Abriss einer Halt gebenden Grenzmauer zwischen unterschiedlich hohen Grundstücken
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
29. 06. 2012
Aktenzeichen
V ZR 97/11
Der Abbruch eines oberirdischen Bauwerks (hier: Mauer), der dazu führt, dass das angrenzende Grundstück seinen Halt verliert, kann einer Vertiefung des Grundstücks nicht gleichgesetzt werden.
Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kann nur die Pflicht zu einer Ankündigung derartiger Abrissarbeiten hergeleitet werden, die so rechtzeitig erfolgen muss, dass sie den Grundstücksnachbarn in die Lage versetzt, vorher eigene Stützungsmaßnahmen zu treffen.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. April 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Eigentümer angrenzender Grundstücke. Das Grundstück der Klägerin liegt höher als das des Beklagten, den Angaben der Klägerin zufolge im Mittel 1,60 m. Es wird durch eine lange alte Mauer abgestützt, die auf dem Grundstück des Beklagten steht. Wann und wie es zu dem Höhenunterschied der Grundstücke gekommen ist, ob durch eine Aufschüttung des einen oder Abgrabungen auf dem anderen Grundstück, ist streitig. Der Beklagte möchte die Mauer beseitigen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Unterlassungsklage. Mit der Widerklage will der Beklagte seinerseits feststellen lassen, dass er zu dem Abriss berechtigt ist, ohne auf den Geländeunterschied bezogene Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Ferner beantragt er, die Klägerin zu verurteilen, eine Stützmauer auf ihrem Grundstück entlang der gemeinsamen Grenze zu errichten, und festzustellen, dass sie die Kosten für die Errichtung und Unterhaltung dieser Mauer sowie die ihm seit Juli 2006 für die Sicherung der Grenze entstandenen Aufwendungen zu tragen hat.
Das Landgericht hat durch Teilurteil nur über die Klage entschieden und den Beklagten antragsgemäß verurteilt, den Abriss der Mauer zu unterlassen, ohne diese durch eine Einrichtung zu ersetzen, welche das Grundstück der Klägerin in vergleichbarer Weise stützt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, will er die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe kein unzulässiges Teilurteil erlassen. Während die Klage die Berechtigung des Beklagten zu einem sofortigen Abriss der Mauer zum Gegenstand habe, gehe es bei der Widerklage darum, wer letztendlich für die bodenphysikalische Stütze des Grundstücks der Klägerin verantwortlich sei. Der Unterlassungsanspruch sei begründet. Er lasse sich möglicherweise aus einer analogen Anwendung von § 909 BGB herleiten, weil durch die ersatzlose Beseitigung der Mauer eine der Vertiefung ähnliche Situation geschaffen werde. Jedenfalls ergebe er sich aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis. Die Pflicht des Beklagten zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Klägerin, deren Grundstück vor einem Wegbrechen gesichert werden müsse, verbiete es ihm, die Mauer ersatzlos zu beseitigen, und zwar unabhängig davon, wer für den Geländeunterschied der beiden Grundstücke und damit für die Abstützung des Grundstücks der Klägerin verantwortlich sei. Diese Frage werde im Rahmen der noch bei dem Landgericht anhängigen Widerklage des Beklagten zu entscheiden sein. Selbst wenn die Widerklage Erfolg habe und die Klägerin eine neue Mauer errichten müsse, habe der Beklagte die alte Mauer bis zu der vollständigen Errichtung der neuen Mauer stehen zu lassen oder provisorisch für eine anderweitige Stütze zu sorgen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Klage - wie die Revision zu Recht rügt - durch ein unzulässiges Teilurteil stattgegeben hat.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass ein Teilurteil gemäß § 301 ZPO nur dann ergehen darf, wenn keine Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht, weil der weitere Verlauf des Prozesses die Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann. Wird durch das Teilurteil eine Frage beantwortet, die sich im weiteren Verfahren über die anderen Ansprüche noch einmal stellt, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig; dabei ist die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung im Instanzenzug zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. August 2007 - IX ZR 63/06, BGHZ 173, 328 Rn. 18 ff., 26; Urteil vom 26. April 1989 - IVb ZR 48/88, BGHZ 107, 236, 242; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 301 Rn. 7 jeweils mwN).
2. Danach durfte das Landgericht nicht durch Teilurteil über die Klage entscheiden.
a) Das ergibt sich allerdings nicht schon aus dem ersten Antrag der Widerklage, mit dem der Beklagte seine Berechtigung zu der ersatzlosen Entfernung der Mauer feststellen lassen will. Dieser Antrag ist gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig. Er betrifft das kontradiktorische Gegenteil der Klage und damit denselben Streitgegenstand (vgl. Zöller/Vollkommer, aaO, vor § 322 Rn. 21). Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen begründet das Teilurteil insoweit nicht, weil dem Gericht die sachliche Prüfung eines unzulässigen Antrags ohnehin verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2007 - IX ZR 63/06, BGHZ 173, 328 Rn. 26).
b) Das Teilurteil ist aber im Hinblick auf die weiteren Anträge des Beklagten unzulässig. Im Falle einer abweichenden rechtlichen Beurteilung durch die Rechtsmittelgerichte könnte es nämlich divergierende Entscheidungen hervorrufen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob der Beklagte als Störer anzusehen ist. Das Landgericht hat zwar die Rechtsansicht vertreten, für die Entscheidung über die Klage komme es - im Gegensatz zu der Widerklage - nicht darauf an, ob der Beklagte den Höhenunterschied verursacht habe, weil er unabhängig davon verpflichtet sei, die Beseitigung der Mauer bis zu der Errichtung einer neuen Abstützung zu unterlassen. Dabei musste es aber die Möglichkeit einbeziehen, dass Gerichte höherer Instanz diese Auffassung nicht teilen und die Verursachung des Höhenunterschieds auch für die Entscheidung über den Unterlassungsantrag als erheblich ansehen würden.
III.
Die Sache ist daher unter Aufhebung des Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen; eine Zurückverweisung an das Landgericht (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2002 - II ZR 287/01, BGHR 2003, 284 f.) kommt nicht in Betracht, weil das Landgericht am 25. Januar 2011 ein Grund- und Teilurteil über die Widerklage erlassen hat.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Zu prüfen ist ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit den nachbarrechtlichen Sondervorschriften. Der Eigentümer darf mit seinem Grundstück nach Belieben verfahren, auch wenn dies nachteilige Auswirkungen auf das Nachbargrundstück hat, solange ihm das Nachbarrecht seine Handlung nicht verbietet (Senat, Urteil vom 12. November 1999 - V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 20 I 1, insbes. Fn. 2). Ein solches Verbot kann sich nur aus § 909 BGB ergeben.
Ob die Voraussetzungen dieser Norm vorliegen, lässt sich - wie auch das Berufungsgericht erkennt - auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, weil nicht feststeht, ob der Beklagte den Höhenunterschied verursacht hat. Gemäß § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist; der Anspruch auf Unterlassung einer verbotswidrigen Vertiefung richtet sich unter anderem gegen den Eigentümer als Störer (vgl. Senat, Urteil vom 25. Mai 1984 – V ZR 199/82, BGHZ 91, 282, 285). Die Entfernung der Stützmauer selbst stellt keine Vertiefung im Sinne von § 909 BGB dar; denn eine solche setzt - bezogen auf das Grundstück des Beklagten - eine Senkung des Bodenniveaus voraus und umfasst nicht die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 1979 - V ZR 22/78, NJW 1980, 224 f.; BGH, Urteil vom 27. März 1962 - VI ZR 137/61, VersR 1962, 572, 573; RGZ 70, 200, 206; Staudinger/Roth, BGB [2009] § 909 Rn. 8).
Sollten die Rechtsvorgänger des Beklagten die Mauer - wie es die Klägerin behauptet - nach einer von ihnen vorgenommenen Vertiefung ihres Grundstücks zum Zwecke der Befestigung errichtet haben, müsste der Beklagte das Grundstück der Klägerin gemäß § 909 BGB auch weiterhin abstützen und hätte den ersatzlosen Abriss zu unterlassen. Hat dagegen die Klägerin - dem Vortrag des Beklagten entsprechend - ihr Grundstück aufgeschüttet, oder ist nicht feststellbar, worauf der Höhenunterschied beruht, scheidet der Anspruch aus.
2. Ein Unterlassungsanspruch lässt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 909 BGB herleiten. Die Entfernung der Mauer ist nicht - wie es das Berufungsgericht erwägt - einer Vertiefung gleichzusetzen.
a) Allerdings wird mit Blick auf die als erwünscht angesehene Einbeziehung von Grundstückserhöhungen in den Schutzbereich des § 909 BGB vertreten, die Norm sei nicht nur auf Vertiefungen anwendbar. Vielmehr genüge auch ohne Senkung des Bodenniveaus jede Einwirkung auf ein Grundstück, die zur Folge habe, dass der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliere oder dass dort die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt werde. Die ratio legis der Norm sei in dem Stützverlust des Nachbargrundstücks begründet und nicht in der Senkung der Erdoberfläche des Baugrundstücks (MünchKomm- BGB/Säcker, 5. Aufl., § 909 Rn. 7 u. 10).
b) Dem kann nicht gefolgt werden. § 909 BGB regelt einen klar umschriebenen Sonderfall. Ohnehin besteht für Erhöhungen eine planwidrige Regelungslücke schon dann nicht, wenn – wie hier (§ 20 Berliner Nachbarrechtsgesetz) - in den Nachbargesetzen der Länder Regelungen dazu enthalten sind (BGH, Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW 1976, 1840, 1841; Urteil vom 11. Oktober 1973 - III ZR 159/71, NJW 1974, 53, 54; RGZ 155, 154, 160; Staudinger/Roth [2009] § 909 Rn. 10; Soergel/Baur, 13. Aufl., § 909 Rn. 5; RGRK/Augustin, BGB, 12. Aufl., § 909 Rn. 24; Dehner, NZM 2005, 172, 173). Im Übrigen fehlt jeder Anlass für eine Ausdehnung von § 909 BGB, die allgemein auf eine Senkung des Bodenniveaus verzichtete und die Vorschrift damit ihrer Konturen beraubte.
Insbesondere die Einbeziehung des Abbruchs von oberirdischen Bauwerken ist nicht sachgerecht. Ein Grundstückseigentümer muss es nämlich nicht hinnehmen, dass eine auf seinem Grundstück stehende Mauer von dem Nachbarn als Abstützung für dessen Grundstücksaufschüttung zweckentfremdet wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW 1976, 1840, 1841); er darf die Mauer auch dann abreißen, wenn das angrenzende Grundstück dadurch seinen Halt verliert. Es ist Sache des Aufschüttenden, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Nachbarrechtsgesetze der Länder sehen dies zum Teil ausdrücklich vor. Gemäß § 20 des Berliner Nachbarrechtsgesetzes darf der Boden über die Oberfläche des Nachbargrundstücks hinaus nur erhöht werden, wenn solche Vorkehrungen getroffen und unterhalten werden, dass eine Schädigung des Nachbargrundstücks insbesondere durch Absturz, Abschwemmung oder Pressung des Bodens ausgeschlossen ist. Zu derartigen Schutzmaßnahmen zählen typischerweise Stützmauern, die der Aufschüttende auf seinem eigenen Grundstück zu errichten hat (BGH Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW 1976, 1840, 1841; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 20 Fn. 78a).
An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es auch dann, wenn die Verantwortlichkeit für die Höhenunterschiede nicht feststellbar ist. Aus § 909 BGB ergibt sich nicht, dass der Eigentümer eines tieferliegenden Grundstücks das angrenzende höherliegende Grundstück abzustützen hat; richtig ist das Gegenteil. Die Abstützung ist Sache des jeweiligen Grundstückseigentümers, wenn der Nachbar den Stützverlust nicht durch eine Vertiefung verursacht hat.
3. Schließlich lässt sich der Unterlassungsanspruch nicht - wie es das Berufungsgericht meint - aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten.
a) Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben nach ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Zwar ist auch auf sie der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden; daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst werden. Eine daraus folgende selbständige Verpflichtung ist aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden. Das Rechtsinstitut darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren (siehe nur Senatsurteile vom 21. Oktober 1983 - V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 351 f. und vom 31. Januar 2003 - V ZR 143/02, NJW 2003, 1392 mwN).
b) Ein Ausnahmefall, der eine Unterlassungsverpflichtung rechtfertigen könnte, wird allein durch die „faktische Stützungsfunktion“ der Mauer nicht begründet. Das Berufungsgericht hat sich von der Vorstellung leiten lassen, die Klage betreffe - einem Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz vergleichbar - nur die Berechtigung des Beklagten zu einem sofortigen ersatzlosen Abriss, während die Entscheidung über die endgültige Verpflichtung zu der Errichtung und Unterhaltung einer Abstützung im Rahmen der Widerklage zu erfolgen habe. Dabei hat es offenbar nicht bedacht, dass es dem Beklagten eine zeitlich unbeschränkte und verursacherunabhängige Pflicht zur Absicherung des Grundstücks der Klägerin auferlegt, deren Beendigung davon abhängig ist, dass er das Verfahren der Widerklage weiter betreibt; er soll sogar noch während der Vollstreckung eines obsiegenden Urteils über die Widerklage darauf achten müssen, dass der Abriss seiner Mauer erst nach der Errichtung der neuen Abstützung erfolgt. Das verkehrt die gesetzliche Zuordnung von nachbarlichen Rechten und Pflichten in ihr Gegenteil.
c) Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kann nur die Pflicht zu einer Ankündigung derartiger Abrissarbeiten hergeleitet werden, die so rechtzeitig erfolgen muss, dass sie den Grundstücksnachbarn in die Lage versetzt, vorher eigene Stützungsmaßnahmen zu treffen; nur in diesem eingeschränkten Rahmen kann sich eine Unterlassungspflicht ergeben.
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