Fristlose Kündigung wegen Anbringung von mit Ketchup beschmierten Unterlagen an Wohnungstür eines Mitmieters
Gericht
LG München I
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
10. 10. 2012
Aktenzeichen
14 S 9204/12
Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Amtsgerichts München vom 04.04.2012 (Az. 472 C 31959/11) wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf € 1.920,00.
Entscheidungsgründe
I.
Sachverhalt
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Amtsgerichts München Bezug genommen.
Aufgrund eines Vorfalls vom 15.06.2012, bei dem der Beklagte andere Mieter des Anwesens ... mit einem langen Metzgermesser und den Worten „ich ... schneide euch die Hälse durch“ bedroht haben soll, erließ das Amtsgericht München am 20.06.2012 eine einstweilige Verfügung auf sofortige Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung. Aufgrund dieser einstweiligen Verfügung wurde der Beklagte vor der Berufungshauptverhandlung durch den zuständigen Gerichtsvollzieher zwangsgeräumt und wohnt derzeit in einer städtischen Obdachlosenunterkunft in der P. Straße. Mit Schriftsatz vom 19.07.2012 erklärte die Klägerin daraufhin wegen der durchgeführten Zwangsräumung die Erledigung der Hauptsache und behauptete darüber hinaus, die Wohnung des Beklagten sei mittlerweile aufgelöst worden. Mit Schriftsatz vom 19.09.2012 widersprach der Beklagte der Erledigung und bestritt überdies, dass die Wohnung des Beklagten aufgelöst worden sei oder anderweitig vermietet worden sei.
Der Beklagte beantragte zuletzt
Aufhebung des Endurteils München vom 04.04.2012 und Klageabweisung.
Die Klagepartei beantragte:
Zurückweisung der Berufung.
Beweis wurde auch durch die Kammer nicht erhoben.
II.
Rechtliche Würdigung
Die zulässige Berufung des Beklagten erweist sich als unbegründet, das Urteil des Amtsgerichts München vom 04.04.2012 war daher zu bestätigen. Auch aus Sicht der Kammer stellt der Vorfall vom 03.02.2012, bei dem der Beklagte eine mit Ketchup beschmierte Klageschrift an die Tür des Mitmieters ... hängte, einen Grund zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses ohne Abmahnung dar. Der vermieterseits erhobenen Klage auf Räumung und Herausgabe war daher stattzugeben.
1) Zunächst ist festzustellen, dass durch die aufgrund der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts München vom 20.06. erfolgten Zwangsräumung keine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist. Da eine freiwillige Herausgabe an die Klagepartei seitens des Beklagten nicht erfolgt ist, sondern die Zwangsräumung durch den zuständigen Gerichtsvollzieher durchgeführt wurde, liegt keine Erfüllung nach § 362 BGB des Herausgabeanspruches und damit kein erledigendes Ereignis vor (vgl. Zöller, § 91 a ZPO, Rdnr. 4 u. 5). Zwar wäre darüber hinaus denkbar, dass bei einem Wegfall der Wohnung - wie von der Klägerin behauptet - wegen Unmöglichkeit einer Wiederverschaffung der Räume an den Beklagten Erledigung hätte eintreten können, allerdings wurde der von der Klagepartei behauptete Wegfall der Wohnung vom Beklagten bestritten und Beweis hierzu nicht angeboten. Die Kammer musste daher für die Berufungsentscheidung davon ausgehen, dass im Falle einer Klageabweisung in der Berufungsinstanz die Räume dem Beklagten wieder zur Verfügung gestellt werden könnten und Erledigung durch Unmöglichkeit mithin nicht eingetreten ist. Letztlich kann dieser Punkt aber offen bleiben, da ein Antrag der Klagepartei auf Feststellung der Erledigung in der Berufungshauptverhandlung nicht mehr gestellt, sondern vielmehr Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt wurde.
2) Der vom Amtsgericht München festgestellte und unbestrittene Vorfall vom 03.02.2012 stellt gem. §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB eine nachhaltige und schuldhafte Störung des Hausfriedens dar, die eine Kündigung des Mietverhältnisses ausnahmsweise auch ohne Abmahnung rechtfertigt.
Aufgrund des nach § 288 ZPO prozessual wirksamen Geständnisses des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht München vom 28.03.2012 steht auch für die Kammer nach § 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fest, dass der Beklagte am 03.02.2012 nachts an die Türe des Mieters ... im streitgegenständlichen Anwesen eine Türe mit augenscheinlich blutbeschmierten Inhalt gehängt hatte. Darin befand sich die Zustellung der Räumungsklage im hiesigen Verfahren vom 12.12.2011 sowie eine „Klageerwiderung“ des Beklagten. Die in der Tüte befindlichen Unterlagen waren zwar lediglich mit Ketchup beschmiert, der Zeuge ... hielt dies aber irrtümlich - wie vom Amtsgericht nach § 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO festgestellt - für Blut. Aus der Klageschrift vom 12.12.2011 ergibt sich ferner, dass der Mitmieter ... als Zeuge für diverse Störungen des Hausfriedens, Beleidigungen und Bedrohungen seitens des Beklagten benannt worden war.
a) In dem unstreitig festgestellten Verhalten des Beklagten liegt eine schwerwiegende Vertragsverletzung, die eine Kündigung nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB rechtfertigt. Voraussetzung des Kündigungsrechts nach § 569 Abs. 2 BGB ist eine nachhaltige Störung des Hausfriedens, die zur Folge hat, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist. Unter dem Hausfrieden versteht man das Erfordernis gegenseitiger Rücksichtnahme, was das Zusammenleben mehrerer Personen in einem Haus überhaupt erst erträglich macht (vgl. Staudinger-Volker Emmerich, §§ 569 Rdnr. 24). Jede Partei muss sich bei der Ausübung ihrer mietvertraglichen Rechte so verhalten, dass keiner der anderen Beteiligten mehr als unvermeidlich gestört wird. § 569 Abs. 2 BGB ist danach erfüllt, sobald eine Mietpartei die genannten selbstverständlichen Gebote gegenseitiger Rücksichtnahme schwerwiegend verletzt (Staudinger-Volker Emmerich a. a. O.). Es steht für die Kammer außer Zweifel, dass der vorgenannte Vorfall dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme innerhalb eines Hauses widersprich. Es ist anderen Mietern im Hause ... nicht zuzumuten, eine Tüte mit vermeintlich blutbeschmiertem Inhalt vorzufinden, in dem sich die Kündigungserklärung und die Klageschrift seitens der Klagepartei befinden. Anders als die Berufungsklagepartei meint, ist darin auch nicht ein bloß ungebührliches Verhalten zu sehen, vielmehr ist auch die Kammer davon überzeugt, dass die Handlung konkret als an den Mieter ... gerichtete bedrohliche Geste zu verstehen war. Schließlich hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht München ausdrücklich eingeräumt, es deshalb gemacht zu haben, da er von den anderen Mietern im Hause seit „drei Jahren terrorisiert“ werde. In Anbetracht der Gesamtumstände und auch des in der Berufungsverhandlung vom 10.10.2012 letztlich eingeräumten Verhaltens vom 15.06.2012 (hier hat der Beklagte zugestanden, vor anderen Mietern auf dem Balkon mit einem langen Messer herumgefuchtelt zu haben) steht für die Kammer außer Zweifel, dass der Beklagte die Klageschrift deshalb mit Ketchup verschmiert und an die Tür des Mitmieters ... gehängt hat, um diesen einzuschüchtern und zu bedrohen. Dies stellt ohne Zweifel ein Verhalten dar, dass einem Zusammenleben innerhalb der Hausgemeinschaft nicht gedeihlich und mithin schlechthin untragbar ist.
b) Die Störung des Hausfriedens durch den Beklagten war vorliegend auch nachhaltig im Sinne des § 569 Abs. 2. Nachhaltig ist eine Störung des Hausfriedens regelmäßig dann, wenn sie schwerwiegend ist. Zwar reichen kurze bzw. einmalige Störungen des Hausfriedens regelmäßig nicht für eine fristlose Kündigung aus (vgl. Staudinger-Volker Emmerich, § 569 BGB Rdnr. 26) allerdings kann aus Sicht der Kammer auch ein einmaliger Vorfall den Hausfrieden so schwer stören, dass unter Abwägung aller Interessen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Mietverhältnis seit nahezu 40 Jahren besteht, eine Fortsetzung für den Vermieter nicht zumutbar ist. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Zwar weist die Berufung zutreffend darauf hin, dass die vom Beklagten bestrittenen und zur Begründung der übrigen Kündigungen herangezogenen Vorfälle, nicht als zutreffend unterstellt werden dürfen, gleichwohl liegt auch aus Sicht der Kammer schon in dem bewiesenen und vom Beklagten eingestandenen Vorfall eine so massive Einschüchterung und Bedrohung an den Mitmieter ... vor, dass von einer nachhaltigen und schwerwiegenden Störung des Hausfriedens auszugehen ist. Zu den Ausführungen des Amtsgerichts ist hierbei noch ergänzend anzuführen, dass der Mitmieter ... an dessen Tür der Beklagte die mit Ketchup verschmierten Unterlagen nachts hängte, in der Klageschrift als Zeuge für diverse Vorfälle benannt wurde, die die Klagepartei dem Beklagten anlastete und als Gründe für mehrfach ausgesprochene Kündigungen des Mietverhältnisses heranzog. Der Zeuge ... der das Ketchup unstreitig für Blut hielt, musste sich daher auch im Hinblick auf eine etwaige notwendige Zeugenaussage vor dem Amtsgericht München wegen der ausgesprochenen Kündigungen bedroht fühlen. Eine derartige Einschüchterung seitens des Beklagten im Hinblick auf eine zukünftige Zeugenaussage und die gesetzliche Zeugenpflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage ist unter keinen Umständen hinzunehmen und bewirkt die vom Gesetz vorausgesetzte nachhaltige Störung des Hausfriedens. Unabhängig von der Berechtigung der zuvor ausgesprochenen Kündigungen, deren Gründe vom Beklagten stets bestritten wurden, handelte es sich bei dem Vorfall vom 03.02.2012 um eine vorsätzliche und bewusst in Richtung des Mitmieters ... ausgesprochene Bedrohungshandlung, die der Einschüchterung nicht nur im Hinblick auf etwaiges zukünftiges Wohlverhalten im Anwesen ... dienen sollte, sondern auch als Drohung im Hinblick auf eine zukünftige Zeugenaussage vor dem Amtsgericht München verstanden werden konnte. Ein derartiges Verhalten, das der Einschüchterung von in der Klageschrift benannten Zeugen dient, braucht und muss der Vermieter nicht hinnehmen. Er kann darauf vertrauen, dass die Vorfälle, die dem Beklagten zur Last gelegt wurden und zum Ausspruch diverser Kündigungen führten, in einem justizförmigen Verfahren mit unbeeinflussten und nicht eingeschüchterten Zeugen nachgegangen wird. Da der Beklagte gerade dies zu verhindern suchte, liegt eine nachhaltige Störung des Hausfriedens nach § 569 Abs. 2 BGB vor, die unabhängig von den sonstigen bestrittenen Vorfällen den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigt, zumal dem Beklagten Vorsatz nach § 276 BGB zur Last fällt.
Der Vorfall rechtfertigt ausnahmsweise den Ausspruch der Kündigung auch ohne die nach § 543 Abs. 3 erforderliche Abmahnung. Nach § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB ist eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Eine Abmahnung ist danach entbehrlich, wenn durch das Fehlverhalten des anderen Teils die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so schwerwiegend erschüttert ist, dass sie auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann (vgl. Staudinger-Volker Emmerich, § 543 BGB Rdnr. 80). Der Beklagte hat durch die mit Ketchup beschmierten Unterlagen, die von dem Mitmieter ... irrtümlich für Blut gehalten wurden, eine Einschüchterungs- und Bedrohungslage geschaffen, die durch eine bloße Abmahnung nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Hierbei ist aus Sicher der Kammer im besonderen Maße zu berücksichtigen, dass der Vermieter im Falle eines derartige gravierenden Fehlverhaltens wie vorliegend auch eine Schutzpflicht gegenüber den anderen Mietern im Haus hat. Aus Sicht des Vermieters ist bei derartig eindeutigen Bedrohungen ex ante auch mit einer Wiederholung für den Fall einer den Beklagten belastenden Zeugenaussage in einer etwaigen Hauptverhandlung im Räumungsprozess zu rechnen. Dass der Beklagte zur Aggression neigt, zeigt sich auch daraus, dass er den Vorfall vom 15.06.2012 - wildes Fuchteln mit einem langen Messer - in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat. Zwar war dieser Vorfall nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung, lässt aber gleichwohl Rückschlüsse auf die aggressive Grundstimmung des Beklagten zu. Derartig schwerwiegende Vertragsverstöße können auch durch eine Abmahnung nicht mehr hergestellt werden. Vielmehr muss dem Vermieter auch zum Schutz der bedrohten Mieter in diesem Fall die Möglichkeit eröffnet werden, das Mietverhältnis mit dem störenden Mieter durch eine sofortige Kündigung zu beenden. Eine Abmahnung war daher ausnahmsweise nach § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB entbehrlich.
Die Kündigung durch die Klagepartei vom 07.02.2012 hat daher das Mietverhältnis beendet. Der Beklagte war zur Räumung und Herausgabe zu verurteilen, seine Berufung gegen das Räumungsurteil des Amtsgerichts München war daher zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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