Unleserliche Unterschrift des Anwalts

Gericht

BVerfG


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

24. 11. 1997


Aktenzeichen

1 BvR 1023/96


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Ausgangsrechtsstreit betraf die außerordentliche Kündigung von Lohn- und Gehaltstarifverträgen durch die Bf. zu 1, einer aus den Bf. zu 2 bis 6 bestehenden Tarifgemeinschaft. Auf die Klage der Gewerkschaft, die den Tarifvertrag mit der Bf. zu 1 abgeschlossen hatte, stellte das ArbG Berlin die Unwirksamkeit dieser Kündigung fest. Gegen dieses Urteil legte die Bf. zu 1 durch Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten, dem Bf. zu 7, Berufung ein. Nach Ablauf der Berufungsfrist wies das LAG darauf hin, es bestünden Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Unterzeichnung der Berufungsschrift. In seiner Stellungnahme verwies der Bf. zu 7 auf seine fünfzehnjährige Berufspraxis, in der er bislang ohne jede Beanstandung in derselben Form und Ausführung seine Schriftsätze unterschrieben habe. Auch die Stellungnahme unterzeichnete der Bf. zu 7 in gleicher Weise wie zuvor bereits die Berufungsschrift. Mit Beschluß vom 10. 4. 1996 verwarf das AG die Berufung als unzulässig, da die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei. Es vertrat die Auffassung, die unter der Berufungsschrift befindlichen paraphenähnlichen “Zeichen oder Linien” hätten keinerlei Verbindungen mehr zu einem Schriftzug und wiesen keine Andeutung von Buchstaben auf. Die entscheidende Kammer sei mit dieser Art der Unterzeichnung durch den Bf. zu 7 erstmals befaßt und hätte diese auch früher beanstandet.

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93aII BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93aII lit. a BVerfGG). Der Anspruch auf eine faires Verfahren und auf einen vorhersehbaren und gleichmäßigen Zugang zu den von den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen ist durch die Rechtsprechung des BVerfG bereits geklärt (vgl. BVerfGE 78, 123 [126f.] = NJW 1988, 2787; BVerfGE 79, 372 [376f.] = NJW 1989, 1147).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93aII lit. b BVerfGG), denn die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im übrigen jedenfalls unbegründet.

a) Dem Bf. zu 7 fehlt es an einer unmittelbaren eigenen rechtlichen Betroffenheit durch die angegriffene Entscheidung. Eine solche eigene Betroffenheit des Prozeßbevollmächtigten kann in Fällen wie dem vorliegenden gegeben sein, wenn ein Gericht völlig entfernt von den in der Rechtsprechung zur Eigenhändigkeit der Unterschrift entwickelten Grundsätzen willkürlich beispielsweise Schönschrift verlangen würde (vgl. BVerfGE 78, 123 [125] = NJW 1988, 2787). Daß das LAG die Anforderungen in dieser, das Persönlichkeitsrecht des Bf. zu 7 berührenden Weise, überzieht, wird auch vom Bf. nicht behauptet. Im übrigen können dem Bf. zu 7 aus dem Urteil allenfalls mittelbare Nachteile wie Schadensersatzansprüche erwachsen. Über solche befindet das angegriffene Urteil aber nicht. Dem Bf. kommt daher keine Beschwerdebefugnis zu. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit unzulässig.

b) Hinsichtlich der Bf. zu 1 bis 6 hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie werden jedenfalls im Ergebnis durch die angegriffene Entscheidung nicht in ihrem aus Art. 2I GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren sowie auf einen berechenbaren und gleichmäßigen Zugang zu den Gerichten verletzt.

Der Richter muß das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen. Er darf sich insbesondere nicht widersprüchlich verhalten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl. BVerfGE 78, 123 [126] = NJW 1988, 2787). Die unteren Instanzen der Fachgerichte sind aber auch bei der Auslegung und Anwendung von Verfahrensvorschriften grundsätzlich nicht gehindert, abweichende Auffassungen zu der Rechtsprechung übergeordneter, insbesondere der obersten Bundesgerichte zu vertreten. Gehindert sind sie jedoch aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, solche Meinungsverschiedenheiten auf dem Rücken des Bürgers auszutragen und es ihm zum Verschulden gereichen zu lassen, wenn er auf eine eindeutige Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts vertraut. Eine solche Verfahrensgestaltung beschränkt den Anspruch des Bürgers auf berechenbaren und gleichmäßigen Zugang zu den Gerichten unzumutbar. Nur wenn dem rechtssuchenden Bürger bekannt sein muß, daß eine strengere Handhabung von Verfahrensvorschriften zu erwarten ist, kann eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein (BVerfGE 79, 372 [376f.] = NJW 1989, 1147).

Den Bf. ist einzuräumen, daß die Maßstäbe, an denen die angegriffene Entscheidung die Unterschrift des Bf. zu 7 mißt, weitaus enger sind als die Anschauungen des allgemeinen Rechtsverkehrs über die Identifizierbarkeit von Unterschriften. Indem das LAG seiner Unterschrift jede Verbindung zu einem Schriftzug abspricht und sie trotz des erkennbar langgezogenen Namenszugs als Paraphe charakterisiert, legt es eine ungewöhnliche Strenge an den Tag. Es spricht in der Tat viel dafür, daß die Spruchpraxis der entscheidenden Kammer des LAG mit den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben nicht im Einklang steht.

Ob die Würdigung, die Berufungsschrift sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben, verfassungsrechtlichen Maßstäben standhält, kann offenbleiben. Denn im Ergebnis verletzt die angegriffene Entscheidung den Bf. jedenfalls deshalb nicht in seinen Rechten, weil er es versäumt hat, sich durch einen Wiedereinsetzungsantrag den Zugang zur Berufungsinstanz zu verschaffen. Eine Verletzung prozessualer Grundrechtspositionen führt dann nicht zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung, wenn der Betroffene zumutbare Schritte unterlassen hat, um seine Rechte selbst zu wahren (vgl. BVerfGE 5, 9 [10] = NJW 1956, 985; BVerfGE 15, 256 [267f.] = NJW 1963, 899; BVerfGE 33, 192 [194] = NJW 1963, 899).

Die Bf. hätten eine Verwerfung ihrer Berufung wegen fehlender Unterschrift vermeiden können, wenn sie auf den entsprechenden Hinweis des Kammervorsitzenden zumindest vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hätten. Aufgrund dieses Hinweises mußten sie damit rechnen, daß das LAG die Unterschrift nicht als wirksam anerkennen würde. Bei der Entscheidung über diesen Antrag hätte das LAG den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz berücksichtigen müssen (vgl. BVerfGE 79, 372 [378] = NJW 1989, 1147). Wenn die Unterschrift des Bf. zu 7, wie dieser vorträgt, bislang von den Gerichten jahrelang unbeanstandet geblieben war und er deshalb annehmen konnte, daß sie den allgemein in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entsprach, so gab es für ihn keinen hinreichenden Anlaß zu der Besorgnis, daß sie von der entscheidenden Kammer beanstandet werden würde (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 511, II 2 = LM H. 19-1991 § 130 ZPO Nr. 15).

Ein solcher Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlt hier. In der Stellungnahme des Bf. zu 7 kann er jedenfalls nicht gesehen werden, da diese Äußerung in derselben Weise wie die Berufungsschrift unterschrieben ist. Somit hat der Bf. zu 7 es unterlassen, die versäumte Prozeßhandlung nachzuholen, obwohl es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, den erkennbar gewordenen Bedenken des AG Rechnung zu tragen.

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht