Gespeicherte Daten unterfallen dem zivilrechtlichen Eigentumsschutz

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

07. 11. 1995


Aktenzeichen

3 U 15/95


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. betreibt eine Arztpraxis für Augenheilkunde. Die Bekl. zu 1 handelt mit Hard- und Software. Der Bekl. zu 2 ist bei der Bekl. zu 1 beschäftigt. Am Morgen des 23. 9. 1993 funktionierte die bei der Bekl. zu 1 erworbene Computeranlage in der Praxis der Kl. nach einem nächtlichen Gewitter nicht mehr. Die beiden in den Behandlungsräumen stehenden Seitenterminals waren außer Funktion, während über das Hauptterminal noch ein Zugriff auf jedenfalls die wesentlichen über Patienten der Kl. gespeicherten Daten möglich war. Von der Bekl. zu 1 wurde der Bekl. zu 2 zur Reparatur in die Praxis der Kl. geschickt, wo jedoch vor Ort die Reparatur nicht durchgeführt werden konnte. Der Bekl. zu 2 baute den Rechner auseinander, konnte den Computer in den Praxisräumen der Kl. jedoch nicht reparieren. Er nahm daher den Zentralrechner, eine Festplatte und Sicherungsbänder zum Versuch einer Rekonstruktion von Daten und einer Reparatur im übrigen mit. Weil Daten auf der Festplatte des Zentralrechners zerstört waren und auch eine ausreichende Datensicherung nicht vorlag, konnte die Kl. nicht mehr auf Daten zurückgreifen, weshalb ihr zum Betreiben ihrer Praxis ein zusätzlicher Arbeitsaufwand entstand, der zu gesonderten Vergütungen gegenüber ihren Angestellten führte. Hinsichtlich der behandelten Privatpatienten ist der Kl. wegen der verlorenen Daten weitgehend eine Abrechnung unmöglich geworden. Diesbezüglich begehrt sie Feststellung, daß die Bekl. ihr zum Schadenersatz verpflichtet sind.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufungen der Bekl. hatten teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. ... 2. Wie das LG im Ergebnis zutreffend angenommen hat, haftet die Bekl. zu 1 auf Schadensersatz. Zur Begründung der Haftung bedarf es allerdings keines Rückgriffs auf die Grundsätze der positiven Vertragsverletzung. Vielmehr ergibt sich die Haftung der Bekl. aus den Gewährleistungsregeln des Werkvertragsrechts, § 635 BGB. Nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, erfaßt § 635 BGB nicht nur Schäden am Werk selbst, sondern auch bestimmte “nächste” Folgeschäden. Nur für die entfernteren Folgeschäden gelten die Regelungen der positiven Vertragsverletzung (BGHZ 58, 85 (91) = NJW 1972, 625; BGH, NJW 1982, 2244). Die Bekl. zu 1 war von der Kl. beauftragt worden, einen Fehler in der EDV-Anlage zu beheben. Geschuldet war die Reparatur der beiden nicht funktionierenden Terminals. Der bei der Werkleistung verursachte, zum Schaden führende Mangel - der Verlust von gespeicherten Daten - ist zwar nicht unmittelbar am Objekt der Leistung aufgetreten, aber noch an Bestandteilen der EDV-Anlage, die Gegenstand des Reparaturauftrages war. Der geltend gemachte Arbeitsaufwand für die Wiederherstellung der Daten steht in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit dem Mangel, so daß er von der Regelung des § 635 BGB erfaßt wird (vgl. auch OLG Köln, NJW-RR 1994, 1262).

Wie die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hat, führte ein fehlerhaftes Vorgehen des Bekl. zu 2 zur Zerstörung von Daten, die auf der Festplatte der Anlage gespeichert waren. Die bei der Kl. als Arzthelferinnen beschäftigten Zeuginnen S und G haben übereinstimmend bestätigt, daß nach dem nächtlichen Gewitter zwar die beiden Seitenterminals außer Funktion waren, vor Eintreffen des Bekl. zu 2 zumindest aber noch auf einem Gerät ein Zugriff auf die Daten möglich war. Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Zeuginnen, wie sie der Bekl. zu 2 in allgemeiner und unsubstantiierter Form erhebt, bestehen nicht. Allein die Tatsache, daß es sich um Beschäftigte der Kl. handelt, rechtfertigt ein Mißtrauen gegen ihre plausiblen und nachvollziehbaren Angaben über das Geschehen nicht. Zu der unter den Parteien streitigen Frage nach den Ursachen des Datenverlustes hat der vom LG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. F ausgeführt, daß zwischen den Reparaturarbeiten des Bekl. zu 2 und dem Datenverlust ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang bestehe und eine Vermutung dafür spreche, daß ein nicht sachgerechtes Vorgehen den Datenverlust bewirkt habe. Der Senat ist wie das LG zu der Überzeugung gelangt, daß der Datenverlust durch ein fehlerhaftes Vorgehen des Bekl. zu 2 bei der Reparatur entstanden ist. Diese Überzeugung gründet sich zum einen darauf, daß nach den Ausführungen des Sachverständigen ein ebenfalls als Ursache in Betracht kommendes Auftreten eines Materialfehlers genau während der Reparaturzeit äußerst unwahrscheinlich ist und zum anderen darauf, daß der Bekl. zu 2 bei der Reparatur nicht sachgerecht vorgegangen ist. Der von ihm gewählte Weg der Fehlersuche war, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, angesichts der unstreitigen Tatsache, daß zwar zwei Terminals ausgefallen waren, ein weiteres jedoch noch funktionierte, ungeeignet. Unklar und von den Bekl. auch in zweiter Instanz nicht näher dargelegt bleibt, warum der Bekl. zu 2 bei den vorgefundenen Fehlersymptomen einen Festplattenaustausch vornahm. Verbleibende Zweifel am Verschulden des Bekl. zu 2 gehen nach § 282 BGB analog zu Lasten der Bekl. Entgegen der Auffassung der Bekl. zu 1 gilt die Beweislastregel des § 282 BGB nicht nur für die Haftung für Unmöglichkeit; sie ist nach allgemeiner Auffassung entsprechend anwendbar auf die Fälle positiver Vertragsverletzung und auf den Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB (BGHZ 48, 310 (312) = NJW 1968, 43; Baumgärtel, Hdb. der Beweislast im PrivatR I, § 635 Rdnr. 14). Der Grundgedanke der Vorschrift, die wegen der größeren Nähe des Schuldners zum Beweisgegenstand diesen mit dem Beweis belastet, trifft auch auf die vorliegende Konstellation zu. Die Schadensursache liegt hier im Organisations- und Gefahrenbereich des Schädigers, da davon auszugehen ist, daß vor den Handlungen des Bekl. zu 2 die Daten noch vorhanden waren. Zu Unrecht rügt die Bekl. zu 1, daß das landgerichtliche Urteil Feststellungen zum eigenen Verschulden der Bekl. zu 1 vermissen lasse. Die Bekl. zu 1 hat sich zur Erfüllung ihrer (werk-)vertraglichen Verpflichtung eines Mitarbeiters, des Bekl. zu 2, bedient. Dieser hat bei der Erfüllung der Verbindlichkeit der Kl. einen Schaden zugefügt, so daß eine Zurechnung nach § 278 BGB stattfindet, was auch das LG gesehen und - freilich dogmatisch ungenau - im Zusammenhang mit der deliktischen Haftung des Bekl. zu 2 erörtert hat.

Die Ansprüche der Kl. sind auch nicht verjährt. Die für Ansprüche aus § 635 BGB geltende kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 638 BGB wurde durch die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs vor Ablauf unterbrochen (§ 209I BGB i.V. mit § 270III ZPO). Die Verjährung begann gem. § 638I 2 BGB mit der Abnahme des Werkes zu laufen. Mit zutreffender Begründung hat das LG angenommen, daß eine Abnahme jedenfalls nicht vor dem 26. 10. 1993 stattgefunden hat. Unstreitig hat die Bekl. zu 1 erst an diesem Tag den aus der Praxis der Kl. mitgenommenen Zentralrechner und die Festplatte zurückgebracht. Wie die Bekl. zu 1 selbst in der Berufungsbegründung zutreffend formuliert, war Gegenstand des Werkvertrags die Instandsetzung des Computersystems. Unerheblich ist daher, ob und wann sie zuvor Mitteilungen über die Möglichkeit einer Datenrekonstruktion machte. Die am 21. 4. 1994 bei Gericht eingegangene Klage hat somit die Verjährung wirksam unterbrochen.

3. Auch der Zweitbekl. haftet auf Schadensersatz. Zwar trifft ihn als Erfüllungsgehilfen grundsätzlich keine eigene vertragliche Haftung. Der Bekl. haftet jedoch, wie das LG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, aus Delikt. Durch das unsachgemäße Vorgehen des Bekl. zu 2 kam es zu einem Verlust von Daten auf der Festplatte. Dies stellt eine Eigentumsverletzung i.S. des § 823I BGB dar. Auch auf Datenträgern gespeicherte Sachdaten können Schutzgegenstand des Eigentumsrechts aus § 823I BGB sein (Rombach, CR 1990, 101 (104)). Dabei kann die umstrittene Frage dahingestellt bleiben, ob Computersoftware als Sache i.S. des § 90 BGB einzustufen ist und damit grundsätzlich als Schutzobjekt des § 823 BGB in Betracht kommt. Jedenfalls ist der Datenträger mit dem darin verkörperten Programm eine körperliche Sache (BGH, NJW 1990, 320; NJW 1993, 1871 m. Anm. König,NJW 1993, 3121). Auf diese im Eigentum der Kl. stehende Sache hat der Zweitbekl. durch sein Verhalten in einer Weise eingewirkt, daß ein Schaden entstanden ist. Bei einer Löschung von Daten wird allerdings teilweise die Auffassung vertreten, es sei lediglich eine Information zerstört, die in dem jeweiligen Medium enthalten sei. Eine Information könne wegen ihrer immateriellen Natur nicht Schutzgut einer Norm gegen die Beschädigung materieller Substanz sein (so Gerstenberg, NJW 1956, 530, zum Fall des Löschens von Tonbändern). Daran ist richtig, daß die körperliche Substanz des Datenträgers in diesen Fällen unversehrt bleibt. Eine Eigentumsverletzung i.S. des § 823I BGB ist jedoch nicht nur bei Zerstörung und Beschädigung der Sachsubstanz gegeben, sondern bei jeder Einwirkung auf die Sache, die den Eigentümer daran hindert, mit ihr seinem Wunsch entsprechend (§ 903 BGB) zu verfahren (Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., § 823 Rdnr. 8; Engel, CR 1986, 702 (705)).

4. Der Senat sieht allerdings im Unterschied zum LG in der fehlenden bzw. fehlerhaften Datensicherung der Kl. ein Mitverschulden i.S. des § 254 BGB, das sich im Ergebnis auswirken muß. Unstreitig hat die Kl. keine ausreichende Datensicherung durchgeführt. Der Sachverständige hat hierzu festgestellt, daß die Kl. zu wenig Bandkassetten verwendet und es unterlassen habe, die verwendeten intensiv benutzten Bandkassetten auf ihre Eignung für die Datensicherung zu überprüfen. Im angefochtenen Urteil wird eine Mithaftung mit der Begründung abgelehnt, daß ein Verschulden der Kl. oder ihrer Mitarbeiterinnen bei der Datensicherung nicht bewiesen sei. Die Bekl. hätten nicht nachgewiesen, daß die Kl. ausreichend über das Vorgehen bei der Datensicherung unterrichtet gewesen sei und daß sie oder ihre Mitarbeiterinnen bei der Sicherung gegen Vorgaben verstoßen hätten. Bei dieser Begründung wird verkannt, daß der Begriff des Verschuldens in § 254I BGB nicht dem allgemeinen zivilrechtlichen Begriff des Verschuldens entspricht (Soergel/Mertens, § 254 Rdnr. 23). Mag auch das Verhalten der Kl. im vorliegenden Fall nicht pflichtwidrig und damit im eigentlichen Sinne “schuldhaft” gewesen sein, so hat sie es doch in einem Bereich, der allein ihrer Risikosphäre zuzuordnen ist, an Sorgfalt fehlen lassen. Denn eine gelegentliche Kontrolle, ob die Bandkassetten in Ordnung sind und die Sicherung der Daten erfolgt, war in ihrem eigenen Interesse geboten und zumutbar. Bei der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung nach dem Ausmaß der Verursachung und des Verschuldens kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß der Beitrag des Bekl. zu 2 an der Schadensentstehung schwerer wiegt. Vor einem Ausbau der Festplatte hätte er sicherstellen müssen, daß eine ausreichende Datensicherung vorliegt. Die Nachfrage beim Personal reichte insoweit nicht aus, vielmehr hätte er zuvor eine - ihm durchaus mögliche - Kontrolle durchführen müssen. Berücksichtigt man auf der einen Seite dieses Verschulden und auf der anderen Seite die in der Sphäre der Kl. liegenden, von ihr aber nicht nachweisbar erkannten Mängel der Bandkassetten, so ist der Mitverschuldensanteil der Kl. auf ein Drittel festzusetzen.

Rechtsgebiete

Informations- und Telekommunikationsrecht