Entschädigung bei Reiseabbruch- und Reiserücktrittsversicherung infolge eines verletzungsbedingten Abbruchs der Reise

Gericht

LG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

25. 07. 2012


Aktenzeichen

11 O 40/12


Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.490,72 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Reiseabbruchversicherung in Anspruch. Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau bei dem Reiseveranstalter A. eine Kreuzfahrt für die Zeit vom 23.10.2011 bis zum 29.11.2011 zu einem Pauschalpreis von 12.942,00 € gebucht. In dem Preis waren die Flugkosten, der Rücktransfer per Bus von Hamburg nach Düsseldorf, eine Bearbeitungsgebühr, das Ausflugsprogramm sowie die Kosten für die Kreuzfahrt einschließlich der Nebenkosten enthalten.

Der Kläger zahlte den Reisepreis mit seiner ADAC-Visa-Goldkarte, womit der Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung sowie einer Reiseabbruchversicherung bei der Beklagten verbunden war. Letztere beinhaltet Leistungen bis zu 10.000,00 €, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob, wie der Kläger behauptet, die Leistungsobergrenze ohne Mehrkosten auf bis zu 20.000,00 € erhöht wurde. Die dem Versicherungsverhältnis zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen der Beklagten haben in § 3 Nr. 4 c Satz 4 und 5 folgenden Wortlaut:

„Der C. leistet auch eine Entschädigung für gebuchte und versicherte, jedoch von dem Versicherten und den geschützten Personen aufgrund des Abbruchs der Reise nicht mehr in Anspruch genommene Reiseleistungen. Reiseleistungen, die angetreten sind und zum Teil in Anspruch genommen werden konnten, sind nicht erstattungsfähig.“

Weiterhin haben sie unter anderem folgenden Wortlaut:

„Versicherungsschutz besteht bis zur Höhe der jeweils vereinbarten Versicherungssumme (…) sofern (…) die planmäßige Beendigung der Reise für die versicherte Person unzumutbar gewesen ist.“

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Versicherungsbedingungen wird auf die Wiedergabe in der Klageschrift sowie auf den zu den Akten gereichten Auszug Bezug genommen.

Nachdem der Kläger die Reise am 22.10.2011 programmgemäß angetreten hatte, zog er sich im weiteren Verlauf eine dreifache Sprunggelenksfraktur im rechten Fuß zu. Die Operation der Verletzung erfolgte am 05.11.2011 auf der Insel Barbados durch B.. Das Schiff war bereits am 05.11.2011 von Barbados aus weiter gefahren. An Bord waren keine mit Rollstuhl befahrbaren Kabinen vorhanden. Am 11.11.2011 erfolgte der Rückflug über London nach Deutschland. Es folgte ein stationärer Krankenhausaufenthalt des Klägers vom 11.11.2011 bis zum 17.11.2011.

Mit Schreiben vom 18.11.2011 sowie vom 29.11.2011 nahm der Kläger die Beklagte aus der Versicherung in Anspruch und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 09.12.2011. Die Beklagte lehnte eine Leistungspflicht ab. Der Reiseveranstalter zahlte aus Kulanzgründen 1.804,00 € an den Kläger. Mit Schreiben vom 06.12.2011 bezifferte der Klägervertreter den Anspruch des Klägers der Höhe nach, machte vorgerichtliche Anwaltskosten geltend und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 23.12.2011.

Der Kläger behauptet, die Leistungsobergrenze sei für ihn auf 20.000,00 € erweitert worden. Dies sei am 04.02.2004 telefonisch vereinbart und seitens der Beklagten bestätigt worden. Die dreifache Sprunggelenksfraktur im rechten Fuß habe er sich anlässlich eines Landgangs am 04.11.2011 gegen 12.30 Uhr bei einem Sturz zugezogen. Die Operation am 05.11.2011 sei zwingend erforderlich gewesen. Die Reise habe aufgrund der Verletzung zwangsläufig abgebrochen werden müssen.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe aufgrund des Abbruchs der Reise einen Anspruch auf Entschädigung für die von ihm und seiner Ehefrau nicht mehr in Anspruch genommenen Reiseleistungen. Der Wert des Anspruchs errechne sich aus dem Pauschalpreis einschließlich der Flugkosten wie folgt:

Preis pro Tag 349,78 € (12.942,00 € Gesamtpreis: 37 Tage), Wert der für die Zeit vom 05.11.2011 bis 29.11.2011 nicht in Anspruch genommenen Reiseleistungen: 8.394,72 € (24 Tage x 349,78 €), abzüglich der vom Reiseveranstalter gezahlten 1.804,00 € sowie abzüglich 100,00 € Selbstbehalt.

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.490,72 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2011 zu zahlen;

  2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 693,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Leistungsobergrenze sei für den Kläger nicht auf 20.000,00 € erweitert worden, da ein dementsprechender Antrag nicht vorgelegen hätte und die Zahlung einer Versicherungsprämie nicht erfolgt wäre. Sie ist der Ansicht, die Reiseleistungen seien gemäß § 3 Nr. 4 c Satz 5 nicht erstattungsfähig, da der Kläger und seine Ehefrau die Schiffsreise angetreten haben. Jedenfalls – dies macht sie hilfsweise geltend – berechne sich der Wert der nicht angetretenen Reiseleistungen nicht nach dem Reisepreis im Ganzen, sondern anteilig nach dem Wert der Schiffsreise ab dem Verletzungstag.

Nicht zu berücksichtigen seien die Kosten für den Hin- und Rückflug, der Transfer von Hamburg nach Düsseldorf sowie die Bearbeitungsgebühr. Hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sei lediglich eine 1,3 fache Gebühr in Ansatz zu bringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Hauptanspruches begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 6.490,72 € aus dem Versicherungsvertrag (Reiseabbruchversicherung) in Verbindung mit § 3 Nr. 4 c Satz 4 der Versicherungsbedingungen, § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1, 2 EGVVG. Eine unerwartete, schwere Erkrankung im Sinne von § 3 Ziffer 2 der Versicherungsbedingungen liegt in Form einer dreifachen Sprunggelenksfraktur des Klägers im rechten Fuß vor. Diese Unfallverletzung ist auch als schwer einzuordnen, wobei sich die Schwere nicht lediglich danach richtet, ob die Verletzung objektiv als schwer einzuordnen ist. Vielmehr ist jeweils für den konkreten Einzelfall unter Anlegung eines objektiven Maßstabs zu klären, ob die weitere planmäßige Reise mit Blick auf das gebuchte Reisepaket und die erlittenen Verletzungen unzumutbar erscheint. Knochenbrüche begründen insoweit regelmäßig die Annahme einer schweren Unfallverletzung (vgl. Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG, 2. Aufl. 2011, Anhang N Rdnr. 156 in Verbindung mit Rdnr. 103). Unabhängig davon, ob die am 05.11.2011 durchgeführte Operation zwingend erforderlich war, ist die Tatsache, dass sie überhaupt zeitnah im Ausland durchgeführt wurde und der Kläger bis zum Rückflug am 11.11.2011 vom Krankenhausarzt B. ärztlich betreut wurde ein Indiz dafür, dass die Verletzung so schwer war, dass dem Kläger eine planmäßige Beendigung der Reise nicht zugemutet werden konnte. Zudem wird auch in dem zu den Akten gereichten Operationsbericht darauf hingewiesen, dass es dem Kläger möglich sein sollte, sich auf Krücken bis zum Bad zu bewegen. Eine Weiterreise per Schiff, bei der naturgemäß kein Untergrund vorhanden ist, der einen stabilen Stand gewährleistet, einschließlich der Teilnahme an Ausflügen etc. unter der Benutzung von Krücken erscheint dem Kläger nicht zumutbar.

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Reise noch bis zum 29.11.2011 dauern sollte und der Zweck der Reise (Erholungswert, einmalige Erlebnisse) für den Kläger auch bei weiterer Teilnahme an der Reise nicht mehr hätte erreicht werden können. Die Beklagte hat darüber hinaus auch keine Tatsachen vorgetragen, die gegen eine Einordnung der Sprunggelenksfraktur als schwere Unfallverletzung sprechen. Bisher hat sie insoweit lediglich pauschal bestritten, dass eine Operation des Sprunggelenks noch während des Urlaubs zwingend erforderlich auf der Insel Barbados durchgeführt werden musste und dies zwangsläufig den Abbruch der gesamten Reise zur Folge hatte. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass ein schwerer Unfall des Klägers vorlag.

Ein Reiseabbruch ist gegeben, da der Kläger und seine Ehefrau die Reise aufgrund des schweren Unfalls des Klägers am 05.11.2011 unplanmäßig beenden mussten. Durch den Abbruch der Reise konnten sie die von ihnen gebuchten und versicherten weiteren Reiseleistungen nicht mehr in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 c Satz 4 der Versicherungsbedingungen liegen damit vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt auch hinsichtlich des restlichen Teils der Schiffsreise keine bereits angetretene und zum Teil in Anspruch genommene Reiseleistung, deren Erstattung gemäß § 3 Nr. 4 c Satz 5 der Versicherungsbedingungen ausgeschlossen ist, vor. Die Auslegung dieser Klausel muss sich nämlich davon leiten lassen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klauseln bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGHZ 123, 83, 85). Ein Versicherungsnehmer, der neben einer Reiserücktrittsversicherung eine Reiseabbruchversicherung abschließt, geht grundsätzlich zunächst davon aus, dass damit nicht nur die zusätzlichen Kosten einer vorzeitigen Beendigung der Reise ausgeglichen werden, sondern dass er auch eine Entschädigung für infolge des Abbruchs nicht in Anspruch genommene Reiseleistungen erhält. Die Reiseabbruchversicherung soll den Versicherungsnehmer gegen einen Schaden in Gestalt nutzloser Aufwendungen absichern, der ihm entsteht, wenn er die Reise aus einem der versicherten Gründe abbrechen muss (vgl. Urteil OLG Düsseldorf vom 17.06.2011, Az.: I 4 U 133/07). Würde man die Schiffsreise als einheitliche Reiseleistung im Sinne des § 3 Nr. 4 c Satz 5 der Versicherungsbedingungen ansehen, wäre im Fall einer vorzeitig abgebrochenen Pauschalreise das in § 3 Nr. 4 c Satz 4 abgegebene Leistungsversprechen der Beklagten quasi gegenstandslos. Zwar handelt es sich bei dem Flug um eine weitere Teilleistung, jedoch entfällt der weitaus größte Teil der Reiseleistung eben auf die Schiffsreise.

Aus Sicht des Versicherungsnehmers handelt es sich bei der Schiffsreise nicht um eine einheitliche Reiseleistung. Vielmehr besteht die Schiffsreise aus seiner Sicht aus mehreren voneinander abgrenzbaren Teilleistungen (Verpflegung auf dem Schiff, Übernachtungsmöglichkeit in der Kabine, Beförderung auf einer bestimmten (Teil-) Strecke etc.), die von ihm jeden Tag aufs Neue in Anspruch genommen werden kann, so dass eine Abgrenzbarkeit der Leistung nach einzelnen Tagen gegeben ist. Würde die Klausel demgegenüber in dem Sinne ausgelegt, dass der Versicherungsnehmer mit dem Antrag der Schiffsreise lediglich einen Anspruch auf Erstattung der Rückflugkosten, der Ausflugskosten oder Ähnliches hätte, würde dem Pauschalreisenden der von ihm erwartete Versicherungsschutz verwehrt. Im Ergebnis bestünde quasi kein bzw. kein augenfälliger Unterschied zu einer reinen Reiserücktrittskostenversicherung. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Leistungspflicht daher nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger die Schiffsreise bereits angetreten hatte.

Der Anspruch ist auch der Höhe nach gegeben. Bei einem Reiseabbruch wird der Reisepreis ersetzt, der anteilig auf die durch den Reiseabbruch nicht genutzten Reiseleistungen entfällt. Dabei werden die Kosten der Rückreise grundsätzlich ausgeklammert. Etwas anderes gilt jedoch bei einer Pauschalreise, wie im vorliegenden Fall: An- und Abreisekosten werden hier nicht gesondert ausgewiesen, sie bilden vielmehr untrennbare Bestandteile des Gesamtreisepreises (vgl. Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2011, Anlage N Rdnr. 165). Insoweit ist der Gesamtpreis auf die einzelnen Reisetage aufzuteilen und so der Wert eines Reisetages zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2004, Seite 1600 ff.). Im konkreten Fall hatte der einzelne Reisetag einen Wert von 349,78 € (12.942,00 € : 37 Tage). Der Wert für die in der Zeit vom 06.11.2011 bis zum 29.11.2011 nicht in Anspruch genommenen Reiseleistungen beträgt folglich 8.394,72 € (24 Tage x 349,78 €). Von diesem Betrag sind die vom Reiseveranstalter gezahlten 1.804,00 € in Abzug zu bringen, ebenso der Selbstbehalt in Höhe von 100,00 € gemäß § 6 der Versicherungsbedingungen. Insoweit besteht insgesamt ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Zahlung von 6.490,72 €.

Da der Anspruch des Klägers 10.000,00 € nicht übersteigt, kann dahinstehen, ob die Leistungsobergrenze für den Kläger auf 20.000,00 € erweitert wurde.

Der Zinsanspruch ergibt sich gemäß §§ 286, 288 BGB in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2011 aufgrund der Mahnung des Klägers mit Schreiben vom 18.11.2011 sowie vom 29.11.2011 unter Fristsetzung bis zum 09.12.2011.

Ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 693,18 € besteht demgegenüber nicht. Er ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß den §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Insoweit handelt es sich nicht um einen Verzugsschaden, da der Prozessbevollmächtigte vom Kläger bereits vor Verzugseintritt eingeschaltet wurde. Es kann daher dahinstehen, ob die vom Klägervertreter geltend gemachten Rechtsanwaltskosten der Höhe nach gerechtfertigt sind.

Insoweit war die Klage dementsprechend abzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 2, 709 Satz 1, 108 Abs. 1 ZPO.

Streitwert: 6.490,72 €.


Berke

Rechtsgebiete

Reiserecht