Betriebliche Altersversorgung - Auslegungsgrundsätze

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

22. 05. 2001


Aktenzeichen

3 AZR 491/00


Leitsatz des Gerichts

  1. Leistungen von dem Versorgungwerk der Presse GmbH und der Versorgungkasse der Deutschen Presse können auf die betriebliche Altersrente angerechnet werden, sofern sie auf den Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Angestelltenversicherung übertreffenden Beitragsleistungen des Arbeitgebers beruhen und die Anrechnung in der Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung vorgesehen ist.

  2. Betriebsvereinbarungen sind wie Gesetze auszulegen.

  3. Unbillige Ergebnisse sind auch gegen den Wortlaut als Auslegungskriterium zu berücksichtigen.

  4. Ebenso ist die Entstehungsgeschichte einschliesslich der übereinstimmenden Erklärungen von Geschäftsteilung und Gesamtbetriebsrat als Vertragspartner beachtlich.

  5. Die Entstehungsgeschichte ist als Auslegungskriterium auch insoweit rechtserheblich als die an alle Mitarbeiter gerichtete Hausmitteilung eine grundlegende Verbesserung der Versorgungswerke hervorgehoben hätte.

  6. Die Praxis der Berechnung vor der Einleitung eines Prozesses kann ebenfalls als Auslegungskriterium Bedeutung gewinnen.

Tenor


  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 14. März 2000 - 8 Sa 1023/99 - aufgehoben.
  2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 12. Juni 1996 ? 16 Ca 16672/95 ? wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Betriebsrentenanspruchs.

Der Kläger war vom 1. Juli 1964 bis zum 31. August 1988 bei der Beklagten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe einer "Betriebsvereinbarung über eine Versorgungs-Ordnung der Burda GmbH". Diese Betriebsvereinbarung ist am 1. Juli 1983 in Kraft getreten und am 29. Juli 1986 mit Wirkung ab dem 1. August 1986 neu gefaßt worden. Unter VI 2.3 der Betriebsvereinbarung heißt es:

"Leistungen vom Versorgungswerk der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse werden insoweit auf die Renten angerechnet, als diese auf Beitragsleistungen der Burda GmbH beruhen und den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen.

In der Vorgängerregelung aus dem Jahre 1977 hatte es insoweit noch geheißen:

"Eventuelle Leistungen vom Versorgungswerk der Presse GmbH werden insoweit auf die Rente der Firma angerechnet, als diese auf Beitragsleistungen der Burda GmbH oder deren Tochtergesellschaften beruhen."

Anläßlich der Neuregelung der Betriebsvereinbarung im Jahre 1983 hatte die Personaldirektion der Beklagten eine Hausmitteilung verteilen lassen. In ihr hieß es, es sei bei der Neuregelung im wesentlichen darum gegangen, auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit Mißstände zu verhindern und Zweifelsfälle auszuschalten. Eine materielle Änderung des generellen Versorgungsniveaus sei nicht das Ziel der Neuregelung gewesen. Es sei um Klarstellungen und Präzisierungen einiger Formulierungen gegangen. Die Änderung der Anrechnungsregelung wird in der Hausmitteilung nicht angesprochen.

Seit dem 1. September 1988 bezieht der Kläger gesetzliche Altersrente sowie von der Beklagten eine Betriebsrente von 795,93 DM. Bei deren Ermittlung ist die Beklagte von einem monatlichen Betriebsrentenanspruch von 1.305,83 DM brutto ausgegangen, dessen Richtigkeit der Kläger nicht in Frage stellt. Die Beklagte hat von diesem Betrag jedoch die vom Kläger auf tariflicher Grundlage bezogenen Leistungen des Versorgungswerks der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse abgezogen, soweit sie auf Beiträgen der Beklagten beruhen. Dieser Abzugsbetrag in Höhe von 509,90 DM ist zwischen den Parteien rechnerisch nicht umstritten. Der Kläger hat jedoch mit seiner am 31. Oktober 1995 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage geltend gemacht, die Beklagte sei nicht befugt, die von ihm bezogenen anderweitigen Versorgungsleistungen auf den Betriebsrentenanspruch anzurechnen. Der Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung habe sich für ihn zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Beklagten auf 532,95 DM monatlich - und damit auf mehr als 509,90 DM - belaufen.

Der Kläger hat beantragt,


  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn - für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 31. Oktober 1995 - 29.064,30 DM brutto zzgl. 4 % Zinsen aus der Nettosumme seit Klagezustellung zu zahlen;
  2. die Beklagte ferner zu verurteilen, ab 1. November 1995, monatlich, jeweils fällig zum Ersten des Monats 1.305,83 DM als Ruhestandsbezüge an den Kläger zu zahlen.


Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, sie sei nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung berechtigt, die sonstigen Versorgungsbezüge des Klägers auf dessen Betriebsrentenanspruch anzurechnen. Es sei bei der Änderung im Jahre 1983 nur darum gegangen, Nachteile für die von der Beitragspflicht für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte befreiten Redakteure zu vermeiden. Diese sollten so gestellt werden wie die Redakteure, deren Beiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gingen. Deshalb beziehe sich der Zusatz "und den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen" auf die Formulierung zuvor "als diese auf Beitragsleistungen der Burda GmbH beruhen". Man hätte das tatsächlich Gewollte auch so formulieren können: "als diese auf Beitragsleistungen der Burda GmbH beruhen und diese Beitragsleistungen den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen".

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Durch Urteil vom 29. April 1997 hat das Landesarbeitsgericht dem Klageantrag entsprochen. Auf die Revision der Beklagten ist dieses Urteil durch Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. August 1999 (- 3 AZR 526/97 -) aus formellen Gründen aufgehoben und zur anderweiten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden. Nach erneuter mündlicher Verhandlung hat das Landesarbeitsgericht ein seiner vorangegangenen Entscheidung inhaltsgleiches Urteil verkündet. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, die eine Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung erster Instanz anstrebt.

Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte die errechnete Betriebsrente ohne Kürzung um die auf Beiträge der Beklagten zurückgehenden Teile der Versorgungsleistungen des Versorgungswerkes der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse auszahlt. VI 2.3 der Versorgungsordnung der Beklagten ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dahin auszulegen, daß die dort genannten Versorgungsleistungen in dem Umfang mindernd zu berücksichtigen sind, wie sie auf Beitragsleistungen der Beklagten zurückgehen, die den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen. Mit anderen Worten: Die Versorgungsleistungen des Versorgungswerks der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse sind nur soweit nicht auf die zunächst errechnete Betriebsrente anzurechnen, wie sie auf Beträge zurückgehen, welche die Beklagte anstelle der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten von sozialversicherungsfrei beschäftigten Arbeitnehmern an dieses Versorgungswerk abgeführt hat. Da die Beklagte für den Kläger Sozialversicherungsleistungen abgeführt und die Beiträge zu diesem Zusatzversorgungswerk zusätzlich erbracht hat, sind die für den Kläger daraus erwachsenen Zusatzversorgungsleistungen gegenüber dem Betriebsrentenanspruch mindernd zu berücksichtigen. Das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb auf die Revision der Beklagten wiederherzustellen.

I. Betriebsvereinbarungen wirken wie Tarifverträge normativ (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG), sie sind deshalb wie diese und wie Gesetze objektiv auszulegen. Ausgangspunkt ist der Wortlaut der Regelung und ihre Systematik, so wie sie nach außen in Erscheinung getreten ist. Dabei hat sich die Auslegung auch daran zu orientieren, ob ihr Ergebnis in sich verständlich und umsetzbar ist. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 21. Juli 1993 - 4 AZR 468192 - BAGE 73, 364, 368 f. mwN). Daneben kann es auch auf die Entstehungsgeschichte der Betriebsvereinbarung ankommen. Dabei können Sitzungsniederschriften, Protokollnotizen oder gemeinsame, sogar nachträgliche Erklärungen der Betriebspartner von Bedeutung sein sowie der Umstand, wie die Betriebsvereinbarung im Betrieb über längere Zeit hin tatsächlich gehandhabt worden ist (statt aller: Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 77 Rn. 15 mwN).

II. Wendet man diese Grundsätze auf die umstrittene Regelung in der Versorgungsordnung der Beklagten an, scheidet die vom Kläger vertretene und vom Landesarbeitsgericht für richtig gehaltene Auslegung aus, wonach eine Anrechnung der weiteren Versorgungsleistungen nur dann erfolgen soll, wenn sie, die Versorgungsleistungen, die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung übersteigen.

1. Der Wortlaut von VI 2.3 der Versorgungsordnung spricht auf Grund der Verknüpfung der beiden Satzteile mit dem Wort "und" statt einer Formulierung, welche den zweiten Satzteil in Form eines Relativsatzes anschließt, oder in ihm die Worte "die Beitragsleistungen" wiederholt ("... als diese auf Beitragsleistungen der Burda GmbH beruhen und die Beitragsleistungen den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen") an sich für ein solches Regelungsverständnis.

2. Dagegen spricht aber schon die fehlende Praktikabilität einer so verstandenen Regelung. Die Leistungen der in der Betriebsvereinbarung genannten Versorgungswerke können nicht daraufhin überprüft werden, inwieweit sie den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen. Sie fließen dem Arbeitnehmer nicht zu der Zeit zu, in welcher der Arbeitgeber für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung zu erbringen hat. Ist der Versorgungsfall eingetreten, werden die Versorgungsleistungen der in der Versorgungsordnung genannten Versorgungswerke, die Betriebsrente und die gesetzliche Altersrente fällig. Die Pflicht zur Leistung von Arbeitgeberbeiträgen zur Angestelltenversicherung ist unmittelbar zuvor erloschen, weil der Rentenbezieher nicht mehr rentenversicherungspflichtig ist.

Der Kläger hat sich demgegenüber damit beholfen, den letzten Beitrag zu seiner Angestelltenversicherung, den der Arbeitgeber für ihn während seines aktiven Arbeitsverhältnisses aufbringen mußte, mit den ersten Versorgungsbezügen zu vergleichen, die ihm nach Eintritt des Versorgungsfalles zugeflossen sind. Einen solchen Vergleich sieht die Versorgungsordnung aber gerade nicht vor. Er führte auch in von vornherein erkennbaren Fallgestaltungen zu offensichtlich unbilligen Ergebnissen, welche die Betriebspartner nicht angestrebt haben können: Mitarbeiter, die, wie dies häufig der Fall ist, kurz vor Eintritt des Versorgungsfalles eine Herabsetzung ihrer regelmäßigen Arbeitszeit mit ihrer Arbeitgeberin vereinbart haben und für die deshalb zuletzt niedrigere Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind, müßten auf Dauer eher und im stärkeren Umfang mit einer Kürzung ihrer Betriebsrente im Hinblick auf die sonstigen Zusatzversorgungsleistungen rechnen, als Arbeitnehmer, die auch noch in der letzten Zeit ihres Arbeitslebens vollzeitbeschäftigt blieben.

3. Für eine Regelung mit dem vom Kläger verfochtenen Inhalt gibt es auch keinen nachvollziehbaren Sinn. Mit der Verknüpfung der Höhe der Betriebsrente mit den im aktiven Arbeitsleben für eine anderweitige Altersversorgung aufgebrachten Beiträge kann für einen verständigen Dritten nur die Absicht des Versorgungsschuldners verbunden sein, in einem im Einzelnen aus der Regelung zu ermittelnden Umfang nicht zweifach zur Versorgung des Arbeitnehmers im Alter beitragen zu wollen. Dann macht es aber keinen Sinn, die letzten Sozialversicherungsbeiträge als Untergrenze für anrechnungsfähige anderweitige Versorgungsbezüge zu bestimmen. Es kann vielmehr nur darum gehen, inwieweit die aus sonstigen Arbeitgeberleistungen erwachsenen weiteren Versorgungsbezüge auf die erdiente Betriebsrente anzurechnen sind. Eine entsprechende Festlegung haben die Betriebspartner in VI 2.3 vorgenommen. Die Versorgungsbezüge sollen mindernd berücksichtigt werden, welche die Beklagte durch Beitragsleistungen über die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge hinaus finanziert hat.

4. Dieses Regelungsverständnis wird durch die auch für die Beschäftigten der Beklagten nach außen dokumentierte Entstehungsgeschichte der Versorgungsordnung des Jahres 1983 bestätigt. In der bis dahin geltenden Regelung aus dem Jahre 1977 war festgelegt worden, daß alle Leistungen vom Versorgungswerk der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse auf die erdiente Betriebsrente anzurechnen waren, soweit sie auf Beitragsleistungen der Arbeitgeberin und nicht auf den gleichzeitig von den Arbeitnehmern zu erbringenden Beiträgen beruhten. Wäre die im Jahre 1983 erfolgte Einfügung in VI 2.3 der Versorgungsordnung im Sinne der Einführung einer Begrenzung der Anrechnung von sonstigen Versorgungsleistungen zu verstehen, wie der Kläger meint, wäre mit der Neuregelung eine ganz erhebliche Verbesserung der bis dahin bestehenden Versorgungslage verbunden gewesen, wie sie im vorliegenden Rechtsstreit anschaulich zum Ausdruck kommt. Hätten die Betriebspartner tatsächlich eine solch grundlegende Verbesserung des Versorgungswerkes gewollt, hätte alles dafür gesprochen, dies in der Hausmitteilung vom 2. Mai 1983 zumindest zu erwähnen. Statt dessen wird in dieser Hausmitteilung nur darauf hingewiesen, die ursprüngliche Versorgungsordnung habe eine Fassung erhalten, in der es darum gegangen sei, Mißstände zu verhindern und Zweifelsfälle auszuschalten. Eine materielle Änderung des generellen Versorgungsniveaus sei nicht das Ziel der Neuregelung gewesen.

5. Dafür, daß die Betriebspartner im Jahre 1983 eine Regelung in dem von der Beklagten verfochtenen Sinn schaffen wollten, spricht auch die betriebliche Praxis bei der Umsetzung der Versorgungsordnung und die schriftliche Erklärung vom 13. Februar 1995 durch die Personen, die im Jahre 1983 die Betriebsvereinbarung unterzeichnet hatten.

Die Beklagte hat dargelegt, daß sie die Betriebsvereinbarung durchgängig in dem von ihr vertretenen Sinne bei der Berechnung der Betriebsrente angewendet habe. Lediglich in einem Fall habe sie sich im Vergleichswege aus sozialen Gründen zu einer anderen Handhabung bereit gefunden. Dem ist der Kläger nicht im einzelnen entgegengetreten; er hat keine anderen Mitarbeiter benannt, bei denen Zusatzrentenleistungen nicht mindernd berücksichtigt wurden, weil sie unterhalb der letzten für diese Mitarbeiter erbrachten Sozialversicherungsbeiträge lagen.

Auch die Erklärung zu VI 2.3 der Versorgungsordnung 1983 durch die Herren Dr. Gerlhof und Prandhoff vom 13. Februar 1995, die als Vertreter der Geschäftsleitung und des Gesamtbetriebsrats die damalige Betriebsvereinbarung unterzeichnet hatten, bestätigt die hier vorgenommene, am Sinn und Zweck der Regelung und ihrer Praktizierbarkeit orientierte Auslegung.

Reinecke Breinlinger Bepler
Fasbender H. Frehse


 

Vorinstanzen

LAG München, 8 Sa 1023/99, , wird von diesem Urteil aufgehoben; ArbG München, 16 Ca 16672/95, 12.6.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG