Kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht zu Forschungszwecken

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Beschluss über Nichtzulassungsbeschwerde


Datum

09. 10. 1985


Aktenzeichen

7 B 188/85


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kl. geltend, daß zur Entscheidung des Rechtsstreits die Frage beantwortet werden müsse, “ob ein Hochschullehrer zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung Anspruch auf Einsicht von Akten und Unterlagen hat, über die ausschließlich eine Bundesbehörde verfügt, deren Tätigkeit im Rahmen öffentlicher, politischer Bildungsarbeit Gegenstand des Forschungsvorhabens ist”. Die Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Beschwerde will den vom Kl. erstrebten Einblick in Unterlagen der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 III GG abgeleitet wissen. Sie meint, der Kl. sei unmittelbar von Verfassungs wegen zur Akteneinsicht berechtigt. Ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Einsichtnahme in Behördenakten ist Art. 5 III GG indessen nicht zu entnehmen. Davon kann im Hinblick auf die in der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärte Tragweite des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit ausgegangen werden, ohne daß dies noch durch ein Revisionsverfahren vertieft zu klären wäre.

Art. 5 III GG gewährleistet in seiner Ausformung als Grundrecht auf freie Forschung jedem in der Wissenschaft Tätigen ein Recht auf Abwehr jeglicher staatlicher Einwirkung auf den Prozeß der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse; Fragestellung und Methoden der Forschung sowie die Bewertung und Verbreitung der Forschungsergebnisse sind staatlicher Einflußnahme entzogen (BVerfGE 35, 79 (113) = NJW 1973, 1176). Verfassungsrechtlich verbürgt ist mithin ein von staatlicher Fremdbestimmung freier Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des Wissenschaftlers. Ein individuelles Recht darauf, daß der Staat zu Zwecken der Forschung Hilfestellungen leistet, auf die sonst kein Rechtsanspruch besteht, ist dem Freiheitsrecht des Art. 5 III GG als Abwehrrecht nicht zu entnehmen. Der Wissenschaftler, dem eine vorzeitige Einsichtnahme in behördliche Unterlagen nicht gestattet wird, sieht sich keinem Eingriff in seine Forschung gegenüber (so auch OVG Koblenz, NJW 1984, 1135 = NVwZ 1984, 388 L = DVBl 1983, 600 (601)).

Das Grundrecht der Freiheit von Wissenschaft und Forschung in seiner Funktion als objektiv-rechtliche Wertentscheidung führt zu keinem anderen Ergebnis. Es begründet die Verpflichtung des Staates, Wissenschaft und Forschung durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln zu ermöglichen und zu fördern, also funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen. Für den Wissenschaftler folgt daraus sowie aus Art. 3I GG das Recht auf verhältnismäßige, am Gleichheitssatz ausgerichtete Teilhabe an Leistungen und Einrichtungen, die der Staat dem Wissenschaftsbetrieb bereitstellt (BVerwGE 52, 339 (348) = NJW 1978, 842). Objekte des Teilhabeanspruchs aus Art. 5 III GG sind insoweit die finanziellen, personellen und sächlichen Mittel, die zur Forschungsausstattung eines Wissenschaftlers gehören. Ein Anspruch, in sonst unzugängliche Behördenakten zu Zwecken eines konkreten Forschungsvorhabens Einblick zu nehmen, wird von dem auf die Beteiligung an den Ressourcen des Wissenschaftsbetriebs abzielenden Teilhaberecht ersichtlich nicht umfaßt.

Das Grundgesetz hat die Voraussetzungen, unter denen im Einzelfall ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht zu Forschungszwecken besteht, in Art. 5 III GG nicht geregelt. Das Recht auf Akteneinsicht und Einblicknahme in behördliche Unterlagen bedarf deshalb - vergleichbar mit dem Auskunftsanspruch der Presse, den diese in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 5 I 2 GG wahrnimmt (BVerwGE 70, 310 (315) = NJW 1985, 1655) - (auch) in seinem Bezug zu Forschungszwecken der näheren Ausgestaltung, durch die Umfang und Grenzen des Einsichtsrechts festgelegt werden. Dem trägt der in den behördlichen Akten- und Geschäftsordnungen praktizierte Grundsatz der Freigabe von Schriftgut für wissenschaftliche Zwecke nach Ablauf von - in der Regel - 30 Jahren Rechnung, der unter dem Vorbehalt steht, daß in besonders gelagerten Fällen - etwa bei Forschungsvorhaben von besonderer Bedeutung für die Allgemeinheit, denen keine Gesichtspunkte des Persönlichkeitsschutzes, keine Sicherheitsbelange usw. entgegenstehen - schon vor Ablauf der Sperrfrist Einsicht gewährt werden kann (vgl. z. B. die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Merkblatt 10 - § 80 II GGO I - in GMBl 1981, 214 (216)).

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht; Allgemeines Zivilrecht