Schadensersatzpflicht des Tennislehrers, wenn sein Schüler über einen Tennisball stolpert

Gericht

OLG Bremen


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

13. 03. 2013


Aktenzeichen

1 U 13/12


Leitsatz des Gerichts

  1. Zu den Pflichten eines Tennistrainers im Umgang mit Tennisbällen, die während des Unterrichts im Spielfeld liegen bleiben.

  2. Der Tennistrainer hat im Rahmen seiner Schutz- und Fürsorgepflichten dafür Sorge zu tragen, dass sich beim Ballwechsel keine Tennisbälle im Bewegungsradius des Tennisschülers befinden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bremen - 8. Zivilkammer, Einzelrichterin - vom 01.02.2012 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 4.669,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf € 3.030 seit dem 16.10.2009, auf € 139,33 seit dem 13.01.2010 und auf € 1.500,00 seit dem 14.09.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu einer Quote von 2/3 zu ersetzen, soweit der Schaden auf den Tennisunfall vom 28.10.2007 zurückgeht und sofern dahingehende Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 5.254 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Der Kläger macht Zahlungsansprüche nach einem Unfall beim Tennistraining geltend.

Der Beklagte ist ein langjährig erfahrener Tennistrainer. Der im Jahre 1965 geborene Kläger nahm seit August/September 2007 als Anfänger bei dem Beklagten stundenweise Tennisunterricht. In der vierten oder fünften Einzelstunde des Klägers spielten die Parteien bereits ca. 45 Minuten zunächst lange Bälle an die Grundlinie. Sodann sollte der Kläger am Netz kurze Bälle annehmen, als der Beklagte einen hohen Ball spielte, der nicht ganz gerade kam. Der Kläger lief deswegen ein paar Schritte rückwärts, um den Ball zu bekommen. Er trat auf einen im Spielfeld liegenden Tennisball und stürzte. Hierbei erlitt er eine Patellarsehnenruptur im rechten Knie, die eine operative Versorgung erforderlich machte.

Der Kläger macht mit seiner Klage die Zahlung von 4.500 € Schmerzensgeld und 254 € materiellen Schadensersatz geltend. Ferner begehrt er, die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Tennisunfall zu ersetzen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Spieler, der Tennisunterricht nehme, könne zwar ein regelgerechtes Training erwarten, nicht aber, dass er vor sämtlichen Risiken geschützt werde, die dem Tennissport immanent seien. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf das Vorhandensein von Bällen auf dem Spielfeld oder in dessen unmittelbarer Umgebung hinzuweisen, da er insoweit nicht über ein überragendes Wissen verfüge. Eine Pflicht des Trainers, das Spielfeld von Bällen freizuhalten, sei auch mit dem Trainingsalltag nicht zu vereinbaren. Ein normaler Trainingsablauf wäre dann nicht mehr möglich.

Der Kläger wendet sich gegen die Auffassung des Landgerichts. Er macht geltend, im Rahmen des Dienstvertrages würden den Beklagten als erfahrenen Tennistrainer gegenüber dem Kläger als unerfahrenem Schüler besondere Sorgfaltspflichten treffen. Er müsse alles Zumutbare unternehmen, um vorhersehbare Gefahren für den Tennisschüler zu vermeiden. Dazu würden ein methodischer Übungsaufbau und die Aufsicht über das Spiel sowie Fürsorgepflichten gehören. Diese Pflicht habe der Beklagte verletzt, indem er den Kläger am Netz trainierte, obwohl liegen gebliebene Bälle aus der Vorübung im Aktionsbereich des Tennisspiels nicht beseitigt worden seien. Eine Verletzung von Pflichten ergebe sich auch daraus, dass der Beklagte das Rückwärtslaufen des Klägers in einen Bereich, in dem noch Bälle lagen, nicht spontan zu unterbinden versucht habe, obwohl sich hierdurch das Verletzungsrisiko für den Kläger erheblich erhöht habe. Schließlich hätte der Beklagte auch keinen unerwartet hohen Ball in den Rücken des Klägers spielen und diesen dadurch zum Rückwärtslaufen veranlassen dürfen, obgleich in dem rückwärtigen Bereich des Spielfeldes noch Bälle gelegen hätten.

Der Beklagte tritt dem entgegen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Training des Beklagten habe allen Anforderungen genügt. Der Beklagte habe darauf vertrauen können, dass sich der erwachsene Kläger, der im Unfallzeitpunkt schon mehrere Übungsstunden absolviert hatte, auf die mit dem Tennisspielen verbundenen Gefahren eingestellt habe. Bei einem Verhalten, wie es jetzt der Kläger vom Beklagten verlange, nämlich das Spielfeld stets von Bällen freizuhalten, wäre ein Tennisunterricht praktisch unmöglich.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und wegen der Berufungsanträge auf die Sitzungsniederschrift vom 20.02.2013 Bezug genommen.


II.

Die statthafte (§ 511 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO) und weitgehend begründet.

1. Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß §§ 611, 280 Abs. 1, 253, 254 BGB unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 1/3 Ersatz eines materiellen Schadens in Höhe von 169,33 € und ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.500 € verlangen.

a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Beklagte Pflichten aus dem als Dienstvertrag im Sinne von § 611 BGB zu qualifizierenden Trainingsvertrages verletzt.

Auf Grund der Überlegenheit in allen fachlichen Belangen bei gleichzeitiger Unerfahrenheit und Weisungsunterworfenheit des Schülers, der jenem in weitem Umfang vertraut, besteht eine umfassende Verpflichtung eines jeden Sporttrainers, alle für seine Schüler von der Sportausübung selbst ausgehenden Gefahren zu beherrschen und weitestgehend zu vermindern. Hierdurch entstehen für einen Sporttrainer in der jeweiligen Sportart vielgestaltige Warn- und Instruktionspflichten sowie insbesondere umfassende Schutz- und Fürsorgepflichten (Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl., S. 459; Heermann/Götze, Zivilrechtliche Haftung im Sport, S. 146).

Der Senat hat zur Konkretisierung und Beurteilung der Pflichten des Beklagten in der vorliegenden Trainingssituation ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen X., Bundestrainer beim Deutschen Tennisbund, der auch in der Trainerausbildung und der Lehrkommission des Deutschen Tennisbundes tätig ist, eingeholt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen X., an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, ist auch beim Tennisspielen ein Verletzungsrisiko gegeben, welches sich insbesondere durch das Auftreten von Bandverletzungen realisiert. Zur Vermeidung eines solchen Risikos bestehen sowohl bei der Ausbildung von Tennistrainern als auch in der Trainingspraxis konkrete Anforderungen beim Umgang mit "herumliegenden Bällen im Tennisunterricht", die im Tennis-Lehrplan aufgeführt werden. Danach dürfen aus Sicherheitsgründen keine Bälle im Bewegungsradius bzw. Laufweg des Schülers liegen. In der Trainingspraxis werden beim Spielen mit vielen Bällen immer wieder Bälle im Spielfeld liegen. Darum müssen Trainer und Schüler aus Sicherheitsgründen dafür sorgen, dass sich im Bewegungsradius des Schülers keine Bälle befinden. Liegen Tennisbälle in der Nähe des Schülers und hat er sie nicht selbst entfernt, so hat der Trainer den Ballwechsel sofort zu unterbrechen und ihn zu bitten, die Bälle zu entfernen. Sollte es aufgrund des Zuspiels dazu kommen, dass der Schüler in die Nähe der herumliegenden Bälle läuft, so muss der Tennistrainer dies unmittelbar und sofort deutlich mitteilen, z.B. durch den Ruf "Stopp Ball". Bei Übungen am Netz dürfen keine Tennisbälle im Spielfeld neben und hinter dem Schüler liegen. Bälle, die im Sichtfeld des Schülers in unmittelbarer Nähe des Tennisnetzes liegen, können dort verbleiben, solange sie sich nicht in seinem Bewegungsradius befinden. Ebenso können bei Übungen am Netz Bälle in der Nähe des hinteren Begrenzungszaunes liegen bleiben. Bei Übungen im Grundlinienbereich können Bälle im Netzbereich und am hinteren Begrenzungszaun liegen. Bei allen Übungsformen ist darauf zu achten, dass sich kein Ball im Spielfeld befindet. Dies gilt insbesondere für Tennisbälle, die nicht im Sichtbereich des Übenden – also hinter und neben ihm – liegen.

Danach war der Beklagte verpflichtet, bei Übungen am Netz dafür Sorge zu tragen, dass sich keine Bälle im Spielfeld neben oder hinter dem Kläger befinden. Er hätte jedenfalls den Kläger anweisen müssen, den Ball aus dem Spielfeld zu entfernen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist dies im Hinblick auf die erforderliche Sicherheit auch für den Trainingsalltag im Tennis als zumutbar anzusehen. Es ist nicht ersichtlich, dass damit der Trainingsablauf in unangemessener Weise gestört wird. Bei einer konsequenten Erinnerung eines Schülers an diese Pflicht wird er dies ohne großen Aufwand erledigen können, da er lediglich die in dem Gefahrenbereich befindlichen Bälle entfernen muss.

b) Nach Auffassung des Senats ist allerdings ein erhebliches Mitverschulden des Klägers im Sinne von § 254 BGB gegeben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist auch vom Schüler zu erwarten, dass er Bälle aus dem Spielfeld entfernt, wenn er diese wahrnimmt. Im konkreten Fall hält der Senat insoweit ein Mitverschulden, das mit einer Quote von einem Drittel zu berücksichtigen ist, für angemessen. Eine weitergehende Mithaftung ist nach den Umständen des Falles nicht gerechtfertigt. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um einen Anfänger im Tennissport handelt, der bis zu dem Vorfall lediglich vier bis fünf Stunden Unterricht bei dem Beklagten hatte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen befand sich der Kläger in der ersten Lernphase, die in Fachkreisen auch als Grobform umschrieben wird. In einer solchen Phase besteht noch kein oder nur ein undeutliches Bewegungsgefühl. Für den Anfänger ist der Konzentrationsaufwand noch erheblich. Entsprechend hoch sind der Energieaufwand und der Wirkungsgrad, was der Trainer bei seinem Unterricht mit einbeziehen muss. Darüber hinaus ist von einem Anfänger im Tennissport nicht zu erwarten, dass er die von einem herumliegenden Ball ausgehende Gefahr in der gleichen Weise wahrnimmt wie der Beklagte aufgrund seiner Erfahrung als Tennistrainer. Ferner ist zu berücksichtigen, dass erst das fehlerhafte Zuspiel des Beklagten Anlass für die zum Unfall führende Reaktion des Klägers war.

c) Die Pflichtverletzung ist auch kausal für die Verletzung des Klägers am rechten Knie. Das Verschulden des Beklagten wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.

Über die vom Kläger behaupteten genauen Verletzungen und Folgeerscheinungen hat sich der Beklagte mit Nichtwissen erklärt. Für den Senat steht jedoch nach den überzeugenden, in sich klaren und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. in seinem Gutachten vom 15.06.2011 fest, dass der Kläger auf Grund des Sturzes am 28.10.2007 einen Riss der Kniescheibensehne im rechten Kniegelenk erlitten hat und hierbei von einem anhaltenden und möglicherweise zunehmenden Dauerschaden des rechten Kniegelenks auszugehen ist.

d) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB sind insbesondere Art, Umfang, Schwere und Dauer der Beeinträchtigung des Wohlbefindens, aber auch ein etwaiges Mitverschulden des Geschädigten in einer Gesamtabwägung der konkreten Umstande zu berücksichtigen, um ein insgesamt billiges Schmerzensgeld festzusetzen. Das beantragte Schmerzensgeld in Höhe von 4.500 € ist danach auch unter Berücksichtigung des vorliegenden Mitverschuldens angemessen.

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. steht fest, dass das rechte Kniegelenk des Klägers durch die erlittenen Verletzung dicker, härter und geringer belastbar ist als das linke und dass dies mit hörbarem und fühlbarem Reiben der beschädigten Kniescheibenrückenfläche sowie mit Einschränkungen und Schmerzen beim Laufen, Fahrradfahren und Treppenabgehen verbunden ist, was einem Grad der Behinderung des Gesamtorganismus von 25 % entspricht. Dabei ist von besonderem Gewicht, dass sich die Beschwerden in vielen Alltagssituationen bemerkbar machen und es sich um einen Zustand handelt, bei dem eine Verbesserung nicht zu erwarten ist.

e) Hinsichtlich des materiellen Schadens in Form von Attestkosten (25 €), Reisestornokosten (209 €) und einer Kostenpauschale (20 €) besteht eine Einstandspflicht des Beklagten aus §§ 611, 280, 249 ff. BGB unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 1/3, so dass der Kläger insgesamt die Zahlung von 169,33 € verlangen kann. Die Attestkosten und die Reisestornokosten hat der Kläger durch die Rechnung des Arztes Dr. S. vom 17.03.2008 und durch das Schreiben der Firma Thomas Cook Reisen vom 02.11.2007 nachgewiesen. Der Ansatz einer Kostenpauschale in Höhe von 20 € ist gemäß § 287 ZPO grundsätzlich angemessen.

f) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

2. Der Feststellungsantrag ist zulässig und entsprechend den vorstehenden Ausführungen unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 1/3 begründet.

Mit dem festgesetzten Schmerzensgeld werden alle bereits eingetretenen oder erkennbaren sowie alle objektiv vorhersehbaren unfallbedingten Verletzungsfolgen abgegolten (BGH, NJW 2001, 3414). Ein Feststellungsantrag hinsichtlich zukünftiger immaterieller Schäden bezieht sich dagegen auf noch nicht erkennbare und voraussehbare Leiden. Er ist begründet, wenn eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden besteht (BGH, NJW-RR 1989, 1367). Nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten liegt eine Verschlechterung des eingetretenen Dauerschadens im Bereich des Möglichen. Dementsprechend sind zukünftige materielle und immaterielle Schäden, die mit diesem Urteil nicht abgegolten werden, weil sie noch nicht erkennbar oder voraussehbar sind, nicht auszuschließen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hingegen auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


gez. Dr. Pellegrino

Vorinstanzen

LG Bremen, 8 O 1806/11

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht; Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB §§ 611, 280 Abs. 1, 253, 254