Flugpreiserstattung aufgrund Stornierung darf in den AGB nicht vollständig ausgeschlossen werden

Gericht

AG Rüsselsheim


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

16. 05. 2012


Aktenzeichen

3 C 119/12 (36)


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Rückerstattung einer gezahlten Vergütung für eine gekündigte Flugbeförderung.

Die Kläger buchten bei der Beklagten für sich und ihre Tochter am 21.1.2011 über das Internetportal X. eine Flugreise von Frankfurt a. M. nach Honolulu über Anchorage und zurück. Der Hinflug sollte am 31.7.2011, der Rückflug am 20.8.2011/21.8.2011 erfolgen.

Der Buchung lag ein günstigerer Tarif als der von der Beklagten angebotene "Flex-Tarif' zu Grunde, bei dem unter anderem Stornierungen zu günstigen Pauschalsätzen möglich waren.

Die Buchung erfolgte unter Einbeziehung der Allgemeinen Geschäfts- und Beförderungsbedingungen der Beklagten (nachfolgend: AGB); ... . Unter Ziffer 5.2 heißt es hierin unter anderem:

"Basis- Tarif (Tarifkennung "SPO") und Aktions-Tarif (Tarifkennung "LM")

Bei Stornierung bzw. bei Nichtantritt in den Tarifen BasisTarif und Aktions-Tarif ist eine Erstattung des Flugpreises nicht möglich."

Die Beklagte zog den Reisepreis für 3 Personen in Höhe von insgesamt 3.320,89 EUR brutto am 26.1.2011 von dem Kreditkartenkonto des Klägers zu 2) ein.

Am 4.4.2011 erklärten die Kläger die Stornierung der Flugreise, da sie angesichts der Reaktorkatastrophe in Fukushima / Japan gesundheitliche Nachteile für die mitreisende Tochter, die wegen ihrer Epilepsieerkrankung medikamentös behandelt wird, befürchteten.

Nach erfolgter Stornierung erhielten die Kläger über das Kreditkartenkonto des Klägers zu 2) am 26.4.2011 eine Gutschrift in Höhe von 123,63 EUR je Reisendem, insgesamt 370,89 EUR. Die Fa X., welche den Vertragsschluss vermittelt hatte, berechnete den Klägern eigene Stornokosten in Höhe von insgesamt 150,- EUR und zog diese vom Kreditkartenkonto des Klägers zu 2) ein.

Die Kläger forderten die Fa. X. mehrfach auf, an sie den Differenzbetrag in Höhe von 2950,- EUR zu zahlen.

Die X. teilte dem Kläger zu 2) mit E-Mail vom 16.6.2011 mit, dass ihm nach Abzügen - insbesondere einer Stornierungsgebühr der X. in Höhe von 50,- EUR je Reisendem - ein Erstattungsbetrag in Höhe von 71,42 EUR je Reisendem zustehe.

Die Klägervertreter forderten die Beklagte mit Schreiben vom 7.9.2011 unter Fristsetzung zum 20.9.2011 auf, den verbleibenden Differenzbetrag in Höhe von 2.950,- EUR an die Kläger zu zahlen. …

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig und in der zuerkannten Höhe begründet.

Die Kläger haben einen Anspruch auf Rückgewähr des gezahlten Betrages in Höhe von 2783,96 EUR entsprechend § 346 Abs. 1 BGB.

Zwischen den Parteien bestand ein Luftbeförderungsvertrag. Dieser ist ein Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB. Die Kläger haben diesen Vertrag durch ihre Erklärung der Stornierung gekündigt im Sinne des § 649 S. 1 BGB. Die Beklagte hat die empfangenen Leistungen, soweit nicht § 649 S. 2, S. 3 BGB entgegensteht, analog § 346 Abs. 1 BGB zurückzugewähren, da die Kündigung im Sinne des § 649 S. 1 BGB das Schuldverhältnis ab Zugang der Erklärung beendet.

Die Rückgewähr des von den Klägern im Vorfeld des Fluges eingezogenen Reisepreises ist nicht gemäß Ziffer 5 Abs. 2 AGB ausgeschlossen. Diese Regelung, nach deren Wortlaut im Basis-Tarif und im Aktions-Tarif eine Flugpreiserstattung - im Gegensatz zum Flex-Tarif - vollständig ausgeschlossen sei, ist unwirksam gemäß § 309 Nr. 5 BGB.

Bei den hier zur Anwendung kommenden AGB handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich der Kündigungsfolgen sind Gestaltungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Regelung des verbleibenden Vergütungsanspruchs des Werkunternehmers - auch durch eine Pauschalierung - nur möglich, solange sie sich im Rahmen der §§ 307 ff. BGB, insbesondere der § 308 Nr. 7 BGB und § 309 Nr. 5 BGB, bewegen (hierzu MünchKomm-BGB [5. Auflage], § 649 Rn. 6 f.; Palandt, BGB [70. Aufl.], § 649 Rn. 17). Dies ist hier indes nicht der Fall.

Die von der Beklagten verwendete Klausel verstößt als Pauschalierung des Vergütungsanspruchs nach § 649 S. 2 BGB bereits gegen § 309 Nr. 5 BGB, da dem Reisenden als Vertragspartner nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, dass ein Schaden oder eine Wertminderung ausgeblieben oder wesentlich niedriger als die veranschlagte Pauschale ist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kläger einen vergünstigten Tarif gewählt haben, der sich gegenüber dem teureren Flex-Tarif dadurch auszeichnet, dass im Falle einer Stornierung ein Ersatz des Flugpreises gerade nicht erfolgt. Auch für einen billigen Sondertarif ohne Rücktrittsmöglichkeit gelten die Regelungen der §§ 307 ff. BGB jedenfalls dann, wenn das Luftfahrtunternehmen oder dessen Vermittler nicht ausdrücklich bei Vertragsschluss auf diese - vom Gedanken des § 649 S. 2 BGB erheblich abweichende - Regelung hinweisen (hierzu Führich, Reiserecht [6. Aufl.], Rn. 988 f.).

Vorliegend ist bereits fraglich, ob hier ein gegenüber dem Regeltarif besonders vergünstigter Tarif, der Stornogebühren in Höhe von 100% ausnahmsweise rechtfertigen könnte (hierzu Führich, a.a.O.), überhaupt vorliegt. Die AGB unterscheiden insofern zwischen Flex-Tarif auf der einen und Basis- und Aktions-Tarif auf der anderen Seite. Schon aus der Wortwahl lässt sich entnehmen, dass der Basis-Tarif den Grundtarif und der Flex-Tarif die teurere Variante darstellt, und es sich bei Ersterem gerade nicht um einen (ausnahmsweise) verbilligten Sondertarif, sondern vielmehr um den Regeltarif handelt.

Entscheidend ist aber, dass für die Kläger bei der Buchung der Flüge eine Vereinbarung von Stornierungskosten in Höhe von 100% nicht erkennbar war, da die Beklagte oder das im Rahmen der Vermittlung eingesetzte Unternehmen die Kläger hierauf nicht gesondert hingewiesen haben (hierzu AG Hamburg, …; AG Stuttgart, …; Führich, a.a.O.). Trotz ausdrücklichen richterlichen Hinweises vom 21.3.2012 hat die Beklagte zu einem gesonderten Hinweis nichts vorgetragen.

Da die Regelung in Ziffer 5 Abs. 2 AGB bereits wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 5 BGB unwirksam ist, kann dahinstehen, ob die dort gewählte Klausel branchenüblich ist oder nicht; auf eine Wertung kommt es im Rahmen der Klauselverbote nach § 309 BGB nicht an (vgl. auch BGH, Urt. v. 25.10.1984 - VII ZR 11/84, in dem von einem Verstoß einer Rücktrittspauschale in Höhe von 100% des Flugpreises auch gegen § 9 AGBG a.F. ausgegangen wird).

Gemäß § 649 S. 2 BGB ist die Beklagte berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu behalten; sie muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat.

Die Beklagte war verpflichtet, den Klägern analog § 346 Abs. 1 BGB 95% des vereinbarten Flugpreises - nämlich insgesamt 3.154,85 EUR - zurückzugewahren. Gemäß der Vermutung nach § 649 S. 3 BGB ist davon auszugehen, dass der Beklagten als Unternehmerin 5% der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Die Leistung der Beklagten - nämlich der Transport der Kläger und ihres Gepäcks nach Honolulu wurde im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht erbracht oder vorbereitet.

Es oblag der Beklagten, im Hinblick auf die nicht erbrachten Leistungen substantiiert vorzutragen, dass ihr nach der Anrechnung gemäß § 649 S. 2 BGB eine Vergütung zusteht, die 5% der Vergütung übersteigt (Palandt, § 649 Rn. 7, 10 f.). Ein substantiierter Vortrag, dass ihr nach Anrechnung der ersparten Aufwendungen eine höhere Vergütung zusteht, ist seitens der Beklagten trotz richterlichen Hinweises vom 21.3.2012 nicht erfolgt. Diesbezüglich reicht ein bloßer Verweis darauf, dass ein erneuter Verkauf der Sitzplätze nicht möglich gewesen ist, ohne weitere Angaben zur Bemessung der ersparten Aufwendungen nicht aus, da dem Gericht auf der Grundlage dieses Tatsachenvortrags nicht einmal eine Schätzung des anzurechnenden Betrages nach § 287 ZPO möglich ist.

Demgegenüber oblag der Klägerseite der Beweis, dass der Beklagten nach Anrechnung der ersparten Aufwendungen eine geringere als die nach § 649 S. 3 BGB vermuteten 5 % des Flugpreises zustehen. Diesbezüglich ist die Klägerseite für ihren Vortrag, dass die Beklagte die entstandenen Aufwendungen durch einen erneuten Verkauf der Sitzplätze vollständig kompensieren konnte, beweisfällig geblieben, da die Beklagte einer Parteivernehmung des Klägers zu 2) nach § 447 ZPO nicht zugestimmt hat und eine Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO nicht veranlasst war.

Die Beklagte hat den Klägern bereits unstreitig insgesamt 370,89 EUR erstattet. Dieser Betrag ist gemäß § 362 BGB auf die Forderung von 3.154,85 EUR anzurechnen; hieraus folgt der zuerkannte Betrag.

Der Betrag von insgesamt 150,- EUR, den die Firma X. von den Klägern als eigene Stornierungsgebühr verlangt und eingezogen hatte, ist bei der Rechnung nicht zu berücksichtigen, da er nicht Gegenstand des Klageantrags gewesen ist.

Auf das Vorliegen einer Stornorechnung kommt es nicht an. Das Bestreiten eines Schadens durch die Beklagte bleibt unsubstantiiert, dieser folgt ersichtlich aus der Differenz zwischen dem von der Beklagten vereinnahmten Flugpreis und der von ihr geleisteten Erstattung.

Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.

Die Klägerseite kann überdies Freistellung von den im Rahmen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuwendenden Kosten verlangen (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 249 BGB). Die Beklagte befand sich am 7.9.2011 bereits im Verzug. Die zuvor unstreitig von den Klägern gegenüber der Fa. X. ausgesprochenen Zahlungsaufforderungen muss die Beklagte gegen sich gelten lassen, da die Fa. X. als Reisevermittler als Stellvertreter oder jedenfalls als Bote der Beklagten zu betrachten ist; Fehler des Reisevermittlers oder Übermittlungsfehler im Verhältnis zur Beklagten gehen zu deren Lasten (Staudinger / Staudinger, BGB [2011], § 651a Rn. 61 ff.).

Ein Verschulden der Beklagten bzw. ihrer Erfüllungsgehilfen am Verzug wird vermutet, § 286 Abs. 4 BGB. Die Klägerseite durfte aufgrund der Nichtzahlung der Beklagten vorgerichtlich einen Rechtsanwalt beauftragen und diesbezüglich eine Verbindlichkeit in Form von Rechtsanwaltsgebühren eingehen. Diese stellen einen kausalen und adäquaten Schaden der Nichtzahlung dar. Das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten bleibt angesichts des klägerischen Vortrags unsubstantiiert. Der diesbezügliche Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. …

Rechtsgebiete

Reiserecht