Versendung einer dienstlichen Email unter Angabe der Büroanschrift und Bürotelefonnummer des Betriebsrates durch einzelne Betriebsräte

Gericht

LAG München


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

06. 05. 2010


Aktenzeichen

3 TaBVGa 10/10


Tenor

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 14.04.2010 - 7 BVGa 8/10 - wird abgeändert:

Dem Beteiligten zu 2) wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 € und einer Ordnungshaft im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes untersagt, sich unter Berufung auf seine Funktion als Mitglied bzw. Vorsitzender des bei der Antragstellerin bestehenden Gesamtsbetriebsrats oder unter Herstellung eines Bezugs zu dieser Funktion an gegen die Antragstellerin gerichteten Arbeitskampfmaßnahmen zu beteiligen, auf die Beteiligung an solchen Arbeitskampfmaßnahmen hinzuwirken oder solche Arbeitskampfmaßnahmen argumentativ zu unterstützen.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über die von der Antragstellerin begehrte Untersagung von Aktivitäten des Beteiligten zu 2 im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf.

Bei der Antragstellerin - einem Einzelhandelsunternehmen mit zahlreichen Gartencentern im gesamten Bundesgebiet - findet ein Arbeitskampf über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages oder Haustarifvertrages statt, nachdem der Arbeitgeber aus der zuständigen Arbeitgebervereinigung ausgetreten war, um der Tarifbindung zu entgehen. Der Beteiligte zu 2 ist der Vorsitzende des bei der Antragstellerin gebildeten Gesamtbetriebsrats.

Am 01.04.2010 fand zwischen der Geschäftsleitung und dem Gesamtbetriebsrat ein Gespräch zum Thema „Tarifbindung“ statt, worüber der Arbeitgeber die Belegschaft in einer Info vom 06.04.2010 unterrichtete. Der Gesamtbetriebsrat veröffentlichte darauf ein Info vom 07.04.2010, das mit dem Aufruf „Mit-Denken! Mit-Machen! Gemeinsam kämpfen für unseren Tarifvertrag!“ endet. Am 07.04.2010 um 23.15 Uhr übermittelte der Beteiligte zu 2 von seiner E-Mail-Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, die trotz ihres Bezugs auf den Firmennamen eine private bzw. privat eingerichtete E-Mail-Adresse des Beteiligten zu 2 ist, eine als „VERTRAULICH!“ gekennzeichnete Mail an alle Mitglieder des Gesamtbetriebsrats sowie an weitere Betriebsratsmitglieder der Antragstellerin, wobei es sich - mit einer Ausnahme - jeweils um private E-Mail-Adressen handelte.

Die ersten drei Absätze der Mail lauten:

Unsere Auseinandersetzung um die Rückkehr zur Tarifbindung wird sich in den kommenden Tagen und Wochen verschärfen. Weitere Arbeitskampfmaßnahmen stehen bevor.

Zur Erklärung der aktuellen Situation und warum es nicht ohne weitere Streiks geht, erhaltet Ihr in der Anlage ein Info-Flugblatt. Wir bitten Euch dieses Flugblatt auszuhängen und nach Möglichkeit an alle Beschäftigten (wenn möglich auch in den benachbarten und allen weiteren D.-Märkten) zu verteilen!!!

Unsere Streiks wirken natürlich besser, wenn wir Streikbrucharbeit weitestgehend verhindern können.

Es folgen nach dem einleitenden Satz: „Zum Thema Streik und Streikbruch findet Ihr hier noch zwei echte Klassiker“ Zitate aus einer englischen Wochenzeitung des Jahres 1911 und aus einem Roman von Jack London zum Phänomen „Streikbrecher“.

Die Mail schließt mit dem Satz: „Glück auf für die kommenden Tage und Wochen!“ Als „elektronische Unterschrift“ ist angegeben

L.
Gesamtbetriebsratsvorsitzender
D. GmbH & Co. KG
Büro M.
K. Straße 0
00000 M.
Telefon 000/000000-00

Mit dieser E-Mail versandte der Beteiligte zu 2 als Anlage ein zweiseitiges Flugblatt der Gewerkschaft V. mit der Überschrift „Tarifflucht bei D.! Warum Streik?“ und der Zwischenüberschrift „Arbeitskampf ist unvermeidbar!“.

Die Antragstellerin, der diese Mail auf unbekannt gebliebenem Wege zugetragen wurde, informierte mit Aushang vom 08.04.2010, gerichtet an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Belegschaft über die Versendung der Mail durch den Beteiligten zu 2, allerdings ohne diesen Vorgang korrekt darzulegen. Die ersten beiden Absätze dieses Aushangs lauten:

Die Gewerkschaft V. hat in verschiedenen Betrieben für Freitag und Samstag zur Streikteilnahme aufgerufen. Obwohl wir dem Gesamtbetriebsrat unsere Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft ausdrücklich angeboten haben, setzt V. ihre imageschädigende Kampagne fort.

Der Gesamtbetriebsrat seinerseits ruft alle Betriebsräte zu aktiver Beteiligung an den Streikmaßnahmen auf. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats verteilt sogar nachfolgende Schmähschriften, wonach arbeitswillige Beschäftigte auf das Übelste denunziert, verunglimpft und beleidigt werden:

Aus der E-Mail des Beteiligten zu 2 vom 07.04.2010 ist lediglich die Passage mit dem Jack-London-Zitat wörtlich wiedergegeben, jedoch ohne offenzulegen, dass es sich um ein literarisches Zitat handelt.

Am 09. und 10.04.2010 fand in einigen Betrieben der Antragstellerin ein „Zweites Streikwochenende“ statt, zu dem die Gewerkschaft V. aufgerufen hatte.

Die Antragstellerin forderte den Beteiligten zu 2 mit E-Mail vom 09.04.2010 auf, eine vorgefertigte Unterlassungserklärung abzugeben bzw. zu unterschreiben. Der Beteiligte zu 2 kam dieser Aufforderung nicht nach.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, der Beteiligte zu 2 habe mit der Versendung der Mail in schwerwiegender Weise gegen das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitskampfverbot verstoßen und etwaige Streikbrecher in unerträglicher Weise diffamiert. Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 74 Abs. 2 Satz 1 HS. 1 BetrVG. Der erforderliche Verfügungsgrund bestehe darin, dass angesichts der angekündigten weiteren Arbeitskampfmaßnahmen zu befürchten sei, der Beteiligte zu 2 werde erneut durch Ausnutzung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position versuchen, die von V. ausgerufenen Arbeitskampfmaßnahmen zu fördern.

Der Beteiligte zu 2 hält einen Unterlassungsanspruch der Antragstellerin für nicht gegeben. Er habe lediglich von seiner privaten E-Mail-Adresse aus eine Äußerung versandt, die für die Empfänger erkennbar außerhalb der Arbeitszeit und in seiner Eigenschaft als Gewerkschaftsmitglied abgegeben worden sei. Die Antragstellerin habe diese ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnete, private E-Mail unzulässigerweise entgegengenommen und inhaltsverzerrt betriebsöffentlich gemacht. Auch ein Verfügungsgrund ist nach Auffassung des Beteiligten zu 2 nicht gegeben, weil im Zeitpunkt der mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht die Arbeitskampfmaßnahmen im Rahmen des „Zweiten Streikwochenendes“ bereits zeitlich abgeschlossen gewesen seien. Im Übrigen handele es sich bei dem Antrag um einen unzulässigen Globalantrag.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat mit Beschluss vom 15.04.2010 - 7 BVGa 8/10 -, auf den hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der Details der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Es hat zur Begründung ausgeführt, der Antragsteller habe einen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht glaubhaft gemacht. Zwar liege objektiv ein Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitskampfverbot vor. Es spreche jedoch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ein Unterlassungsanspruch nicht bestehe, weil die Antragstellerin selbst mit der Verwertung der als vertraulich gekennzeichneten Mail in grober Weise gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG verstoßen habe und - angesichts des Umstandes, dass die E-Mail nur an Mitglieder des Gesamtbetriebsrates und einige Betriebsratsmitglieder gerichtet war - von vornherein nicht die Gefahr einer missbräuchlichen Ausnutzung der Funktion des Beteiligten zu 2 als Gesamtbetriebsratsvorsitzender gegenüber der Belegschaft im Rahmen von Arbeitskampfmaßnahmen bestanden habe. Der in der E-Mail enthaltene Hinweis auf die Tätigkeit als Gesamtbetriebsratsvorsitzender sei gegenüber den Betriebsratsmitgliedern ohne Bedeutung, da ihnen die Funktionen des Beteiligten zu 2 bekannt seien. Vom Empfängerhorizont her gesehen habe nicht der Eindruck entstehen können, dass der Beteiligte zu 2 mit dem Gewicht seines Amtes Arbeitskampfmaßnahmen unterstützen wolle. Es sei davon auszugehen, dass die Empfänger die Funktionen des Beteiligten zu 2 als Gewerkschaftsmitglied und Mitglied der Tarifkommission kannten und es von daher für durchaus möglich hielten, er wolle trotz des Hinweises auf seine Position als Gesamtbetriebsratsvorsitzender Arbeitskampfmaßnahmen lediglich als Gewerkschaftsmitglied unterstützen. Auch sei nach den Umständen des Falles keine Wiederholungsgefahr anzunehmen. In der mündlichen Anhörung habe der Beteiligte zu 2 nicht unter dem Druck des Rechtsstreits, sondern aus Einsicht glaubhaft versichert, dass er zukünftig - auch bei privaten EMails an seine Betriebsratskollegen - den Hinweis auf seine Funktion als Gesamtbetriebsratsvorsitzender weglassen werde, sofern es sich um Arbeitskampfmaßnahmen handele. Schließlich sei nicht auszuschließen, dass ein Verwertungsverbot hinsichtlich des Inhalts der E-Mail nach Art. 2 Abs. 1 GG bestehe.

Die Antragstellerin hat mit einem am 19.04.2010 beim Beschwerdegericht eingegangenen Schriftsatz gegen den Beschluss vom 15.04.2010 Beschwerde erhoben und diese zugleich begründet.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach der Beteiligte zu 2 durch Versendung der E-Mail in schwerwiegender Weise gegen das betriebsverfassungsrechtliche Neutralitätsgebot verstoßen habe mit der Folge, dass ihr ein Unterlassungsanspruch zur Seite stehe. So habe der Beteiligte zu 2 eine zu dienstlichen Zwecken genutzte E-Mail-Adresse verwendet, ferner eine E-Mail-Signatur, die ihn als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats ausweise, mit Geschäftsadresse und Telefonnummer. Als Empfänger seien ausschließlich Mitglieder des Gesamtbetriebsrats und weitere D.- Betriebsratsmitglieder genannt mit der Anrede „Liebe Kolleginnen und Kollegen“. Für einen Verstoß gegen das Arbeitskampfverbot sei es unerheblich, ob das Betriebsratsmitglied offen oder unter dem Siegel der Verschwiegenheit handele. Unerheblich sei auch, ob der Beteiligte zu 2 streikfördernde Maßnahmen im betrieblichen oder öffentlichen Raum vorgenommen habe. Vielmehr sei allein entscheidend, ob dies unter Berufung auf die Amtsstellung als Betriebsratsmitglied geschehen sei. Der Beteiligte zu 2 habe zielgerichtet in den betrieblichen Raum hineingewirkt. Der Verstoß wiege nicht weniger schwer, weil seine Funktion als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats ohnehin bekannt gewesen sei. Das Neutralitätsgebot gelte auch dann. § 74 Abs. 2 BetrVG verlange eine strikte formale Sphärentrennung. Der Verstoß wiege besonders schwer, weil die E-Mail in einer Form abgefasst sei, die nachhaltig Zwietracht in der Belegschaft säe.

Die Antragstellerin meint, die Argumentation des Arbeitsgerichts mit Art. 2 Abs. 1 GG sei offensichtlich unzutreffend, weil der Gesetzgeber mit § 74 Abs. 2 BetrVG die Abwägung der beteiligten Grundrechtspositionen bereits abschließend selbst vorgenommen habe.

Die Wiederholungsgefahr ist nach Ansicht der Antragstellerin schon deshalb gegeben, weil sich der Beteiligte zu 2 weigere, eine Unterlassungserklärung abzugeben.

Ein Verfügungsgrund sei zu bejahen, weil laut E-Mail vom 07.04.2010 „in den nächsten Tagen und Wochen“ mit weiteren Arbeitskampfmaßnahmen zu rechnen sei.

Die Antragstellerin beantragt:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 14.04.2010 - 7 BVGa 8/10 - wird abgeändert. Dem Antragsgegner wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 € und einer Ordnungshaft im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes untersagt, sich in seiner Eigenschaft als Mitglied bzw. Vorsitzender des bei der Antragstellerin bestehenden Gesamtbetriebsrats an gegen die Antragstellerin gerichteten Arbeitskampfmaßnahmen zu beteiligen, zur Beteiligung an solchen Arbeitskampfmaßnahmen aufzurufen oder solche Arbeitskampfmaßnahmen in sonstiger Weise zu fördern.

Der Beteiligte zu 2 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er meint - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens -, die Antragstellerin praktiziere selbst eine unzulässige Vermischung der betriebsverfassungsrechtlichen und der arbeitskampfrechtlichen Sphären, indem sie ausweislich ihrer eigenen, gegenüber der Gesamtbelegschaft kundgetanen Mitteilung vom 08.04.2010 mit dem Gesamtbetriebsrat Gespräche und Verhandlungen zu Sachverhalten führe, die auf tarifvertraglicher Ebene durch die Gewerkschaften gefordert würden und für die nach § 77 Abs. 3 BetrVG die Betriebsparteien nicht zuständig seien.

Er betont insbesondere erneut, der Arbeitgeber habe seinerseits, indem er die an einen abgeschlossenen Empfängerkreis gerichtete E-Mail in die Betriebsöffentlichkeit gezogen habe, ein Verhalten an den Tag gelegt, das ein Rechtsschutzbedürfnis für den gestellten Antrag entfallen lasse. Unter diesen Umständen stelle sich die Frage, ob Äußerungen im privaten Kreis, ob nun glücklich oder unglücklich bedacht formuliert, vom Tatbestand des § 74 BetrVG überhaupt erfasst würden. Die Normen der Betriebsverfassung bezögen sich auf den betriebsverfassungsrechtlichen und nicht auf den privaten Raum. Es komme hinzu, dass der Adressatenkreis der E-Mail die Funktionen des Beteiligten zu 2 kenne.

Hinsichtlich des sonstigen Vorbringens der Beteiligten im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 19.04.2010 und 28.04.2010, sowie des Beteiligten zu 2 vom 21.04.2010 und 27.04.2010 verwiesen, ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 28.04.2010.


II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat nach § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Anspruch auf Unterlassung einer Beteiligung oder Unterstützung bzw. Förderung von Arbeitskampfmaßnahmen, die gegen die Antragstellerin gerichtet sind, unter Berufung auf seine Funktion als Mitglied bzw. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Dabei hat das Beschwerdegericht gemäß § 938 Abs. 1 ZPO die erforderlichen Maßnahmen unter Modifikation des Wortlauts des Antrags präzisiert.

1. Der Antrag ist nicht als unbegründeter (nicht: unzulässiger!) Globalantrag anzusehen. Er erfasst entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2 nicht von vornherein Fallkonstellationen, in denen ein auf § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gestützter Unterlassungsanspruch nicht besteht.

Denn bei unbefangener Lektüre muss jedem verständigen Leser klar sein, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht schon deshalb bestehen soll, weil der Beteiligte zu 2 aufgrund seiner Funktion als Vorsitzender des Gesamtsbetriebsrats generell gehindert wäre, sich an Arbeitskämpfen gegen seinen Arbeitgeber zu beteiligen oder solche Arbeitskämpfe zu fördern. Vielmehr ist ohne weiteres klar - und tritt auch in der Antragsbegründung eindeutig zu Tage -, dass dem Beteiligten zu 2 Arbeitskampfaktionen nur dann untersagt werden sollen, wenn er sich hierbei auf seine Funktion als Gesamtbetriebsratsvorsitzender bezieht, also lediglich unter den Voraussetzungen eines Verstoßes gegen das betriebsverfassungsrechtliche Neutralitätsgebot bzw. Arbeitskampfverbot gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Diese Bestimmung steht in Einklang mit dem durch Art. 9 GG geschützten Streikrecht. Darauf hat die Antragstellerin zu Recht hingewiesen.

Somit erfasst der vorliegende Antrag nicht Konstellationen, in denen der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu verneinen ist.

2. Der Antragstellerin steht ein Verfügungsanspruch zur Seite - der Anspruch auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen der Betriebsparteien gegeneinander gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.

a) Das Beschwerdegericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den Voraussetzungen, der Reichweite und den Rechtsfolgen dieses Unterlassungsanspruchs, insbesondere auch der Aussage, dass er sich auch gegen Mitglieder des (Gesamt-)Betriebsrats richten kann.

Das Beschwerdegericht folgt dem Arbeitsgericht auch darin, dass hier ein objektiver Verstoß gegen das Arbeitskampfverbot vorliegt.

b) Im Gegensatz zum Arbeitsgericht nimmt das Beschwerdegericht jedoch an, dass der Beteiligte zu 2 mit der Versendung der E-Mail vom 07.04.2010 einen gravierenden, massiven Verstoß gegen dieses Gebot begangen hat.

Dies wiegt umso schwerer, als das Prinzip der Trennung der gewerkschaftlichen und der betriebsverfassungsrechtlichen Sphäre, das diesem Neutralitätsgebot bzw. Arbeitskampfverbot nach § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zugrunde liegt, zu den essenziellen Strukturprinzipien des deutschen Betriebsverfassungsrechts gehört.

c) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts verliert der Verstoß nicht deshalb massiv an Gewicht, weil die genannte Mail innerhalb der Sphäre des Gesamtbetriebsrats bzw. der Betriebsratsgremien geblieben ist und sich nicht direkt an die Belegschaft wandte. Denn § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zielt nicht schwerpunktmäßig auf Friedensstörungsvermeidung ab; dieses Ziel hat in § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG seine eigenständige Rechtsgrundlage gefunden. Ein Verstoß gegen das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG setzt somit nicht die Feststellung einer konkreten Betriebsfriedensstörung voraus.

Vielmehr bezweckt § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, dass sich der Arbeitgeber hinsichtlich der Führung oder der Abwehr von Arbeitskämpfen allein mit der Gewerkschaft, nicht aber mit dem Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat auseinandersetzen müssen soll. Er soll sich also darauf verlassen können, dass sich der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat auch 3 TaBVGa 10/10 - 11 - während eines Arbeitskampfs allein um seine Aufgaben im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes kümmert. Vor allem aber wird durch das betriebsverfassungsrechtliche Neutralitätsgebot bzw. Arbeitskampfverbot verhindert, dass der Arbeitgeber, der Kosten- und Sachaufwand des Betriebsrats und Gesamtbetriebsrats trägt, über diese betriebsverfassungsrechtlichen Gremien die Ziele des tarif- bzw. sozialpolitischen Gegenspielers unterstützt. Deshalb ist für das Gewicht des Verstoßes nicht ausschlaggebend, ob dieser nach außen in die Belegschaft oder nach innen in den Bereich des Gesamtbetriebsrats oder der Betriebsratsgremien gerichtet ist.

Mit schlichten Worten ausgedrückt: Der Arbeitgeber muss nicht hinnehmen, dass - beispielsweise - ein Gesamtbetriebsratsvorsitzender „seinen“ Gesamtbetriebsrat und die einzelnen Betriebsratsgremien gewerkschafts-, tarif- und arbeitskampfpolitisch „auf Vordermann“ bringt und zu einer schlagkräftigen „Arbeitskampftruppe“ formt und zusammenschweißt. Gerade dies bezweckt aber nach seinem inhaltlichen Gesamtzuschnitt, kämpferischen Wortlaut und der Auswahl der historischen bzw. literarischen Zitate die E-Mail vom 07.04.2010 in geradezu exemplarischer Weise. Dieses Schreiben hat eine klare Botschaft: eine wirksame Arbeitskampffront aufzubauen, sie zu stärken und vor allem, sie vor einer Erosion durch Streikbrecher zu bewahren - alles legitime gewerkschaftliche Ziele, aber eben gewerkschaftliche, nicht jedoch betriebsverfassungsrechtlich zulässige Ziele.

d) Die Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2 verliert ihr Gewicht nicht entscheidend dadurch, dass die Adressaten die Funktionen des Beteiligten zu 2 als Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Betriebsratsmitglied einerseits und als Gewerkschaftsmitglied und Mitglied der Tarifkommission andererseits kannten.

Denn auch dann hat der Beteiligte zu 2 seine - durch Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützte - Betätigung im Rahmen des Arbeitskampfs unzulässigerweise mit seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion verknüpft und seinen Arbeitskampfaktivitäten das Gewicht seines betriebsverfassungsrechtlichen Amtes verliehen. Auch wenn etliche - vielleicht sogar die Mehrzahl oder möglicherweise alle - Adressaten in der Lage gewesen sein mögen, die betriebsverfassungsrechtlichen und die gewerkschaftlichen bzw. arbeitskampfrechtlichen Sphären auseinanderzuhalten und die Grenzziehung zwischen beiden zu erkennen, hat der Beteiligte zu 2 mit der Versendung der E-Mail vom 07.04.2010 in schwerwiegender Weise das Neutralitätsgebot verletzt. Denn auch dann bliebe angesichts des Gesamtzuschnitts und des Inhalts der Mail jedenfalls der - mehr oder weniger geglückte - Versuch, den Gesamtbetriebsrat und seine Mitglieder sowie einzelne Mitglieder weiterer Betriebsratsgremien gerade aufgrund ihrer Funktion und organisatorischen Verbundenheit als betriebsverfassungsrechtliche Mandatsträger für die Zwecke des Arbeitskampfs einzuspannen. Schon der Adressatenkreis des Schreibens schließt es aus, dass sich hier ein „normales“ Belegschaftsmitglied in seiner Eigenschaft als Gewerkschaftsmitglied und Mitglied der Tarifkommission an andere Belegschaftsmitglieder gewandt hat, um für eine Unterstützung bei den Streikaktionen zu werben.

e) Auch die Tatsache, dass die E-Mail von der - objektiv gesehen - privaten E-Mail- Adresse des Beteiligten zu 2 aus versandt wurde, macht aus diesem Schreiben keine rein private Sendung, die ohne weiteres als solche erkennbar war.

Dagegen spricht schon die Gestaltung der E-Mail-Adresse, die einen „offiziösen“ Anstrich hat und bei jedem unbefangenen Leser - im Übrigen auch bei der Beschwerdekammer - den Eindruck erweckt, es handele sich um eine von der Arbeitgeberin vergebene E-Mail- Adresse des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden.

f) Auch die Gestaltung der Unterschriftszeilen spricht massiv gegen den Charakter einer privaten E-Mail. So hat der Beteiligte zu 2 unter seinem Namen die Funktion „Gesamtbetriebsratsvorsitzender“ hinzugefügt, ferner die Firmenbezeichnung und die Anschrift sowie den Telefonanschluss seines Büros.

Alle diese Umstände belegen, dass der Beteiligte zu 2 mit dem Gewicht seines Amtes als Gesamtbetriebsratsvorsitzender die Betriebsratskolleginnen und -kollegen auf den Arbeitskampf eingeschworen hat.

g) Abgesehen davon wäre es blauäugig anzunehmen, dass alle Adressaten in der Lage waren, die Grenzen zwischen der gewerkschaftlichen und der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabenstellung bzw. Funktion des Beteiligten zu 2 zu erkennen. Der Beschwerdekammer ist aus einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren und außergerichtlicher Veranstaltungen bekannt, dass gerade diese Grenzziehung vielen Betriebsratsmitgliedern - auch noch nach Jahren der Betriebsratstätigkeit - unbekannt ist oder dass sie ihre Bedeutung bei der praktischen Betriebsratsarbeit nicht erfasst haben. Selbst diejenigen Adressaten, die vorliegend erkannt haben, dass der Beteiligte zu 2 das Schreiben zulässigerweise nur in seiner Eigenschaft als Belegschaftsmitglied und gewerkschaftlich orientierter, aktiver Mitorganisator des Arbeitskampfs versenden durfte, konnten die Mail vom 07.04.2010 jedenfalls als Versuch verstehen, den Gesamtbetriebsrat und weitere Betriebsratsmitglieder für die Zwecke des Arbeitskampfs einzuspannen, um dem Streik dadurch eine besondere Schlagkraft zu verleihen.

h) Die Antragstellerin hat mit der „Verwertung“ der E-Mail als Mittel der (gerichtlichen) Abwehr des vom Beteiligten zu 2 begangenen Verstoßes für sich genommen nicht ihrerseits so massiv gegen wesentliche Grundsätze des Betriebsverfassungsrechts - insbesondere gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG - verstoßen, dass sie gehindert wäre, sich auf die Unzulässigkeit des Verhaltens des Beteiligten zu 2 zu berufen.

Der Arbeitgeber, dem eine solche, ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnete E-Mail zugespielt wird - auf welchem Wege auch immer - und der dadurch Kenntnis von einem massiven Verstoß gegen das Arbeitskampfverbot des Betriebsrats erhält, muss diese Pflichtverletzung nicht deshalb hinnehmen, weil der Verletzer die Rechtsverletzung geheim halten wollte. Die Kennzeichnung der E-Mail als „vertraulich“ verleiht weder der Regelverletzung durch den Beteiligten zu 2 ein minderes Gewicht (im Gegenteil!) noch lässt sie die Abwehr der Regelverletzung ihrerseits als gesetzwidrig erscheinen.

i) Allerdings hat die Antragstellerin mit der polemisch verzerrten Wiedergabe des Inhalts der Mail und der ersichtlich in manipulativer Absicht erfolgten Bekanntgabe des Jack-London-Zitats, ohne deutlich zu machen, dass dieser Text nicht vom Beteiligten zu 2 als Urheber stamme, sondern aus einer literarischen, also künstlerisch gestalteten Quelle, eindeutig gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen. Dieser Grundsatz hätte es geboten, zum einen die Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2 einigermaßen objektiv darzustellen, und zum anderen, vor einer Verschärfung des Konflikts die Angelegenheit intern mit dem Beteiligten zu 2 und dem Gesamtbetriebsrat zu erörtern.

Der Umgang der Antragstellerin mit der Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2 ist insofern zu beanstanden. Darin stimmt die Beschwerdekammer dem Arbeitsgericht zu.

j) Allerdings erreicht die Pflichtverletzung der Antragstellerin nicht ein so gewichtiges Ausmaß, dass sie gehindert wäre, den Unterlassungsanspruch nach § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG geltend zu machen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Konflikt, der die bedenkliche Reaktion des Arbeitgebers auslöste, vom Gesamtbetriebsratsvorsitzenden ausging. Es kann nicht angehen, dem Arbeitgeber, der darauf in nicht mehr vertretbarer Weise überreagiert, jegliches Mittel der Verteidigung gegen die Ausgangs-Pflichtverletzung aus der Hand zu schlagen, gewissermaßen nach dem Motto „Haltet den Dieb“.

k) Anders wäre der Sachverhalt zu beurteilen, wenn sich die Antragstellerin die Kenntnis von der E-Mail durch aktives, zielgerichtetes Handeln verschafft hätte, wenn sie also selbst die „Vertraulichkeits-Sperre“ durchbrochen hätte. Dann hätten - auch aus Sicht der Beschwerdekammer - massive rechtliche Bedenken gegen eine Verwertung der Mail im vorliegenden Verfahren, schon aufgrund des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts, vor allem aber aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten, aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Persönlichkeitsrechts des Beteiligten 2 bestanden in entsprechender Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht (BAG 21.04.2009 - 6 AZR 189/08, Juris-Rn. 21) für den Fall der gerichtlichen Verwertung eines mitgehörten Telefongesprächs entwickelten Grundsätze.

Eine solche Vorgehensweise der Antragstellerin ist aber nicht ersichtlich. Wurde ihr die EMail von Dritten zugespielt, musste sie sich ihrer Kenntnisnahme nicht verschließen. Sie musste sich insoweit nicht „taub stellen“. Der vom Arbeitsgericht gezogene Vergleich mit der Öffnung von Post des Betriebsrats passt deshalb nicht.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Adressen der Empfänger - bis auf eine - erkennbar privat waren und auch die Absenderadresse jedenfalls objektiv, wenn auch nicht erkennbar, eine private war.

l) Nach allem ist weder anzunehmen, dass der Bruch der „Vertraulichkeit“ noch die Art und Weise der Bekanntmachung des Vorgangs in der Betriebsöffentlichkeit durch den Arbeitgeber das Gewicht des Verstoßes des Beteiligten zu 2 gegen das Arbeitskampfverbot entscheidend mindert oder die Berufung auf den Unterlassungsanspruch ausschließt.

m) Es ist auch von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, da der Beteiligte zu 2 zwar wiederholt - auch in der mündlichen Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht - erklärt hat, er werde zukünftig - auch bei privaten E-Mails an seine Betriebsratskollegen oder andere D.-Beschäftigte - den ausdrücklichen Hinweis auf seine Funktion als Gesamtbetriebsratsvorsitzender weglassen, sofern es sich um Arbeitskampfmaßnahmen handele. Sollte irrtümlich ein solcher Hinweis zukünftig verwendet werden, werde er auf Hinweis des Arbeitgebers unverzüglich eine entsprechende Richtigstellung vornehmen und Textstücke zurückziehen oder berichtigen.

Denn zum einen reicht das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitskampfverbot weiter als diese Erklärung des Beteiligten zu 2; es betrifft nicht nur Hinweise auf die Funktion als Gesamtbetriebsratsvorsitzender, sondern jegliche Bezugnahme oder Berufung auf diese Funktion, auch beispielsweise durch die äußere Gestaltung von Schreiben oder Ähnlichem. Die Beschwerdekammer hat den Eindruck gewonnen, dass der Beteiligte zu 2 in Bezug auf das rechtlich Bedenkliche seines Verhaltens (noch) nicht ein hinreichendes Problembewusstsein entwickelt hat.

Nach allem verbleibt es dabei, dass der begangene Verstoß die Wiederholungsgefahr indiziert.

3. Der Antragstellerin steht auch ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 87, 85 Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940 ZPO zur Seite.

Im Falle einer Wiederholung des beanstandeten Verhaltens wäre erneut ein essenzieller Grundsatz des Betriebsverfassungsrechts verletzt mit der Folge, dass kaum mehr von einer hinreichenden Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit der Betriebsparteien im Sinne von § 2 Abs. 1 BetrVG gesprochen werden könnte. Dies ist ein wesentlicher Nachteil im Sinne von § 940 ZPO.

Auch ist bis zum Schluss der mündlichen Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht von keiner Seite vorgetragen worden, dass der Arbeitskampf, der den Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung bildet, beendet wäre.

4. Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt (§ 72 Abs. 4 ArbGG).


Dr. Rosenfelder Butzenberger Breibeck

Vorinstanzen

ArbG Augsburg, 7 BVGa 8/10

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht