Haftungsbegrenzung bei Verlust von Reisegepäck
Leitsatz des Gerichts
Art. 22 II i. V. mit Art. 3 III des am 28.5.1999 in Montreal geschlossenen Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das von der Europäischen Gemeinschaft am 9.12.1999 unterzeichnet und mit Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5.4.2001 in ihrem Namen genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass der Anspruch auf Entschädigung und die Haftungsbegrenzung des Luftfrachtführers bei Verlust von Reisegepäck auch für den Reisenden gelten, der diese Entschädigung für den Verlust eines Gepäckstücks fordert, das von einem Mitreisenden aufgegeben wurde, sofern dieses verloren gegangene Gepäckstück tatsächlich Gegenstände des Reisenden enthielt.
Entscheidungsgründe
Rechtlicher Rahmen
Übereinkommen von Montreal
Nach dem dritten Absatz der Präambel des Übereinkommens von Montreal erkennen dessen Vertragsstaaten die „Bedeutung des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadensersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs“ an.
Im fünften Absatz dieser Präambel heißt es, dass „gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch ein neues Übereinkommen das beste Mittel ist, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen“.
Art. 3 („Reisende und Reisegepäck“) Abs. 3 des Übereinkommens von Montreal bestimmt:
„Der Luftfrachtführer hat dem Reisenden für jedes aufgegebene Gepäckstück einen Beleg zur Gepäckidentifizierung auszuhändigen.“
Art. 17 („Tod und Körperverletzung von Reisenden – Beschädigung von Reisegepäck“) dieses Übereinkommens sieht in Abs. 2 und 4 vor:
„(2) Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht, jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das die Zerstörung, der Verlust oder die Beschädigung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand. Der Luftfrachtführer haftet jedoch nicht, wenn und soweit der Schaden auf die Eigenart des Reisegepäcks oder einen ihm innewohnenden Mangel zurückzuführen ist. Bei nicht aufgegebenem Reisegepäck, einschließlich persönlicher Gegenstände, haftet der Luftfrachtführer, wenn der Schaden auf sein Verschulden oder das Verschulden seiner Leute zurückzuführen ist.
…
(4) Vorbehaltlich entgegenstehender Bestimmungen bezeichnet in diesem Übereinkommen der Begriff ‚Reisegepäck‘ sowohl aufgegebenes als auch nicht aufgegebenes Reisegepäck.“
Art. 22 des Übereinkommens, der die „Haftungshöchstbeträge bei Verspätung sowie für Reisegepäck und Güter“ festlegt, bestimmt in der hier maßgeblichen Fassung in Abs. 2:
„Bei der Beförderung von Reisegepäck haftet der Luftfrachtführer für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung nur bis zu einem Betrag von 1 000 Sonderziehungsrechten je Reisenden; diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Reisende bei der Übergabe des aufgegebenen Reisegepäcks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben und den verlangten Zuschlag entrichtet hat. In diesem Fall hat der Luftfrachtführer bis zur Höhe des angegebenen Betrags Ersatz zu leisten, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Reisenden an der Ablieferung am Bestimmungsort.“
Unionsrecht
Das Übereinkommen von Montreal ist für die Gemeinschaft am 28. Juni 2004 in Kraft getreten.
Der erste Erwägungsgrund des Beschlusses 2001/539 lautet:
„Die Luftfahrtunternehmen der Europäischen Gemeinschaft sollten ihre Beförderungen nach klaren und einheitlichen Regeln für die Haftung im Schadensfall erbringen; diese Regeln sollten die gleichen sein, die auch für Drittlandsunternehmen gelten.“
Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr (ABl. L 285, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 (ABl. L 140, S. 2) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2027/97) bestimmt:
„Diese Verordnung setzt die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr um und trifft zusätzliche Bestimmungen. …“
1Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2027/97 lautet:
„Für die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck gelten alle einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal.“
Im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 889/2002 heißt es, dass durch „einheitliche, für alle Beförderungen durch Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft geltende Haftungshöchstbeträge für Verlust, Beschädigung oder Zerstörung von Reisegepäck sowie für Schäden, die durch Verspätung entstehen, … sichergestellt [wird], dass sowohl für die Fluggäste als auch für die Luftfahrtunternehmen einfache und klare Regeln gelten und dass der Fluggast erkennen kann, wann er eine zusätzliche Versicherung benötigt“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfrage
Herr Espada Sánchez, Frau Oviedo Gonzáles und ihre beiden minderjährigen Kinder traten am 1. August 2008 einen Flug der Gesellschaft Iberia von Barcelona (Spanien) nach Paris (Frankreich) an. Das Reisegepäck der vierköpfigen Familie war auf zwei Koffer verteilt. Diese gingen während des Fluges verloren und wurden nicht wiedergefunden.
Deshalb verlangen die vier Reisenden von Iberia gemäß Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal Schadensersatz in Höhe von 4 400 Euro, was 4 000 Sonderziehungsrechten (im Folgenden: SZR) entspricht, d. h. 1 000 SZR je Reisenden.
Mit Urteil vom 18. März 2010 gab der Juzgado Mercantil n° 2 de Barcelona ihrer Klage teilweise statt und verurteilte Iberia zur Zahlung von 600 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen.
Die Audiencia Provincial de Barcelona, bei der Berufung gegen dieses Urteil eingelegt wurde, ist sich nicht sicher, wie Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal auszulegen ist. Sie führt insoweit aus, dass nicht ausgeschlossen sei, dass diese Bestimmung im Licht des Art. 3 Abs. 3 dieses Übereinkommens betrachtet vorsehe, dass bei Verlust von Reisegepäck nur der Reisende einen Schadensersatzanspruch habe, der den in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Beleg zur Gepäckidentifizierung erhalten habe.
Unter diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de Barcelona das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die in Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal vorgesehene Beschränkung der Haftung des Luftfrachtführers für Zerstörung, Verlust oder Beschädigung des Gepäcks auf höchstens 1 000 SZR je Reisenden in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens als Höchstgrenze je Reisenden auszulegen, wenn mehrere Reisende gemeinsam reisen und ihr gemeinsames Gepäck aufgeben, wobei es keine Rolle spielt, dass die Zahl der aufgegebenen Gepäckstücke geringer ist als die Zahl der tatsächlich Reisenden?
2. Oder ist die in dieser Vorschrift vorgesehene Haftungsbeschränkung im Gegenteil dahin auszulegen, dass es für jedes aufgegebene Gepäckstück nur einen Reisenden geben kann, der Anspruch auf eine Entschädigung hat, so dass die Höchstgrenze nur für diesen einen Reisenden gilt, selbst wenn der Nachweis erbracht wurde, dass das verloren gegangene Gepäck, für das ein einziger Beleg zur Gepäckidentifizierung ausgegeben wurde, mehr als einem einzigen Reisenden gehörte?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen ist, dass der Anspruch auf Entschädigung und die Haftungsbegrenzung des Luftfrachtführers bei Verlust von Reisegepäck auch für den Reisenden gelten, der Entschädigung wegen Verlusts eines Gepäckstücks fordert, das von einem Mitreisenden aufgegeben wurde.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2027/97 für die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck alle einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal gelten.
Da die Bestimmungen dieses Übereinkommens seit dessen Inkrafttreten ein wesentlicher Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, ist der Gerichtshof zur Vorabentscheidung über dessen Auslegung befugt, unter Beachtung der Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts, an die die Union gebunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 2010, Brita, C‑386/08, Slg. 2010, I‑EUGH-SLG Jahr 2010 I Seite 1289, Randnrn. 39 bis 42, und vom 6. Mai 2010, Walz, C‑63/09, Slg. 2010, I‑EUGH-SLG Jahr 2010 I Seite 4239, Randnrn. 20 und 22 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Zu letzterem Punkt hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 zwar weder die Gemeinschaft noch alle Mitgliedstaaten bindet, dass es jedoch die Regeln des Völkergewohnheitsrechts wiedergibt, die als solche die Organe der Union binden und Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind (vgl. Urteil Brita, Randnr. 42).
Gemäß Art. 31 dieses Übereinkommens ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen (Urteil vom 15. Juli 2010, Hengartner und Gasser, C‑70/09, Slg. 2010, I‑EUGH-SLG Jahr 2010 I Seite 7233, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil Walz, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus Art. 17 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal ergibt sich, dass der Luftfrachtführer insbesondere den Schaden zu ersetzen hat, der durch Verlust von Reisegepäck entsteht. Art. 22 Abs. 2 dieses Übereinkommens bestimmt u. a., dass der Luftfrachtführer bei „der Beförderung von Reisegepäck … für … Verlust … nur bis zu einem Betrag von 1 000 [SZR] je Reisenden“ haftet.
Aus den in der vorstehenden Randnummer angeführten Bestimmungen geht zum einen hervor, dass der durch den Verlust von Reisegepäck entstandene Schaden die Haftung des Luftfrachtführers auslöst, und zum anderen, dass der Reisende in den dort festgelegten Grenzen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens hat.
Ferner ergibt sich aus Art. 17 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal, dass der Luftfrachtführer für den Verlust des gesamten – sowohl des aufgegebenen als auch des nicht aufgegebenen – Gepäcks der Reisenden haftet. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass in Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal der Begriff „Reisegepäck“ verwendet wird, der nach Art. 17 Abs. 4 des Übereinkommens vorbehaltlich entgegenstehender Bestimmungen „sowohl aufgegebenes als auch nicht aufgegebenes Reisegepäck“ bezeichnet.
Diese Auslegung wird nicht durch Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens von Montreal in Frage gestellt, wonach „der Luftfrachtführer … dem Reisenden für jedes aufgegebene Gepäckstück einen Beleg zur Gepäckidentifizierung auszuhändigen“ hat. Entgegen dem Vorbringen von Iberia und der Europäischen Kommission erlegt diese Bestimmung, wie die deutsche Regierung zutreffend geltend gemacht hat, dem Luftfrachtführer lediglich eine Verpflichtung zur Identifizierung des aufgegebenen Gepäcks auf. Aus ihr lässt sich nicht herleiten, dass der Anspruch auf Entschädigung bei Verlust von Reisegepäck und die entsprechende Haftungsbegrenzung, die in Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens vorgesehen sind, nur für Reisende gelten, die mindestens ein Gepäckstück aufgegeben haben.
Die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal sind daher zusammen betrachtet dahin auszulegen, dass der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen hat, der einem Reisenden durch den Verlust eines von einem Mitreisenden, der denselben Flug genommen hat, aufgegebenen Gepäckstücks entsteht, sofern sich in diesem verloren gegangenen Gepäckstück Gegenstände des Reisenden befunden haben, deren Verlust den ihm entstandenen Schaden begründet. Folglich räumt das Übereinkommen von Montreal nicht nur dem Reisenden, der sein eigenes Reisegepäck individuell aufgegeben hat, sondern auch dem Reisenden, dessen Gegenstände sich in dem von einem Mitreisenden, der denselben Flug genommen hat, aufgegebenen Reisegepäck befunden haben, bei Verlust dieser Gegenstände einen individuellen Anspruch auf Schadensersatz nach den Modalitäten des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 des Übereinkommens und in den Grenzen des Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens ein.
Dieses Ergebnis wird durch die Ziele bestätigt, die mit dem Abschluss des Übereinkommens von Montreal verfolgt wurden.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im dritten Absatz der Präambel des Übereinkommens die „Bedeutung des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadensersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs“ anerkannt wird. Diese beiden Ziele würden jedoch zwangsläufig in Frage gestellt, wenn ein Reisender, dessen Gegenstände sich im Reisegepäck befunden haben, das ein Mitreisender, der denselben Flug genommen hat, aufgegeben hat, selbst keinen Ersatz des durch ihren Verlust entstandenen Schadens erlangen könnte.
Darüber hinaus haben die Vertragsstaaten des Übereinkommens von Montreal beschlossen, eine strenge Haftungsregelung vorzusehen, die jedoch impliziert, dass für einen „gerechten Interessenausgleich“ gesorgt wird, insbesondere in Bezug auf die Interessen der Luftfahrtunternehmen und der Fluggäste (vgl. Urteil Walz, Randnrn. 31 und 33). Um für einen solchen Ausgleich zu sorgen, sieht das Übereinkommen in bestimmten Fällen – insbesondere, nach Art. 22 Abs. 2, bei Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung von Reisegepäck – eine Begrenzung der Haftung der Luftfahrtunternehmen vor, wobei der Höchstbetrag der daraus resultierenden Entschädigung „je Reisenden“ gilt (vgl. Urteil Walz, Randnr. 34).
Dies wäre jedoch nicht der Fall, wenn Gegenstände eines Reisenden, die sich im Reisegepäck eines Mitreisenden, das dieser aufgegeben hat, befinden, von dem in diesem Übereinkommen vorgesehenen Schadensersatzanspruch deshalb nicht erfasst würden, weil dieses Reisegepäck nicht vom Reisenden selbst aufgegeben wurde.
Darüber hinaus kann nicht geltend gemacht werden, dass die Zuerkennung des Anspruchs auf Entschädigung in Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal an einen Reisenden, dessen Gegenstände sich im von einem Mitreisenden aufgegebenen Reisegepäck befanden, den gerechten Interessenausgleich beeinträchtigen würde, da sie zur Folge hätte, dass den Luftfrachtführern eine übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet würde, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte, und damit gegen dieses Übereinkommen verstieße.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine solche Zuerkennung keinesfalls verhindert, dass die Luftfrachtführer die sie gegebenenfalls treffende Ersatzpflicht eindeutig je Reisenden feststellen und berechnen können.
Sodann ist nicht davon auszugehen, dass diese potenzielle Belastung die wirtschaftliche Tätigkeit der Luftfrachtführer gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte. Die in Randnr. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Haftungsbegrenzungen wirken sich nämlich zu ihren Gunsten aus, und die für Reisegepäck vorgesehene Grenze stellt nach Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal einen Höchstbetrag für die Entschädigung dar, den daher nicht jeder Reisende bei Verlust seines Reisegepäcks automatisch und pauschal erhält. Außerdem haftet der Luftfrachtführer nach Art. 17 Abs. 2 des Übereinkommens nicht, wenn und soweit der Schaden auf die Eigenart des Reisegepäcks oder einen ihm innewohnenden Mangel zurückzuführen ist.
Schließlich ist festzustellen, dass es im Hinblick auf den Schadensersatz nach Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens von Montreal Sache der betroffenen Reisenden ist, unter Nachprüfung durch das nationale Gericht den Inhalt des verloren gegangenen Reisegepäcks und den Umstand, dass das von einem Mitreisenden aufgegebene Reisegepäck tatsächlich Gegenstände eines anderen Reisenden, der denselben Flug genommen hat, enthielt, rechtlich hinreichend nachzuweisen. Dabei kann das nationale Gericht berücksichtigen, dass diese Reisenden Familienmitglieder sind, ihre Flugscheine zusammen gekauft oder außerdem gemeinsam eingecheckt haben.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen ist, dass der Anspruch auf Entschädigung und die Haftungsbegrenzung des Luftfrachtführers bei Verlust von Reisegepäck auch für den Reisenden gelten, der diese Entschädigung für den Verlust eines Gepäckstücks fordert, das von einem Mitreisenden aufgegeben wurde, sofern dieses verloren gegangene Gepäckstück tatsächlich Gegenstände des Reisenden enthielt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und mit Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass der Anspruch auf Entschädigung und die Haftungsbegrenzung des Luftfrachtführers bei Verlust von Reisegepäck auch für den Reisenden gelten, der diese Entschädigung für den Verlust eines Gepäckstücks fordert, das von einem Mitreisenden aufgegeben wurde, sofern dieses verloren gegangene Gepäckstück tatsächlich Gegenstände des Reisenden enthielt.
Unterschriften
Rechtsgebiete
Gemeinschaftsrecht (Europa); Reiserecht
Normen
Übereinkommen von Montreal Art. 22 II