Keine Pflicht des Arbeitgebers zur Auskunft gegenüber erfolglosen Mitbewerbern
Gericht
EuGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 07. 2011
Aktenzeichen
C-104/10
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts, insbesondere von Art. 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40), Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (ABl. 1998, L 14, S. 6) und Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207 (ABl. L 269, S. 15).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Herrn Kelly gegen die National University of Ireland (University College, Dublin) (im Folgenden: UCD), in dem es um deren Weigerung geht, Unterlagen über das Verfahren der Auswahl von Bewerbern für eine Berufsausbildung in einer nicht redigierten Fassung offenzulegen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 76/207
Die Richtlinie 76/207, die zur Zeit des Sachverhalts, der Anlass zur Beschwerde wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gab, also in den Monaten März und April 2002, anwendbar war, sah in Art. 4 vor:
„Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zu allen Arten und Stufen der Berufsberatung, der Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung und Umschulung beinhaltet, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen,
a) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden;
b) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können;
c) dass Berufsberatung, Berufsbildung, berufliche Weiterbildung um Umschulung – vorbehaltlich in der in einigen Mitgliedstaaten bestimmten privaten Bildungseinrichtungen gewährten Autonomie – auf allen Stufen zu gleichen Bedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zugänglich sind.“
Art. 6 der Richtlinie sah vor:
„Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Sinne der Artikel 3, 4 und 5 auf seine Person für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen seine Rechte gerichtlich geltend machen kann.“
Richtlinie 2002/73
Die Richtlinie 76/207 wurde durch die Richtlinie 2002/73 geändert, nach deren Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen hatten, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie spätestens am 5. Oktober 2005 nachzukommen.
Mit der Richtlinie 2002/73 wurde insbesondere Art. 4 der Richtlinie 76/207 aufgehoben, und gemäß ihrem Art. 1 Nr. 3 erhielt Art. 3 der Richtlinie 76/207 folgenden Wortlaut:
„(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:
…
b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung;
…
(2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass
a) die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden;
b) die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen nichtig sind, für nichtig erklärt werden können oder geändert werden.“
Richtlinie 97/80
Durch die Richtlinie 97/80, deren Umsetzungszeitpunkt auf den 1. Januar 2001 festgesetzt wurde, wurden Bestimmungen über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts eingeführt.
Nach dem 13. Erwägungsgrund dieser Richtlinie obliegt die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, dem einzelstaatlichen Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten.
Dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie zufolge hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschieden, dass eine Änderung der Regeln für die Beweislastverteilung geboten ist, wenn der Anschein einer Diskriminierung besteht, und dass in solchen Fällen zur wirksamen Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Verlagerung der Beweislast auf die beklagte Partei erforderlich ist.
Nach Art. 1 dieser Richtlinie soll mit ihr eine wirksamere Durchführung der Maßnahmen gewährleistet werden, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, seine Rechte nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen gerichtlich geltend machen kann.
Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a findet die Richtlinie 97/80 insbesondere auf die Situationen Anwendung, die von der Richtlinie 76/207 erfasst werden.
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 lautet:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“
Nationales Recht
Nach der Vorlageentscheidung entsprechen die Grundsätze über die Verbreitung von Schriftstücken gemäß Rule 6(6) der Order 57A der Circuit Court Rules (Verfahrensregeln des Circuit Court) den Grundsätzen über Offenlegung („discovery“) und Einsichtnahme („inspection“) sowohl nach Order 32 der Rules of the Circuit 2001-2006 (Verfahrensregeln des Circuit Court von 2001 bis 2006) als auch nach Order 31 der Rules of the Superior Courts 1986 (Verfahrensregeln der höherinstanzlichen Gerichte von 1986) in geänderter Fassung.
Nach diesen Regeln wird die Offenlegung eines Schriftstücks bewilligt, wenn nachgewiesen ist, dass es für die vom Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen erheblich ist und dass es insbesondere notwendig ist, damit gerecht über die Sache entschieden werden kann.
Unbeschadet dessen, dass ein Schriftstück als erheblich und notwendig betrachtet wird, kann seine Weitergabe verweigert werden, wenn es dem Berufsgeheimnis oder der Vertraulichkeit unterliegt.
Im Fall einer Kollision zwischen Auskunftsanspruch einerseits und der Pflicht zum Schutz der Vertraulichkeit bzw. zur Beachtung entgegenstehender Pflichten oder Ansprüche andererseits muss das nationale Gericht das Wesen des geltend gemachten Anspruchs und den Grad der geltend gemachten Vertraulichkeit gegen das Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden Offenlegung im Rahmen der Rechtspflege abwägen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr Kelly ist ausgebildeter Lehrer und wohnt in Dublin.
Die UCD ist eine Hochschule. Für den akademischen Zeitraum 2002–2004 bot sie eine Ausbildung mit dem Titel „Masters degree in Social Science (Social Worker) mode A“ (Master der Sozialwissenschaft [Sozialarbeiter] Modus A) an.
Am 23. Dezember 2001 stellte Herr Kelly bei der genannten Universität einen Antrag auf Zulassung zu einer solchen Ausbildung. Nach Abschluss des Verfahrens zur Auswahl der Bewerber wurde ihm mit Schreiben vom 15. März 2002 mitgeteilt, dass sein Antrag abgelehnt worden sei.
Herr Kelly legte gegen diese Entscheidung im April 2002 eine förmliche Beschwerde wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Director of the Equality Tribunal mit der Begründung ein, er sei qualifizierter als die am geringsten qualifizierte Bewerberin für die erwähnte Ausbildung.
Am 2. November 2006 erließ der Equality Officer, der vom Director of the Equality Tribunal mit der Prüfung der Beschwerde von Herrn Kelly betraut wurde, eine Entscheidung, wonach der Beschwerdeführer eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht schlüssig dargetan habe. Herr Kelly erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Circuit Court (Bezirksgericht).
Außerdem erhob Herr Kelly am 4. Januar 2007 Klage nach Rule 6(6) von Order 57A der Circuit Court Rules, die dem Circuit Court vorgelegt wurde und mit der er die Anordnung an die UCD beantragte, Kopien der Schriftstücke vorzulegen, die in der Klageschrift genau beschrieben waren (disclosure, im Folgenden: Offenlegungsantrag). Mit dieser Klage wurde die Übermittlung von Kopien der aufbewahrten Antragsformulare, der diesen Formularen als Anlage beigefügten oder darin enthaltenen Unterlagen und der Bewertungsbögen der Bewerber begehrt, deren Antragsformulare aufbewahrt worden waren.
Der Präsident des Circuit Court wies die Offenlegungsklage mit Beschluss vom 12. März 2007 ab. Am 14. März 2007 legte Herr Kelly gegen diesen Beschluss Rechtsmittel beim High Court ein.
Am 23. April 2007 reichte Herr Kelly ebenfalls beim High Court einen Antrag ein, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu richten. Am 14. März 2008 befand das nationale Gericht, ein solches Vorabentscheidungsersuchen sei verfrüht, denn es habe noch nicht über die Frage entschieden, ob Einsicht in die betreffenden Unterlagen nach nationalem Recht gewährt werden könne. Nach Prüfung gelangte der High Court zu dem Ergebnis, dass die UCD die Unterlagen, deren Übermittlung Herr Kelly beantragt habe, nicht in unredigierter Form offenlegen müsse.
Der High Court hat Zweifel, ob eine Ablehnung des Antrags auf Offenlegung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, und hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Hat ein Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, ihm sei infolge der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Zugang zu der Berufsausbildung verwehrt worden, nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 Anspruch auf Informationen über die jeweiligen Qualifikationen der anderen Bewerber für den fraglichen Kurs und insbesondere derjenigen Bewerber, denen der Zugang zu der Berufsausbildung nicht verwehrt worden ist, damit der Bewerber „bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen [kann], die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“?
2. Hat ein Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, dass ihm der Zugang zu der Berufsausbildung „zu gleichen Bedingungen“ verwehrt worden ist und dass er hinsichtlich des Zugangs zu der Berufsausbildung „aufgrund des Geschlechts“ diskriminiert worden ist, nach Art. 4 der Richtlinie 76/207 Anspruch auf im Besitz des Kursanbieters befindliche Informationen über die jeweiligen Qualifikationen der anderen Bewerber für den fraglichen Kurs und insbesondere derjenigen Bewerber, denen der Zugang zu der Berufsausbildung nicht verwehrt worden ist?
3. Hat ein Bewerber, der sich beim Zugang zu einer Berufsausbildung für „aufgrund des Geschlechts“ diskriminiert hält, nach Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73, der die „unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ beim „Zugang“ zu der Berufsausbildung verbietet, Anspruch auf im Besitz des Kursanbieters befindliche Informationen über die jeweiligen Qualifikationen der anderen Bewerber für den fraglichen Kurs und insbesondere derjenigen Bewerber, denen der Zugang zu der Berufsausbildung nicht verwehrt worden ist?
4. Unterscheidet sich die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht in einem Mitgliedstaat mit einem Rechtssystem, in dem der Verhandlungsgrundsatz gilt, ihrem Wesen nach von derjenigen in einem Mitgliedstaat mit einem Rechtssystem, in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt, und falls ja, in welcher Hinsicht?
5. Können sich nationale oder europäische Rechtsvorschriften über die Vertraulichkeit auf einen etwaigen nach Maßgabe der vorgenannten Richtlinien bestehenden Informationsanspruch auswirken?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 dahin auszulegen ist, dass er einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der glaubt, dass ihm der Zugang zu dieser Ausbildung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verwehrt worden ist, Anspruch auf im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung verleiht, um ihn in die Lage zu versetzen, „Tatsachen glaubhaft [zu] machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Herr Kelly macht geltend, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 verleihe einer Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halte, einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Informationen, die, unterstellt, dass dieser Grundsatz zu Unrecht auf ihn nicht angewandt worden sei, vor einem Gericht oder einer anderen zuständigen nationalen Stelle den Nachweis von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten ließen, erbrächten oder erleichterten. Bei einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der sich durch die Verletzung dieses Grundsatzes verletzt fühle, umfasse dies Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber.
Die deutsche Regierung führt aus, der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 enthalte keinen Hinweis auf die Gewährung eines Auskunftsanspruchs. Diese Bestimmung regle – wie auch die UCD und die Europäische Kommission geltend machen – die Voraussetzungen für eine Verlagerung der Beweislast vom Kläger auf den Beklagten. Nach Ansicht dieser Verfahrensbeteiligten erfolgt eine solche Verlagerung nur dann, wenn ein Bewerber zuvor Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten ließen.
Würdigung durch den Gerichtshof
Die Richtlinie 97/80 bestimmt in Art. 4 Abs. 1, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt, zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (vgl. Urteil vom 10. März 2005, Nikoloudi, C‑196/02, Slg. 2005, I‑1789, Randnr. 68).
Daher obliegt es der Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, zunächst Tatsachen glaubhaft zu machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Nur wenn diese Person solche Tatsachen glaubhaft macht, hat der Beklagte sodann nachzuweisen, dass keine Verletzung des Diskriminierungsverbots vorliegt.
Hierzu geht aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/80 hervor, dass es dem einzelstaatlichen Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle obliegt, die Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu bewerten.
Daher obliegt es dem vorlegenden Gericht oder einer anderen zuständigen irischen Stelle, im Einklang mit den irischen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu beurteilen, ob Herr Kelly Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen.
Es ist jedoch klarzustellen, dass mit der Richtlinie 97/80 nach ihrem Art. 1 eine wirksamere Durchführung der Maßnahmen gewährleistet werden soll, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, seine Rechte nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen gerichtlich geltend machen kann.
So sieht zwar Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie keinen spezifischen Anspruch einer Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, auf Einsichtnahme in Informationen vor, um sie in die Lage zu versetzen, „Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“, gemäß dieser Bestimmung glaubhaft zu machen, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten keine Regelung, auch strafrechtlicher Art, anwenden dürfen, die die Verwirklichung der mit einer Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und sie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben könnte (vgl. Urteil vom 28. April 2011, El Dridi, C‑61/11 PPU, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 55).
In Art. 4 Abs. 3 EUV heißt es nämlich, dass die Mitgliedstaaten u. a. „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen [ergreifen], die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“, und „alle Maßnahmen [unterlassen], die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“; dazu gehören auch die mit den Richtlinien verfolgten Ziele (vgl. Urteil El Dridi, Randnr. 56).
Im vorliegenden Fall geht jedoch aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Präsident des Circuit Court zwar die Offenlegungsklage von Herrn Kelly abgewiesen hat, doch hat die UCD vorgeschlagen, Herrn Kelly einen Teil der von ihm beantragten Informationen zukommen zu lassen, was dieser nicht bestritten hat.
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 dahin auszulegen ist, dass er einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, dass ihm der Zugang zu dieser Ausbildung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verwehrt worden ist, keinen Anspruch auf im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung verleiht, um ihn in die Lage zu versetzen, gemäß dieser Bestimmung „Tatsachen glaubhaft [zu] machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“.
Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch einen Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise insbesondere deren Art. 4 Abs. 1 ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Mit der zweiten und der dritten Frage, die gemeinsam zu beantworten sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Richtlinie 76/207 oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 dahin auszulegen sind, dass sie einem Bewerber für eine Berufsausbildung einen Anspruch auf Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber um diese Ausbildung verleihen, wenn dieser Bewerber meint, keinen Zugang zu dieser Ausbildung nach den gleichen Kriterien wie die anderen Bewerber gehabt zu haben und im Sinne von Art. 4 aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden zu sein, oder wenn dieser Bewerber rügt, im Sinne von Art. 1 Nr. 3 aufgrund des Geschlechts in Bezug auf den Zugang zu dieser Berufsausbildung diskriminiert worden zu sein.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Herr Kelly vertritt die Ansicht, dass Art. 4 der Richtlinie 76/207 oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 einer Person, die meine, dass ihr der Zugang zu einer Berufsausbildung wegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verweigert worden sei, einen Anspruch auf Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für die betreffende Berufsausbildung verleihe.
Die deutsche Regierung und die Kommission machen geltend, dass die erwähnten Bestimmungen inhaltliche Regelungen in Bezug auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellten und nichts mit der Frage der Verfahrensregeln zu tun hätten. Diese Bestimmungen seien nicht hinreichend konkret gefasst, um die Annahme zu erlauben, dass sich daraus ein Anspruch auf Durchführung einer bestimmten Maßnahme wie eines Informationsanspruchs ergebe.
Würdigung durch den Gerichtshof
Aus dem Wortlaut von Art. 4 der Richtlinie 76/207 oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 geht nicht hervor, dass ein Bewerber für eine Berufsausbildung über einen Anspruch auf Einsichtnahme in im Besitz von deren Veranstalter befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung verfügt.
Art. 4 Buchst. c. der Richtlinie 76/207 sieht nämlich vor, dass die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf den Zugang zu allen Arten und Stufen der Berufsbildung beinhaltet, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass Berufsbildung – vorbehaltlich der in einigen Mitgliedstaaten bestimmten privaten Bildungseinrichtungen gewährten Autonomie – auf allen Stufen zu gleichen Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zugänglich ist.
Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 bestimmt, dass die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf. Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden.
Die erwähnten Bestimmungen dienen nämlich dazu, die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Zugang zur Berufsausbildung umzusetzen, doch überlassen sie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel beim Treffen der erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften“, die dem erwähnten Grundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden.
Somit lässt sich den genannten Bestimmungen keine besondere Verpflichtung entnehmen, die einem Bewerber für eine Berufsausbildung Einsichtnahme in die Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber erlaubte.
Daher ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 der Richtlinie 76/207 oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 dahin auszulegen sind, dass sie einem Bewerber für eine Berufsausbildung keinen Anspruch auf Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber um diese Ausbildung verleihen, wenn dieser Bewerber meint, keinen Zugang zu dieser Ausbildung nach den gleichen Kriterien wie die anderen Bewerber gehabt zu haben und im Sinne von Art. 4 aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden zu sein, oder wenn dieser Bewerber rügt, im Sinne von Art. 1 Nr. 3 aufgrund des Geschlechts in Bezug auf den Zugang zu dieser Berufsausbildung diskriminiert worden zu sein.
Zur fünften Frage
Mit seiner fünften Frage, die vor der vierten Frage zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Informationsanspruch nach den Richtlinien 76/207, 97/80 und 2002/73 durch unions- oder nationalrechtliche Bestimmungen über die Vertraulichkeit berührt werden kann.
In Anbetracht der Antwort, die auf die ersten drei Fragen gegeben worden ist, und angesichts dessen, dass der Gerichtshof im Verfahren nach Art. 267 AEUV nicht zur Auslegung des nationalen Rechts befugt ist, da diese Aufgabe ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts ist (vgl. Urteile vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino, C‑53/04, Slg. 2006, I‑7213, Randnr. 54, und vom 18. November 2010, Georgiev, C‑250/09 und C‑268/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 75), ist die fünfte Frage so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob ein Recht, sich auf eine der in den ersten drei Fragen genannten Richtlinien für den Zugang zu im Besitz des Veranstalters einer Berufsausbildung befindlichen Informationen über die Qualifikationen der Bewerber zu berufen, durch Bestimmungen des Unionsrechts über die Vertraulichkeit berührt werden kann.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Herr Kelly ist der Ansicht, ein durch einen verbindlichen Rechtsakt der Union, auch eine Richtlinie, wie sie in Art. 288 Abs. 3 AEUV definiert sei, gewährtes Recht könne nicht durch nationale Rechtsvorschriften oder deren Umsetzung, sondern nur durch einen anderen verbindlichen Rechtsakt der Union berührt werden.
Die UCD und die deutsche Regierung vertreten die Ansicht, diese Frage sei nur hilfsweise zu beantworten, denn ein Auskunftsanspruch der vom Kläger des Ausgangsverfahrens beschriebenen Art bestehe gemäß Art. 4 der Richtlinie 76/207 und Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73 nicht. Sollte der Gerichtshof jedoch zu dem Ergebnis gelangen, dass diese Bestimmungen Herrn Kelly einen solchen Anspruch verschafften, habe die Vertraulichkeit, die ein im Unionsrecht anerkannter und in mehreren Rechtsakten der Union verankerter Begriff sei, Vorrang vor diesem Informationsanspruch.
Würdigung durch den Gerichtshof
Wie der Gerichtshof in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils entschieden hat, verleiht Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80 einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, dass ihm der Zugang zu dieser Ausbildung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verwehrt worden sei, keinen Anspruch auf im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung, um ihn in die Lage zu versetzen, gemäß dieser Bestimmung „Tatsachen glaubhaft [zu] machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“.
Er hat jedoch in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils auch festgestellt, dass eine Verweigerung von Informationen durch einen Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit der Richtlinie 97/80 verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise insbesondere deren Art. 4 Abs. 1 die praktische Wirksamkeit nehmen kann.
Bei der Beurteilung solcher Umstände müssen die nationalen Gerichte oder anderen zuständigen Stellen die Vertraulichkeitsbestimmungen berücksichtigen, die sich aus den Akten des Unionsrechts wie der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) und der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. L 337, S. 11) geänderten Fassung ergeben. Der Schutz personenbezogener Daten ist auch in Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen.
Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass dann, wenn sich ein Bewerber für eine Berufsausbildung für die Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber auf die Richtlinie 97/80 berufen könnte, dieser Einsichtnahmeanspruch durch die Bestimmungen des Unionsrechts über die Vertraulichkeit berührt werden kann.
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht unterschiedlicher Art ist je nachdem, ob in einem Mitgliedstaat ein Rechtssystem besteht, in dem der Verhandlungsgrundsatz gilt, oder ein Rechtssystem, in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Herr Kelly macht geltend, dass die Verpflichtung eines nationalen Gerichts, das in einem Rechtssystem entscheide, in dem der Verhandlungsgrundsatz gelte, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, weiter gehe als die eines Gerichts eines Mitgliedstaats, in dem der Untersuchungsgrundsatz gelte, denn in einem Rechtssystem, in dem der Verhandlungsgrundsatz gelte, seien es die Verfahrensbeteiligten und nicht das Gericht selbst, die Form, Inhalt und Ablauf des Verfahrens bestimmten. Daher könne ein nationales Gericht in diesem Staat eine von einem Verfahrensbeteiligten aufgeworfene Frage sachlich nicht ändern oder dem Gerichtshof seine eigene Ansicht über die Art und Weise, in der die Frage zu entscheiden sei, vortragen.
Die UCD, die deutsche Regierung und die Kommission sind übereinstimmend der Auffassung, dass das Wesen der in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Verpflichtung nicht von den besonderen Merkmalen der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten abhänge. Ferner ergebe sich aus dem Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, Slg. 1982, 3415), dass es Sache des nationalen Gerichts sei, zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie die Vorlagefragen zu stellen seien.
Würdigung durch den Gerichtshof
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsmechanismus festgelegt, der unterschiedliche Auslegungen des von den nationalen Gerichten anzuwendenden Unionsrechts verhindern und die Anwendung dieses Rechts gewährleisten soll, indem er dem nationalen Richter die Möglichkeit gibt, die Schwierigkeiten auszuräumen, die sich aus dem Erfordernis ergeben könnten, dem Unionsrecht im Rahmen der Gerichtssysteme der Mitgliedstaaten zu voller Geltung zu verhelfen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/09 vom 8. März 2011, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach Art. 267 AEUV sind die nationalen Gerichte nämlich zur Vorlage berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet, wenn sie von Amts wegen oder auf Anregung der Parteien feststellen, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine von Abs. 1 dieses Artikels erfasste Frage ankommt. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof haben, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, über die diese Gerichte im konkreten Fall entscheiden müssen (vgl. u. a. Urteile vom 16. Dezember 2008, Cartesio, C‑210/06, Slg. 2008, I‑9641, Randnr. 88, und vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 41).
Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass das System, das mit Art. 267 AEUV geschaffen wurde, um die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch ein Verfahren einführt, das der Parteiherrschaft entzogen ist (vgl. u. a. Urteil Cartesio, Randnr. 90).
Die Vorlage zur Vorabentscheidung beruht nämlich auf einem Dialog des einen mit dem anderen Gericht, dessen Aufnahme ausschließlich von der Beurteilung der Erheblichkeit und der Notwendigkeit der Vorlage durch das nationale Gericht abhängt (Urteil Cartesio, Randnr. 91).
Daher ist es zwar Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts notwendig ist, um ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu ermöglichen, doch obliegt es in Anbetracht des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrensmechanismus diesem Gericht, zu entscheiden, wie diese Fragen zu formulieren sind.
Auch wenn es diesem Gericht freisteht, die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits aufzufordern, Formulierungen vorzuschlagen, die bei der Abfassung der Vorabentscheidungsfragen übernommen werden können, ist die Entscheidung sowohl über Form als auch über Inhalt dieser Fragen doch letztlich Sache des Gerichts allein.
Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht nicht unterschiedlicher Art ist je nachdem, ob in einem Mitgliedstaat ein Rechtssystem besteht, in dem der Verhandlungsgrundsatz gilt, oder ein Rechtssystem, in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist dahin auszulegen, dass er einem Bewerber für eine Berufsausbildung, der meint, dass ihm der Zugang zu dieser Ausbildung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verwehrt worden ist, keinen Anspruch auf im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber für diese Ausbildung verleiht, um ihn in die Lage zu versetzen, gemäß dieser Bestimmung „Tatsachen glaubhaft [zu] machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch einen Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise insbesondere deren Art. 4 Abs. 1 ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann. Art. 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen oder Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207 sind dahin auszulegen, dass sie einem Bewerber für eine Berufsausbildung keinen Anspruch auf Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber um diese Ausbildung verleihen, wenn dieser Bewerber meint, keinen Zugang zu dieser Ausbildung nach den gleichen Kriterien wie die anderen Bewerber gehabt zu haben und im Sinne von Art. 4 aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden zu sein, oder wenn dieser Bewerber rügt, im Sinne von Art. 1 Nr. 3 aufgrund des Geschlechts in Bezug auf den Zugang zu dieser Berufsausbildung diskriminiert worden zu sein. Wenn sich ein Bewerber für eine Berufsausbildung für die Einsichtnahme in im Besitz des Veranstalters dieser Ausbildung befindliche Informationen über die Qualifikationen der anderen Bewerber auf die Richtlinie 97/80 berufen könnte, kann dieser Einsichtnahmeanspruch durch die Bestimmungen des Unionsrechts über die Vertraulichkeit berührt werden. Die in Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht ist nicht unterschiedlicher Art je nachdem, ob in einem Mitgliedstaat ein Rechtssystem besteht, in dem der Verhandlungsgrundsatz gilt, oder ein Rechtssystem, in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Englisch.
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