Keine nachträgliche Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes auf Urlaubsansprüche
Gericht
EuGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
13. 06. 2013
Aktenzeichen
C-415/12
[1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. L 131, S. 10) geänderten Fassung sowie jeder anderen im Hinblick auf den Ausgangsrechtsstreit für einschlägig erachteten unionsrechtlichen Bestimmung.
[2] Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Brandes und dem Land Niedersachsen über Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub für die Jahre 2010 und 2011, den Frau Brandes in diesen Jahren, die die Bezugszeiträume darstellen, nicht nehmen konnte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
[3] Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bestimmt in den Nrn. 1 und 2:
„1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.“
[4] Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) sieht in Art. 7 („Jahresurlaub“) vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“
Deutsches Recht
[5] Das Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) bestimmt in § 3 Abs. 1, dass „[d]er Urlaub … jährlich mindestens 24 Werktage“ beträgt.
[6] § 11 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:
„Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. …“
[7] § 26 Abs. 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 4 vom 2. Januar 2012 bestimmt:
„Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.
Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig oder betriebsüblich zu arbeiten haben oder zu arbeiten hätten … Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. …“
[8] Das deutsche Recht regelt nicht ausdrücklich, welche Auswirkungen eine Änderung der Arbeitszeit auf nicht genommenen Urlaub hat.
[9] § 4 Abs. 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21. Dezember 2000 lautet:
„Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
[10] Frau Brandes war beim Land Niedersachsen auf der Grundlage eines 2009 geschlossenen unbefristeten Arbeitsvertrags vollzeitbeschäftigt.
[11] Im Jahr 2010 unterlag Frau Brandes wegen ihrer Schwangerschaft bis zur Entbindung am 22. Dezember 2010 einem Beschäftigungsverbot. Nach dem Mutterschutz nahm sie vom 17. Februar bis zum 21. Dezember 2011 Elternzeit in Anspruch.
[12] Ab dem 22. Dezember 2011 übte Frau Brandes gemäß einer Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von drei Arbeitstagen pro Woche aus.
[13] In den Jahren 2010 und 2011 konnte Frau Brandes aufgrund des mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängenden Beschäftigungsverbots, des Mutterschutzes und der in Anspruch genommenen Elternzeit unstreitig einen auf der Grundlage ihrer Vollzeitbeschäftigung errechneten Urlaubsrest in Höhe von 22 bzw. 7 Tagen nicht nehmen.
[14] Im Rahmen des beim Arbeitsgericht Nienburg anhängigen Ausgangsrechtsstreits beantragt Frau Brandes, ihren während ihrer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Anspruch auf diese 29 Tage bezahlten Urlaubs festzustellen.
[15] Das Land Niedersachsen beruft sich für die Weigerung, diesem Antrag stattzugeben, auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 1998, aus der hervorgehe, dass bei einer Änderung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers die von diesem bereits erworbenen Urlaubsansprüche entsprechend dem Verhältnis der neuen Zahl zur alten Zahl der Arbeitstage anzupassen seien. Daraus folge, dass Frau Brandes Anspruch auf einen Resturlaub von 17 Tagen habe, nämlich 29 Tage, geteilt durch 5 Tage, multipliziert mit 3 Tagen, ergibt 17,4 Tage, abgerundet auf 17 Tage.
[16] Diese anteilige Berechnung der Urlaubstage im Verhältnis zu den Arbeitstagen habe keine Auswirkungen auf die Dauer des Frau Brandes zustehenden Urlaubs, da sich an dieser Dauer – in Urlaubswochen ausgedrückt – nichts ändere. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass Frau Brandes als Teilzeitbeschäftigte weniger Urlaubstage benötige, um eine Woche freizubekommen. Würde die Zahl der Urlaubstage dagegen nicht im Verhältnis zu den Arbeitstagen berechnet, hätte dies zur Folge, dass Frau Brandes eine höhere Zahl von Urlaubswochen nehmen könnte als diejenige, auf die sie Anspruch gehabt hätte, wenn sie weiter Vollzeit gearbeitet hätte, was ihr einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer verschaffen würde.
[17] Der bei dem vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit unterscheide sich insoweit von der dem Urteil vom 22. April 2010, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols (C‑486/08, Slg. 2010, I‑3527), zugrunde liegenden Rechtssache, als es dort um eine Urlaubsregelung gegangen sei, in der der Urlaub in Stunden ausgedrückt gewesen sei. Während der Arbeitnehmer im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Verwendung des Bezugszeitraums „Woche“ hinsichtlich des Umfangs des ihm zustehenden Urlaubs keine Nachteile erleide, sei dies im Rahmen jener Rechtssache nicht der Fall gewesen, weil sich bei in Stunden ausgedrücktem Urlaub jede Änderung der Arbeitszeit unmittelbar auf die Urlaubsdauer auswirke.
[18] Das Arbeitsgericht Nienburg ist der Überzeugung, dass aus dem Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols eindeutig hervorgehe, dass eine Quotierung der von einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bereits erworbenen Ansprüche auf Jahresurlaub, wie sie das Land Niedersachsen vorzunehmen versuche, gegen das Unionsrecht verstoße. Insbesondere begründe eine solche Quotierung eine nach Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit verbotene Diskriminierung zwischen vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern.
[19] Zu dem in Randnr. 16 des vorliegenden Beschlusses angeführten Vorbringen des Landes Niedersachsen führt das Arbeitsgericht Nienburg aus, dass dabei die Zeit des „Urlaubs“ mit der Zeit der „betrieblichen Abwesenheit“ verwechselt werde. Die Unzulässigkeit der Minderung des bereits im vorangegangenen Bezugszeitraum erworbenen Anspruchs auf bezahlten Urlaub umfasse bei zutreffender Betrachtung zwei Aspekte, und zwar die Urlaubsdauer und das Urlaubsentgelt.
[20] In Anbetracht insbesondere der in Randnr. 15 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hält es das Arbeitsgericht Nienburg jedoch für erforderlich, den Gerichtshof um Klärung dieser Fragen zu ersuchen.
[21] Unter diesen Umständen hat das Arbeitsgericht Nienburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen, dass es nationalen gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen bei einer mit der Änderung der Zahl der wöchentlichen Arbeitstage verbundenen Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Anspruchs auf Erholungsurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht möglich war, in der Weise angepasst wird, dass der in Wochen ausgedrückte Urlaubsanspruch der Höhe nach zwar gleich bleibt, jedoch hierbei der in Tagen ausgedrückte Urlaubsanspruch auf das neue Beschäftigungsausmaß umgerechnet wird?
Zur Vorlagefrage
[22] Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.
[23] Diese Verfahrensvorschrift ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.
[24] Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen ist, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
[25] Auch wenn sich das vorlegende Gericht in seiner Frage somit der Form nach speziell auf Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bezogen hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können, unabhängig davon, ob es in seiner Frage darauf Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen hat das vorlegende Gericht in seiner Frage selbst auf das gesamte einschlägige Unionsrecht Bezug genommen.
[26] Vorab ist allerdings darauf hinzuweisen, dass zu den unionsrechtlichen Bestimmungen, die für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage einschlägig sind, insbesondere Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub betrifft, gehört, wie auch Frau Brandes, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission ausgeführt haben.
[27] Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die das vorlegende Gericht im Übrigen selbst Bezug genommen hat, ist dieser Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen (vgl. u. a. Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
[28] Der Gerichtshof hat ferner wiederholt darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der jedem Arbeitnehmer zusteht, als Grundsatz des Sozialrechts der Union ausdrücklich in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zuerkannt wird (vgl. u. a. Urteil vom 8. November 2012, Heimann und Toltschin, C‑229/11 und C‑230/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
[29] Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich auch, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden darf (vgl. u. a. Urteile Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 29, sowie Heimann und Toltschin, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
[30] Wie sowohl das vorlegende Gericht als auch Frau Brandes und die Kommission hervorgehoben haben, hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang in Randnr. 32 des Urteils Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols bereits entschieden, dass die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit steht und dass folglich durch eine Veränderung, insbesondere eine Verringerung, der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden darf.
[31] Zu Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit genügt hier der Hinweis, dass der Gerichtshof in Randnr. 33 des Urteils Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols zu dem in Nr. 2 dieser Vorschrift genannten Pro-rata-temporis-Grundsatz ausgeführt hat, dass dieser zwar auf die Gewährung des Jahresurlaubs für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung anzuwenden ist. Denn für diese Zeit ist die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Hingegen kann dieser Grundsatz nicht nachträglich auf einen Anspruch auf Jahresurlaub angewandt werden, der in einer Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde.
[32] Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass weder aus den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 noch aus Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit der Schluss gezogen werden kann, dass eine nationale Regelung als eine der Modalitäten der Ausübung des Anspruchs auf Jahresurlaub den teilweisen Verlust eines in einem Bezugszeitraum erworbenen Urlaubsanspruchs vorsehen dürfte, und daran erinnert, dass dies nur gilt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch auszuüben (Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 34).
[33] In Beantwortung der Frage, die ihm in der jenem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache zur Vorabentscheidung vorgelegt worden war, hat der Gerichtshof entschieden, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 35).
[34] Wie das vorlegende Gericht selbst ausgeführt hat und wie auch Frau Brandes und die Kommission geltend gemacht haben, liegt es auf der Hand, dass die in den Randnrn. 27 bis 33 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Erwägungen implizieren, dass die im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens vorgelegte Frage entsprechend zu beantworten ist.
[35] Im vorliegenden Fall steht nämlich fest, dass Frau Brandes Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub übertragen hat, deren Ausübung ihr in den fraglichen Bezugszeiträumen, in denen sie vollzeitbeschäftigt war, wegen eines mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängenden Beschäftigungsverbots, des anschließenden Mutterschutzes und der darauffolgenden Elternzeit nicht möglich war. Das vorlegende Gericht und die Parteien des Ausgangsverfahrens sehen es ferner als unstreitig an, dass der übertragene bezahlte Jahresurlaub, auf den Frau Brandes Anspruch gehabt hätte, wenn sie nach ihrer Elternzeit weiter vollzeitbeschäftigt gewesen wäre, 29 Tage betragen hätte.
[36] Unter diesen Umständen kann, wie insbesondere aus dem Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols hervorgeht, dessen einschlägige Randnummern in den Randnrn. 30 bis 33 des vorliegenden Beschlusses angeführt sind, die Verringerung der Arbeitszeit von Frau Brandes, die auf dem Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung beruht, nicht mit einem nachträglichen Teilverlust des bereits erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wie er sich aus der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung ergibt, einhergehen, insbesondere in Ermangelung eines sachlichen Grundes, der diesen Verlust rechtfertigen könnte.
[37] Dem Vorbringen des Landes Niedersachsen, der von Frau Brandes bereits erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde nicht gekürzt, weil er – in Urlaubswochen ausgedrückt – vor und nach ihrem Übergang zu einer Teilzeitbeschäftigung unverändert bleibe, kann, wie sowohl das vorlegende Gericht als auch die Kommission ausgeführt haben, nicht gefolgt werden.
[38] Dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der normalerweise drei volle Tage pro Woche arbeitet, in einer bestimmten Woche nicht im Betrieb erscheint, bedeutet nämlich entgegen dem Vorbringen des Landes Niedersachsen keineswegs, dass er damit das Äquivalent von fünf Urlaubstagen erhielte, die, da er sie während seiner Vollzeitbeschäftigung erworben hat, offenkundig als fünf volle Tage zu verstehen sind, während deren der Betreffende von seiner Arbeitspflicht, die ihn ohne diesen Urlaub treffen würde, befreit ist.
[39] Wird ihm aber, im Rahmen seiner neuen Teilzeitbeschäftigung im Umfang von drei vollen Arbeitstagen pro Woche, eine „Woche“ Urlaub zuerkannt, wird er damit offensichtlich nur für drei volle Tage von seiner Arbeitspflicht befreit.
[40] Zurückzuweisen ist auch die entsprechende – und im Übrigen schon in der dem Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols zugrunde liegenden Rechtssache vorgebrachte – Argumentation der deutschen Regierung, wonach die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht unionsrechtswidrig sei, weil ein Arbeitnehmer, der nicht mehr an sämtlichen Arbeitstagen der Woche zur Arbeitsleistung verpflichtet sei, an weniger Tagen von der Arbeit freigestellt werden müsse, um eine gleich lange Freizeitphase wie zuvor in Anspruch nehmen zu können.
[41] Eine solche Argumentation verwechselt nämlich die Ruhephase, die dem Zeitabschnitt eines tatsächlich genommenen Urlaubs entspricht, und die normale berufliche Inaktivität während eines Zeitabschnitts, in dem der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsverhältnisses, das ihn an seinen Arbeitgeber bindet, nicht zu arbeiten braucht.
[42] Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen ist, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Kosten
[43] Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Paragraf 4 Nr. 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung, ist dahin auszulegen, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.
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