Sonntäglicher Lärm einer Großbaustelle berechtigt nicht immer zur Mietminderung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 02. 2012


Aktenzeichen

63 S 206/11


Tenor


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15. März 2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg - 5 C 587/10 - abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 5.769,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 180,11 EUR seit dem 6. August 2008, aus 175,05 EUR seit dem 6. September 2008, aus 140,04 EUR seit dem 6. Oktober 2008 und aus jeweils 229,30 EUR seit dem 6. November 2008, 6. Dezember 2008, 6. Januar 2009, 6. Februar 2009, 6. März 2009, 6. April 2009, 6. Mai 2009, 6. Juni 2009, 6. Juli 2009, 6. August 2009, 6. September 2009, 6. Oktober 2009, 6. November 2009, 6. Dezember 2009, 6. Januar 2010, 6. Februar 2010, 6. März 2010, 6. April 2010, 6. Mai 2010, 6. Juni 2010, 6. Juli 2010, 6. August 2010, und 6. September 2010 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt weitere 489,45 EUR außergerichtliche Kosten zu zahlen.

Von den Kosten der I. Instanz haben die Klägerin 15% und die Beklagte 85% zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe


Gründe:

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Die Klägerin kann gemäß § 535 Abs. 2 BGB für die Zeit von August 2008 bis September 2010 über den vom Amtsgericht zugesprochenen Betrag hinaus Zahlung weiterer Mieten in Höhe von 3.754,24 EUR verlangen.

Der von der Beklagten geschuldete Mietzins war entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht gemäß § 536 Abs. 1 BGB gemindert. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Lärmbeeinträchtigungen durch die Bauarbeiten am in unmittelbarer Nähe gelegenen Bahnhof O. hinreichend dargetan worden sind und in welchem Ausmaß diese zur Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit der Wohnung der Beklagten geführt haben. Denn die von der Beklagten reklamierten Minderungsansprüche sind gemäß § 536 b BGB ausgeschlossen, weil die Beklagte aufgrund des schriftlichen Hinweises vom 10. Mai 2005 vor Vertragsabschluss am 10. Juni 2005 von den Bauarbeiten Kenntnis hatte und mit den Beeinträchtigungen rechnen musste.

Die Ansicht des Amtsgerichts, dass dies nur für Arbeiten tagsüber an Werktagen gelte, aber mit Arbeiten nachts und an Sonntagen nicht zu rechnen gewesen sei, teilt die Kammer nicht. In dem vorgenannten Hinweis sind neben Sanierungsarbeiten an angrenzenden Häusern auch Bauarbeiten zur Sanierung der Bahnanlagen und Verkehrswege ausdrücklich genannt. Dass der Bahnhof O. im ... Nahverkehr einen Verkehrsknotenpunkt darstellt, ist schon aufgrund des Umfangs der dortigen Bahnanlagen ersichtlich und ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Liniennetz. Das ist für jedermann ohne weiteres erkennbar. Dass bei einer derartigen Bedeutung für den Bahnverkehr Umbauarbeiten nur tagsüber an Werktagen stattfinden, kann nicht erwartet werden. Es ist auch für einen Laien nachzuvollziehen, dass Bauarbeiten möglichst zügig und zu Zeiten erfolgen, in denen eher wenig Verkehr auf den von den Bauarbeiten betroffenen Verkehrswegen herrscht. Bei dieser erkennbaren Sachlage drängt es sich geradezu auf, dass Arbeiten mit entsprechenden Ausnahmegenehmigungen eben auch an Sonntagen und auch nachts erfolgen. Es wäre vielmehr ungewöhnlich gewesen, wenn unter den vorgenannten Umständen keine Arbeiten an Sonntagen und nachts stattgefunden hätten.

Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass Pläne zur Umgestaltung des Bahnhofs O. bereits seit etwa 80 Jahren bestünden und sie deshalb nicht habe damit rechnen müssen, dass diese gerade nunmehr verwirklicht würden. Dem steht bereits der oben erwähnte Hinweis der Klägerin vor Abschluss des Mietvertrags entgegen. Im Übrigen war nach dem Fall der Mauer die Sanierung der S-Bahn und insbesondere die Erneuerung der Ringbahn ... Tagesgespräch. Das ist gerichtsbekannt. Es war in diesem Zusammenhang für jedermann erkennbar, dass der Bahnhof O. von der Grundinstandsetzung zunächst noch ausgenommen war. Wenn man hierzu nicht u. a. die Berichte in der Presse verfolgt hat, lässt sich das unmittelbar auf dem Bahnhof selbst erkennen. Es kommt auch nicht darauf an, dass die Arbeiten im Einzelnen von der Klägerin nicht mitgeteilt worden sind. Aus dem Umstand, dass dies in den von der Beklagten zitierten Entscheidungen der Fall war, ergibt sich nicht der Umkehrschluss, dass es zwingende Voraussetzung ist und ansonsten die Voraussetzungen von § 536 b BGB nicht erfüllt seien. Hinzu kommt, dass die Klägerin hierzu gar nicht in der Lage ist, weil sie selbst nicht Bauherrin der Maßnahmen ist. Entscheidend ist, dass der Mieter bei Anmietung der Wohnung weiß, dass und - in groben Zügen -auch welche Art von Gebrauchsbeeinträchtigungen auf ihn zukommen. Beim Eintritt dieser Nachteile erweist sich die angemietete Wohnung deshalb nicht als mangelhaft. Angesichts der obigen Ausführungen konnte die Beklagte auch nicht bloße Instandsetzungen erwarten. Sie musste vielmehr mit grundlegenden Umbau- und Sanierungsarbeiten rechnen. Es kommt auch nicht darauf an, ob sie sich aufgrund der Mitteilung der Klägerin von den Auswirkungen andere Vorstellungen gemacht hat, denn diese liegen grundsätzlich in ihrer Sphäre. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit solche Vorstellungen der Beklagten für die Klägerin erkennbar waren und diese auch zum Gegenstand der gegenseitigen Vereinbarungen gemacht worden sind.

Nach allem sind danach Gewährleistungsansprüche aufgrund der vorliegenden Bauarbeiten insgesamt nach § 536 b BGB ausgeschlossen.

Unter Berücksichtigung des vom Amtsgerichts zugesprochenen Betrags von 2.014,86 EUR war die Klageforderung insgesamt in Höhe von 5.769,10 EUR begründet.

Ferner ist die Beklagte aus dem Gesichtspunkt des obigen Verzugs gemäß § 286 Abs. 1 BGB zur Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der geltend gemachten Höhe von 489,45 EUR verpflichtet.

Die Kostenentscheidung betreffend die I. Instanz beruht auf §§ 92 Abs. 1, 91 a, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Kostenentscheidung für die Berufungsinstanz beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO lagen nicht vor. Denn es handelt sich um einen von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls geprägten Rechtsstreit, der keine grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen aufwirft, und es ist nicht erkennbar, dass zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine revisionsgerichtliche Entscheidung geboten ist.

Vorinstanzen

AG Lichtenberg, 5 C 587/10

Rechtsgebiete

Mietrecht