§ 67c GenG rechtfertigt es nicht, auf eine vor ihrem Inkrafttreten vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft entgegen der bisherigen Rechtsprechung das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum entsprechend anzuwenden.
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
18.09.2014
Aktenzeichen
IX ZR 276/13
Die gesetzliche Neuregelung in § 67c GenG rechtfertigt es nicht, auf eine vor ihrem Inkrafttreten vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft entgegen der bisherigen Rechtsprechung das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum entsprechend anzuwenden (Bestätigung von BGHZ 180, 185).
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin vom 14. November 2013 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 8. Mai 2013 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 940 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2013 zu zahlen. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Klägerin ist Treuhänderin in dem am 10. Mai 2011 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des K. (fortan: Schuldner). Der Schuldner ist Mitglied der beklagten Wohnungsgenossenschaft und nutzt mit seiner Ehefrau aufgrund eines gesonderten Nutzungsvertrags eine ihrer Wohnungen. Er hält Geschäftsanteile der Genossenschaft im Gesamtbetrag von 1.440 €, von denen er Anteile in Höhe von 500 € an seinen Vater abgetreten hat. Geschäftsanteile in diesem Umfang mussten nach der Satzung der Beklagten übernommen werden, um den Nutzungsvertrag abschließen zu können. Eine von der Klägerin mit dem Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte Auslösung der Geschäftsanteile scheiterte, weil der Schuldner die ihm nachgelassene Ratenzahlung nicht einhielt. Hierauf kündigte die Klägerin am 14. Juni 2012 die Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten und forderte diese zur Auszahlung der Genossenschaftsanteile auf. Die Beklagte widersprach der Kündigung.
Die auf Zahlung von 940 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die zulässige Revision führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten. Lediglich wegen eines Teils der Zinsforderung bleibt die Klage abgewiesen.
1.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin könne nicht die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens verlangen, weil die Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten analog § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO unwirksam sei. Nach dem Wortlaut dieser Norm sei dem Insolvenzverwalter die Kündigung des Mietvertrags über die Wohnung des Schuldners, nicht aber die Kündigung seines Geschäftsanteils an einer Wohnungsgenossenschaft untersagt. Dabei handle es sich aber um eine unbeabsichtigte Regelungslücke, wie die gesetzliche Neuregelung in dem am 19. Juli 2013 in Kraft getretenen, auf den Streitfall noch nicht anwendbaren § 67c GenG zeige. Entgegen der vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19. März 2009 (IX ZR 58/08, BGHZ 180, 185) vertretenen Ansicht sei das Kündigungsverbot des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Fall der Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft entsprechend anzuwenden, weil die Sachverhalte wegen der gleichen Interessenlage vergleichbar seien, soweit die Mitgliedschaft in der Genossenschaft Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung sei und bei einer Kündigung der Mitgliedschaft der Verlust der Wohnung drohe.
2.
Diese Beurteilung teilt der Senat nicht. Er hat im Urteil vom 19. März 2009 (aaO) eine entsprechende Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft mit eingehender Begründung abgelehnt und damit die bis dahin bestehende Streitfrage entschieden. Die wesentlichen vom Berufungsgericht angeführten Gesichtspunkte hat er schon damals in seine Würdigung einbezogen. Im Urteil vom 17. September 2009 (IX ZR 63/09, ZInsO 2009, 2104 Rn. 5 ff) und im Beschluss vom 2. Dezember 2010 (IX ZB 120/10, WM 2011, 134 Rn. 6) hat er an seiner Auffassung festgehalten. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, nunmehr anders zu entscheiden.
a) Eine andere rechtliche Beurteilung ist insbesondere nicht wegen des Umstands geboten, dass der Gesetzgeber inzwischen durch Art. 8 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) in das Genossenschaftsgesetz eine neue Norm eingefügt hat (§ 67c), nach der die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft durch den Gläubiger oder den Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen ist. Diese Norm ist auf den hier zu entscheidenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil sie gemäß Art. 9 des Gesetzes erst am 19. Juli 2013, mithin mehr als ein Jahr nach der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung, in Kraft getreten ist.
b) Die Änderung des Genossenschaftsgesetzes rechtfertigt es aber auch nicht, die bisherige Rechtsprechung zur Frage einer analogen Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO aufzugeben.
aa) Ob eine Norm analog angewandt werden kann, hängt zwar vom mutmaßlichen Regelungswillen des Gesetzgebers ab. Denn eine Analogie ist dann zulässig, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, so ähnlich ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 19. März 2009, aaO Rn. 8 mwN). Die spätere Änderung eines Gesetzes erlaubt aber im Allgemeinen nicht ohne weiteres den Schluss, der Gesetzgeber habe schon zu einem früheren Zeitpunkt einen entsprechenden Regelungswillen gehabt.
bb) Auch im vorliegenden Zusammenhang ist ein solcher Rückschluss aus der Gesetzesänderung nicht zu ziehen. Die Begründung des Regierungsentwurfs zur neuen Vorschrift § 67c GenG stellt fest, dass nach bisheriger Rechtslage der Insolvenzverwalter in der Insolvenz des Schuldners dessen Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft kündigen könne. Der Bundesgerichtshof habe "klargestellt", dass das Kündigungsverbot des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO in diesen Fällen nicht greife und auch eine analoge Anwendung der Vorschrift nicht in Betracht komme. Diese Rechtslage sei unbefriedigend. Entgegen einem früheren Vorschlag des Bundesrates solle aber nicht das Kündigungsverbot des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft erstreckt werden, weil dies die Interessen der Gläubiger nicht hinreichend berücksichtige (BT-Drucks. 17/11268, S. 18 f). Die weitere Begründung des Gesetzesentwurfs stellt den Unterschied zwischen der Situation eines Wohnraummieters und derjenigen des Nutzers einer Genossenschaftswohnung heraus und betont, dass wegen der Besonderheiten der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft anders als im Falle einer Wohnungsmiete kein generelles Kündigungsverbot gerechtfertigt sei (BT-Drucks. 17/11268, S. 38 f). Die in das Genossenschaftsgesetz eingefügte gesetzliche Neuregelung knüpft deshalb das Verbot, die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft zu kündigen, an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Zudem erweitert sie den Ausschluss der Kündigung auf Gläubiger, die ansonsten in der Einzelzwangsvollstreckung gegen den Schuldner unter den Voraussetzungen des § 66 GenG das Kündigungsrecht des Mitglieds an dessen Stelle ausüben können. Damit hat der Gesetzgeber einen wesentlichen Unterschied zwischen der Rechtslage des Mitglieds einer Wohnungsgenossenschaft und derjenigen eines Wohnungsmieters, der maßgeblich einer analogen Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entgegenstand (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2009, aaO Rn. 12), mit Wirkung für die Zukunft beseitigt. In Anbetracht dieser Umstände kann aus der gesetzlichen Neuregelung nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber schon bei Einfügung des § 109 Abs. 2 Satz 1 in die Insolvenzordnung zum 1. Dezember 2001 den Fall der Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft in diese Regelung einbezogen und dem Wohnungsgenossen dadurch den gleichen Schutzwie dem Mieter einer Wohnung gewährt hätte, wenn er die Situation des Wohnungsgenossen bedacht hätte.
3.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und der Klage unter Abänderung auch des erstinstanzlichen Urteils bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgeben. Die Klägerin hat die Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten wirksam zum Ende des laufenden Geschäftsjahrs gekündigt (§ 80 Abs. 1 InsO, § 65 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 66 analog GenG). Da das Geschäftsjahr, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist, das Kalenderjahr ist (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3 GenG), endete die Mitgliedschaft des Schuldners am 31. Dezember 2012. Die Beklagte ist nunmehr gemäß § 73 Abs. 2 GenG verpflichtet, an die Klägerin als Treuhänderin über das Vermögen des Schuldners dessen Auseinandersetzungsguthaben auszuzahlen, das unstreitig 940 € beträgt. Der Anspruch auf Auszahlung des Guthabens wurde gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 GenG sechs Monate nach Beendigung der Mitgliedschaft fällig. Für einen früheren Fälligkeitszeitpunkt hat die Klägerin nichts vorgetragen. Es besteht daher ein Anspruch auf Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe entgegen dem Antrag der Klägerin nicht bereits ab dem Eintritt der Rechtshängigkeit am 9. Januar 2013, sondern erst ab dem 1. Juli 2013 (§ 291 Satz 1, 2. Halbsatz BGB).
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