Verspätung kurz vor dem Nachtflugverbot und infolgedessen keine Starterlaubnis mehr
Gericht
AG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
08. 02. 2013
Aktenzeichen
30 C 2290/12 (47)
1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 7.4.2012 zu zahlen.
2) Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4) Die Berufung wird zugelassen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ausgleichszahlung nach der EG-Verordnung Nr. 261/04 in Anspruch.
Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main nach Buenos Aires gebucht. Planmäßiger Start sollte am 24.11.2011 um 22.20 Uhr (Ortszeit) sein. Tatsächlich startete der Flug dann am 25.11.2011 um 9.25 Uhr. Im Hinblick auf die daraus resultierende Ankunftsverspätung von 11 Stunden und 5 Minuten beansprucht die Klägerin 600,- Euro Ausgleichszahlung.
Wegen des Vorbringens der Klägerin im Weiteren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 18.9.12 ... sowie vom 27.12.12 ... .
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet das Bestehen einer bestätigten Buchung mit Nichtwissen. Sie beruft sich ferner auf das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes in Form des Eingreifens des ab 23.00 Uhr Ortszeit geltenden Nachtflugverbots. Das betroffene Flugzeug habe am 24.11.2011 seine Parkposition mit einer Verspätung von lediglich 14 Minuten verlassen, so dass ein Start vor Eintritt des Nachtflugverbotes ohne weiteres noch möglich gewesen wäre. Gleichwohl sei vom zuständigen Towerlotsen der Deutschen Flugsicherung eine Starterlaubnis nicht mehr erteilt worden, insoweit seien andere Flugzeuge vor Eintritt des Nachtflugverbots vorgezogen worden. Eine von der Beklagten daraufhin sofort beantragte Ausnahmegenehmigung für den Start sei ebenfalls abgelehnt worden. Die Beklagte vertritt die Auffassung, vorgenannte hoheitliche Entscheidungen der Flugsicherung seien ihr nicht zurechenbar.
Wegen des Vorbringens der Beklagten im Weiteren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 15.11.12 ... sowie vom 23.1.13 ... .
Auszüge aus den Gründen:
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600,- Euro gemäß den Artikeln 5, 6 und 7 der EG-Verordnung Nr. 261/04 zu. Unstreitig startete der Flug, der die Klägerin letztlich von Frankfurt am Main nach Buenos Aires beförderte, mit einer Verspätung von 11 Stunden und 5 Minuten, woraus eine Ankunftsverspätung entsprechenden Ausmaßes resultierte. Die Entfernung zwischen Frankfurt am Main und Buenos Aires beträgt mehr als 3.500 Kilometer. Aus diesen vorgenannten Tatsachen folgt die Begründetheit eines Ausgleichsanspruchs in Höhe von 600,- Euro, wobei es nach den Entscheidungen des EuGH vom 19.11.2009 und 23.10.2012 bei einer Ankunftsverspätung von mehr als 3 Stunden nicht mehr darauf ankommt, ob es sich insoweit um einen lediglich verspäteten oder aber einen annullierten Flug handelt.
Die Einwendungen der Beklagten tangieren vorgenannten Anspruch nicht.
Der Anwendungsbereich der EG-Verordnung Nr. 261/04 ist gemäß Art. 3 eröffnet. Insbesondere ist vom Bestehen einer bestätigten Buchung für den streitgegenständlichen Flug mit der Flugnummer ... auszugehen. Unstreitig hat die Beklagte die Klägerin nämlich auf diesem Flug im Rahmen eines Pauschalarrangements befördert. Damit ist das Bestehen einer entsprechenden Buchung bereits prima facie anzunehmen. Davon abgesehen kann die Beklagte das Bestehen einer solchen Buchung nicht mit Nichtwissen bestreiten. Vielmehr kommt insoweit ausschließlich qualifiziertes Bestreiten in Betracht. Bei verspäteten oder annullierten Flügen muss die Beklagte mit der Geltendmachung von Ansprüchen nach der Verordnung Nr. 261/04 rechnen, weswegen Passagierlisten aufzubewahren sind. Selbst wenn bei Pauschalarrangements der Beklagten lediglich der Name des Passagiers bekannt ist, sind Zweifel hinsichtlich der Identität des Reisenden von der Beklagten über den Reiseveranstalter bzw. das einbuchende Reisebüro abklärbar. Das einfache Bestreiten des Bestehens einer bestätigten Buchung erweist sich damit im Ergebnis als rechtlich unerheblich.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist diese im vorliegenden Fall auch nicht wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände entlastet. Dabei kann der Vortrag der Beklagten zu den Gründen der Flugverspätung als wahr unterstellt werden. Gemäß Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung Nr. 261/04 wäre die Beklagte nur dann nicht verpflichtet, vorgenannte Ausgleichszahlung zu leisten, wenn sie nachweisen könnte, dass die Abflugverspätung bzw. Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dies kann vorliegend auch auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht festgestellt werden. Danach hat das betroffene Flugzeug seine Parkposition statt um 22.20 Uhr erst um 22.34 Uhr (Ortszeit) verlassen und hatte sodann - verspätet unterwegs zur zugewiesenen Startbahn - wider Erwarten die Starterlaubnis nicht erhalten. Dies deshalb, weil seitens der Flugsicherung anderen - vermutlich nicht verspätet von der Parkposition gestarteten - Maschinen nunmehr - vermutlich plangerecht - der Vorrang eingeräumt wurde. Damit stellt sich zwar sowohl das Versagen der Starterlaubnis als auch das spätere Versagen der Ausnahmegenehmigung als eine Ursache für die letztendlich eingetretene erhebliche Flugverspätung dar. Die Ausgangsursache dieses Geschehensablaufs ist und bleibt aber die 14-minütige Verspätung beim Verlassen der Parkposition. Es ist nämlich auch nicht ansatzweise ersichtlich und auch nicht ansatzweise vorgetragen, dass die Starterlaubnis auch dann versagt worden wäre, wenn der betroffene Flug rechtzeitig seine Parkposition verlassen und dementsprechend 14 Minuten früher auf dem Weg zur Startbahn gewesen wäre. Darauf, ob das Versagen der Starterlaubnis unter Berufung auf das demnächst einsetzende Nachtflugverbot überhaupt ein sogenannter außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 sein kann, käme es allenfalls dann an, wenn die Verspätung von 14 Minuten ihrerseits auf sogenannte außergewöhnliche Umstände zurückzuführen wäre. Dies indes behauptet selbst die Beklagte nicht. Zuzugeben ist, dass bei dieser Sichtweise bereits geringfügige Verspätungen beim Verlassen der Parkposition dazu führen können, dass Ausgleichszahlungen fällig werden, die eigentlich nur für erhebliche Verspätungen vorgesehen sind. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH ist dies jedoch aus Sicht des Verbrauchers zu beurteilen, nicht aus Sicht der betroffenen Fluggesellschaften. Aus Sicht des von einer erheblichen Ankunftsverspätung betroffenen Verbrauchers ist es jedoch unerheblich, ob diese darauf beruht, dass bei weit geöffnetem Zeitfenster eine erhebliche Verspätung bereits beim Verlassen der Parkposition vorliegt, oder aber bei einem (wegen drohenden Nachtflugverbots) sehr kleinem Zeitfenster bereits eine geringfügige Verspätung beim Verlassen der Parkposition im Ergebnis die gleichen Wirkungen zeitigt. In letztgenanntem Fall beruht dies eben dann auch darauf, dass seitens der Fluggesellschaft die Abflugzeit derartig nah an den Beginn des Nachtflugverbotes herangelegt worden ist. Da sowohl die Existenz des Nachtflugverbots ab 23.00 Uhr als auch die Schwierigkeiten beim Erhalten einer Starterlaubnis in Fällen des drohenden Nachtflugverbots im Vorfeld der Flugplanung bekannt sind, ist es das Risiko der jeweiligen Fluggesellschaft, gleichwohl eine späte Abflugzeit zu planen, wohl wissend, dass dann bereits geringfügige Verspätungen bei der Abfertigung zu vorgenannten Problemen führen können. Mit anderen Worten: Wenn die Fluggesellschaft eine Abflugzeit plant, die relativ nah am Einsetzen des Nachtflugverbots liegt, muss sie eben sicherstellen, dass es in diesen - gewissermaßen gefährdeten - Flügen keinerlei Verzögerungen bei der Abfertigung und beim Verlassen der Parkposition gibt. Die Fluggesellschaft ist in diesen Fällen eben im eigenen Interesse gehalten, auch geringfügige Verspätungen zu vermeiden. Wenn sie dies nicht gewährleisten kann oder will, müssen die Abflugzeiten eben entsprechend vorverlegt werden. Von außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 kann in derartigen Fällen jedenfalls erst dann die Rede sein, wenn das Flugzeug ohne Verspätung die Parkposition verlassen und entsprechend rechtzeitig die Startbahn erreicht, da dann - und nur dann - sicher vom Erteilen der Starterlaubnis ausgegangen werden kann. Soweit das Amtsgericht Rüsselsheim (wobei drei Entscheidungen von drei verschiedenen Richtern merkwürdiger Weise absolut wortgleich sind) die Auffassung vertritt, dass es auf die Verspätung beim Verlassen der Parkposition nicht ankomme, weil die verbliebene Zeit für einen Start noch ausreichend gewesen wäre, vermag sich dem das erkennende Gericht aus vorgenannten Gründen nicht anzuschließen. Damit erweist sich die Klage auch unter Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens der Beklagtenseite als begründet.
Der Zinsanspruch in zuerkanntem Umfang ist begründet gemäß §§ 286, 288 BGB; da die für die Klägerin vorprozessual tätige Firma ... die Beklagtenseite mit Schreiben vom 23.3.2012 unter Fristsetzung bis zum 6.4.2012 erfolglos zur Zahlung aufgefordert hatte, ist Verzug zum 7.4.2012 eingetreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung war - ausnahmsweise - zuzulassen zum einen im Hinblick auf Art. 267 AEU-Vertrag sowie § 511 Abs. 4 ZPO.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen