Echte Wachskerzen am Weihnachtsbaum sind nicht grob fahrlässig

Gericht

OLG Schleswig-Holstein


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

02. 06. 1998


Aktenzeichen

3 U 22/97


Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 20. Dezember 1996 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil beschwert die Kläger in Höhe von 4.421,01 DM.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Kläger ist zwar zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Kläger klargestellt, daß sie sämtliche mit der Klage begehrten Schadenspositionen mit einem Anteil von 1/10 in der Berufung weiter verfolgen wollen. Durch diese Erklärung habe sie die Bestimmbarkeit ihres Klagantrages herbeigeführt, die notwendig war, da es sich um einen Fall der objektiven Klagenhäufung gemäß § 260 ZPO handelt.

Die Berufung der Kläger ist jedoch zurückzuweisen, weil das Landgericht die Klage zutreffend abgewiesen hat. Von der Berufung nicht angegriffen hat das Landgericht lediglich einen Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 823 Abs. 1 BGB geprüft. Das Landgericht hat sich dabei auf den Standpunkt gestellt, daß die Beklagte den durch den Brand ihres Weihnachtsbaumes ausgelösten Brandschaden vom 4. Januar 1995 nicht schuldhaft herbeigeführt habe, weil sie nicht habe voraussehen können, daß der Weihnachtsbaum beim Ausbrennenlassen der Wachskerzen sich explosionsartig entzünden und das Wohnungsfeuer entfachen werde. Sie habe sowohl die nötige Aufmerksamkeit an den Tag gelegt als auch Schadensbeseitigungsmaßnahmen - wenn auch erfolglos - unverzüglich ergriffen.

Diese landgerichtliche Würdigung hält der Berufungsbegründung stand. Zutreffend weisen die Kläger indes darauf hin, daß Weihnachtsbäume mit brennenden Kerzen grundsätzlich ein erhöhtes Gefahrenpotential bilden. Die Brandgefahr steigt mit dem Zeitraum seit dem Schlagen der Bäume. Sie wird dadurch verstärkt, daß die Bäume in beheizten Räumen aufgestellt werden und schneller austrocknen. Zutreffend machen die Kläger auch darauf aufmerksam, daß die Beklagte ihren eigenen Angaben zufolge den Weihnachtsbaum am letzten Adventssonntag vor Weihnachten gekauft haben will, mithin am 18. Dezember 1994. Als das Schadensereignis eintrat, hatte sie den Baum bereits 18 Tage lang in ihrem Besitz und den Baum zumindest 12 Tage lang in ihrem Wohnzimmer aufgestellt. Wenn man zusätzlich bedenkt, daß Weihnachtsbäume nicht schnittfrisch geliefert werden können, sondern in der Regel einige Zeit vor dem Verkauf geschlagen werden, reichen aber auch diese zeitlichen Umstände nicht aus, ein Ausbrennenlassen der Kerzen als schuldhaft anzusehen. Insoweit muß zunächst bedacht werden, daß die Beklagte ihren eigenen Angaben zufolge ein vorzeitiges Austrocknen des Baumes durch Wasser- und Glyceringaben in den dafür vorgesehenen Baumständer hinausgezögert hat. Außerdem hat sie ausweislich des zur Akte gereichten Fotos dargelegt, daß sie Kerzenhalter jeweils am äußeren Rand des Tannenbaums in einer Weise angebracht hat, daß die Kerzen nicht unmittelbar unter Zweigen hängen, die sie entzünden könnten. Schließlich hat die Beklagte dargelegt, daß sie Kerzenständer in besonders stabiler Bauweise mit Gegengewichten verwendet hat, die ein Schiefhängen von Kerzen verhindern und für besondere Stabilität sorgen. Die Auffangschale bildete eine Mulde und konnte damit sowohl das Hinunterfallen eines noch glimmenden Dochtes verhindern als auch heißes Wachs auffangen. Schließlich war die Auffangschale ihrem Durchmesser nach größer als bei üblichen Kerzenhaltern, jeweils nach Angabe der Beklagten. Die übliche Aufbewahrzeit von Tannenbäumen war gleichfalls nicht überschritten, weil solche Bäume zumeist bis zum Drei-Königs-Tag am 6. Januar aufbewahrt und erst dann der öffentlichen Müllabfuhr übergeben werden. Das Ausbrennenlassen von Kerzen ist unter den gegebenen Umständen nicht sorgfaltswidrig, wie der Landrichter bereits zutreffend festgestellt hat. Die Beklagte hatte auch Vorkehrungen getroffen für einen Notfall, indem sie einen Eimer gefüllt mit Wasser bereit stellte. Daß dieser Eimer nach überraschender explosionsartiger Verpuffungsreaktion und dem anschließenden Umfallen des Baumes nicht mehr erreichbar war, begründet für sich genommen allein noch keinen Vorwurf von Sorgfaltspflichtverletzungen. Der Umstand schließlich, daß der Baum auf einen Hocker gestellt worden ist, entspricht üblicher Handhabung bei kleineren Bäumen, wurden doch Sicherheitsabstände sowohl zur Decke als auch zu nahegelegenen Wänden eingehalten. Nadelte der Baum noch nicht, wie die Beklagte vorgetragen hat, so konnte sie auch nicht die Gefahr einer ätherischen Verpuffungsreaktion erkennen, die durch die Trockenheit von Nordmanntannen ausgelöst wird. Typisches Merkmal alternder Weihnachtsbäume ist das Nadeln. Selbst wenn sämtliche vorgenannten Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, könnte ein Fahrlässigkeitsvorwurf aus einer allgemeinen Unachtsamkeit hergeleitet werden. Auch ein solches Risiko ist die Beklagte indes nicht eingegangen, weil sie nach ihren Angaben den mit brennenden Kerzen versehenen Weihnachtsbaum nicht aus den Augen ließ und bei Brandentstehung sogar davor gestanden hat, mithin grundsätzlich also eingreifen konnte. Deshalb hat die Beklagte insgesamt allgemein übliche Sicherheitsvorkehrungen nicht verletzt, sondern sich an die allgemein übliche Handhabung im Umgang mit Kerzen auf Weihnachtsbäumen gehalten. Daß damit zwangsläufig ein gewisses Brandrisiko verbunden war, das sich im streitgegenständlichen Falle auch konkretisiert hat, entspricht dem Umgang mit offenem Feuer. Weitere Sorgfaltspflichtverletzungen können der Beklagten nach der von ihr vorgetragenen Handhabung nicht zur Last gelegt werden.

Den Klägern kann nicht beigepflichtet werden, daß die Beklagte eine besondere Verantwortung für die geschaffene Gefahrenquelle treffe. Wollte man die von den Kläger aufgestellten Anforderungen an die Sorgfaltspflicht übernehmen, so wäre ein Abbrennen von Kerzen auf Weihnachtsbäumen grundsätzlich nicht mehr gestattet. Soweit die Kläger auf den Gesichtspunkt der Ingerenz aufgrund vorangegangenen gefährdenden Verhaltens abstellen wollen, handelt es sich lediglich um eine neue Konstruktion zur Unterlassung gebotener Anzeige- und Hinweispflichten. Soweit die Kläger schließlich eine Umkehr der Beweislast annehmen und der Beklagten aufbürden wollen, sie müsse vermutetes Verschulden ausräumen, gehen ihre Überlegungen an der Gesetzeslage vorbei. Grundsätzlich trägt im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB der Geschädigte auch die Beweislast für das Verschulden des Schädigers. Der Geschädigte muß also beweisen, daß der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der haftungsbegründenden Handlung oder Unterlassung außer acht gelassen hat. Eine Abkehr von diesem Grundsatz würde letztlich im Falle eines non liquet zu einer Haftung ohne Verschulden und damit zu einer Gefährdungshaftung führen. Solche Fälle von Beweislastumkehr sind von der Rechtsprechung lediglich in speziellen Bereichen wie der Produzentenhaftung gebildet worden (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band 1, 2. Aufl. § 823 Abs. 1 Rn. 26 m. w. N.). Für den Geschädigten kommt nur dann eine Beweiserleichterung in Betracht, wenn feststeht, daß der Schädiger objektiv einen Pflichtenverstoß begangen und damit die äußere Sorgfalt verletzt hat. Nur in Fällen der Verletzung der äußeren Sorgfaltspflicht kann auf das Fehlen der inneren Sorgfalt, d. h. auf die Fahrlässigkeit geschlossen werden (Baumgärtel a. a. O. Rn. 28 m. w. N.). Der Fahrlässigkeitsvorwurf ist nur begründet, wenn sowohl intellektuelle als auch voluntative Fahrlässigkeitselemente erfüllt sind. Danach ist die Erkennbarkeit der Gefahr ebenso wie die Vorhersehbarkeit des Erfolges Voraussetzung des intellektuellen Fahrlässigkeitselementes (Münchener Kommentar 3. Aufl. § 276 Rn. 100 ff.). Hinsichtlich der Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit wird verlangt, daß sich jeder mit den Ordnungsregeln der Verkehrskreise, an denen er beteiligt ist, vertraut macht. Solche allgemeinen Umgangsregeln mit Weihnachtsbäumen hat die Beklagte ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen jedoch nicht verletzt. Deshalb kann mangels objektiven Pflichtenverstoßes auch nicht auf die Fahrlässigkeit rückgeschlossen werden.

Den Klägern ist es deshalb zwar nicht versagt, im zweiten Rechtszug den Schadenshergang zu bestimmten Punkten zu bestreiten. Sie können der Beklagten jedoch die Beweislast nicht aufbürden. Da sie für ihren Vortrag keinen zusätzlichen Beweis haben anbieten können, ist der Entscheidung der von der Beklagten angegebene Sachvortrag zugrundezulegen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Vorinstanzen

LG Kiel, 9 O 250/96

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht