Kreuzfahrt-Passagier darf wegen Besitzes zweier Whiskeyflaschen nicht des Schiffes verwiesen werden

Gericht

AG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

25. 03. 2011


Aktenzeichen

385 C 2455/10


Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.475,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kläger buchte am 29.04.2010 für sich und Frau ... bei der Beklagten eine Kreuzfahrt „7 Nächte St. Petersburg & Tallinn“ auf dem Schiff „Vision of the Seas“ zu einem Gesamtpreis von 2.904,54 € für den Zeitraum 29.05.2010 bis 05.06.2010. Start- und Zielpunkt der Reise war Oslo. Daher buchte der Kläger für sich und Frau ... gesondert einen Hin- und Rückflug von Zürich nach Oslo, wofür Buchungsgebühren von 60 € entstanden. In Oslo fuhren der Kläger und Frau ... für 42,44 € mit dem Zug in die Innenstadt und nahmen anschließend ein Taxi zum Schiffsanleger.

Nachdem der Kläger und Frau ... am 29.05.2010 an Bord gegangen waren, machte sich der Kläger gegen 17 Uhr auf die Suche nach seinem bis dahin noch nicht überreichten Gepäck. Der Kläger musste vor dem Sicherheitspersonal und anderen Passagieren die Koffer öffnen und nach Flaschen durchsuchen. In den Koffern befanden sich zwei angebrochene Flaschen Whiskey, die sofort mit Klebeband von dem Bordpersonal versiegelt wurden. Der Kläger wurde belehrt, dass es nicht gestattet sei, alkoholische Getränke mit an Bord zu bringen, was der Kläger zuvor nicht wusste. Am 30.05.2010 während eines Stopps in Kopenhagen wurden der Kläger und Frau ... des Schiffes verwiesen. Der Kläger buchte für sich und Frau ... zur Rückreise in die Schweiz einen Flug von Kopenhagen nach Zürich, der 1.033,70 € kostete. Ihre restlichen Urlaubstage verbrachten der Kläger und Frau ... ohne Erholungswert zuhause. Frau ... trat Ansprüche aus dem Schiffsverweis an den Kläger ab.

In einem „final electronic cruise document“ war folgende auszugsweise Passage über Alkoholregelungen enthalten:

„Royal Caribbean International Regelungen für den Alkoholkonsum

Es ist nicht erlaubt, alkoholische Getränke für den eigenen Konsum oder andere Zwecke mit an Bord zu bringen. Wenn Sie in einem Anlaufhafen oder in einem der Geschäfte an Bord alkoholische Getränke einkaufen, bewahren wir diese gerne für Sie auf und liefern sie Ihnen am letzten Tag der Reise vor der Ausschiffung in die Kabine. Das Sicherheitspersonal ist berechtigt, Behälter und Gefäße (Wasserflaschen, Limonadenflaschen, Mundwasser, Gepäck usw.) auf Alkohol zu kontrollieren und im Bedarfsfall einzuziehen. Handeln Gäste den Regelungen für den Alkoholkonsum bewusst zuwider, kann dies entsprechend der von uns ausgearbeiteten Verhaltensmaßregeln (Guest Conduct Policies) im äußersten Fall zu einem Verweis vom Schiff führen. [...]

Gemäß den geltenden Verhaltensmaßregeln können Gäste, die den Regelungen für den Alkoholkonsum (Überkonsum, Ausschank von Alkohol an unter 21-Jährige, ungebührliches Verhalten, der Versuch, alkoholische Getränke an den Sicherheits-, Gepäck- oder anderen Kontrollen vorbei aufs Schiff zu schmuggeln usw.) zuwiderhandeln, des Schiffes verwiesen oder ihnen kann der Zugang zum Schiff verweigert werden. Die hieraus entstandenen Kosten haben die Gäste selbst zu tragen. [...]“

Der Kläger behauptet, er sei bereit gewesen, den Alkohol dem Personal zu übergeben, damit dieses die Flaschen für die Dauer der Reise in Verwahrung nimmt, was ihm jedoch verwehrt worden sei. Ferner habe er vorgeschlagen, die schon versiegelten Flaschen in einem Plastikbeutel zu versiegeln, was ebenfalls verwehrt worden sei. Er habe auch erfolglos die Bereitschaft erklärt, auf Regressforderungen wegen einer Beschädigung der Flaschen zu verzichten.

Der Kläger behauptet, er habe mit dem Hotel-Relations-Manager vereinbart, nach dem Essen den Zustand der Flaschen photographisch festzuhalten und ein Protokoll zu verfassen. Der Manager habe zugesagt, im Securitybereich auf den Kläger zu warten. Nachdem der Kläger im Anschluss an das Essen dorthin gegangen sei, wäre der Hotel-Relations-Manager jedoch nicht vorzufinden gewesen. Daraufhin habe der Kläger nach Vorbild anderer Passagiere ohne Widerspruch des Personals die Flaschen an sich genommen und sie dann in seiner Kabine im Safe eingeschlossen.

Ferner behauptet der Kläger, als er am 30.05.2010 während einer Unterredung zwischen ihm, dem Hotel-Relations-Manager, dem Security-Manager, dem Second Captain und einer unbekannt gebliebenen weiteren Person durch den Second Captain vor die Wahl gestellt worden sei, die Flaschen zu vernichten oder in Kopenhagen das Schiff zu verlassen, habe er um Gelegenheit gebeten, dies mit Frau ... zu besprechen. Doch als der Kläger mit dem Entschluss, die Flaschen zur Vernichtung herauszugeben, zurückgekehrt sei, habe ihm die Crew eröffnet, dass er und Frau ... das Schiff sofort zu verlassen hätten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.475,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, es sei zunächst vereinbart worden, dass der Alkohol bis zur Klärung mit dem Hotel-Relations-Manager in Gewahrsam genommen würde, dem sich der Kläger aber durch Entwenden der Flaschen entzogen habe. Dabei habe ein Bar-Mitarbeiter den Kläger gebeten, die Flaschen zurückzustellen, der Kläger sei jedoch zum Aufzug gerannt. Der Kläger wäre bereits bei Einschiffung darauf hingewiesen worden, dass ein Verstoß eine Kündigung zur Folge haben könne. Deshalb habe man am 30.05.2010 die Kündigung ausgesprochen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig. Jedenfalls mit Schriftsatz des Klägers vom 15.02.2011 und der Beklagten vom 03.03.2011 kamen die Parteien überein, deutsches Recht zur Anwendung zu bringen (Art. 2, Art. 3, Art. 6 VO (EG) 593/2008 (Rom I)).

Die Klage ist auch begründet.

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückforderung des Reisepreises zu, weil die Reise mangelhaft und der Reisepreis daher weitgehend gemindert war (§ 651 d, § 651 c BGB).

Wird ein Reisender zu Unrecht eines Verkehrsmittels verwiesen, stellt dieses einen zur Minderung berechtigenden Mangel dar (BGH NJW 1983, 448). Der Kläger und Frau ... wurden am zweiten Reisetag von Bord verwiesen. Dass dies berechtigt geschah, ist nicht ersichtlich.

Zunächst ist der Verweis von Bord der beklagten Reiseveranstalterin zuzurechnen, da das Bordpersonal insoweit als Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB auftrat. Dies gilt auch, sofern der Verweis als hoheitliche Maßnahme einzustufen ist, denn dies tritt nur neben die vertragliche Zurechnung. Dem Schiffsführer oblag die Beförderung des Klägers und von Frau ... aufgrund seiner Anstellung bei der Beklagten und des zwischen ihr und dem Kläger geschlossenen Reisevertrages (vgl. BGH a. a. O.). Der Verweis ist damit zugleich eine Kündigung des Reisevertrages durch schlüssiges Verhalten.

Der Verweis von Bord ist die einscheidendste Maßnahme, die gegenüber einem Passagier ergehen kann. Er rechtfertigt sich daher nur als ultima ratio, wie auch die Beklagte in dem „final electronic cruise document“ selbst zugesteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Sicherheit des Schiffes, der Besatzung oder der anderen Passagiere gefährdet ist (vgl. LG Duisburg, Urt. v. 31.05.2007, Az. 12 S 151/06 - juris). Ein bloßer Verstoß gegen eine Hausordnung oder Anweisungen des Bordpersonals ohne unmittelbare Auswirkungen auf Schiff, Besatzung und Passagiere genügt dagegen regelmäßig noch nicht.

Dem Schiffsführer steht ein gewisses Ermessen zu, in dessen Rahmen er anhand konkreter Anhaltspunkte das Bestehen einer Fremd- oder Eigengefährdung beurteilen kann (LG Duisburg a. a. O.). Dass dieses Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt wurde, ist nicht ersichtlich.

Hierbei bedurfte es einer Beweisaufnahme nicht. Soweit der Sachverhalt streitig ist, rechtfertigt auch der Beklagtenvortrag nicht den Bordverweis.

Von dem mitgeführten Alkohol ging keine unmittelbare Gefahr aus. Auch war der Kläger nicht betrunken. Sein Fehlverhalten bestand zunächst also nur in dem Anbordbringen zweier angebrochener Falschen Whiskey. Zwar kann auch das Widersetzen gegenüber Weisungen den Weg zu einem Schiffsverweis öffnen (vgl. LG Duisburg a. a. O.). Auch hier gilt aber, dass angesichts der gravierenden Wirkung eines Verweises die Weisungswidersetzung nicht beliebiger Art sein kann. Es ist zumindest zu fordern, dass das Verhalten des Reisenden Auswirkungen auf die Abläufe an Bord oder auf andere Passagiere haben kann. Das ist hier nicht zu erkennen. Es fehlt nämlich schon an dem Vorliegen einer Weisung.

Nach dem Beklagtenvortrag kam man zunächst überein, die Flaschen in Verwahrung zu nehmen und ein Gespräch zu führen. In diesem Moment war die Situation also noch offen, und gab es insbesondere keine Weisung, den Alkohol abzugeben, denn es handelte sich ja um eine Vereinbarung. Eine Veränderung kann demnach nur durch die Wiederansichnahme des Alkohols durch den Kläger erfolgt sein. In diesem Zusammenhang trägt die Beklagte aber vor, ein Bar-Mitarbeiter habe den Kläger gebeten, den Alkohol zurückzustellen. Eine Bitte ist jedoch noch keine ausdrückliche Forderung und daher keine Weisung. Auch wenn der Kläger die Flaschen vereinbarungswidrig an sich genommen haben sollte, widersetzte er sich demnach nicht einer Weisung des Bordpersonals.

Zudem hätte das Bordpersonal die Flaschen im Wege abgestuften, Verhältnismäßigkeit wahrenden Vorgehens zunächst erneut herausverlangen können, und zwar auch falls der Kläger weggerannt sein sollte, denn eine Kabine an Bord, wo er aufzufinden wäre, besaß er ja noch. Angesichts nur zweier angebrochener Flaschen, die unstreitig auch versiegelt wurden, so dass ein missbräuchliches Öffnen durch Siegelkontrolle feststellbar gewesen wäre, und nachfolgend einer bloßen Bitte, den Alkohol vereinbarungsgemäß zu belassen, erweist sich die nahezu sofortige Erklärung des Verweises, mithin der Kündigung des Reisevertrages, wegen evidenter Unverhältnismäßig als nicht berechtigt und stellt eine Ermessensüberschreitung dar.

Die Beklagte führte weiter aus, bereits bei Einschiffung wäre der Kläger auf mitgebrachten Alkohol und ein Kündigungsrecht angesprochen worden. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ändert dies nichts an der Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers nicht geeignet ist, einen Verweis zu rechtfertigen. Denn der grundlegende Vorwurf, das Anbordbringen des Alkohols, war bereits erfüllt, und das nachfolgende Geschehen war wie ausgeführt nicht weiter hinreichend.

Auch aus dem Reisevertrag selbst folgte kein Ausschlussrecht. Zwar wird in dem „final electronic cruise document“ der Schiffsverweis als mögliche Konsequenz genannt, allerdings als äußerster Fall entsprechend der seitens der Klägerin ausgearbeiteten Verhaltensmaßregeln. Dahinstehen kann, ob und wie das „final electronic cruise document“ Vertragsbestandteil geworden ist. Denn jedenfalls die Verhaltensmaßregeln oder Guest Conduct Policies erhielt der Kläger nicht bei Vertragsschluss, sondern erst im Zuge des Vorfalls. Sie sind daher nicht in den Vertrag einbezogen. Die verbleibende Regelung ist daher, wenn sie Vertragsinhalt sein sollte, als allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 308 Nr. 3 BGB unwirksam, weil unbestimmt. Der Reisende kann nicht hinreichend deutlich erkennen, wann es dem Reiseveranstalter möglich ist, sich durch Verweis von dem Kreuzfahrtschiff von dem Reisevertrag zu lösen. Solch drastische Folgen müssen aber im Voraus ausreichend bestimmbar sein.

Es ist mithin kein Grund ersichtlich, dass der Kläger berechtigt von Bord gehen musste. Erst recht gilt dies für Frau ... der noch nicht einmal ein bestimmtes Verhalten vorgeworfen wird.

Der nach § 651 d Abs. 1, § 638 Abs. 3 BGB geminderte Reisepreis entspricht nur noch dem anteiligen Reisepreis für einen Tag, da die Reise am zweiten Tag vollständig beendet wurde, so dass entsprechend 6/7 des Reisepreises zu erstatten sind, mithin 2.489,61 €.

2. Die übrige Klageforderung ergibt sich als Schadensersatzanspruch wegen des Reisemangels nach § 651 f BGB.

Zu ersetzen sind daher auch die Aufwendungen, die der Kläger auf den Reisevertrag hin getätigt hat bzw. durch die unberechtigte Kündigung veranlasst wurden. Hierzu zählen zunächst die Flugbuchungsgebühren und der Transfer vom Flughafen zum Schiff als Aufwendungen. Diese sind notwendige Kosten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Reiseleistung der Beklagten entstanden sind, um diese Reiseleistung auch in Anspruch nehmen zu können. Ferner erfasst ist der durch den vorzeitigen Ausstieg in Kopenhagen erforderlich gewordene neue Rückflug. Schließlich kann der Kläger Ersatz für die ihm und Frau ... entgangene Urlaubsfreude verlangen. Hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzes hat der Kläger bereits für den ersten Reisetag ein Siebtel der Aufwendungen in Abzug gebracht, soweit diese auf erbrachte Reiseleistungen anzurechnen sind. Die entgangene Urlaubsfreude ist mit 72 € pro Tag angemessen angesetzt (LG Frankfurt am Main NJW-RR 2003, 640).

3. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 ZPO.

Rechtsgebiete

Reiserecht