Einordnung des Parteigutachtens

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 11. 1990


Aktenzeichen

V ZR 108/89


Tenor


Tenor:

Auf die Revisionen der Parteien wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Februar 1989 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 19. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Klägerin bewohnt als Miteigentümerin ein Einfamilienhaus auf einem Hanggrundstück in der Hofschaft W., das im Jahre 1967 bebaut worden ist. Auf angrenzenden Grundstücken betrieb der Beklagte schon damals eine Gärtnerei vornehmlich zur Zucht und zum Verkauf von Blumen. 1969 erwarb er das dem Hause gegenüberliegende Gelände, auf dessen oberem Teil das Gebäude einer im Jahre 1965 stillgelegten kleineren Obstkraut- und Geleefabrik steht, und nutzte es zum weiteren Ausbau seines Betriebes. Während er früher mit seinen Gärtnereiprodukten außer Kunden aus der Nachbarschaft im wesentlichen nur Zwischenhändler belieferte, hat er nun den Betrieb zu einem großflächigen "Geranienmarkt" umgebaut. Diesen hat der Beklagte auf den Verkauf an Endverbraucher ausgerichtet, die er im weiten Umkreis mit Anzeigen umwirbt und die weitgehend mit Kraftfahrzeugen anreisen. Unterhalb des Grundstücks der Klägerin wurde ein Parkplatz mit mindestens 150 Plätzen geschaffen, der in Spitzenzeiten voll in Anspruch genommen wird. Zusätzlich und in umstrittenem Ausmaß parken dort nicht unterkommende Kunden auch auf Straßen und Wegen der Ortschaft.

Die Klägerin hat - soweit jetzt noch streitgegenständlich - beantragt, den Beklagten zu verurteilen, bei Meidung von Zwangsgeld oder Haftstrafe den Betrieb seines Geranienmarktes zu unterlassen, hilfsweise den Verkauf von Blumen und sonstigen Gärtnereiprodukten auf dem angrenzenden Nachbargrundstück und die Werbung hierfür gänzlich; zweithilfsweise dies an und für Samstage, Sonn- und Feiertage sowie dritthilfsweise dies nur an und für Sonn- und Feiertage zu unterlassen; ferner zu unterlassen, Lastkraftwagen an Sonn- und Feiertagen sowie nachts von 22 Uhr bis 6 Uhr früh auf seinem Grundstück zu bewegen, zu be- und entladen.

Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage nach dem zweiten Hilfsantrag (Ziffer 1 des Tenors), ferner nach dem Klageantrag zur Lkw-Bewegung (Ziffer 2 des Tenors) verurteilt. Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Die Klägerin hat unter anderem beantragt, daß der Beklagte unter teilweiser Abänderung des Ersturteils zur Unterlassung des Betriebs auf den im Osten und Westen angrenzenden Grundstücken, hilfsweise des Verkaufs von Blumen und sonstigen Gärtnereiprodukten "auf diesem Grundstück" sowie der Werbung hierfür, verurteilt wird.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten unter deren Zurückweisung im übrigen diesen bei Meidung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, für jeden Fall der Zuwiderhandlung verurteilt, es zu unterlassen: 1. an Samstagen, Sonn- und Feiertagen "durch Werbung oder in sonstiger Weise" Lärmbelästigungen durch mit Kraftfahrzeugen an- und abfahrende Kunden zu verursachen, sowie 2. zur Nachtzeit (22 Uhr bis 6 Uhr) Lärmbelästigungen durch Inbetriebnahme, Warmlaufenlassen sowie Be- und Entladen betriebseigener oder als solcher verwandter fremder Lastkraftwagen oder sonstiger Kraftfahrzeuge zu verursachen.

Beide Parteien wenden sich mit der Revision gegen dieses Urteil, der Beklagte mit dem Antrag, die Klage abzuweisen, die Klägerin mit ihren Berufungsanträgen. Wechselseitig beantragen sie, das Rechtsmittel des Gegners zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revisionen beider Parteien haben Erfolg.


I.

Revision des Beklagten

1.

a)

Das Berufungsurteil ist in Ziffer 1 des Tenors schon deshalb aufzuheben, weil es etwas anderes zuspricht als die Klägerin beantragt hat, und damit § 308 Abs. 1 ZPO verletzt. Daß der Beklagte den Verfahrensverstoß nicht gerügt hat, ist ohne Bedeutung, weil dieser im Rahmen seiner zulässigen Revision auch von Amts wegen berücksichtigt werden muß (vgl. Senatsurt. v. 24. Mai 1985, V ZR 47/84, WM 1985, 1269 m.w.N.).

Mit ihrem zweiten Hilfsantrag, auf den sich das Berufungsgericht ersichtlich stützt, zielt die Klägerin auf ein Verbot des Verkaufs an Samstagen, Sonn- und Feiertagen und die Werbung hierfür. Diesem Antrag hatte das Landgericht stattgegeben. Soweit das Berufungsgericht seine Tenorierung damit rechtfertigt, es müsse grundsätzlich dem Störer überlassen bleiben, auf welche Art und Weise er die unerlaubte Immission vermeide, ist das zwar im Ansatz richtig (vgl. z.B. BGHZ 67, 252, 253). Diese Überlegung kann aber nicht dazu führen, gegen § 308 Abs. 1 ZPO zu verstoßen, sondern mag allenfalls Anlaß sein, einen sachgerechten Antrag der Klägerin herbeizuführen (§ 139 ZPO). Der Tenor des Berufungsgerichts ist nicht etwa ein "Weniger" gegenüber dem Verkaufsverbot, sondern etwas "anderes", zumal die Klägerin sich nicht nur durch den Lärm an- und abfahrender Kunden, sondern auch durch andere Geräuschquellen (Einkaufswagen, Traktor, Nutzfahrzeuge, Telefon mit Außenklingel, Lautsprecheranlage) belästigt fühlt.

Auch hinsichtlich der Tenorierung in Ziffer 2 hat das Berufungsgericht gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen, denn es hat ohne entsprechenden Antrag auch sonstige Kraftfahrzeuge und andere Arten des Kraftfahrzeugbetriebes (über das Bewegen hinaus) mit einbezogen, was ohne spezielle Verfahrensrüge auch von Amts wegen berücksichtigt werden kann (s. oben 1 a).

Im übrigen kann die Verurteilung unter Ziff. 2 auch deshalb nicht aufrechterhalten bleiben, weil sie sich nur mit einem Teilaspekt des vom Betrieb des Beklagten ausgehenden Lärms (durch Lkw) befaßt, der im Rahmen des primär auf Betriebseinstellung gerichteten Hauptantrags der Klage geprüft werden muß und sich insoweit sinnvollerweise im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung nicht abspalten läßt, auch wenn die Klägerin ihn zunächst zum Gegenstand eines gesonderten Antrags gemacht hat.

2.

Das Berufungsgericht hält den durch an- und abfahrende Kundenfahrzeuge verursachten Lärm für wesentlich. Es stellt dazu auf Beobachtungen und Messungen des Gewerbeaufsichtsamts vom 17. Mai 1986, zusammengestellt im Protokoll vom 22. Mai 1986 ab, insbesondere auf die darin festgestellte Ankunft von 500 Fahrzeugen, mithin auf etwa 1.000 Bewegungsabläufe innerhalb eines Zeitraums von vier Stunden (9 Uhr bis 13 Uhr). Der durchschnittliche Geräuschpegel während der gesamten Meßzeit habe 63,1 dB betragen, also schon jenseits der Obergrenze von 55 dB gelegen. Frühere Befunde des TÜV Rheinland vom Mai 1984 stünden dem nicht entgegen, sondern lägen im wesentlichen auf derselben Linie.

Mit Recht rügt die Revision diese Feststellungen als verfahrensfehlerhaft. Der Beklagte hatte sowohl die Feststellungen des Gewerbeaufsichtsamts als auch die des TÜV Rheinland, insbesondere zum Besucherstrom, bestritten, die Richtigkeit der Messungen in Frage gestellt und seinerseits die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Er hält im übrigen die Feststellungen im Jahresdurchschnitt nicht für repräsentativ und behauptet unter Beweisantritt, nur an etwa 14 Tagen des Jahres, in denen auch die Messungen stattgefunden hätten, komme es zu einem starken Kundenandrang, in den übrigen 50 Wochen kämen nur wenige Besucher (Schriftsatz vom 16. Februar 1988). Bei dieser Sachlage durfte sich das Berufungsgericht nicht mit den Messungsprotokollen und Auswertungen des Gewerbeaufsichtsamts und des TÜV Rheinland begnügen, sondern mußten dem Sachvortrag und den Beweisantritten des Beklagten (Sachverständigengutachten, Augenschein, Zeugenbeweis) nachgehen. Die Messungen des TÜV Rheinland bezogen sich im übrigen noch nicht einmal auf das Wohnhaus der Klägerin.

Darüber hinaus sind die vorgelegten Messungsprotokolle mit Auswertung Privatgutachten, die grundsätzlich nur als urkundlich belegter Parteivortrag gewürdigt werden dürfen und eine eigene Beweisaufnahme insbesondere die Erholung des Sachverständigenbeweises allenfalls dann entbehrlich machen, wenn der Tatrichter sie ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage für ausreichend halten darf (vgl. BGH Urteile v. 14. April 1981, VI ZR 264/79, VersR 1981, 576, 577; v. 27. Mai 1982, III ZR 201/80, NJW 1982, 2874, 2875 und v. 18. Februar 1987, IVa ZR 196/85, VersR 1987, 1007, 1008). Das ist aber nicht der Fall. Abgesehen davon, daß das Gericht eine eigene Sachkunde nicht dargelegt hat, waren die tatsächlichen Grundlagen der Auswertungen des Gewerbeaufsichtsamtes und des TÜV Rheinland bestritten. Der Beklagte hatte die Messungsprotokolle des Gewerbeaufsichtsamts zwar selbst vorgelegt, aber nur um darzulegen, daß auch an besucherintensiven Tagen ein Beurteilungspegel von 56 dB(A) (am 17. Mai 1986) und von 49 dB(A) (am 18. Mai 1986) nicht überschritten worden sei, wobei er einen Grenzwert von 60 dB(A) für maßgeblich hält. Ohne sich beispielsweise mit den Grenzwerten der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 16. Juli 1968 näher auseinanderzusetzen, stellt das Berufungsgericht den im Messungsprotokoll vom 20. Mai 1986 erwähnten Wirkpegel von 63,1 dB(A) heraus, und berücksichtigt nicht, daß die Auswertung der Messung zu einem Beurteilungspegel von 56 dB(A) am 17. Mai 1986 bzw. 49 dB(A) am 18. Mai 1986 kommt.

Ohne eingehende neue Beweisaufnahme mit neuen Messungen, deren sachverständiger Auswertung, einem Augenschein des Gerichts und unter Umständen ergänzender Zeugenvernehmung werden sich abschließende Feststellungen zur Lärmbelästigung im vorliegenden Fall nicht treffen lassen. Das Berufungsgericht wird sich in diesem Rahmen auch mit dem Vortrag des Beklagten befassen müssen, ein starker Kundenstrom ergebe sich wegen der Eigenart seines Betriebes nur während eines Zeitraums von ca. 14 Tagen.

Bei der notwendigen erneuten Verhandlung wird der Beklagte Gelegenheit haben, auf seine weiteren Bedenken gegen das Berufungsurteil zurückzukommen, insbesondere soweit er geltend macht, die Lärmbelastung sei ortsüblich, und zwar auch deshalb, weil sein Betrieb den Charakter des Ortes präge (vgl. BGHZ 15, 146, 149; 30, 273, 277; 59, 378, 381 [BGH 10.11.1972 - V ZR 54/71]; 69, 105, 111).


II.

Revision der Klägerin

1.

Das Berufungsgericht verneint weitergehende Ansprüche der Klägerin.

Es hält insbesondere nicht für dargetan, "daß die Störungen unter der Woche bislang mehr als unwesentlich sind". Damit hat das Berufungsgericht schon die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Bei der unstreitig von der Gärtnerei ausgehenden Lärmbeeinträchtigung ist es Sache des Beklagten, als Störer darzulegen und zu beweisen, daß das Grundstück der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt wird (vgl. Senatsurt. v. 12. Juli 1985, V ZR 172/84, NJW 1985, 2823, 2825 m.w.N.). Darüber hinaus hatte die Klägerin eine wesentliche Lärmbelästigung auch an Wochentagen im einzelnen dargelegt und dafür Beweis angeboten (Schriftsatz vom 30. Oktober 1987).

Mit Recht rügt die Revision auch, daß das Berufungsgericht die Anordnung einer Betriebseinstellung, hilfsweise eines Verkaufsverbots ablehnt. Wie bereits ausgeführt, muß es zwar grundsätzlich dem Beklagten überlassen bleiben, wie er die von seinem Betrieb ausgehenden Störungen beseitigt. Ist aber nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß die maßgebliche Lärmbeeinträchtigung auf die mit Kraftfahrzeugen an- und abfahrenden Kunden zurückgeht, so ist kaum denkbar, wie der Beklagte diese Lärmquelle anders als durch eine Betriebsruhe vermeiden will. Hält der Beklagte seinen Betrieb zum Verkauf offen, so hat er auf die "Kundengeräusche" so gut wie keinen Einfluß mehr. Ein Unterlassen von Werbung wird wenig nützen, wenn - wie er selbst vorgetragen hat - sein Betrieb mittlerweile allgemein bekannt ist. Die Sperrung des Parkplatzes würde die Lärmbelästigung wohl nur noch vergrößern. Das Berufungsgericht befaßt sich im übrigen nicht mit dem Vortrag der Klägerin, der auf eine Reihe anderer Lärmquellen (Servicewagen, Traktor, Nutzfahrzeuge, Telefon mit Außenklingel, Lautsprecheranlage) hinweist. Nach allem läßt sich nicht ausschließen, daß hier ein Betriebs- oder Verkaufsverbot ausgesprochen werden muß, solange nicht durch eine umfassende Neuorganisation und Umgestaltung des Betriebes die Beeinträchtigungen vermieden werden (vgl. BGHZ 67, 252, 254).

Der Senat kann auch nicht teilweise über die Anträge der Klägerin abschließend entscheiden. Zwar ist wenig wahrscheinlich, daß die Voraussetzungen für eine völlige Betriebseinstellung vorliegen. Wie die obigen Ausführungen zeigen, sind die tatrichterlichen Feststellungen insoweit lückenhaft. Nur nach einer erneuten Beweisaufnahme und einer umfassenden tatrichterlichen Gesamtwürdigung wird sich auch insoweit ein abschließendes Urteil fällen lassen. Dies gilt auch für die Frage eines totalen oder beschränkten Verkaufsverbots.

Bei der gebotenen Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.


Hagen
Vogt
Lambert-Lang
Wenzel
Tropf


Von Rechts wegen

Verkündet am: 9. November 1990

Vorinstanzen

OLG Köln, 16.02.1989

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht

Normen

§ 308 Abs. 1 ZPO