Mietern, die eine streitige Forderung des Vermieters nicht bezahlen, kann gekündigt werden
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 07. 2012
Aktenzeichen
VIII ZR 1/11
Kommt der Mieter mit der Zahlung von durch den Vermieter nach § 560 Abs. 4 BGB einseitig erhöhten Betriebskostenvorauszahlungen in Verzug, scheitert eine (auch) darauf gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nicht daran, dass der Vermieter den Mieter nicht vor Ausspruch der Kündigung auf Zahlung der erhöhten Betriebskosten verklagt hat.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens und des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung der Beklagten in S. . Gemäß § 3 des zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrags vom 1. August 1997 betrug die Grundmiete zunächst 649,16 DM (= 331,91 €) zuzüglich 110,61 DM (= 56,55 €) Betriebskostenvorauszahlungen und 51,89 DM (= 26,53 €) Vorauszahlungen für die Heiz- und Warmwasserkosten. Die Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser erhöhten sich im Jahr 2000 um 15,41 €, zum 1. Oktober 2003 um weitere 66,46 € sowie zum 1. Oktober 2004 nochmals um 18,74 €.
Ab November 2003 zahlte die Klägerin die Erhöhungsbeträge und Teile der Grundmiete nicht. Die Beklagten kündigten wegen der im Zeitraum November 2003 bis Dezember 2004 aufgelaufenen Rückstände das Mietverhältnis mit Erklärung vom 15. Dezember 2004 fristlos.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 2.202,94 € wegen mehrerer Mängel der Mietwohnung in Anspruch genommen. Die Beklagten haben im Wege der Widerklage Zahlung von Mietrückständen in Höhe von insgesamt 4.722,70 € für den Zeitraum von November 2003 bis einschließlich Oktober 2007 und Nachforderungen aus der Betriebskostenabrechnung 2002 in Höhe von 797,51 € und aus der Betriebskostenabrechnung 2003 in Höhe von 889,40 € verlangt. Zudem haben sie - gestützt auf die fristlose Kündigung vom 15. Dezember 2004 - Räumung und Herausgabe der Wohnung begehrt.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin nur in Höhe eines Betrages von 112,17 € als begründet angesehen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
Mit der vom Senat hinsichtlich der Verurteilung zur Räumung zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Widerklageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich der Rückstand teilweise aus Mieterhöhungen wegen der Anpassung von Betriebskostenvorauszahlungen errechne. Dieser Umstand schließe eine Kündigung nicht grundsätzlich aus. Das Mieterschutzgesetz gelte nicht mehr und das Gesetz zur Regelung der Miethöhe habe den Ausschluss einer Kündigung wegen einer Erhöhung der Betriebskostenvorschüsse nicht vorgesehen. Vielmehr sei bei der Frage, ob der Mieter schuldhaft gehandelt habe, zu berücksichtigen, dass der Rückstand auf einer Mieterhöhung beruhe. Es sei hier jedoch von einem Verschulden der Klägerin auszugehen, da sie keine Einsicht in die Berechnungsunterlagen, die den Betriebskostenabrechnungen zu Grunde lagen, genommen habe.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Mietwohnung verpflichtet ist. Denn die Kündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 hat das Mietverhältnis wirksam beendet. Aus § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB ergibt sich keine Verpflichtung des Vermieters, den Mieter vor Ausspruch der Kündigung auf Zahlung der Erhöhungsbeträge nach § 560 Abs. 4 BGB zu verklagen.
1. Gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB insbesondere vor, wenn der Mieter in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das Berufungsgericht hat die Klägerin rechtskräftig zur Zahlung von Miete in Höhe von 1.581,19 € für den Zeitraum von November 2003 bis einschließlich Dezember 2004 verurteilt. Dieser Betrag übersteigt die Miete für zwei Monate.
Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung vom 15. Dezember 2004 mit der Entrichtung dieser Miete in Verzug. Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerin ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB geltend gemacht habe, da die Beklagten ihr eine zumutbare Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen verweigert hätten. Denn aus den von der Revision in Bezug genommenen Schriftsätzen ergibt sich nicht, dass die Klägerin diese Einrede - wie erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2005 - VII ZR 14/04, NJW-RR 2005, 1041 unter II 1 b; Senatsurteil vom 15. April 1987 - VIII ZR 126/86, NJW-RR 1987, 903 unter II 1 b bb) - vor dem Ausspruch der Kündigung erhoben hat. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht nicht darauf eingegangen.
2. Der fristlosen Kündigung der Beklagten steht entgegen der Auffassung der Revision § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB nicht entgegen.
a) Ist der Mieter rechtskräftig zur Zahlung einer erhöhten Miete nach den §§ 558 bis 560 BGB verurteilt worden, so kann der Vermieter nach § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs des Mieters nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach rechtskräftiger Verurteilung kündigen, wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung schon wegen der bisher geschuldeten Miete erfüllt sind. Letzteres ist hier nicht der Fall. In den Mietrückständen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die gemäß § 560 Abs. 4 BGB erhöhten Betriebskostenvorauszahlungen enthalten (66,46 € ab Oktober 2003 und 85,20 € ab Oktober 2004). Der Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB liegt hier nur vor, wenn man die Erhöhungsbeträge nach § 560 Abs. 4 BGB berücksichtigt. Rechnet man diese aus den vom Berufungsgericht als noch geschuldet angesehenen Mieten (1.581,19 €) heraus, verbleibt lediglich ein Betrag, der nicht einmal die zweifache Grundmiete erreicht.
b) Der Regelungsgehalt des § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB ist allerdings umstritten (ausführlich Hinz, NZM 2010, 57, 65 ff.).
aa) Nach einer Ansicht besagt die Vorschrift, dass der Vermieter wegen der erhöhungsbedingten Rückstände erst kündigen kann, wenn der Mieter rechtskräftig zur Zahlung der erhöhten Betriebskosten oder -vorauszahlungen verurteilt ist (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 10. Aufl., § 569 BGB Rn. 70; Hinz, aaO S. 67; Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 569 Rn. 28). Der Vermieter wäre somit gezwungen, vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung Zahlungsklage zu erheben, und könnte erst nach Ablauf der Kündigungssperrfrist die Kündigung wegen Zahlungsverzugs aussprechen (LG Hamburg, Urteil vom 30. August 2007 – 307 S 43/07, juris Rn. 3; LG Berlin, GE 1989, 675 ff.; AG Altena, WuM 1988, 25 [zu § 9 Abs. 2 MHG]; LG München I, WuM 1979, 16 f.).
bb) Eine andere Ansicht orientiert sich streng am Wortlaut der Vorschrift und sieht die rechtskräftige Verurteilung des Mieters nur als Voraussetzung für die Sperrfrist an und nicht als Voraussetzung für die Kündigung wegen Zahlungsverzugs (Emmerich in Emmerich/Sonnenschein, Miete, 10. Aufl., § 569 Rn. 33; Sternel, WuM 2009, 699, 704). § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB besagt nach dieser Meinung lediglich, dass dem Mieter, gegen den der Vermieter wegen nicht entrichteter Erhöhungsbeträge nach §§ 559 und 560 BGB Klage erhoben hat, nach rechtskräftiger Verurteilung eine Kündigungssperrfrist von zwei Monaten zusteht. Die Vorschrift sei bei Kündigungen ohne vorangegangene Zahlungsklage daher gar nicht einschlägig (vgl. die Darstellung bei Hinz, aaO S. 65 mwN).
cc) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Für diese spricht neben dem engen Wortlaut auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Zunächst gab es eine entsprechende Regelung nur für das Mieterhöhungsverlangen des Vermieters (§ 3 Abs. 5 WKSchG). Sie sollte sicherstellen, dass nicht wegen der während des Klageverfahrens eventuell aufgelaufenen Erhöhungsbeträge alsbald nach der Rechtskraft des Urteils eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs erfolgen kann (BT-Drucks. VI/2421, S. 4). Einen Kündigungsschutz des Mieters musste man dabei nur für die während des Klageverfahrens aufgelaufenen Erhöhungsbeträge regeln. Denn in der Zeit davor ist der Mieter durch andere gesetzliche Bestimmungen ausreichend geschützt. Stimmt er einer Erhöhung nicht zu und erhebt der Vermieter nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten Klage auf Zustimmung, gilt das Erhöhungsverlangen als nicht gestellt (BT-Drucks. VI/2421, S. 4). Klagt der Vermieter und wird der Mieter zur Zustimmung verurteilt, schuldet der Mieter zwar die erhöhte Miete für die Zeit ab dem dritten auf das Erhöhungsverlangen des Vermieters folgenden Kalendermonat. Diese Schuld wird aber erst mit Rechtskraft des Zustimmungsurteils fällig (Senatsurteil vom 4. Mai 2005 - VIII ZR 94/04, WuM 2005, 396 unter II 2 b aa und bb); der Mieter kann also davor nicht in Zahlungsverzug geraten, so dass der Vermieter ihm auch nicht kündigen kann.
Der Gesetzgeber hat die auf die vorgenannte Fallkonstellation zugeschnittene Regelung dann durch § 9 Abs. 2 MHG auch auf Mieterhöhungen nach den §§ 2 bis 7 MHG (und damit auch auf Erhöhungen der Betriebskostenvorauszahlungen gemäß § 4 Abs. 2 MHG) ausgedehnt, weil er dem Mieter auch in diesen Fällen den Schutz der Vorschrift zukommen lassen wollte, "zumal in diesen Fällen die Mieterhöhung durch die Erklärung des Vermieters automatisch wirksam wird" (BT-Drucks. 7/2011, S. 13). Dieser Schutz umfasst aber - wie oben dargestellt - nur die während des Klageverfahrens aufgelaufenen Erhöhungsbeträge und erstreckt sich nicht auf die Zeit vor Erhebung der Klage. § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB ändert daran nichts, da er nach der Gesetzesbegründung nur den Regelungsgehalt von § 9 Abs. 2 MHG übernehmen sollte (BR-Drucks. 439/00, S. 163).
Die Interessen des Mieters gebieten es nicht, den Schutzbereich des § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB dahingehend auszuweiten, dass der Vermieter vor Erhebung einer Zahlungsklage nicht kündigen kann (Sternel, aaO). Dem steht schon der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift im Gesamtzusammenhang der Kündigungsbestimmungen entgegen, der für eine restriktive Handhabung spricht (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2012 - VIII ZR 327/11, MDR 2012, 753 Rn. 16). Im Übrigen ist der Mieter dadurch geschützt, dass im Rahmen des Kündigungsprozesses geprüft werden muss, ob der Vermieter gemäß § 560 Abs. 4 BGB bei den Vorauszahlungen eine Anpassung auf die verlangte Höhe vornehmen durfte. Der Senat hat mit zwei Urteilen vom 15. Mai 2012 (VIII ZR 245/11 und VIII ZR 246/11, jeweils juris Rn. 16) entschieden, dass eine Anpassung der Vorauszahlungen gemäß § 560 Abs. 4 BGB nur insoweit begründet ist, als sie auf einer auch inhaltlich korrekten Abrechnung beruht. Der Mieter kann durch Einsicht in die Abrechnungsunterlagen nachprüfen, ob die Anpassung gemäß § 560 Abs. 4 BGB gerechtfertigt ist oder nicht und welches Prozessrisiko er eingeht, wenn er nicht zahlt. Sollte ihm der Vermieter die Einsicht nicht ermöglichen, kann der Mieter ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. In diesem Fall ist eine auf Zahlungsverzug gestützte Kündigung ausgeschlossen.
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