wird eingewandt, sie verfehle den
Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG. Dieser liege darin, jede betriebliche
Konkurrenzordnung zum Tarifvertragssystem auszuschließen, auch vertragliche
Einheitsregelungen auf der Grundlage von Regelungsabreden (z.B. Berg in
Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 78; Gamillscheg, Kollektives
Arbeitsrecht I, S. 328; MünchArbR/Matthes, § 318 Rz 71; Richardi, BetrVG, 7.
Aufl., § 77 Rz 277; Zachert, RdA 1996, 140, 145). Hierauf beruft sich auch die
Rechtsbeschwerde. Ihre Begründung kann jedoch nicht überzeugen.
Dabei kommt
allerdings dem Umstand, daß § 77 Abs. 3 BetrVG nur Betriebsvereinbarungen nennt,
keine entscheidende Bedeutung zu. Der Wortlaut reicht hier zur Begründung eines
Umkehrschlusses nicht aus. Zutreffend wird insoweit darauf verwiesen, daß
Regelungsabreden auch sonst nirgends im Betriebsverfassungsgesetz erwähnt werden
(z.B. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 328). Entscheidend ist
vielmehr der Zweck der Vorschrift. § 77 Abs. 3 BetrVG soll eine Konkurrenz zur
tariflichen Normsetzung auf der betrieblichen Ebene ausschließen. Eine solche
Konkurrenz liegt aber nicht bereits im Abschluß einer Regelungsabrede. Anders
als Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen können Regelungsabreden mangels
normativer Wirkung die Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar gestalten. An
dieser Gestaltungsmacht setzt aber die Kompetenzgrenze des § 77 Abs. 3 BetrVG
an. Normsetzung durch den Betriebsrat soll den Arbeitnehmern nicht als
Alternative erscheinen, die u. U. die Mitgliedschaft in einer tarifschließenden
Gewerkschaft überflüssig machen kann.
Überdies hätte eine erweiterte
Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG für Regelungsabreden kaum praktische
Bedeutung. Sie könnte zwar zur Unwirksamkeit einer Regelungsabrede im Verhältnis
zwischen den Betriebsparteien führen, aber die zur Umsetzung getroffenen
Einheitsverträge würden nicht berührt. Die vertragliche Einheitsregelung, welche
hier die betriebliche Konkurrenz zum Tarifvertrag bewirkt, liegt außerhalb der
Reichweite des § 77 Abs. 3 BetrVG. Zwar wird insoweit die Auffassung vertreten
(Berg in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 78), die Sperrwirkung
erstrecke sich auch auf diejenigen Einheitsverträge, bei deren Aufstellung der
Betriebsrat mitgewirkt hat. Es wäre indessen widersprüchlich, wenn
Einzelverträge, die der Arbeitgeber mit Billigung des Betriebsrats abgeschlossen
hat, schärfer sanktioniert würden als inhaltsgleiche Einzelverträge, die ohne
Beteiligung des Betriebsrats zustande gekommen sind. Eine solche Auslegung
verlöre die Tarifautonomie als Schutzgut des § 77 Abs. 3 BetrVG aus dem
Blick.
bb) Bei den Vereinbarungen vom 29. Februar und vom 3. Mai 1996
zwischen den Arbeitgeberinnen und dem Betriebsrat handelt es sich jedenfalls
hinsichtlich derjenigen Bestandteile, die Gegenstand des Unterlassungsantrags
sind, nicht um Betriebsvereinbarungen, sondern nur um Regelungsabreden. Das hat
das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Die hiergegen gerichteten Angriffe
der Rechtsbeschwerde gehen fehl.
Zwar sind die Vertragstexte als
Betriebsvereinbarungen bezeichnet. In ihnen ist aber das Wesensmerkmal von
Inhaltsnormen in Betriebsvereinbarungen, nämlich deren normative Wirkung (§ 77
Abs. 4 Satz 1 BetrVG), ausdrücklich abbedungen. Eine verpflichtende Wirkung soll
nach der Einleitung der Vereinbarung vom 29. Februar 1996 nur von den
Einzelvereinbarungen ausgehen, die mit allen Arbeitnehmern abzuschließen sind.
Dementsprechend ist in der Zusatzvereinbarung vom 3. Mai 1996 bestimmt, daß die
Regelungen für Arbeitnehmer, welche der vorgeschlagenen Vertragsänderung nicht
zugestimmt haben, nicht verbindlich sein sollen. Danach sind die Absprachen
durch die typischen Merkmale von Regelungsabreden gekennzeichnet.
2. Das
Landesarbeitsgericht hat indessen mit unzutreffender Begründung ausgeschlossen,
daß sich der von der Gewerkschaft geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus den
§§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG ergeben kann.
a) Nach
allgemeiner Auffassung kann der in § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelte
Unterlassungsanspruch zur Abwehr von Eingriffen in alle nach § 823 BGB
geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen herangezogen werden. Das
Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 AZR 364/97 - AP Nr. 87 zu
Art. 9 GG, zu II 4 der Gründe; BAGE 54, 353, 359 = AP Nr. 49 zu Art. 9 GG, zu
III 1 der Gründe) schließt hieraus in ständiger Rechtsprechung, daß sich eine
Koalition gegen rechtswidrige Eingriffe in ihre von Art. 9 Abs. 3 GG
gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit Hilfe von Unterlassungsklagen
wehren kann. Zum Schutzbereich des § 823 BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG
gehört nämlich auch das Recht der Koalition auf koalitionsmäßige, hier
gewerkschaftliche Betätigung. Es wird durch Art. 9 Abs. 3 GG
verfassungsrechtlich gewährleistet. Der Grundrechtsschutz richtet sich nach Art.
9 Abs. 3 Satz 2 GG auch gegen privatrechtliche Beschränkungen, hat also
Drittwirkung. Demnach sind Abreden, welche die Koalitionsfreiheit einschränken
oder zu behindern suchen, nichtig. Hierauf gerichtete Maßnahmen sind
rechtswidrig und mit Rechtsbehelfen zu verhindern.
Die genannte
Anspruchsgrundlage wird auch nicht etwa, wie die Arbeitgeberinnen meinen, durch
§ 23 Abs. 3 BetrVG als speziellere Norm verdrängt. Ein Verhältnis der
Spezialität zwischen beiden Regelungen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil
sie unterschiedlichen Zwecken dienen. Während § 23 Abs. 3 BetrVG nur die
betriebsverfassungsrechtliche Ordnung gewährleistet, schützen die §§ 1004, 823
BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG in erster Linie die Koalitionsfreiheit
einschließlich der Koalitionsbetätigungsfreiheit.
b) Das Landesarbeitsgericht
hat für den vorliegenden Fall einen Unterlassungsanspruch mit der Begründung
verneint, die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft werde durch die
streitbefangenen Regelungen nicht verletzt. Das läßt sich mit der gegebenen
Begründung nicht halten.
aa) Zu Unrecht stützt sich das Landesarbeitsgericht
auf den Senatsbeschluß vom 20. August 1991 (BAGE 68, 200, 215 f. = AP Nr. 2 zu §
77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu B III 2 b der Gründe).
(1) Dieser Beschluß
betraf einen Antrag, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine als tarifwidrig angesehene
Betriebsvereinbarung nicht durchzuführen. Der Senat verneinte eine Verletzung
der Koalitionsfreiheit mit der Begründung, die Betriebsvereinbarung sei im
Rahmen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG und damit in Ausübung
der gesetzlichen Regelungskompetenz der Betriebspartner zustande gekommen; ein
Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG scheide aus. Deshalb sei der Kernbereich der
Koalitionsfreiheit nicht betroffen. Das Recht der Tarifvertragsparteien zur
Regelung der Arbeitsbedingungen schließe nicht notwendig die Befugnis ein, die
Beachtung der im Tarifvertrag gesetzten Ordnung auch durchzusetzen.
Eine
hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaft wurde nicht zur
Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 29. Juni
1993 - 1 BvR 1916/91 - AP Nr. 2 a zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu II der
Gründe) hielt allerdings den generellen Ausschluß von Schutzansprüchen der
Gewerkschaft gegen tarifwidrige Betriebsvereinbarungen in
mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten für "nicht unproblematisch" und ließ
ausdrücklich offen, ob die durch § 23 Abs. 3 i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG
eröffneten Rechtsbehelfe ausreichen. Art. 9 Abs. 3 GG verlange aber jedenfalls
dann keine Klagebefugnis der Gewerkschaft gegen die Betriebsparteien, wenn der
betroffene Tarifvertrag diesen ausdrücklich eine gewisse Gestaltungsfreiheit
eingeräumt habe, wie das im entschiedenen Fall geschehen war.
(2) Die
Rechtsprechung des Senats hat teilweise Zustimmung gefunden (z.B. Oetker, SAE
1992, 158, 162; Walker, Festschrift für Schaub, 1998, S. 743, 759 f.). Es sei
richtig, daß die Aufgabe der Tarifvertragsparteien in der Erzeugung, nicht
dagegen in der Durchsetzung von Rechtsnormen liege. Für letzteres enthalte das
geltende Recht andere Instrumente als Klagebefugnisse der Gewerkschaft. Das
Bundesarbeitsgericht hat aber auch grundsätzliche Kritik erfahren (z.B. Berg in
Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 85; Däubler,
Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1391; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I,
S. 633 f.; Kempen in Kempen/Zachert, Tarifvertragsgesetz, 3. Aufl., § 4 Rz 104
ff.; Kittner, Festschrift für Stahlhacke, 1995, S. 247, 254 f.; Pfarr/Kocher,
Kollektivverfahren im Arbeitsrecht, 1998, S. 48). Insbesondere könne die
Differenzierung zwischen Betriebsvereinbarungen, die gegen § 77 Abs. 3 BetrVG
verstoßen einerseits, und andererseits betrieblichen Regelungen, die in Ausübung
eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG zustande gekommen sind, nicht
überzeugen. Auch wird geltend gemacht, die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts habe ihre Grundlage verloren, nachdem das
Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 14. November 1995 - 1 BvR 601/92 - AP Nr.
80 zu Art. 9 GG, zu B I 3 der Gründe; Beschluß vom 24. April 1996 - 1 BvR 712/86
- AP Nr. 2 zu § 57 a HRG, zu C I 1 der Gründe) den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG
nicht mehr lediglich auf einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung beziehe,
sondern alle koalitionsspezifischen Betätigungen als geschützt ansehe (Kempen in
Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rz 104).
In der Tat sind Zweifel
angebracht, ob die Trennlinie zwischen mitbestimmungspflichtigen und
mitbestimmungsfreien Betriebsvereinbarungen zugleich die Grenze markiert, von
der der Schutz der Koalitionsfreiheit und damit ein Abwehrrecht der Gewerkschaft
abhängig sein kann. Es besteht kein genereller Zusammenhang zwischen der
Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts und dem Gewährleistungsbereich der
Koalitionsfreiheit. Dies mag indessen auf sich beruhen.
Das
Landesarbeitsgericht hat nämlich verkannt, daß die Erwägungen des Senats in dem
angeführten Beschluß auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind. Es geht
hier nicht um Vereinbarungen aufgrund von Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1
BetrVG. Der Unterlassungsantrag richtet sich vielmehr ausschließlich gegen
Regelungen, welche generell den Wegfall oder die Reduzierung tariflicher
Entgeltansprüche oder die Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit
betreffen. Der Betriebsrat hat aber weder hinsichtlich des Gesamtaufwands für
Arbeitsentgelte noch hinsichtlich der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit
mitzubestimmen (BAGE 77, 86, 90 = AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung,
zu B II 1 der Gründe; BAGE 73, 291, 303 = AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG 1972, zu B
III 2 c aa der Gründe). Überdies sind die Regelungen, die zur Einschränkung von
Tarifansprüchen führen, ausschließlich in Individualverträgen enthalten. Auch
deshalb fehlt hier ein Ansatz für Erwägungen, welche an die erzwingbaren
Normierungsbefugnisse der Betriebsparteien anknüpfen.
bb) Entgegen der
Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann die Koalitionsfreiheit der
Gewerkschaft durch eine betriebseinheitliche Regelung, welche tarifwidrige
Arbeitsbedingungen schaffen will, beeinträchtigt werden.
Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Beschluß vom 24. April 1996 -
1 BvR 712/86 - AP Nr. 2 zu § 57 a HRG, zu C I 1 der Gründe) setzt sich die
individualrechtliche Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG, zur Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, in einem
Freiheitsrecht der gebildeten Koalitionen fort. Dieses schützt sie in ihrem
Bestand und in Betätigungen, die den genannten Zwecken dienen. Der Schutz ist
nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung
beschränkt. Er erstreckt sich vielmehr auf alle Verhaltensweisen, die
koalitionsspezifisch sind. Hierzu gehört insbesondere der Abschluß von
Tarifverträgen. Dabei bezieht sich der den Koalitionen zur Regelung überlassene
Teil der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf solche Materien, die sie in
eigener Verantwortung zu ordnen vermögen. Dazu gehören vor allem das
Arbeitsentgelt und andere materielle Arbeitsbedingungen wie etwa die
Arbeitszeit.
Die dergestalt von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Regelungsbefugnis
wird nicht erst dann beeinträchtigt, wenn eine Koalition daran gehindert wird,
Tarifrecht zu schaffen. Eine Einschränkung oder Behinderung der
Koalitionsfreiheit liegt vielmehr auch in Abreden oder Maßnahmen, die zwar nicht
die Entstehung oder den rechtlichen Bestand eines Tarifvertrags betreffen, aber
darauf gerichtet sind, dessen Wirkung zu vereiteln oder leerlaufen zu lassen.
Die Tarifnorm kann dann ihren Zweck nicht erfüllen, den Teil der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen zu ordnen, der ihren Gegenstand bildet. Daran kann auch
die Tatsache nichts ändern, daß entsprechende Abreden nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2
GG nichtig sind, also die tarifliche Ordnung nicht in rechtlich erzwingbarer
Weise ersetzen. Die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit liegt vielmehr
darin, daß solche Absprachen faktisch geeignet sind, schon aufgrund ihres
erklärten Geltungsanspruchs an die Stelle der tariflichen Regelung zu treten
(vgl. zum Anspruch auf Beseitigung von mitbestimmungswidrigen Anweisungen
Senatsbeschluß vom 16. Juni 1998 - 1 ABR 68/97 - AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972
Gesundheitsschutz, zu B III der Gründe). Die verbreitete Praxis tarifwidriger
Vereinbarungen (z.B. Gentz, Festschrift für Schaub, 1998, S. 205, 206; ArbG
Marburg Beschluß vom 7. August 1996 - 1 BV 6/96 - NZA 1996, 1331 f.) belegt
dies. Folgerichtig stellt Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG auf die Zielrichtung einer
Absprache oder Maßnahme ab und nicht nur auf deren rechtliche Wirkung.
Das
bedeutet allerdings nicht, daß schon jede tarifwidrige Vereinbarung zugleich als
Einschränkung oder Behinderung der Koalitionsfreiheit zu werten wäre.
Tarifnormwidrige Regelungen in einzelnen Arbeitsverträgen oder fehlerhafte
Anschlußregelungen auf der betrieblichen Ebene stellen den maßgebenden
Tarifvertrag noch nicht in Frage. Von einem Eingriff in die Tarifautonomie kann
vielmehr nur dann gesprochen werden, wenn eine Tarifnorm als kollektive Ordnung
verdrängt und damit ihrer zentralen Funktion beraubt werden soll. Das setzt eine
betriebliche Regelung voraus, die einheitlich wirken und an die Stelle der
Tarifnorm treten soll. Bei tarifnormwidrigen Betriebsvereinbarungen ist das im
Zweifel anzunehmen. Aber auch vertragliche Einheitsregelungen sind bewährte
Instrumente zur Gestaltung der betrieblichen Ordnung (vgl. BAG GS Beschluß vom
16. September 1986 - GS 1/82 - BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Das
ist offenkundig, wenn die vertragliche Einheitsregelung auf einer
Regelungsabrede beruht oder wenn die entsprechenden Vertragsangebote - wie hier
- ausdrücklich vom Betriebsrat unterstützt werden. Die dafür gegebene Begründung
kann den kollektiven Charakter sowie die bewußte Kollision mit geltendem
Tarifrecht besonders deutlich machen.
Geltendes Tarifrecht wird allerdings
nur dann verdrängt, wenn der betreffende Tarifvertrag im Anwendungsbereich der
fraglichen betrieblichen Regelung normativ gilt. Soweit diese Voraussetzung
fehlt, besteht nämlich kein Geltungsanspruch des Tarifvertrags, und der
Arbeitgeber ist frei, mit seinen Arbeitnehmern untertarifliche
Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Auch der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz hindert ihn hieran nicht (BAG Urteil vom 20. Juli
1960 - 4 AZR 199/59 - AP Nr. 7 zu § 4 TVG).
cc) Der Annahme, daß eine
tarifwidrige betriebliche Regelung als Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit
wirken kann mit der Folge, daß die Gewerkschaft befugt ist, hiergegen mit einem
Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB vorzugehen, steht die Rechtsprechung des
Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts zur Einwirkungsklage nicht entgegen.
Nach dieser kann jede Tarifvertragspartei von ihrer Partnerin verlangen, auf
deren Mitglieder einzuwirken, damit sich diese an den Tarifvertrag halten und
tarifwidrige betriebliche Regelungen unterlassen (BAGE 70, 165, 173 = AP Nr. 3
zu § 1 TVG Durchführungspflicht).
Zum einen setzt die Existenz eines solchen
Anspruchs nicht denknotwendig voraus, daß ein Unterlassungsanspruch mit dem
gleichen Ziel ausgeschlossen sein müßte. Auch bei dessen Anerkennung behält die
Einwirkungsklage ihre Funktion als ein zusätzliches Mittel zur Durchsetzung des
Tarifvertrages. Sie ist zwar weniger effektiv, geht aber insofern weiter, als
sie die Erfüllung tarifvertraglicher Verpflichtungen und nicht lediglich die
Unterlassung hiergegen verstoßender Regelungen bewirken soll. Zum anderen läßt
sich aus der Möglichkeit der Einwirkungsklage nicht ableiten, zur Abwehr von
Beeinträchtigungen der Koalitionsfreiheit durch tarifwidrige betriebliche
Regelungen bedürfe es keiner Befugnis der Gewerkschaft, den betreffenden
Arbeitgeber unmittelbar auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Dies folgt schon
aus der Schwäche des Einwirkungsanspruchs, der nur auf Umwegen mit
verbandsrechtlichen Mitteln zum Ziel führt (z.B. Walker, Festschrift für Schaub,
1998, S. 743, 758 f., mit weiteren Nachweisen).
c) Der dargestellte
Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige betriebliche Regelungen schließt
allerdings nicht die Befugnis der Gewerkschaft ein, Individualansprüche ihrer
Mitglieder einzuklagen. Er dient nur dem Schutz der kollektiven
Koalitionsfreiheit. Diese ist nicht schon dadurch betroffen, daß ein Arbeitgeber
Tarifansprüche nicht erfüllt, ohne damit eine tarifwidrige Einheitsregelung zu
konzipieren. Geht es ausschließlich um Rechte einzelner Arbeitnehmer, müssen
diese selbst tätig werden. Daher kann auch - entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts - aus der Befugnis staatlicher Stellen nach §§ 24, 25 HAG,
Ansprüche von Heimarbeitern geltend zu machen, für oder gegen den hier
streitigen Unterlassungsanspruch nichts hergeleitet werden.
III. Ob im
vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer gewerkschaftlichen
Unterlassungsklage erfüllt sind, läßt sich ohne eine weitere Aufklärung des
Sachverhalts nicht abschließend beurteilen.
1. Immerhin kann der Senat schon
jetzt feststellen, daß sich die Klage gegen eine betriebliche Einheitsregelung
richtet, deren kollektiver Charakter offensichtlich ist, weil sie auf einer
Regelungsabrede mit dem Betriebsrat beruht. Auch die zweite Voraussetzung eines
Unterlassungsanspruchs zum Schutze der Koalitionsfreiheit ist erfüllt: Die
betriebliche Regelung richtet sich gegen Tarifverträge, deren Geltungsbereiche
die Druckerei der Arbeitgeberinnen in O erfassen. Einzelne Vorschriften dieser
Tarifverträge sollen durch die im Antrag bezeichneten Regelungen ersetzt, die
entsprechenden Arbeitsbedingungen sollen verändert werden.
a) Diese
Stoßrichtung ergibt sich schon aus der Einleitung zur "Betriebsvereinbarung
(Rahmenvereinbarung)" vom 29. Februar 1996. Dort wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß es um Sparmaßnahmen geht, die zur Kürzung tariflicher Ansprüche
führen sollen. Die daraufhin getroffenen Vereinbarungen, die Gegenstand des
Unterlassungsantrags sind, weichen tatsächlich von den korrespondierenden
Tarifbestimmungen ab. Dies gilt für
- die Nichtberücksichtigung von
Überstunden bei der Vergütung ausgefallener Arbeit an Feiertagen, soweit
Arbeiter betroffen sind (Antrag 1 a);
- die Reduzierung der in Antrag 1 b
genannten Zuschläge für Arbeiter;
- den Wegfall der in Antrag 1 c angeführten
Zuschläge und Antrittsgebühren für Arbeiter und Angestellte;
- die
Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit von Arbeitern und Angestellten,
soweit die zusätzliche Arbeitszeit nicht bezahlt wird oder zuschlagsfrei ist
(Antrag 1d).
b) Die Abweichungen sind nicht vom Günstigkeitsprinzip des § 4
Abs. 3 TVG gedeckt.
aa) Die einzelnen Entgelt- und Arbeitszeitregelungen sind
hinsichtlich ihrer jeweiligen Gegenstände unstreitig für die Arbeitnehmer
ungünstiger als die entsprechenden Tarifbestimmungen; ihr Zweck besteht gerade
darin, die Kostenbelastung der Arbeitgeberinnen zu vermindern. Diese machen
allerdings geltend, der Günstigkeitsvergleich dürfe sich nicht auf die einzelnen
Regelungsgegenstände beschränken. Vielmehr sei auch die Beschäftigungsgarantie
einzubeziehen, welche sie den Arbeitnehmern im Austausch gegen die vereinbarten
Sparmaßnahmen zugestanden hätten. Die Erhaltung des Arbeitsplatzes um den Preis
einer vermehrten Arbeitsleistung oder eines gekürzten Arbeitsentgelts sei für
die Arbeitnehmer hier günstiger als die Beibehaltung der tariflichen
Arbeitsbedingungen. Diese belasteten die Arbeitgeberinnen über Gebühr und
zwängen zu Einschränkungen des Betriebs, was mit Entlassungen verbunden sei
(ähnlich insbesondere Buchner, DB Beil. 12/1996, 10 ff.).
Ein derartiger
Vergleich von Regelungen, deren Gegenstände sich thematisch nicht berühren, ist
indessen methodisch unmöglich ("Äpfel mit Birnen") und mit § 4 Abs. 3 TVG nicht
vereinbar. Die Vorschrift verlangt vielmehr nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts und der herrschenden Meinung im arbeitsrechtlichen
Schrifttum, daß die zu vergleichenden Regelungen miteinander in einem sachlichen
Zusammenhang stehen ("Sachgruppenvergleich"). Es sind also, soweit nicht sowohl
der Tarifvertrag als auch der Einzelarbeitsvertrag Anhaltspunkte für ein
abweichendes Vorgehen bieten, die sachlich einander entsprechenden Regelungen zu
vergleichen (BAGE 46, 50, 58 = AP Nr. 9 zu § 339 BGB; Däubler,
Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 204 ff.; MünchArbR/Löwisch, § 265 Rz 41 ff.;
Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rz 198 ff.; ErfK/Schaub, § 4 TVG Rz 66 f.; Zachert in
Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rz 188; Wank in Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 4
Rz 436 ff.; ebenso BAG GS - BAGE 63, 211, 220 = AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972,
zu C II 3 der Gründe - zur Anwendung des Günstigkeitsprinzips, das als
allgemeiner Grundsatz verstanden wird, auf das Verhältnis zwischen
Einzelarbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung). Arbeitszeit oder Arbeitsentgelt
einerseits und eine Beschäftigungsgarantie andererseits sind jedoch völlig
unterschiedlich geartete Regelungsgegenstände, für deren Bewertung es keinen
gemeinsamen Maßstab gibt. Sie können nicht miteinander verglichen werden. Eine
Beschäftigungsgarantie ist nicht geeignet, Verschlechterungen beim
Arbeitsentgelt oder bei der Arbeitszeit zu rechtfertigen (z.B. Ehmann/Schmidt,
NZA 1995, 193, 202; Hanau, RdA 1998, 65, 70; Reichold, ZfA 1998, 237, 252;
Walker, Festschrift für Wiese, 1998, S. 603, 608; Wiedemann, Anm. zu BAG Urteil
vom 18. Dezember 1997 - 2 AZR 709/96 - AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969, zu 3
b).
Nur dieses Verständnis entspricht dem Zweck des Tarifvertragsgesetzes,
welches zum Schutz der Arbeitnehmer die Normwirkung von Tarifverträgen
gewährleistet. Die wertende Entscheidung darüber, wie bei der Regelung der
Arbeitsbedingungen das Interesse der Arbeitnehmer an möglichst hohen Entgelten
mit dem unternehmerischen Interesse an geringen Arbeitskosten um der
Wettbewerbsfähigkeit willen und damit auch zur Sicherung der Arbeitsplätze in
Einklang gebracht werden kann, ist eine tarifpolitische Grundsatzfrage und
gehört zu den typischen Aufgaben der Tarifvertragsparteien. Diesen ist es
überlassen, nach ihren gemeinsamen Zweckmäßigkeitsvorstellungen einerseits
Kostenfaktoren für die unternehmerische Tätigkeit und andererseits Untergrenzen
der Arbeitsbedingungen, insbesondere der Arbeitseinkommen, zu bestimmen. Diese
Kompetenz können die Tarifvertragsparteien freilich in der Praxis nicht beliebig
ausschöpfen. Sie stehen nämlich unter koalitionspolitischem Konkurrenzdruck. So
muß die Gewerkschaft den Verlust von Mitgliedern fürchten, wenn sie bei ihrer
Tarifpolitik deren Günstigkeitsvorstellungen, z.B. von Arbeitsentgelt und
Arbeitsplatzsicherheit, nicht hinreichend berücksichtigt. Auf Arbeitgeberseite
kommt als Korrektiv der Wettbewerb mit Unternehmen hinzu, die nicht der
Tarifbindung unterliegen.
Die Rechtsprechung würde nicht nur ihre
Möglichkeiten rationaler Kontrolle überschreiten, sondern auch in Wertungsfragen
der Tarifpolitik eindringen, wollte sie die gemeinsame Meinungsbildung der
Tarifvertragsparteien daraufhin überprüfen, ob sich eine andere Gewichtung der
betroffenen Interessenlage für die Arbeitnehmer einzelner Betriebe günstiger
auswirkt. Der nach § 4 Abs. 3 TVG vorzunehmende Günstigkeitsvergleich ist
Normvollzug. Seine Maßstäbe müssen aus den Wertungen des Tarifvertrags
abgeleitet werden. Ein Versuch, die normierten Wertungen im Rahmen des
Günstigkeitsvergleichs zu überwinden, muß schon deshalb scheitern, weil es
insoweit an handhabbaren Kriterien fehlt. So lassen sich vielfach - wie auch im
vorliegenden Fall - die Arbeitsplatzrisiken nicht hinreichend objektivieren. Die
Entscheidung über die Schließung oder Verlegung eines Betriebs, die zum Abbau
von Arbeitsplätzen führt, steht im Ermessen des Unternehmers. Seine
diesbezüglichen Erwägungen, etwa zu Gewinnzielen und -erwartungen sowie zur
Einschätzung von Kosten und Marktchancen, entziehen sich weitgehend
richterlicher Kontrolle. Wären die Arbeitsplatzrisiken, die sich aus einer
solchen Maßnahme ergeben können, in einem Günstigkeitsvergleich zu
berücksichtigen, so stünde die Wirkung zwingenden Tarifrechts praktisch zur
Disposition einzelner Arbeitgeber.
bb) An diesem Ergebnis ändert sich auch
dann nichts, wenn die tarifgebundenen Arbeitnehmer weit überwiegend bereit sind,
um ihrer Arbeitsplatzsicherheit willen auf tarifliche Rechte zu verzichten. Eine
solche Entscheidung ist die (in dieser Situation möglicherweise vernünftige)
Reaktion auf die vorangegangene unternehmerische Entscheidung und auf die danach
für die Arbeitnehmer verbleibende Alternative. Sie ist also keineswegs völlig
frei. Deshalb bestimmt § 4 Abs. 3 TVG, daß abweichende Abmachungen von den
Tarifvertragsparteien gestattet werden müssen. Auch hier zeigt sich, daß das
Gesetz die tarifpolitische Verantwortung für die Wirkung ihrer Regelungen den
tarifschließenden Koalitionen zuweist - ganz im Sinne von Art. 9 Abs. 3
GG.
cc) Das soll nicht bedeuten, daß der "Sachgruppenvergleich", den das
Bundesarbeitsgericht seit Jahrzehnten in Übereinstimmung mit der herrschenden
Lehre anwendet, die allein verfassungskonforme Art des Günstigkeitsvergleichs
sein müßte. Die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG bedarf der rechtlichen
Ausgestaltung, und der Gesetzgeber kann dabei die Tarifautonomie in den Grenzen
der Verhältnismäßigkeit auch einschränken (BVerfG Beschluß vom 24. April 1996 -
1 BvR 712/86 - AP Nr. 2 zu § 57 a HRG, zu C II 1 der Gründe). Ob es insoweit
möglich ist, spezielle betriebliche Interessenlagen zu typisieren und in das
Prüfungsprogramm eines Günstigkeitsvergleichs aufzunehmen, ist hier nicht zu
erörtern. Solange dafür gesetzliche Grundlagen fehlen, muß § 4 Abs. 3 TVG im
Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG so ausgelegt werden, daß der Vorrang des
Tarifvertrages gewahrt bleibt.
2. Dennoch sind im vorliegenden Fall
entscheidungserhebliche Tatfragen bisher ungeklärt. Außerhalb des
Anwendungsbereichs des § 77 Abs. 3 BetrVG kommt eine Verletzung der
Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft durch tarifwidrige Regelungen nur in
Betracht, soweit der jeweils betroffene Tarifvertrag normativ gilt (oben II 2 b
bb am Ende). Daher setzt auch der Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft die
normative Tarifgeltung voraus. Hierzu fehlen Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts.
a) Erste Voraussetzung ist nach § 3 Abs. 1 TVG die -
zwischen den Beteiligten streitige - Tarifbindung der Arbeitgeberinnen. Das
Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob diese vorliegt.
b) Zweite
Voraussetzung ist die Tarifbindung auf Arbeitnehmerseite. Die Gewerkschaft kann
im allgemeinen nicht verlangen, daß der Arbeitgeber den Vollzug einer
tarifwidrigen betrieblichen Regelung auch hinsichtlich der Tarifaußenseiter
unterläßt. Es steht ihm grundsätzlich frei, mit nichtorganisierten Arbeitnehmern
untertarifliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren.
Nur ausnahmsweise kann ein
Unterlassungsanspruch eine Regelung auch hinsichtlich dieser Arbeitnehmer
erfassen. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber nach seiner Zielvorgabe
entsprechende Vereinbarungen keinesfalls allein mit den Tarifaußenseitern
treffen wollte, sondern nur zu einer Regelung bereit war, die sich unabhängig
von der Tarifbindung auf die gesamte Belegschaft oder bestimmte Teile derselben
erstreckt. In diesem Fall kann die angegriffene Regelung nur für alle
betroffenen Arbeitnehmer oder gar nicht Bestand haben.
Zum Anteil der
tarifgebundenen Arbeitnehmer fehlen Feststellungen. Immerhin gehen alle
Beteiligten ohne weiteres davon aus, daß jedenfalls ein Teil der betroffenen
Belegschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft organisiert ist. Jedoch ist
den Beteiligten noch rechtliches Gehör zu der Frage zu gewähren, ob die
angegriffenen Regelungen nur als betriebliche Einheitsregelungen getroffen
werden oder gegebenenfalls auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkt
werden sollten. Ist letzteres der Fall, so kann der Unterlassungsantrag
allenfalls teilweise, nämlich hinsichtlich der Gewerkschaftsmitglieder, Erfolg
haben. Er ist dann auch nicht etwa als Globalantrag insgesamt unbegründet. Die
stattgebende Entscheidung könnte sich vielmehr auf die Nichtdurchführung der
Regelungen gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern beschränken. Eine solche
Eingrenzung würde den Streitgegenstand nicht verändern, sondern könnte durch
Teilabweisung des Antrags berücksichtigt werden, ohne daß die Vollstreckbarkeit
dadurch ausgeschlossen würde. Allerdings müßte die Gewerkschaft, die im
Vollstreckungsverfahren einen Verstoß gegen das Unterlassungsgebot geltend
macht, die vertragswidrig einbezogenen Arbeitnehmer benennen.
IV. Wenn und
soweit der Unterlassungsantrag begründet ist, kommt nach § 890 ZPO auch die mit
dem Antrag zu 2 begehrte Androhung eines Ordnungsgeldes in Betracht.
Dieterich Rost Wißmann Federlin Lappe
(Diese Entscheidung ist veröffentlicht u.a. in: BAGE 91, 210-234; DB 1999, 1555-1560; BB 1999, 1657-1660; NZA 1999, 887-894; NJW 1999, 3281-3287)
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