Kostenlose Zeitungen: Aufforderung zum Ausschluss von Mitbewerbern durch Briefkastenaufkleber ist unlauter

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

16. 01. 2013


Aktenzeichen

9 U 982/12


Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Mainz vom 9. Juli 2012 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Verfügungsbeklagten wird unter Androhung von Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihren Geschäftsführern, verboten, bei Verbrauchern für das Anbringen von Briefkasten-Aufklebern des "...[A]" zu werben, durch welche der Einwurf von Werbeprospekten und kostenlosen Zeitungen mit Ausnahme des ...[A] untersagt wird, wenn dies wie nachfolgend wiedergegeben geschieht:

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.

Entscheidungsgründe


Gründe

Die Berufung der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin), mit der sie sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wendet, ist begründet.

Die durch § 12 Abs. 2 UWG begründete Vermutung der Dringlichkeit ist nicht widerlegt. Dies wäre dann der Fall, wenn die Klägerin durch Ihr Verhalten zu erkennen gegeben hätte, dass die Sache für sie nicht eilig ist. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) ist der Auffassung, die Klägerin habe das gerichtliche Verfahren am 15. Mal 2012 zu spät eingeleitet, weil die streitgegenständliche Anzeige bereits mehrfach, zuerst im Oktober 2011 erschienen sei. Dies reicht für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung nicht aus. Die Klägerin behauptet, sie habe von dem beanstandeten Verhalten erst durch die Anzeige vom 18.04.2012 Kenntnis erlangt. Die Beklagte hat eine frühere Kenntniserlangung nicht bewiesen. Eine fahrlässige Unkenntnis reicht für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung nicht aus, weil es keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht der Mitbewerber gibt (Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., Rnr. 3.15 a zu § 12 UWG).

Der von der Klägerin gestellte Verfügungsantrag ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Die In Bezug genommene Werbeanzeige ist durch den abstrakten Teil des Verfügungsantrags gedeckt. Das Charakteristische der beanstandeten Verletzungshandlung ist die Verknüpfung des Aufklebers "Bitte keine Werbung/keine kostenlosen Zeitungen" mit dem Aufkleber "...[A]". Die Beklagte wirbt in der Anzeige ausdrücklich für die Anbringung der so verbundenen Aufkleber. Der Umstand, dass die Anzeige daneben noch weitere Varianten für das Anbringen von Aufklebern enthält, führt nicht zur Unbestimmtheit des Antrags, weil das beanstandete Verhalten im abstrakten Teil des Verfügungsantrags hinreichend gekennzeichnet wird.

Die Klägerin hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 10 UWG.

Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Markt der kostenlosen Anzeigenblätter im Raum ...[X]. Die beanstandete Werbeanzeige der Beklagten stellt eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG da. Die Frage, ob es auf dem räumlichen Markt außer der Klägerin weitere Mitbewerber der Beklagten gibt, die durch die Werbeanzeige betroffen sein könnten, ist für die Entscheidung nicht erheblich.

Die Voraussetzungen für eine gezielte Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG liegen vor.

Durch das Tatbestandsmerkmal des "gezielten" Handelns soll lediglich klargestellt werden, dass eine Behinderung als bloße Folge des Wettbewerbs nicht ausreicht, um den Vorwurf der Unlauterkeit zu begründen (BGH, GRUR 2007, 800 ff). Wettbewerbswidrig ist eine Beeinträchtigung des Mitbewerbers im Allgemeinen dann, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber an seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen. Ist eine solche Zweckrichtung nicht festzustellen, muss die Behinderung doch derart sein, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelumstände unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Wettbewerber zu beurteilen (BGH, GRUR 2001, 1061 ff; BGH, GRUR 2009, 878 ff; BGH, GRUR 2010, 346 ff).

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen einer gezielten Behinderung gegeben.

Die Werbeanzeige der Beklagten ist bei objektiver Würdigung in erster Linie nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs, sondern auf die Verdrängung der Mitbewerber gerichtet. Die Beklagte bewirbt mit der Anzeige verschiedene Aufkleber, die sie den Verbrauchern kostenlos zum Aufkleben an ihren Briefkästen zur Verfügung stellt. Dabei können die Verbraucher wählen zwischen dem Aufklebern "Bitte keine Werbung" und dem Aufkleber "Bitte keine Werbung/keine kostenlosen Zeitungen". Möglich ist eine Kombination dieser Aufkleber mit dem weiteren in rot gehaltenen Aufkleber mit dem Aufdruck "...[A]".

Durch das Anbringen der Aufkleber werden die Möglichkeiten der Beklagten, ihr Anzeigenblatt in die Briefkästen der Verbraucher einzulegen, nicht verbessert. Der Markt im Bereich der kostenlosen Anzeigenblätter ist dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigenblätter grundsätzlich in jeden Briefkasten eingelegt werden können. Damit haben alle Mitbewerber die gleichen Marktzutrittschancen. Eine Abweichung ergibt sich nur dann, wenn ein Verbraucher durch einen Aufkleber an seinem Briefkasten kenntlich macht, dass er keine Werbung und/oder keine kostenlosen Anzeigenblätter entgegen nehmen möchte. Diese Bestimmung ist für die Verlage und für die Zusteller bindend.

Die Werbung der Beklagten richtet sich nach ihrem Inhalt und ihrer Aufmachung nicht an solche Verbraucher, die bereits durch die Anbringung eines Aufklebers die Annahme von Werbung und Anzeigenblättern abgelehnt haben. Dies ergibt sich aus der Überschrift der Anzeige "Ist Ihr Briefkasten ständig mit Dingen überfüllt, die Sie gar nicht lesen?" sowie aus dem Umstand, dass die Werbeanzeige in dem kostenlosen Anzeigenblatt der Beklagten abgedruckt ist, das in einen Briefkasten, an dem bereits ein "Verbotsaufkleber" angebracht ist, nicht eingelegt werden darf.

Ziel der Beklagten ist es danach nicht, bei sogenannten "Werbeverweigerern" zu erreichen, dass ihr Anzeigenblatt trotz der Verweigerung im Übrigen angenommen wird. Verfolgte die Beklagte lediglich dieses Ziel, wäre das geeignete Mittel, allein für die Anbringung des roten Aufklebers mit dem Aufdruck "...[A]" zu werben, der dann zusätzlich zu einem bereits vorhandenen "Verbotsaufkleber" angebracht werden könnte.

Die Beklagte wählt jedoch eine andere Vorgehensweise und stellt den Verbrauchern die genannten unterschiedlichen Aufkleber zur Verfügung. Sie weist besonders darauf hin, dass durch die Kombination des Verbotsaufklebers mit dem Aufkleber "...[A]" der Einwurf ihres Anzeigenblatts in den Briefkasten gesichert werden könne. Adressat der Werbung sind danach gerade diejenigen Verbraucher, deren Briefkasten bislang für alle Anbieter offen stand.

Durch das Angebot an die Verbraucher, den Verbotsaufkleber anzubringen und mit dem roten Aufkleber der Beklagten zu kombinieren, erreicht die Beklagte eine Sperre der Briefkästen für die Konkurrenzprodukte der Mitbewerber, weil diese nicht mehr in den Briefkasten eingelegt werden dürfen. Auf diese Weise wird der Zutritt der Mitbewerber zum Markt, der Absatz ihrer Produkte, auf unabsehbare Zeit, nämlich für die Dauer der Anbringung des Aufklebers am Briefkasten ausgeschlossen. Dies ist bei objektiver Betrachtung der wesentliche Zweck der Werbeanzeige und von der Beklagten auch so beabsichtigt. Der von der Beklagten angesprochene Zweck, Kenntnis über die erforderliche Zahl der zu druckenden und zu verteilenden Exemplare des Anzeigenblattes zu erhalten, stellt demgegenüber allenfalls einen Nebeneffekt des Verhaltens der Beklagten dar.

Der Umstand, dass in der Werbung unterschiedliche Varianten bezeichnet sind, wie die Aufkleber angebracht und kombiniert werden können, ändert hieran nichts. Bringen die Verbraucher lediglich den Aufkleber "Bitte keine Werbung" an, sind weder die Beklagte noch sonstige Mitbewerber auf dem Markt der kostenlosen Anzeigenblätter betroffen. Diese Variante hat deshalb keinen Einfluss auf den Wettbewerb auf dem betreffenden Markt. Entscheidet sich der Verbraucher dagegen für den Aufkleber "Bitte keine Werbung/keine kostenlosen Zeitungen", ist der Einwurf kostenloser Anzeigenblätter für alle Mitbewerber unmöglich, so dass eine gleichmäßige Behinderung aller Mitbewerber vorliegt.

Eine tatsächliche Verbesserung der Stellung der Beklagten gegenüber ihren Mitbewerbern kann nur dann erreicht werden, wenn die Verbraucher den "Verbotsaufkleber" mit dem roten Aufkleber mit dem Aufdruck "...[A]" kombinieren und auf diese Weise signalisieren, dass sie außer dem ...[A] kein weiteres kostenloses Anzeigenblatt erhalten möchten. Die bildliche Aufmachung (...[A] in allen abgebildeten Briefkästen) und der Text der Anzeige zielen darauf ab, den Verbraucher zu animieren, den roten Aufkleber zusammen mit dem "Verbotsaufkleber" auf dem Briefkasten anzubringen. Vorrangiges Ziel der Werbung der Beklagten ist es danach, den Absatz der so ausgeschlossenen Konkurrenten zu behindern. Folgen die Verbraucher der Werbung der Beklagten in diesem Sinne, führt dies dazu, dass die Mitbewerber ihre Produkte auf dem Markt nicht mehr durch eigene Anstrengung absetzen können, weil ihnen der Zutritt zum Kunden versperrt ist. Die Klägerin hat keine realistischen Möglichkeit, diese Sperrwirkung durch eigene Anstrengungen im Rahmen des Wettbewerbs aufzuheben, weil ihr Produkt die Verbraucher nicht mehr erreicht und so ein Leistungswettbewerb unmöglich wird. Der Klägerin und anderen möglichen Mitbewerbern bleibt nur die theoretische Möglichkeit, die Aufhebung der Sperrwirkung auf andere Weise, beispielsweise durch ein Anschreiben an die betroffenen Verbraucher zu erreichen.

Die Beklagte fördert ihr Unternehmen auf diese unlautere Weise also nicht durch Mittel des Leistungswettbewerbs, sondern vor allem durch die Reduktion der Absatzmöglichkeiten der Mitbewerber (vgl. auch: Landgericht Hamburg, Urteil vom 30.01.2001 - 312 O 742/00, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.11.1998 - 2 W 51/98, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, NJW-RR 1993,1455; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig UWG, 2. Aufl.. Rnr. 76 zu § 4 UWG; a. A. wohl: Köhler/Bornkamm, a.a.O., Rnr.10.73 zu § 4 UWG).

Der Umstand, dass der Eintritt der Behinderung auf Seiten der Mitbewerber der Beklagten von einer Entscheidung der Verbraucher abhängig ist, der Werbung zu folgen, lässt den Vorwurf der Unlauterkeit nicht entfallen (a. A. wohl: Hasselblatt in: Gloy/Loschelder/Erdmann. Handbuch des Wettbewerbs rechts, 4. Aufl., Rnr. 125 zu § 57). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Anzeige ein Mittel des Leistungswettbewerbs wäre. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mitbewerber versuchen, potentielle Kunden durch das Angebot besserer Produkte und Dienstleistungen für sich zu gewinnen. Nachteile, die andere Mitbewerber auf diese Weise erleiden, sind als typische Folgen des Wettbewerbs hinzunehmen. Anders ist es jedoch, wenn ein Mitbewerber - ähnlich wie bei einem Boykottaufruf - Verbraucher dahin beeinflusst, die Annahme der Produkte der Mitbewerber abzulehnen. So liegt der Fall hier.

Diese Beurteilung steht nicht im Widerspruch zu Art. 5 GG. Der Beklagten bleibt es unbenommen, für den Bezug ihres Produkts zu werben. Wettbewerbswidrig ist allein die mit dieser Werbung verbundene Aufforderung, den Briefkasten für Mitbewerber zu "sperren".

Der Streitwert wird für beide Instanzen - teilweise in Abweichung von der landgerichtlichen Festsetzung - auf 15.000,00 € festgesetzt. Dies entspricht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dem Regelstreit für einstweilige Verfügungsverfahren in Wettbewerbssachen. Anhaltspunkte, die ein Abweichen von diesem Regelwert rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.


Bock
Vorsitzender Richter
am Oberlandesgericht

Nelles
Richter
am Oberlandesgericht

Semmelrogge
Richterin
am Oberlandesgericht

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht