Ein grobes Foulspiel im Fußball führt nur ausnahmsweise zur Annahme von Vorsatz
Gericht
OLG Karlsruhe
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
27. 09. 2012
Aktenzeichen
9 U 162/11
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 17. August 2011 - 14 O 12/11 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von dem beklagten Haftpflichtversicherer die Freistellung von Ansprüchen des Zeugen S., dem er durch ein Foul bei dem Fußball-Landesligaspiel zwischen dem … und dem … am … einen Wadenbeinbruch, eine Verletzung des Sprunggelenks und mehrere Bänderrisse zugefügt hat. Das Landgericht, auf dessen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei gemäß § 103 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, weil aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme feststehe, dass der Kläger den Schaden vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt habe.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger den Freistellungsanspruch in vollem Umfang weiter. Er macht geltend, das Landgericht habe die erhobenen Beweise fehlerhaft und einseitig gewürdigt. Das gelte insbesondere für die Feststellung, dass der Kläger dem Zeugen S. gedroht habe, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen. Die ihr zugrunde liegenden Angaben der Zeugen S., I. und K. habe das Landgericht trotz erheblicher Widersprüche als glaubhaft bewertet, während es den entgegenstehenden Aussagen der Zeugen T., T. und F. wegen kleinerer Abweichungen und unterstellter Entlastungstendenzen nicht gefolgt sei, ohne sich differenziert mit ihnen auseinanderzusetzen. Die das Foulspiel selbst betreffenden Feststellungen seien ebenfalls fehlerhaft. So sei das Landgericht ohne hinreichende Grundlage davon ausgegangen, dass der Kläger als Stürmer gespielt, dass der Zeuge S. den Ball bereits abgespielt gehabt und dass er den von hinten herannahenden Kläger nicht wahrgenommen habe. Der Rückschluss auf einen zumindest bedingten Vorsatz des Klägers beruhe auf diesen fehlerhaft festgestellten Tatsachen und sei deshalb unzulässig.
Der Kläger beantragt:
das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 17. August 2011 dahin abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, den Kläger von sämtlichen aus dem Vorfall vom … - Amateurfußballspiel … gegen … - durch Herrn S. geltend gemachten Ansprüchen im Rahmen des für den Kläger bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer … bestehenden Privathaftpflichtversicherungsvertrages - Schadennummer … - freizustellen.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil sowie die ihm zugrunde liegende Beweiswürdigung und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Deckungsanspruch aus der bei der Beklagten bestehenden Haftpflichtversicherung, weil er die haftungsbegründenden Verletzungen des Zeugen S. vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat und deshalb der gesetzliche Risikoausschluss nach § 103 VVG eingreift.
1. Die Widerrechtlichkeit hat das Landgericht mit der zutreffenden Begründung bejaht, dass der Kläger ein grobes Foulspiel im Sinne der Spielregeln des Deutschen Fußballbunds (DFB) begangen hat. Er ist unstreitig mit langem Anlauf und hohem Tempo auf den Zeugen S. zugelaufen und mit zumindest einem gestreckten Bein voraus seitlich von hinten in ihn hineingesprungen. Damit hat er nicht nur gegen die Regel 12 des DFB verstoßen. Sein Verhalten, das - dieser Regel entsprechend - mit einem Feldverweis geahndet wurde, liegt auch nicht mehr im Grenzbereich zwischen der im Fußball noch gerechtfertigten Härte und der auch bei sportlichen Kampfspielen unzulässigen Unfairness (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 1997, 268, 269; OLG Hamm, VersR 1999, 1115; NJW-RR 2005, 1477; OLG Frankfurt, RuS 1993, 15 f.; OLG München, NJOZ 2009, 2268 f.; OLG Stuttgart, NJW-RR 2000, 1043 f.; a.A. im Einzelfall OLG Hamburg, VersR 2002, 500). Es ist deshalb sorgfaltswidrig (vgl. BGH, NJW 1976, 957, 958; 2010, 537, 538) und die dadurch verursachten Verletzungen sind weder durch Einwilligung des Zeugen S. noch unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr oder des sozialadäquaten Verhaltens gerechtfertigt (vgl. BGH, NJW 1975, 109 f.).
2. Den Vorsatz des Klägers hat das Landgericht aufgrund mehrerer Indizien festgestellt. Diese Feststellung ist für den Senat bindend, weil - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und der beigezogenen Strafakten - keine Anhaltspunkte für Zweifel an deren Vollständigkeit und Richtigkeit bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die abweichende Beweiswürdigung der Berufung genügt dafür nicht. Das Landgericht hat den Kläger informatorisch angehört, alle von den Parteien benannten Zeugen vernommen und deren Aussagen überzeugend und nachvollziehbar gewürdigt. Danach sind nicht nur die Indiztatsachen bindend festgestellt, in ihrer Summe rechtfertigen die besonderen Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalls auch den Schluss, dass der Kläger die Verletzungen des Zeugen S. und deren Umfang zumindest als möglich vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat.
Der äußere Hergang des Foulspiels ist im Wesentlichen unstreitig. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lässt er allerdings noch nicht auf einen bedingten Körperverletzungsvorsatz schließen. Das Landgericht betont zwar zu Recht, dass er den im Regelwerk des DFB beschriebenen Tatbestands eines ‚groben Fouls‘ erfüllt, weil der Kläger von hinten mit einem Bein in seinen Gegenspieler, den Zeugen S., hineingesprungen ist und dessen Gesundheit durch übertriebene Härte gefährdet hat. Ihm ist auch darin zuzustimmen, dass der angreifende Spieler bei einem derart gefährlichen Einsteigen stets mit einer ernsthaften Verletzung des Gegners rechnen muss und nicht darauf vertrauen darf, dass alles gut gehen werde. Für sich genommen rechtfertigt dieser gravierende Regelverstoß jedoch nur den Vorwurf der - einfachen oder groben - Fahrlässigkeit (vgl. OLG Düsseldorf, OLG Hamm, OLG Frankfurt, OLG München und OLG Stuttgart - jeweils a.a.O.) und auch die evidente Gefahr erheblicher Verletzungen lässt nicht auf den für § 103 VVG erforderlichen Verletzungs-, sondern allenfalls auf einen rechtlich unerheblichen Gefährdungsvorsatz schließen. Denn zum einen geht es nicht um einen gezielten Schlag oder eine ähnliche Tätlichkeit, die sich schon nach ihrem äußeren Bild auf eine Körperverletzung richtet (zu einem solchen Fall OLG Hamm, VersR 1985, 1072), sondern um eine ‚Grätsche‘, die im Fußball üblich und durchaus auch erlaubt ist, solange sie dem Ball und nicht dem Gegner gilt (vgl. nur OLG Stuttgart, a.a.O.). Zum anderen muss auch bei der Prüfung des Vorsatzes berücksichtigt werden, dass Fußball ein ebenso schnelles wie kampfbetontes Spiel ist, dessen Hektik und Eigenart den Spieler oft zwingt, im Bruchteil einer Sekunde Chancen abzuwägen und Risiken einzugehen (vgl. BGH, NJW 1976, 957, 958).
Diese Erwägungen schließen die Annahme eines zumindest bedingten Verletzungsvorsatzes aber auch nicht aus. In dem hier zu beurteilenden Sonderfall kommt dem äußeren Hergang des Foulspiels sogar eine erhebliche Indizwirkung zu. Denn zum einen hebt das Landgericht mit Recht hervor, dass der Kläger vor dem Foulspiel unstreitig mit hohem Tempo aus etwa 20 bis 30 Metern Entfernung auf den Zeugen S. zurannte, obwohl die Spielsituation nicht unmittelbar bedrohlich war. Ob er als Stürmer oder als Mittelfeldspieler aufgestellt war, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass er sich relativ frühzeitig zu dem Angriff entschloss und dafür seine Position im Mittelkreis aufgab, ohne dass dafür ein besonderer Anlass bestand. Zum anderen befand sich der Zeuge S. unstreitig zwischen dem Ball und dem Kläger, so dass dessen Angriff sicher nicht dem Ball galt. Der Kläger hat vielmehr angegeben, er habe neben den Zeugen S. springen wollen, um einen erwarteten Pass abzublocken. Getroffen habe er den Zeugen nur, weil dieser den rechten Fuß herausgestellt habe, um den Ball abzuschirmen. Das wiederum ist mit den Feststellungen des Landgerichts nicht zu vereinbaren. Denn danach hatte der Zeuge S. den Ball schon kurz vor dem Aufprall weitergespielt. Diese Feststellung stimmt zwar nicht mit allen Zeugenaussagen überein und der Zeuge K. hat seine zunächst abweichenden Angaben erst auf Vorhalt seiner polizeilichen Vernehmung korrigiert. Das Landgericht hat seine Feststellung aber mit überzeugenden Gründen auf die Angaben des Zeugen E. gestützt, der als Schiedsrichter das Foul nicht nur beobachtet und geahndet, sondern auch schon ein oder zwei Tage später einen entsprechenden Bericht verfasst hatte. Sie ist deshalb nicht zu beanstanden und nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend.
Im schnellen und kampfbetonten Fußballsport reichen auch diese Indizien für sich genommen noch nicht aus, um den Verletzungsvorsatz zu begründen. Entscheidend ist vielmehr die weitere Feststellung des Landgerichts, dass der Kläger dem Zeugen S. kurze Zeit vor dem Foulspiel gedroht hat, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen (vgl. zu einer ähnlichen, dort allerdings nicht erwiesenen Drohung auch OLG Düsseldorf, a.a.O.). Denn diese Drohung lässt jedenfalls in der Zusammenschau mit den besonderen Umständen im äußeren Hergang des Foulspiels auf einen entsprechenden Vorsatz schließen. Die Feststellungen des Landgerichts halten den Angriffen der Berufung auch in diesem Punkt stand. Das Landgericht hat nachvollziehbar und überzeugend begründet, warum es den entsprechenden Angaben der Zeugen S., I. und K. gefolgt ist. Es hat dabei nicht übersehen, sondern ausdrücklich berücksichtigt, dass der Zeuge K. seine Aussage in einem anderen Punkt korrigieren musste (s.o.). Dass er im Unterschied zu den Zeugen S. und I. angegeben hat, die Drohung sei vor dem Freistoß und in eher leisem Ton geäußert worden, fällt danach nicht erheblich ins Gewicht, zumal die Auseinandersetzung in der Mauer auch nach der Darstellung des Zeugen S. schon vor der Ausführung des Freistoßes begonnen hatte. Das Landgericht hat auch nicht verkannt, dass die Zeugen T., T. und F. übereinstimmend ausgesagt haben, der Kläger habe sich nicht bei dem Zeugen S. in der Mauer aufgehalten, sondern den Freistoß ausgeführt. Es hat vielmehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und warum es den Aussagen dieser Zeugen nicht gefolgt ist. Auf die weitere Angabe des Zeugen T., er habe dem Zeugen S. mit den Worten „Ich krieg dich noch“ gedroht und sei von diesem wohl mit dem Kläger verwechselt worden, musste es danach nicht mehr gesondert eingehen, zumal diese sich - wie es an anderer Stelle ausgeführt hat - auch auf eine Auseinandersetzung mit dem Zeugen I. beziehen kann.
Ob der Zeuge S. den herannahenden Kläger vor dem Foulspiel wahrgenommen hat, ist für den Vorsatz unerheblich. Entgegen der Darstellung der Berufung hat das Landgericht dies auch weder angenommen noch entsprechende Feststellungen getroffen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 543 Abs. 2 ZPO bestimmten Gründe vorliegt.
Zimmermann
Vors. Richter am Oberlandesgericht
Schulte-Kellinghaus
Richter am Oberlandesgericht
Dr. Emunds
Richter am Oberlandesgericht
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