Ausgleichsanspruch wegen erfolgter Annullierung des Fluges

Gericht

AG Rüsselsheim


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

27. 06. 2012


Aktenzeichen

3 C 2655/11 (36)


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend: VO) wegen Flugannullierung sowie um die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die Kläger buchten bei der Beklagten für den 14.6.2011, 16:15 Uhr, einen Flug von Köln / Bonn nach Antalya (Flug DE 2786). Die Flugentfernung betrug über 1.500 km.

Die Beklagte annullierte den Flug, ohne dass die Kläger selbst im Vorfeld des geplanten Abflugzeitpunkts von der Annullierung Kenntnis erhielten, und beförderte die Kläger erst am 15.6.2011 nach Antalya.

Mit Schreiben vom 30.6.2011 machten die Kläger bei der Beklagten Ausgleichsansprüche geltend. Die Beklagte lehnte Ansprüche der Kläger mit Schreiben vom 25.8.2011 ab. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger machten deren Ansprüche mit Schreiben vom 15.9.2011 und 4.10.2011 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags auf. …

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig und im Hinblick auf die Hauptforderung vollständig, im Hinblick auf die Nebenforderungen teilweise begründet.

Die Klägerseite hat einen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen in der geltend gemachten Höhe gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b, Art. 5 Abs. 1 lit. c VO. Der von den Klägern bei der Beklagten gebuchte Flug von Köln nach Antalya am 14.6.2011 wurde unstreitig annulliert i. S. d. Art. 5, Art. 2 lit. 1 VO.

Dem klägerischen Anspruch steht die Behauptung der Beklagten nicht entgegen, dass sie das Reisebüro, dessen sich die Kläger bei der Buchung bedient hatten, bereits am 31.1. 2011 über die Annullierung des Fluges informiert habe. Auf eine Beweiserhebung hierzu kommt es nicht an, da diese Behauptung unerheblich ist.

Mit Blick auf den Umstand, dass die Beförderung der Kläger erst am Folgetag des ursprünglich geplanten Abflugtages durchgeführt worden ist, kommt ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs allein gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c VO in Betracht. Hiernach hat ein Luftfahrtunternehmen den Fluggästen - ausnahmsweise - keine Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO zu erbringen, wenn diese mindestens 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet werden.

Die Beklagte hat nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass sie die Kläger mindestens 2 Wochen vor der geplanten Abflugszeit über die Annullierung unterrichtet hat. Die Beklagte trägt lediglich vor, dass sie das einbuchende Reisebüro, dessen sich die Kläger bei der Buchung bedient haben, am 31.1.2011 - rechtzeitig - informiert habe. Trotz des richterlichen Hinweises vom 25.4.2012 bringt sie weder vor, dass sie auch die Kläger selbst von der Annullierung unterrichtet hat, noch führt sie aus, weshalb eine unmittelbare Information der Kläger nicht möglich gewesen ist. Da es sich nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 lit. c VO um einen Ausnahmetatbestand zur bestehenden Pflicht zur Leistung einer Ausgleichszahlung handelt, ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet für den Umstand, dass die Information der Fluggäste rechtzeitig erfolgt ist. Hieraus folgt, dass die Beklagte auch im Einzelnen die Umstände darzutun hat, die dazu geführt haben, dass eine unmittelbare Unterrichtung der Fluggäste unmöglich gewesen ist und daher auf eine Information allein des Reisevermittlers / Reisebüros ausgewichen werden musste.

Die Beklagte hat insbesondere nicht vorgetragen, dass ihr die Kontaktdaten der Fluggäste 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unbekannt gewesen sind. Sie kann sich diesbezüglich nicht darauf zurückziehen, dass klägerseits kein Vortrag dazu erfolgt ist, wann und wie die Beklagte die Kontaktdaten der Kläger erhalten hat. Diesen Umstand hat die Beklagte, der die technischen Einzelheiten der Datenübermittlung im Rahmen einer Buchungsabwicklung zwischen Reisebüro und Luftfahrtunternehmen - anders als den Klägern - auch bestens bekannt sind, beizubringen. …

Die Klägerseite kann auch Freistellung von den - noch nicht gezahlten - vorgerichtlichen Anwaltskosten in angemessenem Rahmen als Verzugsschaden verlangen (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB). Bei Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite war die Beklagte mit der Leistung der Ausgleichszahlungen bereits im Verzug. Die Ausgleichszahlungen waren unmittelbar fällig; der Verzug ist spätestens mit der Ablehnung der Ansprüche durch die Beklagte am 25.8.2011 eingetreten. Ein Verschulden der Beklagten am Verzug wird vermutet (§ 286 Abs. 4 BGB).

Die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten überschreiten jedoch die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und stellen nur teilweise einen kausalen und adäquaten Verzugsschaden dar. Die Klägerseite kann insoweit nur Ersatz angemessener Rechtsanwaltskosten verlangen; diese sind vorliegend mit insgesamt EUR 155,30 (1,3 Geschäftsgebühr: 110,50 EUR; Auslagenpauschale: 20,- EUR; Umsatzsteuer: 24,80 EUR) zu bemessen.

Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit ist hier nach Nr. 2300 VV RVG von einer angemessenen Gebühr in Höhe von 1,3 Gebühren auszugehen. Über diese Regelgebühr hinausgehende Gebühren sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht angemessen, da eine besondere Schwierigkeit oder ein besonderer Umfang der vorgerichtlichen Tätigkeit nicht zu erkennen ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen erfolgter Annullierung sind sehr überschaubar und leicht festzustellen. Besondere Rechtskenntnisse oder die Notwendigkeit der Verfolgung aktueller Rechtsentwicklungen - über das ohnehin gebotene Maß hinaus - sind nach hiesiger Auffassung nicht veranlasst.

Der Ansatz der Mittelgebühr von 1,5 Gebühren lässt sich nach hiesiger Auffassung auch nicht damit begründen, dass das Mandat aufgrund seiner "europarechtlichen Natur" oder seiner Zugehörigkeit zu einem Rechtsgebiet, für welches eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist, eine gesteigerte Schwierigkeit aufweise. Der bloße Umstand eines Bezugs zu sekundärem Gemeinschaftsrecht vermag eine besondere Schwierigkeit nicht auszulösen, da gemeinschaftsrechtliche Implikationen nunmehr in nahezu allen Lebensbereichen eine Rolle spielen. Da zudem mittlerweile für nahezu jedes Rechtsgebiet eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist, führt auch dieser Umstand nicht zu einer besonderen Schwierigkeit der Sache.

Die Frage der Angemessenheit / Billigkeit der festgesetzten Rechtsanwaltsgebühren konnte das Gericht selbst entscheiden; der Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer bedurfte es im vorliegenden Rechtsstreit mit einem erstattungspflichtigen Dritten nicht (so auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.3.2008 - 1 U 198/07; Mayer / Kroiß, RVG, 2009, § 14 Rn. 59 m.w.N.).

Die Gewährung eines Toleranzspielraums von 20% auf die Regelgebühr von 1,3 Gebühren (hierzu Mayer / Kroiß, RVG, 2009, § 14 Rn. 54 m.w.N.) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Gewährung eines solchen Toleranzspielraums (hierzu BGH NJW 2011, 1603) unterläuft die eindeutige Wertung des Gesetzgebers, der die Regelgebühr für nicht umfangreiche und nicht schwierige Fälle auf 1,3 Gebühren festgelegt hat. Diese Wertung wäre ohne jede Bedeutung, wenn ein Rechtsanwalt unter fortwährender Berufung auf eine nach hiesiger Auffassung nicht gegebenen Schwierigkeit des Falles stets eine 1,5-Gebühr verlangen könnte und dies - unter der Berücksichtigung des genannten Toleranzspielraums von 20% - einer richterlichen Überprüfung entzogen wäre (so auch AG Halle, BeckRS 2011, 19460). Nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG kann bei durchschnittlichen Sachen nur eine Gebühr in Höhe von 1,3 verlangt werden, einen über diese Kappungsgrenze hinausgehenden Toleranzspielraum lässt die Vorschrift nicht zu (wie hier OLG Koblenz, Urt. v. 5.9.2011 - 12 U 713/10; zum Ganzen ausführlich auch AG Frankfurt a.M., Urt. v. 17.11.2011 - 29 C 1613/11-46). Vielmehr wird der "Spielraum" des Rechtsanwalts durch die Regelung auf 1,3 Gebühren begrenzt (OLG Jena, Beschl. v. 2.2.2005 - 9 Verg 6/04). Nichts anderes folgt auch aus der entsprechenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1971, S. 206, 207 zu Nr. 2400 VV RVG).

Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs - insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Beschl. v. 19.7.2006 - 10 U 2476/06). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit - unabhängig von einer Rechnungsstellung - fällig.

Unerheblich ist auch, dass die Beklagte die Ansprüche der Kläger vorgerichtlich bereits abgelehnt hatte. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerseite aus ex-ante-Sicht zweckmäßig und nicht schlechterdings aussichtslos, da nach allgemeinen Erfahrungssätzen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch dann erfolgversprechend ist, wenn die Gegenseite geltend gemachte Ansprüche bereits abgelehnt hatte. Die Beklagte hat zudem nicht vorgetragen, dass ihre Ablehnung ausdrücklich habe erkennen lassen, dass sie endgültig sei und die Beauftragung eines Rechtsanwalts gegen die klägerische Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen würde. …

Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, da die Kläger mit nicht mehr als 600,- EUR beschwert sind, die Rechtssache aber auch im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1,5 Gebühren grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtsgebiete

Reiserecht