Freistellung nach außerordentlicher fristlosen Kündigung stellt keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers dar
Gericht
LAG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
14. 03. 2013
Aktenzeichen
16 Sa 763/12
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EugH zum Inhalt des Urlaubsanspruchs stellt die Freistellung des Arbeitnehmers unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche nach einer außerordentlichen fristlosen Kündigung keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers dar.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29.03.2012 – 6 Ca 4596/11 - teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.357,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.11.2011 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens zu 48 %, die Beklagte zu 52 %. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden der Beklagten zu 71 %, dem Kläger zu 29 % auferlegt.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Soweit die Berufung verworfen worden ist, wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um Urlaubsabgeltung sowie Urlaubsgeld.
Der am 24. Mai 1961 geborene Kläger war seit dem 01. Oktober 1987 bei der Beklagten gegen ein monatliches Gehalt von 3.639,41 € brutto beschäftigt. Der Kläger ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 01. Oktober 1987 ist nicht unterschrieben. Er enthält unter Ziffer 6 „Weitere Kündigungsregelungen" die folgende Bestimmung:
„Der Arbeitgeber ist berechtigt, den/die Angestellten jederzeit und Fortzahlung des letzten monatlichen Gehaltes von der Arbeit freizustellen."
Unter Ziffer 14 „Anwendung einschlägiger Tarifverträge" heißt es:
„Im Übrigen finden auf das Arbeitsverhältnis die einschlägigen Tarifverträge für Angestellte Anwendung, die von dem für den Betrieb räumlich zuständigen Innungsverband des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks für den Geltungsbereich des Betriebes abgeschlossen sind oder abgeschlossen werden. Dies gilt beispielsweise für Urlaub, vermögenswirksame Leistungen und Kündigungsfrist."
Die Beklagte wendet die Tarifverträge für den auftragsbezogenen Ladenbau in Nordrhein-Westfalen an. Dieser sieht unter Rn. 109 (Bl. 194 d. A.) die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes vor, das 55 % des Urlaubsentgelts beträgt.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011. Das Kündigungsschreiben (Bl. 47 d. A.) enthält den folgenden Passus:
„Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaub- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt."
Gegen die Wirksamkeit der Kündigung wandte sich der Kläger in einem unter dem Aktenzeichen 7 Ca 227/11 beim Arbeitsgericht Dortmund geführten Kündigungsrechtsstreit. Im Gütetermin vom 17. Juni 2011 vereinbarten die Parteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 aus betrieblichen Gründen. Außerdem enthält der Vergleich, zu dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 8 d. A. Bezug genommen wird, die folgenden Regelungen:
„…
5. Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2011 ordnungsgemäß ab. Die Parteien sind sich insofern auch dahingehend einig, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt bleibt.
6. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt.
…"
Mit einer bereits am 08. Juni 2011 erstellten Verdienstabrechnung für Mai 2011 (Bl. 14 – 15 d. A.) rechnete die Beklagte Urlaubsabgeltung für 88,23 Stunden bei einem Stundensatz von 20,55 € in Höhe von insgesamt 1.813,13 € ab. Nach einer unter dem 04. August 2011 erstellten weiteren Verdienstabrechnung (Bl. 22 – 23 d. A.) erhielt der Kläger ein Urlaubstagegeld in Höhe von 1.296,40 € brutto. Der sich aus der Abrechnung ergebende Nettobetrag wurde an den Kläger ausgezahlt.
Zuvor, nämlich mit Schreiben vom 01.08.2011 (Bl. 11 – 12 d. A.). hatte der Kläger u.a. die ordnungsgemäße Abrechnung bis zum 30. Juni 2011 gemäß Ziffer 5 des abgeschlossenen Vergleichs verlangt, insbesondere im Hinblick auf die Abgeltung noch ausstehenden Urlaubsansprüchen. Letzteres lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 09. August 2011 (Bl. 13 d. A.) ab. Mit seiner am 04. November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger u.a. Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.357,09 € sowie die Zahlung eines Urlaubsgeldes in Höhe von 1.282,32 €, jeweils mit Zinsen. Außerdem hat er die anteilige Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe von 822,00 € begehrt.
Durch Urteil vom 29. März 2012 hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 822,00 € brutto nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner klageabweisenden Entscheidung hat es zum einen ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zustehe, da ihm der zustehende Erholungsurlaub vollständig in Natur gewährt und von ihm genommen worden sei. Die Beklagte habe den Kläger mit Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 19. Mai 2011 vorsorglich für den Fall der Wirksamkeit der fristgemäßen Kündigung mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Die vorsorgliche Gewährung von Erholungsurlaub bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung sei wirksam und erfülle den Urlaubsanspruch für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen Kündigung hinaus fortbestehe. Der Kläger habe keine anderen Urlaubswünsche geltend gemacht. Die Festlegung des Urlaubs sei ordnungsgemäß. Einen Anspruch auf Zahlung von 1.282,32 € brutto anteiligen Urlaubsgeldes für das Jahr 2011 besitze der Kläger nicht. Soweit ein solcher Anspruch nachvollziehbar sei, sei er durch Erfüllung erloschen. Ein darüber hinausgehender Anspruch sei nicht hinreichend dargelegt oder unter Beweis gestellt worden. Es sei nicht festzustellen, dass tatsächlich Sonderzahlungen über diejenigen hinaus, die sich aus den Dezemberabrechnungen der Jahre 2007 bis 2010 ergäben, im Laufe des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden seien. Es sei auch nicht festzustellen, auf welcher Anspruchsgrundlage der Kläger seine Forderungen stützen wolle. Auch zu den Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage habe der Kläger nichts vorzutragen vermocht. Soweit sich der Kläger auf eine tarifliche Grundlage bezogen habe, habe er nicht vorgetragen, auf welchen konkreten Tarifvertrag er seinen Anspruch stützen wolle, noch unter welchen Voraussetzungen eine Gratifikation im Sommer geschuldet sei.
Gegen dieses, ihm am 03. Mai 2012 zugestellte Urteil, hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Diese ist am 01. Juni 2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, seine Berufungsbegründung innerhalb der bis zum 30. Juni 2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist.
Der Kläger rügt, dass das Gericht zu dem Ergebnis gekommen sei, ihm stünden „weitere Zahlungsansprüche" nicht zu sowie es davon ausgehe, dass er keinen Anspruch auf Zahlung von 1.282,32 € für das Jahr 2011 habe, insbesondere, dieser Anspruch durch die Abrechnung des Betrages von 1.296,40 € durch Erfüllung erloschen sei. Gerügt werde weiterhin, dass das Arbeitsgericht nicht festzustellen vermocht habe, auf welche Anspruchsgrundlage er seine Forderung stütze und dass eine tatsächliche Zahlung einer Sonderzahlung im Sommer jeden Jahres nicht feststellbar sei. Außerdem rügt der Kläger, dass der Umstand, dass die Beklagte tarifvertraglich gebunden sei, unberücksichtigt geblieben sei. Sie wisse, ob sie Gratifikationsanteile ausgezahlt habe oder nicht und ob sie einen Haus/Tarifvertrag gezeichnet habe. Des Weiteren werde gerügt, dass das Gericht davon ausgehe, dass es seine Aufgabe gewesen sei, zu den konkreten arbeitsvertraglichen Absprachen mit der Beklagten vorzutragen. Gerügt werde schließlich, dass diesbezüglich kein besonderer Hinweis erteilt worden sei. Soweit das Arbeitsgericht seinen Anspruch auf Abgeltung seines Erholungsurlaubes verneint habe, rügt der Kläger, dass das Gericht davon ausgehe, dieser sei vollständig in Natur gewährt und genommen worden. Hierzu bezieht er sich im Detail u.a. darauf, dass mit der Freistellung nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ein wie auch immer gearteter Erholungseffekt nicht verbunden gewesen sei. Hieraus habe vielmehr eine erhebliche psychische Verunsicherung resultiert. Außerdem genüge die Freistellungserklärung nicht den an die Gewährung eines Urlaubs zu stellenden Anforderungen. Sie müsse sich auf einen bestimmten künftigen Zeitraum beziehen, was vorliegend nicht geschehen sei. Es sei nicht konkretisiert, wann genau nunmehr Freistellung wegen Urlaubs erfolgt sei und wann wegen anderer Tatbestände. Er habe im Rahmen des Verfahrens deutlich zum Ausdruck gebracht, nicht freigestellt, sondern weiterbeschäftigt werden zu wollen. Dies ließe sich seiner Kündigungsschutzklage entnehmen. Soweit eine Freistellung bis zum Beendigungstermin am 30. Juni 2011 vereinbart worden sei, habe eine Anrechnung auf entsprechende Urlaubsansprüche gerade nicht erfolgen sollen. Es hätte durch den Vergleich ein konkreter Zeitraum bestimmt werden müssen, im Rahmen dessen der Urlaub als solcher gewährt werde. Anderenfalls verkäme § 7 Abs. 1 BurlG zu einer reinen Fiktion. Im Übrigen verweist der Kläger zusätzlich darauf, dass er seine Ansprüche nach bestem Wissen und Gewissen beziffert habe, dies vor dem Hintergrund einer Einschätzung zu der Geltung eines Haustarifvertrages. Auf Klägerseite habe diese Thematik nicht abschließend eruiert werden können, es wäre ein detaillierter Vortrag der Gegenseite hierzu erforderlich gewesen.
Der Kläger, der zunächst die Verurteilung zur Zahlung von 4.461,41 € begehrt hat, beantragt unter Rücknahme der Berufung im Übrigen,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29. März 2012 – 6 Ca 4596/11 – die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.639,41 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen soweit dieses den Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung abgewiesen hat. Hinsichtlich der weitergehenden Zahlungsanträge verweist sie darauf, dass der klägerische Vortrag keine konkreten Ausführungen zum Streitfall zulasse und die Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht erfülle.
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist teilweise unzulässig, im Übrigen begründet.
I.
Sie ist zwar nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG insgesamt fristgerecht eingereicht und begründet worden. Die Berufungsbegründung genügt teilweise jedoch nicht den Anforderungen der §§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG und ist insoweit als unzulässig zu verwerfen. Mit der Berufungsbegründungsschrift ist die erstinstanzliche Entscheidung bezogen auf das im Berufungsverfahren weiterverfolgte Urlaubsgeld in Höhe von 1.282,32 € nicht ausreichend im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO angegriffen worden. Es fehlt an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils.
1) Eine Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 - 4 ZPO nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (st. Rspr. vgl. zuletzt BAG vom 16.05.2012, 4 AZR 245/10, m.w.N. juris).
2) Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung ausführlich begründet und sie zum einen darauf gestützt, dass durch die Zahlung eines Betrages von 1.296,40 € unter der Lohnart 302 als Urlaubstagegeld ein Anspruch des Klägers, soweit dieser nachvollziehbar sei, erfüllt sei. Hierzu hat die Berufung lediglich ausgeführt, dass dies gerügt werde. Auch hinsichtlich der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts hat sich der Kläger darauf beschränkt, diese zu rügen, ohne anzugeben, aus welchen Gründen der Argumentation des Arbeitsgerichts nicht zu folgen sei. Die einzige konkrete Argumentation des Klägers betrifft die von ihm behauptete Anwendung eines Haus/Tarifvertrages. Mit der Argumentation des Arbeitsgerichts, dass der Kläger weder vortrage auf welchen konkreten Tarifvertrag er seinen Anspruch stützen wolle, noch unter welchen Voraussetzungen eine Gratifikation im Sommer geschuldet sei und letztlich die Geltung eines Tarifvertrages aufgrund einseitiger Tarifbindung nicht hinreichend dargelegt sei, setzt er sich auch in diesem Zusammenhang nicht auseinander.
II.
Jedoch genügen die Ausführungen des Klägers zur Abweisung seines Anspruchs auf Urlaubsabgeltung den an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen.
Dieser Anspruch, der der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig ist, ist begründet. Die zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung vom 19. Mai 2011 noch offenen Urlaubsansprüche des Klägers sind durch die Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben nicht erfüllt worden.
1) Danach hat die Beklagte den Kläger im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Diese Erklärung ist deshalb ungewöhnlich, weil die Beklagte den Urlaub nicht für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung gewährt, sondern auf die Wirksamkeit der hilfsweise erklärten fristgemäßen Kündigung abgestellt hat. Es braucht nicht abschließend entschieden zu werden, ob dies den Anforderungen entgegensteht, die an die Deutlichkeit einer Erklärung zu stellen sind, mit der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub freistellt.
2) Die Freistellungserklärung der Beklagten war aus anderen Gründen nicht geeignet, die Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Klägers zu bewirken.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richtet sich der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von seinen arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers werde nicht berührt. Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freizustellen. Dies stelle eine Nebenpflicht des Arbeitgebers dar. Die Freistellung erfolge durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, wobei der Arbeitgeber die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen habe. Beginn und Ende des Urlaubs seien festzulegen. Die erklärte Arbeitsbefreiung müsse hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt werde. Der Arbeitgeber könne den Urlaub vorsorglich für den Fall erteilen, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöse. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher werde durch eine Kündigung nicht berührt. Mit der Kündigung mache der Arbeitgeber lediglich geltend, er gehe davon aus, das Arbeitsverhältnis werde zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt enden. Er „behaupte" eine Beendigung. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liege im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern. Dem stehe nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsrechtsstreit offen sei, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schulde. Dies folge nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts daraus, dass der Urlaubsanspruch kein sog. Einheitsanspruch sei. Er richte sich auf die Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt werde dadurch nicht berührt. Sei das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung beendet, sei der Urlaub abzugelten (vgl. zu den vorstehenden Grundsätzen BAG vom 14.08.2007, 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473 - 475 mit umfangreichen Nachweisen).
b) Maßgeblich für die vorstehend dargelegten Grundsätze ist die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vom Inhalt des Urlaubsanspruchs, die es seit seiner grundlegenden Entscheidung vom 28.01.1982 (6 AZR 571/79, juris; BAGE 37, 382; s. auch BAG vom 08.03.1984, 6 AZR 600/82, juris; BAGE 45, 184) vertritt.
Diese Rechtsprechung steht jedoch nicht im Einklang mit europäischem Recht. In seiner Rechtsprechung zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG bzw. der Vorgängerrichtlinie 93/104/EG hat der Europäische Gerichtshof den Anspruch auf Jahresurlaub und den Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt (vgl. Urteil vom 16.03.2006, Robinson-Steel C-131/04, Rn. 58, NZA 2006, 481 zur Richtlinie 93/104/EG; Urteil vom 20.01.2009, Schulz-Hoff, C-350/06, Rn. 60, NZA 2009, 135 zur Richtlinie 2003/88/EG). Hieraus folgen strengere Anforderungen an die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers als dies nach nationalem Recht der Fall ist. Der Arbeitgeber muss zum einen dem Arbeitnehmer gegenüber erklären, dass er ihn in einem bestimmten Zeitraum von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freistellt. Zum anderen muss er das Entgelt für den Urlaubszeitraum zahlen. Erst wenn der Arbeitgeber auch dieser Verpflichtung nachgekommen ist, tritt die mit der Urlaubsgewährung bezweckte Erfüllungswirkung ein (so Suckow/Klose, JdArbR, Bd. 49, 59, 64).
c) Ist die Verpflichtung zur Zahlung des Urlaubsentgelts Bestandteil des Urlaubsanspruchs so gewinnt für die Frage, ob der Urlaubsanspruch erfüllt ist, § 11 Abs. 2 BurlG an Bedeutung. Auf der Grundlage seiner Rechtsprechung, dass der Urlaubsanspruch ein gesetzlicher Freistellungsanspruch von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung des Lohnes ist, hat das Bundesarbeitsgericht in dieser Vorschrift lediglich eine Fälligkeitsregelung gesehen, die auf die Wirksamkeit der Urlaubserteilung selbst grundsätzlich keinen Einfluss habe (BAG vom 01.11.1983, juris Rn. 31, DB 1984, 1150; BAG vom 18.12.1986, 8 AZR 481/84, juris Rn. 21, DB 1987, 1259).
Noch im Urteil vom 09.01.1979 (6 AZR 647/77, juris Rn. 8, DB 1979, 1138) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Urlaub im gesetzlichen Sinne nur vorliege, wenn der Arbeitnehmer Freizeit und Urlaubsentgelt erhalte; letzteres sei nach der unabdingbaren Vorschrift des § 11 Abs. 2 BUrlG vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen. Auch in diesem Fall ging es um eine Urlaubserteilung nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Das Bundesarbeitsgericht hat selbst bei der eindeutigen Erklärung, dass der Arbeitnehmer die Zeit nach der fristlosen Kündigung zu Erholungszwecken verwenden solle, angenommen, dass dies dem Arbeitgeber nicht genützt hätte, wenn er nicht gleichzeitig Urlaubsentgelt zahle. Der fristlos kündigende Arbeitgeber könne die Abwicklung auch nicht erledigter Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers rechtswirksam nur erreichen, wenn er den Kündigungstermin entsprechend der noch offenen Urlaubsdauer hinausschiebe und in diesem zeitlichen Umfang Urlaub gewähre sowie den Arbeitslohn als Urlaubsentgelt weiterzahle. Dadurch könne er der Gefahr entgehen, im Falle des Unterliegens im Kündigungsschutzprozess das Arbeitsentgelt nachzahlen und darüber hinaus Urlaubsabgeltung zahlen zu müssen.
d) Diese Rechtsprechung, die auf der Grundlage der sog. Einheitstheorie ergangen ist, ist deutlich besser mit der vom Europäischen Gerichtshof vertretenen Ansicht zum Inhalt des Urlaubsanspruchs zu vereinbaren als die spätere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Insoweit gebietet auch hier der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts eine weitgehende Rückkehr zum Auslegungsergebnis der früheren Rechtsprechung zu § 11 Abs. 2 BUrlG. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 07.08.2012 (9 AZR 353/10, juris, Rn. 34, NZA 2012, 1216) für die dortige Fallgestaltung im Hinblick auf § 7 Abs. 3 BUrlG ebenfalls konstatiert. Ihr ist auch im vorliegenden Fall zu folgen.
Da die Beklagte nicht in einer Weise vorgegangen ist, die den dargestellten Anforderungen genügt, ist der Urlaubsanspruch des Klägers nicht gemäß § 362 BGB durch Erfüllung erloschen. Die Beklagte hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht um die dem Kläger noch zustehenden Urlaubstage hinausgeschoben. Mit Abrechnung vom 08.06.2011 hat sie Urlaubsabgeltung geleistet.
e) Auch die im gerichtlichen Vergleich vom 17.06.2011 unter Ziffer 5 vereinbarte Freistellung des Klägers bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2011 enthält keine Urlaubsgewährung. Schon dem Wortlaut nach ist eine Anrechnung auf den Erholungsurlaub des Klägers nicht vorgesehen. Aus der Formulierung, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt „bleibt" ergibt sich schon deshalb keine Urlaubsgewährung, weil nach den obigen Ausführungen die im Kündigungsschreiben erklärte Freistellung gerade keine ordnungsgemäße Urlaubserteilung darstellte.
f) Die Forderung des Klägers ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verzinsen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1, 92 Abs.1 ZPO.
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, soweit es um den Anspruch auf Urlaubsabgeltung ging. Im Übrigen bestand hierfür keine Veranlassung.
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