Flugverspätung wegen Triebwerkschaden durch Vogelschlag

Gericht

LG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 11. 2012


Aktenzeichen

2-24 S 111/12


Entscheidungsgründe


Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Leistung einer Ausgleichszahlung in Höhe von 600,- EUR gemäß Art. 7 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004, nachfolgend: VO) sowie Schadenersatz bzw. Reisepreisminderung i.H.v. 32,74 EUR.

Der Kläger buchte bei der Beklagten den Hinflug von Frankfurt a.M. über Brüssel nach Banjul / Gambia und den entsprechenden Rückflug von Banjul / Gambia über Brüssel nach Frankfurt a.M.

Der Flug von Frankfurt a.M. nach Brüssel war verspätet, so dass der Kläger den Anschlussflug in Brüssel verpasste. Der Weiterflug erfolgte einen Tag später.

Der Flug am 18.1.2010 von Banjul / Gambia via Dakar nach Brüssel (Flugnummer: S. 204) sollte in Banjul um 21:00 Uhr Ortszeit starten.

Dieser Flug sollte nach den Planungen der Beklagten mit der Maschine durchgeführt werden, die an diesem Tag (18.1. 2010) als Flug SN 203 aus Brüssel über Dakar ankam.

Diese besagte Maschine erlitt jedoch im Anflug bei der Landung in Banjul einen sog. Vogelschlag, wodurch es zu einer Beschädigung an dem Triebwerk Nr. 2 kam. Aufgrund dieses erlittenen technischen Defekts in Form des Triebwerkschadens konnte diese Maschine mangels rechtzeitiger Reparatur nicht mehr für die geplante Durchführung des vom Kläger gebuchten Fluges von Banjul nach Brüssel (Flugnummer S. 204) am 18.1.2010 um 21:00 Uhr eingesetzt werden. Ersatzflugzeuge in Banjul standen der Beklagten nicht zur Verfügung.

Die Beklagte musste ein Ersatzflugzeug einfliegen, wozu sie umgehend einen Sonderflug unter der Flugnummer S. 9903 von Brüssel nach Banjul organisierte. Diese Maschine landete am Abend des 19.1.2010 in Banjul. Mit diesem Flugzeug konnte der Kläger sodann am Abend des 19.1.2010 den Flug von Banjul nach Brüssel antreten. Es folgten Zwischenstopps in Dakar und Malaga. Von Brüssel erfolgte der Weiterflug nach Frankfurt a.M., wo der Kläger am.20.1.2010 ankam.

Hinsichtlich des verspäteten Hinflugs macht der Kläger noch einen Schadenersatz bzw. Reisepreisminderungsanspruch in Höhe von 20,- EUR wegen einer nicht genutzten Übernachtung am Urlaubsort geltend.

Hinsichtlich des verspäteten Rückflugs macht der Kläger zusätzlich noch einen Schadenersatzanspruch i.H. v. 12,74 EUR wegen aufgewandter Telefonkosten geltend. …

Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche hat das Amtsgericht als unbegründet erachtet. …

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. …

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen auf Leistung einer Ausgleichszahlung gem. Art. 7 VO i.H.d geltend gemachten 600,- EUR.

Die Kammer teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass vorliegend ein Anspruch des Klägers auf Leistung einer Ausgleichszahlung wegen des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO ausscheidet.

Es kann letztlich dahinstehen, ob als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Ausgleichsleistung von 600,- EUR eine Annullierung des Flugs von Banjul nach Brüssel am 18.1.2010 gem. Art. 5, 7 VO greift oder die vom EuGH entwickelte Rechtsprechung zur Ausgleichsleistung bei verspäteten Flügen (Urt. v. 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07 - Sturgeon u.a., … und Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C-581/1O und C-629/1O - Nelson u.a., …).

Für beide Anspruchsgrundlagen gilt der Ausschlussgrund des außergewöhnlichen Umstands gem. Art. 5 Abs. 3 VO.

Danach muss eine Ausgleichszahlung nicht geleistet werden, wenn die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Das gilt entsprechend im Fall der einer Annullierung gleichstehenden Verspätung. Eine solche Verspätung führt dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, Urt. v. 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07 - Sturgeon u.a., Ziff. 69, … und Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C-581/l0 und C-629/l0 - Nelson u.a., Ziff. 40, …).

a) Technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, begründen für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung befreien können, bei einer aufgrund des Defekts erforderlichen Annullierung des Flugs die nach Art. 7 VO vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat (BGH, Urt. v. 12.11. 2009 - Xa ZR 76/07, Rn. 13, …).

Als außergewöhnlicher Umstand kann ein technisches Problem nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann angesehen werden, wenn es seine Ursache in einem der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung genannten Umstände hat. Derartige Umstände sind insbesondere politische Instabilität, Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel, oder Streik, also Umstände, die nicht in die beherrschbare betriebliche Sphäre des Luftfahrtunternehmens fallen. Technische Gründe sind regelmäßig kein Entlastungsgrund, weil diese in der besonderen Risikosphäre des Flugunternehmens liegen (EuGH Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07 - Wallentin-Hermann, Rn. 23 ff., …). Indessen lässt sich nicht ausschließen, dass auch technische Probleme zu solchen "außergewöhnlichen Umständen" zu rechnen sind, soweit sie auf Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, Rn. 26, …). So verhielte es sich z.B. dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen mit einem versteckten Fabrikationsfehler behaftet sind, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches würde bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen gelten. (EuGH, Rn. 26, …; BGH, Rn. 14, …).

b) Ob ein Triebwerksschaden infolge Vogelschlags als solch ein außergewöhnlicher und daher das Flugunternehmen entlastender Umstand anzusehen ist, wird unterschiedlich beurteilt.

Nach einer Auffassung soll ein Triebwerksschaden infolge Vogelschlags nicht als außergewöhnlicher Umstand zu werten sein (AG Hamburg, Urt. v. 5.4.2011 - 22 A C 215/10; Bartlik, …; KG, Beschl. v. 30.4.2009 - 8 U 15/ 09, Rn.4 ff., zu § 651j Abs. 1 BGB).

Dagegen geht die wohl ganz überwiegende Auffassung, die auch die Kammer teilt, davon aus, dass ein Triebwerksschaden infolge Vogelschlags als außergewöhnlicher Umstand zu werten ist (LG Hamburg, Urt. v. 13.1.2012 - 318 S 98/11, …; LG Düsseldorf, Urt. v. 8.8.2008 - 22 S 378/07; LG Darmstadt, Urt. v. 1.8.2007 - 21 S 263/06; AG Bremen, Urt. v. 29.12.2011 - 9 C 91/11; AG Leipzig, Urt. v. 7.7. 2010 - 109 C 7651/09; Müller-Rostin, …; Führich, Reiserecht [6. Aufl. 2010], Rn. 1035; wohl auch LG Hannover, Urt. v. 18.1.2012 - 14 S 52/11, Ziff. 27, …; offen gelassen AG Erding, Urt. 3.1.2011 - 5 C 1059/10).

Die Kammer bleibt ihrer Auffassung, dass ein Triebwerksschaden infolge Vogelschlags als außergewöhnlicher Umstand zu werten ist.

Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass das Ereignis eines Vogelschlags und damit einhergehende, denkbare technische Defekte am Fluggerät in den Bereich außerhalb des organisatorischen und technischen Verantwortungsbereichs der Luftfahrtgesellschaft fällt, und von dieser weder beherrscht noch abgewendet werden kann. Bei einem Vogelschlag kommt das für den einzelnen Flug unvorhersehbare Ereignis, bei dem sich allein ein im Schadensfall liegender Defekt des Fluggeräts als Ausdruck eines sekundären betrieblichen Zusammenhangs darstellt, von außen.

Bei der Einwirkung eines Vogelschlages auf ein Flugzeug bzw. Flugzeugbestandteile handelt es sich gerade nicht um einen Teil der "normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens" und ferner ist ein solcher "aufgrund seiner Natur oder Ursache" von diesem tatsächlich auch nicht zu beherrschen ist. Defekte, die durch einen Vogelschlag herbeigeführt worden sind, zeigen sich zwar regelmäßig erst bei näherer Untersuchung, sind aber nicht auf mangel- bzw. fehlerhafte oder unterbliebene Wartung des Flugzeuges zurückzuführen, sondern auf eine von außen kommende, vom Luftfahrtunternehmen weder vorherzusehende noch vermeidbare Einwirkung von außen. Es ist keineswegs "normal", dass Flugzeuge - willentlich - mit Vögeln in Kontakt gebracht werden. Vielmehr wird die Vermeidung solcher Kontakte nach verständiger Würdigung der Verkehrssitte das primäre Ziel der Luftfahrtunternehmen sein. Außerdem ist eine solche Einwirkung auch nicht "beherrschbar", weil nicht erkennbar ist, in welcher Art und Weise Luftfahrtunternehmen dafür Sorge tragen könnten, dass kein Vogel mit dem Triebwerk eines Flugzeugs kollidiert und dort Schaden anrichtet (und selbst nimmt). Zwar kommt es zu einer "konkurrierenden Nutzung des Luftraumes durch Flugzeuge und Vögel", aber gegenseitige Kollisionen sind nicht integraler Bestandteil des Flugbetriebes (vgl. LG Hamburg, …).

c) Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass das Ereignis auch nicht durch den Einsatz etwaiger zumutbarer Maßnahmen durch die Beklagte vermeidbar im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO war.

In diesem Zusammenhang hat der EuGH entschieden, dass, da nicht alle außergewöhnlichen Umstände zu einer Befreiung führen, es demjenigen, der sich darauf berufen möchte, obliegt, darüber hinaus den Nachweis zu führen, dass sie sich jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätten vermeiden lassen, d. h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechenden außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind. Dieses hat nämlich nachzuweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung des Fluges geführt haben (EuGH, Urt. v. 12.5. 2011, Rs. C-294/10 - Eglitis u.a. Ziff. 25).

Es gibt - soweit ersichtlich - bislang keine Vorrichtungen an Flugzeugen selbst, die Vögel vergrämen oder Schäden durch Vogelschlag verhindern könnten.

Zwar kann im Einzelfall ein Vogelschlag durch Vogelvergrämungsmaßnahmen am Boden verhindert werden, jedoch bieten diese Vogelvergrämungsmaßnahmen am Boden auch keinen umfassenden Schutz. Jedoch ist diesbezüglich auch maßgeblich zu berücksichtigen, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, dass diese Vogelvergrämungsmaßnahmen am Boden nicht durch das jeweilige Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, sondern vielmehr durch den jeweiligen Betreiber des Flughafens. Insoweit liegen die Vogelvergrämungsmaßnahmen am Boden außerhalb des Einflussbereichs des Luftfahrtunternehmens. Insoweit muss sich ein Luftfahrtunternehmen auch nicht für vermeintlich unterlassene oder nicht ausreichend effektive Verhaltensweisen von Flughafenbetreibern verantwortlich machen lassen, wie das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat. Es kann einem Luftfahrtunternehmen auch nicht zugemutet werden, selbst für Vogelvergrämungsmaßnahmen am Boden zu sorgen für alle Flughäfen, die von ihm angeflogen werden.

Weiterhin hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass es den Fluggesellschaften nicht zumutbar ist, an jedem Zielort, wie hier Banjul in Gambia, eine Ersatzmaschine für einen etwaigen Schaden am (regulären) Flugzeug vorzuhalten (so auch LG Hannover, Ziff. 3.1, …). Dies gilt insbesondere auch für Flughäfen, wie den vorliegenden, der nach Angaben des Klägers lediglich dreimal in der Woche angeflogen wird. Dies wäre angesichts der massiven Zusatzkosten für die Fluggesellschaften wirtschaftlich offensichtlich unzumutbar.

Vorliegend war es auch so, dass der Triebwerksschaden infolge Vogelschlags genau an der Maschine eintrat, die nach kurzem Aufenthalt in Banjul den Flug des Klägers nach Brüssel hätte durchführen sollen. Insoweit war von dem außergewöhnlichen Umstand unmittelbar die Maschine betroffen, die den Kläger auf dem unmittelbar nächsten anschließenden Flug hätte befördern sollen (Abgrenzung zum Urteil des EuGH v. 4.10.2012, Rs, C-22/11 - Finnair, …).

Die Beklagte hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass die einzige zumutbare Möglichkeit, den Folgen des eingetretenen außergewöhnlichen Umstands zu begegnen, das Einfliegen einer Ersatzmaschine aus Brüssel gewesen ist. Eine zeitnahe Reparatur der defekten Maschine war nicht möglich und andere Ersatzflugzeuge standen nicht zur Verfügung.

Nach all dem liegt der Ausschlussgrund der außergewöhnlichen Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 VO vor. Danach scheidet eine Ausgleichszahlung aus.

2. Der Kläger hat keine Schadenersatzansprüche bzw. Reisepreisminderungsansprüche gegen die Beklagte wegen ungenutzter Hotelkosten und Telefonkosten in Höhe von insgesamt 32,74 EUR.

Zutreffend hat das Amtsgericht entsprechende Ansprüche verneint. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts wird Bezug genommen.

Konkrete Berufungsangriffe liegen insoweit auch nicht vor.

Ergänzend ist lediglich anzuführen, dass soweit der Kläger reisevertragliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend, diese bereits daran scheitern, dass zwischen den Parteien kein Reisevertrag vorliegt, sondern ein Luftbeförderungsvertrag, der sich nach Werkvertragsrecht richtet.

Nach all dem war die Berufung zurückzuweisen.

III. …

Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen.

Die Frage, ob ein Schaden aufgrund Vogelschlags die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO begründen kann, ist nicht ganz unumstritten und noch nicht obergerichtlich geklärt und hat für eine Vielzahl von Fällen grundsätzliche Bedeutung. …

Rechtsgebiete

Reiserecht