Wiederholtes, unberechtigtes Wenden eines Pkw in Einfahrt kann Kartoffelwurf als Notwehrmaßnahme des Grundstückeigentümers begründen

Gericht

AG Hadamar


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

20. 12. 1994


Aktenzeichen

3 C 420/94


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bekl. ist Eigentümer eines Hofanwesens in H., dessen Zufahrt durch keinerlei Vorrichtung verschlossen gehalten wird. Der Kl., Eigentümer eines Pkw, verlangt vom Bekl. Ersatz des Schadens, den der Bekl. durch einen Kartoffelwurf am Pkw des Kl. verursacht hat, als der Pkw vom Fahrzeugführer, dem Zeugen S, wie in der Vergangenheit schon häufig geschehen, auf dem Anwesen des Bekl. gewendet wurde.

Das AG hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Dem Kl. stehen gegen den Bekl. aus Anlaß des Vorfalls vom 28. 4. 1994 keinerlei Schadensersatzansprüche aus den insoweit allein in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen der §§ 823 I, 823 II BGB i.V. mit § 303 StGB, § 904 S. 2 BGB zu...Alle eingangs genannten Anspruchsgrundlagen setzen voraus, daß die Schadenszufügung rechtswidrig gewesen ist, d.h., daß keine irgendwie geartete rechtfertigende Situation für das Handeln des Bekl. vorlag. Der Bekl. kann sich vorliegend aber erfolgreich darauf berufen, daß er in Notwehr (§ 227 BGB, § 32 StGB) gehandelt hat. Notwehr ist nach der einschlägigen gesetzlichen Definition die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Der Bekl. befand sich zweifelsfrei in einer Notwehrlage. Das Befahren des Anwesens des Bekl. stellt nämlich einen rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff auf gesetzlich geschützte Rechtsgüter des Bekl. dar. Unter einem Angriff versteht man die unmittelbare Bedrohung eines Rechtsguts durch menschliches Verhalten. Vorliegend liegt ein Eingriff von seiten des Fahrzeugführers, des Zeugen S, vor. Hiervon abzugrenzen sind die Fälle der §§ 228, 903 BGB, welche u.U. eine Schadensersatzpflicht des Schädigers nach sich ziehen, aber beide davon ausgehen, daß die Bedrohung von einer Sache und nicht von einem Menschen ausgeht. Als gefahrdrohend kann ein Gegenstand aber nur dann gelten, wenn er unmittelbar aus sich heraus ein fremdes Rechtsgut gefährdet. Im hier zu entscheidenden Fall gefährdete das Fahrzeug des Kl. nicht aus sich heraus ein fremdes Rechtsgut, vielmehr resultierte die Gefahr aus einem menschlichen Verhalten, dem Befahren des Hofanwesens durch den Zeugen S.

Dieses Befahren des Anwesens des Bekl. stellt eine Bedrohung sowohl des Eigentums als auch des Hausrechts des Bekl. dar. Der Bekl. als Eigentümer des Hofanwesens O-Straße 3 hat gem. § 903 BGB grundsätzlich das Recht, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren und Einwirkungen Fremder auf sein Eigentum auszuschließen. Indem der Zeuge S mit dem Fahrzeug des Kl. das Hofanwesen des Bekl. befuhr, griff er in diese grundrechtlich (Art. 14 GG) geschützte Rechtsposition ein. Darüber hinaus verletzte er damit das Hausrecht des Bekl. Das Hausrecht stellt als “ein Stück lokalisierter Freiheitssphäre” ein persönliches Rechtsgut besonderer Art dar. Es verleiht dem Inhaber die Befugnis, andere von der Anwesenheit in der Wohnung, den Geschäftsräumen sowie dem befriedeten Besitztum auszuschließen.

Der Angriff des Zeugen S stand auch objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung. Ein Rechtfertigungsgrund gleich welcher Art besteht nicht. Der Bekl. hat zu keinem Zeitpunkt sein Einverständnis mit dem Befahren seines Hofanwesens erklärt. Allein aus der Tatsache, daß der Bekl. die Zufahrt zu seinem Hofanwesen nicht durch ein Tor oder ähnliche Vorrichtungen verschlossen hält, kann keine dahingehende mutmaßliche Einwilligung des Bekl. hergeleitet werden, daß jedermann sein Hofanwesen befahren darf. Eine solche Auslegung stünde im Widerspruch zur Regelung des § 123 StGB, der als Rechtsgut u.a. das befriedete Besitztum schützen soll. Dabei verlangt diese Vorschrift nicht, daß eine Einfriedung (Zaun, Mauer, Hecke) lückenlos ist, entscheidend ist vielmehr, daß sie durch eine eventuell vorhandene Unterbrechung (Einfahrt oder ähnliches) nicht den Charakter einer physischen Schutzwehr verliert.

Vorliegend ist auch keiner derjenigen Fälle gegeben, in welchen Notwehr gar nicht oder nur unter äußerster Zurückhaltung zulässig ist. Dies ist der Fall gegenüber erkennbar Irrenden, Betrunkenen, kleinen Kindern oder ähnlichen in ihrer Wahrnehmungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigten Menschen. Für den Fahrzeugführer, den Zeugen S, wie auch für seine Mitfahrer, die Zeugen B und H, war ohne weiteres erkennbar, daß sie das Privatgrundstück des Bekl. befuhren. Ihnen war auch, dies darf ohne weiteres unterstellt werden, bewußt, daß sie hierfür des Einverständnisses des Bekl. bedurften. Dies gilt um so mehr im vorliegenden Fall, da alle Zeugen übereinstimmend beurkundet haben, daß die Hofeinfahrt des Bekl. seit sieben Monaten regelmäßig zum Wenden benutzt wurde. Bei verständiger Würdigung ihres eigenen Verhaltens hätte es sich den Zeugen geradezu aufdrängen müssen, daß mit einer solchen Dauerbeeinträchtigung zunächst einmal niemand einverstanden ist, ohne daß dies von ihm ausdrücklich gesagt werden muß.

Soweit der Zeuge B zunächst bekundet hat, er könne sich nicht vorstellen, warum der Bekl. mit einer Kartoffel nach dem Fahrzeug geworfen habe, was ein Indiz für einen entsprechenden Erlaubnisirrtum auf seiten der Zeugen sein könnte, kann dieser Bekundung in ihrem Kerngehalt nicht gefolgt werden. Die auf mehrfaches Nachfragen durch das Gericht letztlich vom Zeugen Bdoch noch bekundete Ansicht, der Bekl. habe sie wohl verjagen wollen, zeigt, daß auch dem Zeugen B, zumindest nach gehörigem Nachdenken, ohne weiteres hätte klar sein müssen, daß der Bekl. durch sein Verhalten eindeutig zum Ausdruck bringen wollte, daß sein Hofanwesen nicht zum Wenden genutzt werden darf. Es ist insoweit kein Grund ersichtlich, weshalb der Zeuge S nicht zu ähnlichen Überlegungen fähig sein sollte.

Der streitgegenständliche Angriff auf die Rechtsgüter des Bekl. war auch gegenwärtig. Die Gegenwärtigkeit eines Angriffs ist dann gegeben, wenn die Verletzungshandlung unmittelbar bevorsteht, bereits stattfindet oder noch fortdauert. Von den Zeugen S, B und H ist übereinstimmend bekundet worden, daß sich das Fahrzeug noch auf dem Hof des Bekl. befunden hat, als dieser die Kartoffel geworfen hat. Der Angriff war daher noch nicht abgeschlossen, der rechtswidrige Zustand bestand noch im Zeitpunkt des Wurfes und wurde erst durch das Verlassen des Hofanwesens beseitigt. Zudem stand zu befürchten, daß das Fahrzeug ohne entsprechende Gegenmaßnahmen auch künftig auf dem Hofanwesen des Bekl. gewendet werden würde. Insofern diente das Verhalten des Bekl. auch der Abwehr künftig mit Sicherheit drohender, neuer Angriffe. Auch deren Abwehr ist aber durch die Notwehrregelung abgedeckt.

Die vom Bekl. gewählte Verteidigungshandlung war insb. auch erforderlich. Ein Teilaspekt der Erforderlichkeit einer Abwehrhandlung ist, daß diese sich gegen den Angreifer selbst richten muß. Notwehr ist nur insoweit als ein legitimes Mittel anzusehen, als von der Notwehrhandlung lediglich Rechtsgüter des Angreifers selbst betroffen sind. Soweit vorliegend das Eigentum des Kl. geschädigt wurde, obwohl der Angriff vom Fahrzeugführer, dem Zeugen S, ausging, steht dies der Annahme einer gerechtfertigten Verteidigungshandlung nicht entgegen. Die Verteidigung hat sich vorliegend nämlich nicht auf einen unbeteiligten Dritten ausgewirkt. Der Kl. hat seinem Sohn, dem Zeugen S, das Fahrzeug zur Verfügung gestellt, um damit in die Schule zu fahren. Ihm muß dabei bewußt sein, daß sein Eigentum durch das Verhalten des Zeugen S, welches er nicht in jeder Phase kontrollieren kann, in irgendeiner Form gefährdet bzw. geschädigt werden kann. Zudem ist allseits anerkannt, daß eine Verletzung von Rechtsgütern Dritter dann gerechtfertigt ist, wenn sich der Angreifer bei der Durchführung des Angriffs, wie vorliegend, fremder Sachen bedient. Dem Verteidiger wird nicht abverlangt, daß er sich insoweit Gedanken über die Eigentumsverhältnisse macht.

Dem Bekl. stand in der konkreten Situation auch kein anderes, gleich wirksames und gleichen Erfolg versprechendes Abwehrmittel zur Verfügung. Dem Bekl. war nicht bekannt, wer Fahrzeugführer gewesen ist. Nach den übereinstimmenden Bekundungen der vernommenen Zeugen besteht keine persönliche Bekanntschaft zwischen den Zeugen und dem Bekl. Dies wurde von allen Zeugen ausdrücklich betont. Zudem sind die Zeugen im Rahmen ihrer Fahrgemeinschaft mit wechselnden Fahrzeugen aufgetreten. Dem Bekl. kann auch nicht abverlangt werden, sein Hofanwesen ständig zu beobachten, um auf diese Art festzustellen, wann und durch wen Angriffe erfolgen, und dann eventuell vorbeugend polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, zumal es äußerst fraglich erscheint, ob die Polizei überhaupt bereit wäre, einem entsprechenden Ansinnen des Bekl. nachzugeben. Der Bekl. stand deshalb vor der Situation, daß er die immer wiederkehrenden Angriffe in irgendeiner Form, auch mit Wirkung in die Zukunft, beenden mußte. Insoweit ist weiter zu beachten, daß seine Versuche, die Zeugen durch Zurufe oder Gestikulieren und ähnliche Maßnahmen vom Wenden auf dem Grundstück abzuhalten, sich als nicht erfolgversprechend erwiesen hatten. Sowohl der Zeuge H als auch der Zeuge B haben übereinstimmend ausgesagt, daß die Zurufe des Bekl. im Fahrzeuginneren unverständlich gewesen sind. Auch hat die Zeugin T ausgesagt, daß der Bekl. bereits in der Vergangenheit mehrfach erfolglos versucht hat, das Wenden von Fahrzeugen auf dem Grundstück zu verhindern.

Soweit die Zeugen S, B und H ausgesagt haben, daß sie auch davon nichts gemerkt hätten, kann das Gericht dies nur dahingehend verstehen, daß die insoweit vom Bekl. gewählten Mittel sämtlich untauglich gewesen sind. Dies muß auch dem Bekl. klar geworden sein, da am Vorfallstag für ihn ersichtlich ein erneuter Angriff stattfand, was ihn zu einem entsprechenden Rückschluß berechtigte. Es war für ihn deshalb objektiv erforderlich, nunmehr zu einem massiveren und für den Angreifer deutlicher wahrnehmbaren Abwehrmittel zu greifen, um künftige Eingriffe ein für allemal zu verhindern.

Ihm kann dabei nicht zugemutet werden, auf eigene Kosten Schutzvorrichtungen (Kette, Tor u.ä.) zu errichten, um das rechtswidrige Wenden auf seinem Grundstück von vorneherein zu verhindern. Insoweit kann und muß sich jeder Bürger zunächst einmal darauf verlassen dürfen, daß seine Rechte von anderen geachtet werden und zwar in der von ihm selbst gewählten Form.

Der vom Bekl. als Abwehrmittel gewählte Kartoffelwurf erwies sich als geeignetes Mittel, den Angriff abzuwehren. Die Eignung einer Verteidigung zur Beendigung des Angriffs setzt voraus, daß die Verteidigungshandlung ihrer Art nach zur Herbeiführung des Abwehrerfolges überhaupt tauglich ist. Insoweit bestand in der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien und den Zeugen Übereinstimmung darin, daß seit dem Vorfallstag das Hofanwesen des Bekl. nicht mehr zum Wenden benutzt wird. Zudem hat keiner der Zeugen es gewagt, den Bekl. direkt auf den Vorfall anzusprechen. Dies zeigt, daß das gewählte Verteidigungsmittel durchaus geeignet gewesen ist, die Zeugen nachhaltig zu beeindrucken und von weiteren Verletzungshandlungen abzuhalten. An der Geeignetheit des gewählten Mittels besteht deshalb kein Zweifel.

Das vom Bekl. gewählte Verteidigungsmittel war nach Art und Maß auch das relativ mildeste Gegenmittel. Das Verhalten des Bekl. erweist sich als am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientiert. Wie bereits ausgeführt, waren frühere Versuche, die Zeugen vom Befahren des Hofanwesens abzuhalten, nicht nachhaltig von Erfolg gekrönt, wurden von diesen nicht einmal wahrgenommen. Dies erscheint insoweit nachvollziehbar, als die eigentlichen Angriffe lediglich eine Dauer von wenigen Sekunden anhielten, was dem Bekl. nur eine geringe Zeitspanne zur Reaktion offenhielt. Soweit der Bekl. letztlich auf die wiederholten, seit sieben Monaten andauernden Angriffe von ihm nicht näher bekannten Personen mit dem Wurf einer Kartoffel reagiert hat, stellt dies unter den vorhandenen, auch einen entsprechenden Erfolg versprechenden Mitteln das wohl mildeste ihm in der konkreten Situation zur Verfügung stehende Gegenmittel dar. Der Bekl. bediente sich eines Wurfgegenstands, welcher aufgrund seiner Beschaffenheit und Konsistenz keine größeren Sachschäden erwarten ließ. Die Zeugen saßen im Fahrzeuginneren, waren also gegen einen Kartoffelwurf auch körperlich geschützt. Auch der Schaden, welcher durch einen Kartoffelwurf zu erwarten war, steht nicht außer Verhältnis zu dem Interesse des Bekl., über sein Eigentum nach freiem Ermessen bestimmen zu können und den wirklichen Beeinträchtigungen durch die von den Zeugen ausgehende Dauerbelastung. Nach Auffassung des Gerichts steht deshalb das gewählte Abwehrmittel keinesfalls außer Verhältnis zu dem damit angestrebten Zweck.

Das Verhalten des Bekl. war darüber hinaus auch subjektiv von einem Verteidigungswillen getragen. Das subjektive Rechtfertigungselement des Verteidigungswillens setzt voraus, daß der Bekl. in Kenntnis der Notwehrlage dem Angriff entgegentreten will. Aus dem Verhalten des Bekl., sowie dem Gesamteindruck, den das Gericht aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom Bekl. gewinnen konnte, läßt sich ohne weiteres der Schluß ziehen, daß sein hauptsächliches Motiv gewesen ist, dem Angriff auf sein Eigentum und sein Hausrecht entgegenzutreten.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB §§ 227, 228, 903, 904; StGB § 32