Flugreisender muss sich auf Minderungsanspruch wegen Verspätung die Ausgleichszahlung anrechnen lassen
Gericht
AG Rostock
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
14. 01. 2012
Aktenzeichen
47 C 256/12
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin fordert eine Reisepreisminderung aufgrund einer Flugverspätung; strittig ist die Notwendigkeit der Anrechnung einer Ausgleichszahlung durch das Luftfahrtunternehmen.
Die Klägerin buchte bei der Beklagten als Reiseveranstalterin für sich und ihren Ehemann eine Kreuzfahrt für den Zeitraum vom 24.2. bis 2.3.2012. Der Gesamtreisepreis betrug 3.188,- EUR. Der Rückflug von Dubai nach Düsseldorf verspätete sich um 25 Stunden. Hierfür erhielt die Klägerin für sich und ihren Ehemann durch die Fluggesellschaft auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend: Verordnung bzw. VO) eine Ausgleichsleistung i.H.v. insgesamt 1.200,- EUR.
Mit der Klage fordert die Klägerin eine Minderung des Tagesreisepreises in Höhe von 5% ab der fünften Verspätungsstunde, d.h. einen Betrag in Höhe von insgesamt 478,17 EUR. …
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Flugverspätung bei der Rückreise von der bei der Beklagten gebuchten Kreuzfahrtreise keinen auf einen Minderungsanspruch zurückzuführenden teilweisen Rückzahlungsanspruch des Reisepreises.
Die Klägerin muss sich einen gegenüber der Beklagten bestehenden Minderungs- und damit Rückzahlungsanspruch gemäß Art. 12 Abs. 1 VO, die von dem Luftfahrtunternehmen erhaltene Ausgleichszahlung, die den hier geltend gemachten Minderungsbetrag übersteigt, anrechnen lassen.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 VO können die nach der vorgenannten Vorschrift gewährten Ausgleichszahlungen auf einen weitergehenden Schadensersatzanspruch des Fluggastes angerechnet werden. Diese Anrechnung hat hier zu erfolgen, weil sich die Beklagte darauf beruft.
Die - im Übrigen unstrittig - bestehenden Minderungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aufgrund der 25-stündig verspäteten Rückreise unterfallen dem Begriff "weitergehender Schadensersatzanspruch" i.S.d. oben genannten Regelung.
Maßgebend hierfür ist insbesondere die Tatsache, dass mit der Fluggastrechte-Verordnung "Ärgernisse" und "große Unannehmlichkeiten" abgegolten werden sollen, die im Zusammenhang mit verspäteten oder ausgefallenen Flügen entstehen. Eine Unterscheidung zwischen verschuldensunabhängigen bzw. verschuldensabhängigen Ansprüchen wird nicht vorgenommen. Die Bedeutung des Wortes "Schadensersatz" in der Fluggastrechte-Verordnung geht über die im deutschen Recht gebräuchliche Verwendung des Wortes Schadensersatz hinaus und umfasst alle Formen des Ausgleichs. Auch in der Pauschalreise-Richtlinie (Richtlinie 901 314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen) erfolgt keine Unterscheidung von Reisepreisminderung und Schadensersatz wegen eines Reisemangels. Dies zeigt, dass mit Schadensersatzansprüchen in der Fluggastrechte-Verordnung allgemeine Entschädigungsansprüche ohne weitere Differenzierungen gemeint sind (zu den vorstehenden Argumenten ausführlich Staudinger / Staudinger [2011], § 651d Rn. 8; Leffers, Reisepreisminderung und Ausgleichsleistung nach der Verordnung (EG-Nr. 261/2004), …).
Nach deutschem Recht bestehen Minderungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund von Mängeln bei der Durchführung des Reisevertrages nebeneinander. Beide Ansprüche dienen der Kompensation von Unannehmlichkeiten und Schäden, die aufgrund der mangelhaften Durchführung der Reiseleistung entstanden sind. Neben der Herabsetzung des Reisepreises aufgrund eines Minderungsanspruches und dem Ausgleich eventuell entstandener materieller Schäden sieht das deutsche Reisevertragsrecht zur weiteren Kompensation mangelbedingter Unannehmlichkeiten bei erheblichen Mängeln einen Entschädigungsanspruch für entgangene Urlaubsfreude vor. Es besteht demzufolge ein umfassendes Regularium zum Ausgleich der gegenseitig erbrachten Leistungen (Reisepreis und mangelhafte Reiseleistung) sowie aller materiellen und immateriellen Schäden. Die Betonung liegt auf dem Wort "alle". Eine Verneinung der Ausgleichs- bzw. Anrechnungsmöglichkeit entsprechend Art. 12 Abs.1 VO hätte zur Folge, dass der Reisende für denselben Mangel mehrfach Ausgleichs- bzw. Entschädigungszahlungen erhalten würde. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Ausgleichs- und Kompensationsleistungen höher wären, als dies nach dem Gemeinschaftsrecht oder dem nationalen Recht jeweils vorgesehen ist. Es liegt auf der Hand, dass dies weder vom deutschen noch vom europäischen Gesetzgeber beabsichtigt ist.
Zusammenfassend werden mit der Regelung in Art. 12 Abs.1 VO Überkompensationen verhindert. Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO sind deshalb mit Minderungs- und Schadensersatzansprüchen, die nach unmittelbaren deutschem Reisevertragsrecht bestehen, zu verrechnen (a.a.O.; Führich Reiserecht [6. Aufl.], Rn. 1065 a; …).
Mangels berechtigter Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen. …
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 ZPO liegen nicht vor. Vorliegend fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung. Ein solche liegt vor, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (Zöller / Heßler, ZPO [29. Aufl.], § 543 Rn.11 m.w.N.). Hier fehlt es insbesondere - soweit ersichtlich - an gegenteiligen Auffassungen in der Rechtssprechung und Literatur.
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