Mietminderung wegen Zugangsverweigerung für Lebensgefährten
Gericht
LG Gießen
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
01. 03. 2000
Aktenzeichen
1 S 443/99
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. verlangt Rückerstattung von Mietzins für einen Zeitraum, in dem die Vermieter, ihre Adoptiveltern, dem Lebensgefährten der Kl. den Zugang zur Wohnung verweigerten. Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben. Mit der Berufung verfolgen die Bekl. ihren Abweisungsantrag weiter. Das Rechtsmittel hatte in der Sache nur teilweise Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
In Wegfall geraten ist die Verbindlichkeit der Kl. aus dem Untermietverhältnis aus dem Gesichtspunkt der Mietminderung (§ BGB § 537 BGB § 537 Absatz I BGB), wobei der Mangel der Mietsache darin zu sehen ist, dass die Bekl. am 17. 7. 1998 den Schlüssel der Mietwohnung von der Kl. herausverlangten, weil sie deren Lebensgefährten keinen Zutritt zu der Wohnung gewähren wollten.
Wie die Bekl. in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme selbst vortragen, wollten sie mit dem von der Kl. herausverlangten Schlüssel die Kontrolle darüber erlangen, „was sich in der Wohnung abspielt”, soweit es um Besuche des neuen Lebensgefährten der Kl.ging. Weil die Bekl. diesem Mann „nicht über den Weg trauten”, waren sie nicht mehr gewillt, der Kl. unkontrollierten Zugang zu der Wohnung zu gewähren. Insbesondere sollte sich der Lebensgefährte „keinen unberechtigten Zutritt zur Wohnung verschaffen können”. Um überwachen zu können, „welche Personen sich dauerhaft und regelmäßig neben der Kl. in der Wohnung aufhalten”, sollte der Schlüssel nach dem Willen der Bekl. fortan an einem Schlüsselbrett in ihrer eigenen Wohnung hängen. Um Zugang zur Wohnung zu bekommen, sollte sich die Kl. den Schlüssel jeweils bei den Bekl. abholen müssen.
Durch dieses Verhalten der Bekl. wurde das Gebrauchsrecht der Kl. an der Wohnung (§§ BGB § 535, BGB § 536 BGB) verletzt. Es gehört zum geschützten Rechtsbereich des Mieters, in den Mieträumen nach eigenem Belieben Besuch zu empfangen, solange dadurch nicht der Vertragszweck gestört, die Mietsache beeinträchtigt oder ein anderer Hausbewohner belästigt wird. Wie lange der Besuch dauert, ob er unregelmäßig oder regelmäßig kommt, ist grundsätzlich genauso unerheblich, wie die Frage, ob es sich um Damen- oder Herrenbesuch handelt. Auch lässt sich das Besuchsrecht - abgesehen von Heimunterbringungen und ähnlichen Gestaltungen - vertraglich wirksam weder ausschließen noch einschränken, denn es gehört zum Kernbereich des Nutzungsrechts an der Wohnung. Erlaubnis- oder Kontrollvorbehalte des Vermieters sind unzulässig (vgl. insgesamt Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, MietR, 7. Aufl., §§ 535, 536 Rdnrn. 206, 208; Sternel, MietR, 3. Aufl., II Rdnrn. 229f., 232). Irgendwelche Anhaltspunkte, die ihr Verhalten rechtfertigen könnten, haben die Bekl. nicht vorgetragen. Insbesondere steht keine vom Besuchsrecht nicht mehr umfasste dauernde Aufnahme des Lebensgefährten in Rede. Dieser verfügte vielmehr nach dem eigenen Vortrag der Bekl. über eine eigene Wohnung und die Bekl. halten der Kl. vor, sich mehr in dieser Wohnung als in der eigenen aufgehalten zu haben. Für eine Störung der Hausordnung oder eine Gefährdung des Vertragszwecks ist ebenfalls nichts ersichtlich. Allein die - im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht weiter substanziierte - Vorstellung, der neue Lebensgefährte sei kein guter Umgang für die Kl., rechtfertigt die Verletzung des Gebrauchsrechts nicht, auch wenn sie von der familiären Beziehung zur Kl. getragen ist und aus Sicht der Bekl. noch so berechtigt erscheint.
Die Verletzung des Gebrauchsrecht der Kl. ist vom Fehlerbegriff des Mietrechts umfasst. Dieser Begriff ist weit auszulegen. Da der Vermieter die Gebrauchsgewähr schuldet, beschränkt sich die Gewährleistung des Vermieters nicht auf den Zustand der Mietsache. Umfasst sind daneben auch alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die den Mietgebrauch beeinträchtigen (Sternel, II Rdnr. 509). So kann die Störungsquelle auch im Verhalten des Vermieters selbst liegen.
Auf ein Verschulden des Vermieters hinsichtlich des Mangels der Mietsache kommt es im Rahmen der Minderung nicht an (Eisenschmidt, in: Schmidt-Futterer, § 537 Rdnr. 234). Abgesehen davon haben die Bekl. bei ihrem Herausgabeverlangen hinsichtlich des Schlüssels vorsätzlich gehandelt.
Der Mangel ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Kl. die Gebrauchsbeeinträchtigung ihrerseits verschuldet hat. Angesichts der familiären Beziehung gereicht es der Kl. nicht zum Vorwurf, dem Herausgabeverlangen der Bekl. durch Aushändigung des Wohnungsschlüssels entsprochen zu haben. Darin kann insbesondere keine freiwillige Rückgabe gesehen werden, auch wenn es die Bekl. in der Berufungsinstanz so hinstellen. Davon ist die Kammer auf Grund des eigenen Vortrags der Bekl. überzeugt (§ ZPO § 286 ZPO). Im Schriftsatz vom 12. 4. 1999 haben die Bekl. selbst noch vorgetragen, die Bekl. zu 2 habe der Kl. den Schlüssel „abgenommen”, allerdings erst im November 1998.
Durch den Verlust des Schlüssels und den seitens der Bekl. gemachten Erlaubnis- und Kontrollvorbehalt war die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsmäßigem Gebrauch für die Kl. aufgehoben. Eine Wohnung, die sie nur ohne ihren Lebensgefährten benutzen konnte, war für die Kl. praktisch wertlos. Nachdem das Besuchsrecht zum Kernbereich des Nutzungsrechts an der Wohnung gehört und zum Lebensgefährten eine enge emotionale Bindung besteht, erscheint es angemessen, eine Aufhebung der Tauglichkeit zum vertragsmäßigen Gebrauch und damit eine kraft Gesetzes eintretende Herabsetzung des Mietzinses auf Null anzunehmen. Dem entspricht es, dass die Bekl. nach eigenem Vortrag ab 1. 9. 1998, nach Vortrag der Kl. sogar schon ab Mitte Juli 1998, die Wohnung an den Zeugen F weitervermietet haben. Soweit die Bekl. dazu behaupten, dies sei allein auf Veranlassung der Kl. erfolgt, ist ihr Vortrag unschlüssig. Angesichts der mit dem Besitz sämtlicher Wohnungsschlüssel ausgeübten Kontrolle war eine Überlassung der Wohnung an den Zeugen F nur mit Zustimmung der Bekl. möglich, was gegenüber der Kl. dann zugleich eine Aufhebung des Mietverhältnisses bedeutete.
Der Bereicherungsanspruch der Kl. ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die in der Bezahlung des Mietzinses im Hauptmietverhältnis liegende Leistung der Kl. an die Bekl. nach der Herausgabe des Wohnungsschlüssels in Kenntnis der Nichtschuld erfolgte (§ BGB § 814 BGB). Zum einen kommt ein Anspruchsausschluss nur bei positiver Kenntnis der Rechtslage in Betracht, nicht schon bei Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt (Palandt/Thomas, BGB, 58. Aufl., § 814 Rdnr. 3). Vor allem aber haben die Bekl. weder behauptet noch unter Beweis gestellt, dass die Kl. vor Ausführung der Überweisungen überhaupt um die noch bis einschließlich Oktober erfolgten Zahlungen wusste. Das Konto der Kl. wurde nämlich unstreitig von der Bekl. zu 2 geführt.
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