Abflug planmäßig, Verspätung wegen technischer Probleme nach Zwischenlandung

Gericht

LG Darmstadt


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 04. 2012


Aktenzeichen

7 S 171/11


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 17.08.2011, Az: 3 C 374/11, abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können jedoch die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.200,00 Euro und für die erste Instanz auf 1.230,00 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kläger verlangen mit der am 29.03.2011 zugestellten Klage von der beklagten Fluggesellschaft u. a. Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 261/2004 in Höhe von jeweils 600,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten, weil der für den 25.11.2009 um 09.35 Uhr gebuchte Flug ... von Phuket/Thailand nach ... nach planmäßigem Start und einer planmäßigen Zwischenlandung in Bahrein nicht wie vorgesehen weiter durchgeführt wurde. Wegen technischer Probleme konnte das Flugzeug in Bahrein nicht weiterfliegen, so dass die Passagiere von dort mit einer Ersatzmaschine weiter nach ... befördert wurden. Die Landung in ... erfolgte mit einer Verspätung von knapp 13 Stunden zu der geplanten Ankunftszeit.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung, weil der Flug nach ... ordnungsgemäß gestartet sei und sich die EG-Verordnung Nr. 261/04 nur auf Vorkommnisse bei Abflug beziehe, nicht aber auf Umstände anlässlich von Zwischenlandungen. Ein einmal begonnener Flug könne nicht mehr annulliert werden.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 17.08.2011 die Beklagte verurteilt, an die Kläger jeweils 600,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 11.02.2010 zu zahlen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten an den Kläger zu 1) in Höhe von 155,30 €. Die weitergehende Klage wurde abgewiesen.

In den Entscheidungsgründen hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die EG-Verordnung Nr. 261/04 den Begriff des Fluges selbst nicht definiere. Aus der Verwendung des Begriffes „Flug“ werde jedoch deutlich, dass die Verordnung von einer Segmentierung einer Reise in „(Erst-)Flug“ und „Anschlussflug“ ausgehe. Als „Flug“ im Sinne der Verordnung sei deshalb vorliegend nicht die Reise von Phuket nach ... via Bahrain zu verstehen, sondern die Beförderung von Phuket nach ... . Deshalb bestehe aufgrund des verspäteten Abflugs am Ort der Zwischenlandung ein Anspruch auf Ausgleichsleistung.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger verteidigen das amtsgerichtliche Urteil und beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung der Beklagten wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der antragsgemäß verlängerten Frist auch begründet, ist somit zulässig.

In der Sache hat sie auch Erfolg, weil ein Anspruch der Kläger auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nicht besteht.

Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

Aufgrund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage insgesamt nicht begründet.

Die Kammer geht nach ihrer ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die sich aus der genannten EG-Verordnung ergebenden Ansprüche regelmäßig an Vorgänge beim Abflug geknüpft sind (Urteil vom 04.03.2009, Az: 7 S 220/08; Urteil vom 06.05.2009, Az: 7 S 268/08; Urteil vom 01.07.2009, Az: 7 S 21/09; vgl. ferner LG Frankfurt, Urteil vom 29.09.2011, Az: 2-24 S 56/11, RRa 2012, S. 20; Staudinger, RRa 2010, S. 10 ff). So werden in der EG-VO u. a. Abflugverspätungen geregelt, während das Montrealer Übereinkommen Frachtschäden, Passagierunfälle und Ankunftsverspätungen zum Gegenstand hat (vgl. auch EuGH, Urteil vom 10.01.2006, Az: C-344/04, abgedruckt in NJW 2006, 351). Ziel der hier in Rede stehenden EG-Verordnung ist ausweislich der Erwägungsgründe (Ziff. 9, 12) auch, die oft zulasten der Passagiere gehende wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Fluggesellschaften gerade bei der Flugplanung einzuschränken (Tonner in Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, nach § 651, Rdnr. 21). Schließlich wird bei der Regelung der Informationspflicht in Art. 14 Abs. 1 auf den Zeitpunkt der Abfertigung der Fluggäste abgestellt, also ebenfalls auf ein sogar vor Abflug liegendes Ereignis. Dass es sich bei den haftungsbegründenden Tatbeständen der EG-VO Nr. 261/2004 um Geschehnisse allein im Zusammenhang mit dem Abflug handelt, entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der einschlägigen Literatur (vgl. etwa Peterhoff, Die Rechte des Flugreisenden im Überblick, TranspR 2007, S. 105 unter Hinweis auf Tonner, NJW 2006, 1854, 1856).

Eine Abflugverspätung in diesem Sinne hat am Startflughafen in Phuket unstreitig nicht vorgelegen. Dieser Abflug war planmäßig.

Für die Bestimmung der Abflugverspätung ist entgegen der Ansicht im amtsgerichtlichen Urteil nicht auf die Abflugverspätung bei der Zwischenlandung in Bahrain abzustellen. Dort ist vielmehr „nur“ eine planmäßige Zwischenlandung des pünktlich begonnenen Fluges erfolgt.

Eine Abflugverspätung im Rahmen einer planmäßigen Zwischenlandung im Rahmen eines Gesamtfluges begründet aber keine relevante ausgleichspflichtige Abflugverspätung im oben genannten Sinne, wenn der Abflug am Ausgangsflughafen innerhalb der Grenzen des Art. 6 Abs. 1 VO erfolgte.

Für die Frage einer Abflugverspätung ist ebenso wie für die Frage einer Ankunftsverspätung am Endziel auf die gesamte Flugstrecke und damit auf den ursprünglichen Abflugort (hier: Phuket) abzustellen.

Entscheidend ist nämlich, dass es sich hier um einen Flug Phuket-... gehandelt hat und nicht um einen Flug Bahrain-... Bei der bloßen Zwischenlandung in Bahrain des weiterhin gleichen Fluges handelt es sich um einen Teil des einheitlichen Fluges Phuket-... . Wenn aber von einem einheitlichen Flug ausgegangen werden muss, kann für die Bestimmung der Abflugverspätung nur auf eine relevante Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 VO am Startflughafen abgestellt werden. Die Annahme eines „gesonderten weiteren Abflugs am Flughafen der Zwischenlandung“ ist bei einem zugrunde zu legenden, einheitlichen Flug nicht möglich, da dem die Einheitlichkeit des Gesamtfluges entgegensteht.

Die insoweit bestehende Regelungslücke bei derartigen Vorfällen der letzten Flugstrecke kann wegen des Ausnahmecharakters dieser Verordnung nicht im Wege der Analogie dahingehend gefüllt werden, dass nunmehr allein wegen des möglicherweise sogar noch gesteigerten Schutzbedürfnisses der in irgendwelchen Drittländern „gestrandeten“ Passagiere auch für derartige nicht geregelte Fälle die pauschalierte Ausgleichszahlung zugesprochen wird.

Eine andere Entscheidung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil ggf. Fluggästen, welche ihren Flug erst in Bahrain angetreten haben, ein Anspruch auf Ausgleichszahlung bzw. ein Anspruch auf Unterstützungsleistungen zugestanden hätte.

Diesbezüglich liegt keine Ungleichbehandlung vor, weil die Ausgangslage eine andere ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass für zugestiegene Fluggäste allein Bahrain als Abflugort der Flugreise maßgeblich ist. Anders als die Kläger haben diese Fluggäste noch keine Teilstrecke zum endgültigen Zielflughafen zurückgelegt.

Die Kammer sieht deshalb keinen Anlass, eine aus der Sicht der Passagiere insoweit bestehende Regelungslücke bei derartigen Vorfällen der letzten Flugstrecke wegen des Ausnahmecharakters dieser Verordnung im Wege der Analogie dahingehend zu schließen, dass auch für derartige nicht geregelte Fälle die pauschalierte Ausgleichszahlung zugesprochen wird (vgl. zum Ganzen auch LG Frankfurt, Urteil vom 29.09.2011, Az: 2-24 S 56/11, RRa 2012, S. 20 ff, zum selben Flug).

Nach alledem liegen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Ausgleichszahlung nach der Verordnung nicht vor.

Auf die zulässige Berufung der Beklagten war deshalb das amtsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Als unterlegene Partei haben die Kläger die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen (§§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO.

Wie in den anderen vergleichbaren, von der Kammer entschiedenen Fällen, war gemäß § 543 ZPO auch in diesem Verfahren die Revision zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts und möglicherweise darüber hinaus im Wege der Vorlage durch den BGH nach Art. 234 EGV sogar des EuGH erfordert. Die Frage, ob bei dauerhaften Flugunterbrechungen am planmäßigen Ort einer Zwischenlandung nach ordnungsgemäß durchgeführtem erstem Flugabschnitt die Voraussetzungen für die hier geltend gemachte Ausgleichszahlung nach der EG-VO Nr. 261/04 gegeben sind, ist soweit ersichtlich noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden.

Die Revisionen, die gegen vergleichbare Entscheidungen der Kammer eingelegt wurden, wurden aufgrund einer außergerichtlichen Einigung zwischen den Parteien zurückgenommen (Az. Xa ZR 72/09 und Xa ZR 86/09).

Ein beim EuGH anhängiges Vorlageverfahren zu dieser Frage wurde zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen (C-365/11).

Es ist auch zu erwarten, dass diese Frage künftig in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich sein wird, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Klärung erforderlich ist (vgl. dazu auch LG Frankfurt, a. a. O.; Schmidt, RRa 2012, S. 2, 4).

Die Bemessung des Gegenstandswertes ergibt sich aus dem Klageantrag in erster Instanz und dem Umfang der Anfechtung des amtsgerichtlichen Urteils durch die Beklagte, wobei die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung (§ 4 Abs. 1 ZPO) außer Betracht zu bleiben hatten.

Rechtsgebiete

Reiserecht