Veranlagung der Markt- und Sozialforschungsinstitute zu den Gefahrtarifstellen im Gefahrtarif

Gericht

SG Würzburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

21. 12. 2000


Aktenzeichen

S 5 U 387/98


Tenor


  1. Der Bescheid vom 31.03.1998 und die darauf beruhenden Beitragsbescheide für die Haushaltsjahre 1998 und 1999 sowie der Widerspruchsbescheid vom 30.09.1998 werden aufgehoben.

  2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung der Klägerin für das Jahr 1998 nach dem Gefahrtarif der Beklagten sowie über die Rechtmäßigkeit der daraufhin ergangenen Beitragsbescheide der Beklagten für die Haushaltsjahre 1998 und 1999.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das in selbständiger Rechtsform einer GmbH betrieben wird und sich mit Dienstleistungen für Marketing und Verkaufsförderung (Markt- und Meinungsforschung) befaßt und als solches in das Mitgliedsverzeichnis der Beklagten mit Wirkung ab 01.04.1994 eingetragen ist.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 31.03.1998 veranlagte die Beklagte die Klägerin auf der Grundlage des ab 01.01.1998 gültigen Gefahrtarifes in die Gefahrtarifstelle 53 - Unternehmensart sonstige Unternehmensarten: Marktforschungsunternehmen, Meinungsforschungsunternehmen - mit der Gefahrklasse 1,05.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch ließ die Klägerin unter Bezugnahme auf ein Schreiben der Beklagten vom 03.06.1998 u.a. damit begründen, dass eine von der Beklagten behauptete "Schwankung der Unfallbelastung" nicht bestünde. Darüber hinaus sei eine "Schwankung von Unfallbelastungen" kein zulässiges Kriterium für die Zuordnung des klägerischen Unternehmens zu einer bestimmten Gefahrklasse. Es würde an einem sachlichen Grund fehlen, die Markt- und Meinungsforschungsunternehmen anders d.h. ungleich zu behandeln wie vergleichbare Unternehmensarten mit vergleichbaren Unfallrisiken und vergleichbaren Technologiestrukturen. Es sei insoweit eine Einordnung in die Gefahrtarifstelle 5 (Datenerfassung, Datenverarbeitung, Datenanwendung) oder 8 (Beratung (Unternehmens-, EDV-, Organisationsberatung)) oder 17 (Institut für Wissenschaft und Forschung) vorzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Zurückweisung wurde u.a. damit begründet, dass bei der Bildung von Gefahrtarifstellen zu berücksichtigen sei, dass die Gefahrklassen der Gefahrtarifstellen nicht zu starken Zufallsschwankungen unterlägen. Dies könne durch die Bildung möglichst großer Gefahrtarifstellen verhindert werden. Um dem Versicherungsgedanken der Beitragsabstufung nach den Gefährdungsrisiken der Unternehmensarten Rechnung zu tragen werde bei der Aufstellung des Gefahrtarifes 1998 zugunsten individueller Belastungsziffern nicht mehr am sogenannten "Technologieprinzip" festgehalten. Es werde vielmehr das "Versicherungsprinzip nach versicherungsmathematischen Aspekten" angewendet, wonach geprüft wird, ob eine Unternehmensart als eigenständige Risikogemeinschaft tragfähig ist. Dabei wurden die einzelnen Unternehmensarten ausschließlich nach ihrer individuell für einen bestimmten Beobachtungszeitraum rechnerisch ermittelten Gefahrklasse veranlagt, die sich aus der auf zwei Stellen gerundeten Belastungsziffer ergäbe. Die Belastungsziffer wiederum errechne sich aus dem Verhältnis von Arbeitsentgelten zu den gezahlten Leistungen. Ergebe sich, dass diese Belastungsziffer einer Unternehmensart über mehrere Jahre hinweg stabil sei (nicht zu starken Zufallsschwankungen unterliege) sei die Unternehmensart als tragfähige Risikogemeinschaft im Sinne versicherungsmathematischer Anforderungen anzusehen. Die Unternehmensarten, die versicherungsmathematisch allein nicht tragfähig seien, weil ihre Belastungsziffer über mehrere Jahre hinweg nicht stabil war, seien in der Gefahrtarifstelle 53 zusammengefaßt worden. Die Beklagte habe anhand eines festgeschriebenen Verfahrens zur Beurteilung der Zufallsschwankungen einen Schwellenwert für die Tragfähigkeit einer Unternehmensart festgelegt. Dabei seien die jährlichen Belastungsziffern der Unternehmensarten in den Jahren 1990 bis 1996 beobachtet worden, wobei verbindende Gemeinsamkeit der Unternehmensarten der Gefahrtarifstelle 53 eine zu große Schwankungsbreite der jährlichen Belastungsziffer in diesem Beobachtungszeitraum sei.
Zur Festlegung der Grenze, ab wann eine Unternehmensart eine eigenständige Risikogemeinschaft bilden könne, wurde für die jährliche Belastungsziffer einer Unternehmensart ein sogenannter Konfidenzintervall berechnet, wobei ein kleiner Konfidenzintervall in Relation zur Mitte des Konfidenzintervalles (= mittlere Belastungsziffer) das Vorliegen einer stabilen Belastungsziffer der Unternehmensart indiziert.

Mit der am 28.10.1998 beim Sozialgericht Würzburg erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit des seit 01.01.1998 geltenden Gefahrtarif der Beklagten bzw. die Aufhebung des Veranlagungsbescheides und der darauf beruhenden Vertragsbescheide der Beklagten. Zur Klagebegründung läßt sie im wesentlichen vortragen, dass die Mitarbeiter der Klägerin innerhalb von Büroräumen geistig-abstrakt arbeiten würden, indem sie mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen zuvor erhobenes Datenmaterial auf Grund eines zuvor festgelegten Forschungszweckes und einer zuvor festgelegten Forschungsmethode nach statistisch-mathematischen Methoden miteinander verknüpfen, analysieren, die Ergebnisse auswerten und in einem gedruckten Band oder in Form von digitalisierten Daten dem Auftraggeber zugänglich machen würden. Diese Tätigkeit sei mit der Tätigkeit anderer in der Gefahrtarifstelle 53 zusammengefaßter Unternehmen insbesondere hinsichtlich der Arbeitsweise im Gegensatz zu den in den Gefahrtarifstellen 05, 08 oder 17 bezeichneten Unternehmensarten nicht vergleichbar. In der Vergangenheit seien die Meinungs- u. Marktforschungsunternehmen von der Beklagten mit derartigen Unternehmen gleichgestellt worden wie etwa im ab 01.01.1995 geltenden Gefahrtarif mit der Gefahrtarifstelle 09 und der Gefahrklasse 1,1. Das nunmehr von der Beklagten behauptete Vorliegen einer zu großen Schwankungsbreite der jährlichen Belastungsziffer werde bestritten. Darüber hinaus verstoße die Zuordnung einer Unternehmensart zu einer bestimmten Gefahrtarifstelle allein unter Zugrundelegung einer sogenannten "Schwankungsbreite der jährlichen Belastungsziffer" gegen § 157 SGB VII, da die Gefahrklassenbildung des Gefahrtarifes auch nach dem SGB VII (wie schon nach der Reichsversicherungsordnung - RVO - die jeweilige Unfallgefahr des Gewerbezweiges zu berücksichtigen habe. Eine derartige Abstufung nach Gefährdungsrisiken sei in der Gefahrtarifstelle 53 nicht erfolgt. Die vergleichbaren Gefährdungsrisiken im Sinne technologischer und struktureller Vergleichbarkeit dürften aber bei der Gefahrtarifbildung nicht außer Acht gelassen werden. Zudem läge ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz deswegen vor, weil die Markt- und Meinungsforschungsunternehmen trotz gleichem Arbeits- und Produktionsablauf und gleicher Betriebseinrichtung und Betriebsorganisation wie Unternehmen der Datenerfassung oder Institute der wissenschaftlichen Forschung anders als diese behandelt würden.

Zudem gehe die Beklagte auch von einer unrichtigen Anzahl von Markt- und Meinungsforschungsinstituten aus, da sie unter diesem Begriff Betriebe subsumiere, die in Wirklichkeit keine wirklichen Dienstleistungen erbringen würden. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege schon insoweit vor, als die Marktforschungsinstitute in eine höhere Gefahrklasse eingruppiert seien als zum Beispiel Kreditinstitute, obwohl die Markt- und Meinungsforschungsinstitute regelmäßig in den letzten Jahren eine geringere Belastungsziffer als die Kreditinstitute gehabt hätten und damit die Beklagte finanziell weit weniger belastet hätten. Darüber hinaus habe die Beklagte ihren gesamten Berechnungen eine zu hohe Zahl von Markt- und Sozialforschungsinstituten zugrunde gelegt, da sie unter diese Unternehmensarten auch Unternehmen subsumiere, die tatsächlich keine Markt- und Sozialforschung betreiben.

Die Beklagte trägt vor, dass nach § 157 SGB VII der Gefahrtarif nach Tarifstellen zu gliedern sei und die Tarifstellen dabei Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleiches zu bilden hätten. Demnach sei die Zusammenfassung von Gewerbezweigen mit annähernd gleichen Risiken zu Tarifstellen durchzuführen. Dabei sei eine Mindesttarifstellengröße notwendig, die den versicherungsmäßigen Risikoausgleich sicher stelle. Eine ausreichend große Tarifstelle stelle eine stabile Tarifstelle dar.

Den Unternehmensarten der Gefahrtarifstelle 53 sei dabei gemeinsam, dass sie aufgrund einer zu großen Schwankungsbreite ihre jährliche Belastungsziffer jeweils keine eigene Gefahrtarifstelle bilden konnten und in einem bestimmten Beobachtungszeitraum keine stabile Belastungsziffer/Gefahrklasse bilden konnten. Für diese Unternehmensarten gelte, dass es maßgeblich vom Zufall abhänge, ob sich eine niedrige oder hohe Gefahrklasse ergebe. Anhand eines mathematischen Verfahrens könnten die Zufallsschwankungen objektiv beurteilt werden und auf der Basis eines einmal vorgegebenen Grenzwertes die Unternehmen gleich behandelt werden. Der im Widerspruchsbescheid bezeichnete Grenzwert von 30 % für eine noch zulässige Abweichung vom Mittelwert des Konfidenzintervallwertes sei im Wege der Interessenabwägung festgesetzt worden und damit nicht willkürlich. Die Beklagte lege der Einordnung eines Unternehmens als Marktforschungs-/Meinungsforschungsunternehmen die Definition zugrunde, wonach Marktforschungsunternehmen/Meinungsforschungsunternehmen die zielbewußte Untersuchung eines konkreten Marktes durch die Erlangung von Informationen sowohl über die Absatz- als auch über die Beschaffungsmärkte einer Organisation und zwar hinsichtlich deren Größe, Konturen, Struktur etc. sowie Untersuchungen, Auswertungen statistischer Daten und Umfragen gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische oder ähnliche Entwicklungen sowie Meinungen zu bestimmten Fragen erkennen bzw. zu ermitteln suchen und die die Erkenntnisse den Interessenten bzw. Auftraggebern darbieten oder selbst veröffentlichen. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht zu erkennen. Die Be klagte übersendet dabei den Unternehmen, die sich bei ihr anmelden oder von denen sie auf andere Weise Kenntnis erhalte einen Betriebsfragebogen, in dem der Unternehmer u.a. Art und Gegenstand des Unternehmens angeben müsse. Aufgrund dieser Angaben erfolge dann die Zuordnung zu der im Gefahrtarif aufgeführten zutreffenden Unternehmensart und die entsprechende Veranlagung. Die Definition der Beklagten umfasse nicht nur Markt- und Meinungsforschungsinstitute im engeren Sinne, sondern alle Unternehmen, die sich mit Markt-, Meinungs- und Sozialforschung befassen. Hierzu könnte z.B. auch Marktforschungsberater gehören. Die Unternehmensart im Markt- und Meinungsforschungsunternehmen bildet zwar einen schwerwiegenden Härtefall weil sie das Kriterium, um als eigene tragfähige Risikogemeinschaft gelten zu können weniger deutlich als andere Unternehmensarten verpasse, derartige Härtefälle seien jedoch hinzunehmen.

Während des Klageverfahrens forderte die Beklagte mit Bescheiden vom 22.04.1999 und vom 27.04.1999 Beiträge für das Haushaltsjahr 1998 in Höhe von 7941,34 DM sowie mit Bescheid vom 25.04.2000 Beiträge in Höhe von 6784,89 DM für das Haushaltsjahr 1999.


Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.12.2000 beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin,

den Bescheid vom 31.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1998 sowie die darauf beruhenden Beitragsbescheide für die Haushaltsjahre 1998 bis 1999 aufzuheben.

Der Beklagtenvertreter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die die Klägerin betreffende Beitragsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte auch im übrigen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht beim Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.

Sie erweist sich auch als begründet.

Da streitgegenständlich die Veranlagung für die Haushaltsjahre ab 1998 ist, sind nicht mehr die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) sondern des Sozialgesetzbuches (SGB VII) anzuwenden (§ 219 Abs. 1 SGB VII).

Nach § 167 Abs. 1 SGB VII ergibt sich der Beitrag aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß. Zur Abstufung der Beiträge setzt der Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest, in dem zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festgestellt werden. Der Gefahrtarif wird dabei nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleiches gegründet werden (§ 157 SGB VII) . Gemäß § 157 Abs. 3 SGB VII werden die Gefahrklassen dabei aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Zuständig für die Aufstellung des Gefahrtarifes ist die Vertreterversammlung, die in autonomer Rechtssitzung handelt, wobei sie einen nicht zu eng zu begrenzenden Gestaltungsspielraum hat. Das von ihr erlassene Recht ist von den Gerichten nur dahingehend zu überprüfen, ob ein Verstoß gegen höherrangiges Recht bzw. tragende Grundsätze des Unfallversicherungsrechtes vorliegt mit der Folge der Rechtswidrigkeit des von der Vertreterversammlung gesetzten Rechts (BSGE 27, 237, 240). Nützlichkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen bei einer Überprüfung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ebensowenig eine Rolle spielen, wie die Frage, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung betrifft (BSGE 54, 232, 235; BSG in SozR 2200 § 734 RVO Nr. 5) . Der Gefahrtarif und die dazu gebildeten Gefahrklassen bilden insgesamt kein bloßes Rechenwerk sondern einen Zusammenschluß rechnerischer, wertender und gewichtender Faktoren. Die Gefahrklasse muß zwar nicht nachrechenbar, wohl aber nachvollziehbar sein (BSG vom 18.10.1994 Az.: 2 RO 6/94). Im Rahmen der sich daraus ergebenden eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kann einerseits nicht jeder geltend gemachte Fehler bei der Aufteilung der Lohnsummen und der gesamten Unfallasten auf die für einen Gewerbezweig neu geschaffenen Tarifstellen Beachtung finden. Andererseits ist bedeutsam, dass der Gefahrtarif und die darin gebildeten Gefahrklassen wesentliche Faktoren bei der gerechten Verteilung der Beiträge sind und deshalb auf gesichertem Zahlenmaterial fußen und im Ergebnis versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen müssen (BSG a.a.O.). Höherrangiges Recht im obenbezeichneten Sinne ist insoweit auch das einfache Gesetzesrecht, wie es in den § 150 ff SGB VII normiert ist.

Grundlage für die Berechnung der Beiträge ist der Grad der Unfallgefahr, dem die versicherten Arbeitnehmer in den jeweiligen Unternehmen ausgesetzt sind. An diesem Grundsatz, der in dem für die Haushaltsjahre vor 1997 gültigen § 730 RVO ausdrücklich normiert war, hat sich auch nach Änderung der RVO in das SGB VII nichts geändert, wenn auch in § 157 SGB VII, der den § 730 RVO ersetzt hat, dieser Grundsatz nicht mehr ausdrücklich genannt wird. Zweck des Gefahrtarifes ist es weiterhin die Verteilung der Lasten der Berufsgenossenschaft auf die der Berufsgenossenschaft angehörenden Unternehmen nach dem jeweils innewohnenden Risiko der Unfallgefährlichkeit des Gewerbezweiges zu verteilen (Lauterbach, Unfallversicherungsrecht, § 157 SGB VII Nr. 4). Der Grad der Unfallgefahr wird dabei durch die Gefahrklasse im Sinne des § 157 SGB VII, die den jeweiligen Unternehmen zugeordnet wird, wiedergegeben. Die Gefahrklasse wird in einem Gefahrtarif festgelegt, in dem jeweils eine Mehrzahl von Unternehmen in einzelnen Tarifstellen zusammengefaßt werden. Die Risikogemeinschaft "Berufsgenossenschaft" wird also in kleinere Risikogemeinschaften (Tarifstelle/Gefahrengemeinschaft) gegliedert.
Jeder Tarifstelle wird dabei in dem Gefahrtarif eine Gefahrklasse zugeordnet, so dass die Unfallgefährlichkeit nicht für jedes Unternehmen individuell bestimmt wird sondern einheitlich für die Tarifstelle, der das Unternehmen angehört. Gefahrklassen zeigen - gemessen in Geldwert - den durchschnittlichen Grad der Unfallgefahr jeder Tarifstelle. Je höher das Unfallrisiko desto höher die Gefahrklasse und damit der Beitrag. In den Gefahrengemeinschaften (Tarifstellen) sollen jeweils Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammengefaßt werden. Die Erfassung des Risikos aller in einer bestimmten Gefahrtarifstelle zusammengefaßten Unternehmen entspricht dem Prinzip der Risikogemeinschaft oder der solidarischen Haftung. Der Versicherungsträger hat zwar bei der Zusammenfassung der Mitgliedsunternehmen in Tarifstellen einen sehr weiten Entscheidungsspielraum, so dass die Wahl der Tarifstelle nach Zahl und Inhalt im Ermessen des Versicherungsträgers steht, allerdings ist er gemäß § 157 Abs. 2 SGB VII verpflichtet, Tarifstellen zu bilden, in denen Gefahrengemeinschaften mit etwa gleichen Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleiches bestehen. Bei der Tarifstellenbildung hat er ein Recht zur Pauschalisierung und Typisierung um hinreichend große Tarifstellen zu schaffen und eine Zersplitterung der Gefahrtarife zu vermeiden.

Zulässigerweise wendet die Beklagte insoweit den "Gewerbezweigtarif", an, in dem die Tarifstellen abgesehen von Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung allein nach Gewerbezweigen gebildet werden. Tarifstellen sollen dabei möglichst nicht zu klein sein, um einen hinreichenden Risikoausgleich zu sichern. Bei zu kleinen Tarifstellen können unerwünschte Zufallsschwankungen durch einige wenige Unfälle auftreten. Eine zu große Aufspaltung der Gefahrklassen würde sich nicht mit dem Versicherungsprinzip, dem Verlagern der Risiken auf eine Vielzahl der Mitgliedsunternehmen vereinbaren. Die Beklagte hat insoweit bislang das sogenannte "Technologieprinzip" angewendet, wonach sie Unternehmen in Gefahrtarifstellen zusammengefaßt hatte, die in sachlicher Hinsicht (Arbeitsweise, verwendetes Material, technische Einrichtungen) miteinander vergleichbar waren.
Sie wendet nunmehr ein sogenanntes Versicherungsprinzip nach versicherungsmathematischen Aspekten an.
Bei der Art und Weise dieser Anwendung verstößt sie jedoch gegen § 157 Abs. 2 SGB VII, da sie gerade nicht eine Tarifstellenbildung nach Gefährdungsrisiken durchführt.
Die Beklagte führt ihre Gefahrtarifbildung im Wesentlichen unter Berücksichtigung versicherungsmathematischer Aspekte durch ohne zu berücksichtigen, dass die Tarifstellen nach § 157 SGB VII (auch) nach Gefährdungsrisiken zu bilden sind.
Zutreffend weist die Vertretung des Klägers daraufhin, dass die Vorgehensweise der Beklagten zwar versicherungsmathematisch begründbar und berechenbar sein mag, das Ergebnis aber dem Sinn und Zweck des § 157 SGB VII nicht entspreche.
Die Beklagte berücksichtigt bei der Aufstellung des Gefahrtarifes 1998 insoweit nicht, dass § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII (weiterhin) auch fordert, dass der Gefahrtarif den Grad der Unfallgefahr (die Gefährdungsrisiken) berücksichtigen muß.
Zutreffend weist die Klägervertretung daraufhin, dass die Neuformulierung des § 157 SGB VII keinerlei Änderung der bisherigen Berechnung der Beiträge und der Handhabung des Gefahrtarifes bedeute und Zweck des Gefahrtarifes es sei, der Lasten der Unfallversicherungsträger auf die Unternehmen nach dem jeweils innewohnenden Risiko oder Unfallgefährlichkeit des Gewerbezweiges zu verteilen (Lauterbach, Unfallversicherungsrecht SGB VII § 157 Nr. 4). So ist z. B. nicht ersichtlich, dass das Gefährdungsrisiko des Gewerbezweiges der Klägerin z.B. dem Gefährdungsrisiko des auch in der Gefahrtarifstelle 53 erfaßten Gewerbezweiges der Sportartisten oder Stuntman entsprechen würde.
Die Beklagte hat dabei insbesondere nicht berücksichtigt, dass es nicht Sinn des Gefahrtarifes sein kann, dass Unternehmensgruppen, die ein geringeres Unfallrisiko haben als andere gleichwohl höhere Beiträge zahlen müssen. Die Beklagte berücksichtigt dabei insbesondere zu unrecht den Aspekt der technologischen und strukturellen Vergleichbarkeit in keiner Weise mehr.
Zwar kann ggf. die Entscheidung, was annähernd gleiche Gefährdungsrisiken sind in der Regel nur aufgrund von versicherungsmathematischer Berechnungen getroffen werden (Schulz, Der Ge
fahrtarif im Sozialgesetzbuch SGB 96, 571, 572). Dennoch kann die technologische und strukturelle Vergleichbarkeit der Gewerbezweige nicht völlig außer Acht gelassen werden. Zutreffend weist die Vertretung der Klägerin daraufhin, dass die Art und Weise wie ein Betrieb eingerichtet ist, wie er organisiert ist und wie die Arbeitnehmer Dienstleistungen erbringen oder Waren produzieren einen unmittelbaren Einfluß auf das Gefährdungsrisiko und damit auf die Belastungsziffer hat.

Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 03.06.1998 an die Klägervertreterin selbst ausgeführt, dass es bei der Bildung des Gefahrtarifes für sie unerheblich sei, ob unter den Unternehmensarten der Gefahrtarifstelle 53 vergleichbare Gefährdungsrisiken bestehen. Gerade diese Auffassung aber widerspricht § 157 Abs. 2 Satz 2 SGB VII. Eine Tarifstelle muß zwar entsprechend der Auffassung der Beklagten eine Mindestgröße haben, damit der von § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII geforderte versicherungsmäßige Risikoausgleich zum Tragen kommen kann und bei Unterschreitung einer Mindestgröße muß der Gewerbezweig mit einem anderen oder mit mehreren Gewerbezweigen zusammengelegt werden, jedoch sind Voraussetzung hierfür gleiche Gefährdungsrisiken und nach Möglichkeit strukterelle, technologische und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten (Freischmitt in Hauck § 157 SGB VII Nr. 11). Das Kriterium der "zu großen Schwankungsbreite der jährlichen Belastungsziffer im Beobachtungszeitraum" ist in § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht erfaßt und auch nicht unter das Tatbestandsmerkmal "versicherungsmäßiger Risikoausgleich" zu subsumieren. Jedenfalls ist es nicht zulässig alleine die sogenannte "Schwankungsbreite" als ausschließliches Kriterium für die Zuordnung der Klägerin zu einer bestimmten Gefahrtarifstelle heranzuziehen.

Die Zusammenfassung verschiedener Risikogruppen muß darüber hinaus sachgerecht sein, ein grobes Mißverhältnis in den Belastungsgruppen vermeiden und zuverlässig nachprüfbar sein (BSG, SozR 2200, § 731 RVO Nr. 2).
Diesen Anforderungen wird der Veranlagungsbescheid vom 31.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1998 nicht gerecht.
Der Begriff der "Stabilität der Belastungsziffer" bzw. das Kriterium der Schwankungsbreite der Unfallbelastung ist ebenso zu unbestimmt wie die von der Beklagten angewendete Berechnungsmethode zur Zusammensetzung der Gefahrtarifstellen. Er läßt sich jedenfalls aus den im Klageverfahren sowohl vom Klägerbevollmächtigten als auch von der Beklagten und in den Akten enthaltenen Unterlagen nicht nachvollziehen. Insbesondere ist auch die von der Beklagten proklamierte Schwankung zwischen 0,8 und 4,2 der Belastungsziffer nicht nachgewiesen. So ist zum Einen zweifelhaft, ob die von der Beklagten für die Berechnung der Belastungsziffer zugrunde gelegte Anzahl der Markt- und Sozialforschungsinstitute richtig ermittelt ist. Während von der Klägerin z.B. für das Jahr 1996 unter Hinweis auf eine Ermittlung der Firma Contect (vertraulicher Informationsdienst zu Fragen der Kommunikation in Wirtschaft und Gesellschaft) von einer Anzahl von 187 Marktforschungsinstituten ausgegangen wird, legt die Beklagte für das Jahr 1996 393 Unternehmen zugrunde.
Darüber hinaus ist aus den im Rahmen des Klageverfahrens vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich, dass für die Unternehmensart der Klägerin tatsächlich die von der Beklagten angenommene Zufallsschwankung (d.h. Abweichung von mehr als 30 % des Konfidenzintervalles vom Mittelwert des Konfidenzintervalles) gegeben ist. So zeigen die im Rahmen des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Konstanz von der Beklagten und in diesem Klageverfahren von der Klägervertretung vor gelegten Unterlagen keine derartige Schwankung.

Darüber hinaus ist der von der Beklagten festgelegte Prozentsatz von 30 % für das Kriterium der Stabilität nicht aus § 157 SGB VII herleitbar.
Die Belastungsziffer/Gefahrklasse muß nach Auffassung der Beklagten über mehrere Jahre stabil sein d.h. sie darf nicht zu starken Zufallsschwankungen unterliegen. Hierbei hat die Beklagte einen "Schwellenwert" für die Tragfähigkeit einer Unternehmensart festgelegt und dabei den sogenannten Konfidenzintervall berechnet. Bei einer Abweichung von weniger als 30 % des Konfidenzintervalles vom Mittelwert dieses Konfidenzintervalles liegt nach Auffassung der Beklagten eine stabile Unternehmensart und damit eine tragfähige Unternehmensart vor, die eine eigene Gefahrtarifstelle bilden kann.
Weshalb eine tragfähige Unternehmensart nur bei einer Abweichung von weniger als 30 % des Konfidenzintervalles von einem Mittelwert des Konfidenzintervalles vorliegen soll, ist nicht nachvollziehbar.

Darüber hinaus ergeben die von der Beklagten im Verfahren vor dem Sozialgericht Detmold vorgelegten Unterlagen, dass die Belastungsziffern der Markt- und Sozialforschungsinstitute, soweit sie von der Beklagten als solche eingeordnet wurden, außer im Jahre 1991 regelmäßig geringer waren als die der Kreditinstitute und geringer als die der religiösen Gemeinschaften, wobei deren Belastungsziffern um das 10fache bis 30fache höher liegen als die der Markt- und Sozialforschungsinstitute ohne dass sich dies im Gefahrtarif der Beklagten bzw. in der Gefahrklasse niedergeschlagen hätte.

Die streitgegenständlichen Bescheide sind daher rechtswidrig und aufzuheben, wobei die Bescheide vom 22.04.1999 in der Fassung vom 27.04.1999 und vom 25.04.2000 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Es ist dabei nicht Aufgabe der Sozialgerichte einen entsprechenden Gefahrtarif für die Beklagte zu bilden. Jedoch weist die Klägervertretung zutreffend daraufhin, dass, wie es auch das Sozialgericht München im Verfahren S 41 U 866/98 vertreten hat, eine Vergleichbarkeit der Markt- und Sozialforschungsinstitute mit den Instituten für Wissenschaft und Forschung und damit eine Einordnung in die Gefahrtarifstelle 17 gerechtfertigt erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Rechtsgebiete

Sozialrecht; Arbeitsrecht; Markt- und Sozialforschung